Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

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Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 22.03.2010, 19:45

wortware
gebabelt, gebabbelt, gebabbbelt,
geblubbert, blabla
der schatzwert schwindet
schwindelt sich ins inflationäre
wahrheit kann nicht mehr gesagt,
kann nur noch
geschwiegen werden.

scarlett

Beitragvon scarlett » 23.03.2010, 08:48

Selbst im Schweigen
treiben sie seltsame Blüten

wahr ist nur dein Auge
das sich herüberschwimmt
und ausruht an meinem

Wimpernstrand

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 23.03.2010, 10:48

.



Barfuß stand ich heut am Strand,
Wasser sind herbeigekommen.


Wellen erreichen die Küste; Sie schauen sich um. Ist die Neugier
Endlich gestillt, geht's zurück,
Schließt zufrieden verwirbelnde Flut sich wieder dem Meer an,
Neuer Eindrücke voll.

Haben aus dem feuchten Sand
Meine Fußspur mitgenommen.





.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 24.03.2010, 09:12





barfuß sitze ich am tisch, rühre salz in den tee
von den haaren tropft es auf die fliesen
die sonne scheint

ich schaue mich um, betrachte die wände, die straße, meine hände
halten die welt flach, wenn ich still bin
bleibt es still

aber das meer ~ wie es zieht und wie ich bleibe
heute früh war mein erster gedanke: du
wärst eine welle




Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.03.2010, 23:37

gehe ich barfuß

spüre ich das stechen
kantiger muschelschalen
bohrende igelfischstacheln
den schnitt spitzer scherben

lebe ich

warum sollte ich
mir schuhe anziehen
pflaster für wunden
die nicht brennen

fühle nichts

Peter

Beitragvon Peter » 26.03.2010, 05:46

Das Reh und der Wolf oder
Das Nahe und das Ferne

Dem Reh gegenüber bist du immer der Wolf,
auch wenn du das Reh nur berühren willst.
Die Wälder vielleicht, die haben das Recht,
solches zumindest ungefähr zu umfassen.
Aber wir . . .
Hörst du’s nicht? Da geht ein Leisesein,
von dem du nicht mal ahnen kannst.
Ein Kind vielleicht könnte es vernehmen.
Aber wir . . .
Wir sind so laut geworden.
Soll da, zwischen den Autos
oder da, zwischen den Schlagzeilen
das Leise sein?
Alles zur Einfahrt ins unendlich Grelle
und durch den Reißwolf gedreht ins Nichts.
Zähne, denkt er, wenn er ihre Worte hört.
Er hört ihre Worte durch seine Zähne.
Wir sind so laut geworden.
Trotzdem zieht noch ein Lächeln
über sein Gebiss. Denn:
Ja, soll man uns doch zerreißen,
und zerreißen wir, was uns selbst zerreißt.
Dorthin werden wir nicht reichen.
Das zieht als Lächeln über sein Gebiss.
Sie wird es sein für immer, für immer,
was waren wir . . . nichts.
(Schau nur, aus allen Knochen, schau:
diesen leisen Sprung.
Schau nur, aus allen Knochen, schau:
es scheint zu regnen.
Wie macht doch das Leise
das Leben so fern.)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 29.03.2010, 10:13




Die Welt schreit dich weidwund, hörst nur deine Stimme
Dem Reh gegenüber bist du immer ein Mensch



Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Niko

Beitragvon Niko » 29.03.2010, 16:41

das reh ist stärker als der mensch
es stellt nichts in frage
und reiht sich ein
in den kreislauf des lebens

der mensch
will ihn bestimmen
und macht
sich weit niederer
als jedes tier

Nifl
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Beitragvon Nifl » 29.03.2010, 20:55

gerissen Re:Re:Re:
es haart.
Vom vielen Streicheln
und wir scheuern uns
am Zaunpfahl und gegenüber
(einst sammelte ich dir Wolle vom Stacheldraht)

ich würde dich heiraten
leerte auch die Taschen vor dem Waschen
und küsste am Morgen dein Glas am Rand
ach, du Unmöglichkeitsform
Sandkuchen in der Sonne
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 30.03.2010, 00:01

erblicken Rehe mich im Wald
suchen nicht das Weite
überflutet mich ihre Sanftmut
rühre mich nicht
trinke glücklich jede Sekunde

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 30.03.2010, 22:50

.




Rehe im Wald. Man sagt, da gehören sie hin; aber stimmt das?!
Was denn, wenn so ein Reh lieber im Supermarkt lebt -
Wäre das wirklich verkehrt? So zwischen den Gängen hinwandelnd?
Oder im Kühlregal, sauber in Folie verpackt?



.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Max

Beitragvon Max » 31.03.2010, 21:45

Soziale Marktwirtschaft

Als ob es in diesem Supermarkt
nichts Lyrischeres gäbe als totgeschossenes Tier
sauber in Folie verpackt

Siehst du nicht die Kompositionen in Neon
und die Musik der Zahlen
All die Neunen
und die Achten
hast du doch immer so gerne gemocht

Gefallene Symbole des Unendlichen
wie diese Möbiuskette
vom Kühlhaus zum Verbraucher

Niko

Beitragvon Niko » 05.04.2010, 13:04



kar-welt


der blickdichte tiger
im bestäbten
seine augen gebrochen
in fleischlosigkeit
das herz durchstoßen
von begierigen

auch er gekreuzigt
für die menschheit

auf dauer

führen herz und hirn
zum weltuntergang



.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.04.2010, 23:55

Menschenskinder

wenn du schallend lachst
fröhliche Augenblicke erlebst
dein Herz wild klopft
deine Augen dennoch weinen

wenn keine Tränen fließen
du voller Hoffnung bist
Schritte nach vorn erkennst
deine Augen dennoch weinen

wenn du viele Träume hast
dich in ihnen verlierst
sie wahrwerden siehst
deine Augen dennoch weinen

wenn deine Melancholie erneut singt
du den Grund dafür nicht kennst
deine Augen dennoch weinen

Menschenskinder
dann schau endlich
in den Spiegel


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