Als Neuling schmeiße ich einfach mal meinen Text in den Raum und hoffe, hier ist er richtig...
Fallend - Fliegend
Weil auch Engel nicht fliegen können...
Die Sonne geht flammend rot unter, malt den Himmel wohl wieder in wunderschönsten Farben an, aber ich... Ich sehe gar nicht mehr hin. Ich beobachte meine Finger, wie ich sie über den rauhen Stein des Bodens reibe. Ich sitze auf dem Dach des alten, ungesehenen Hauses, an die Wand des Treppenhauses gelehnt und beobachte meine Hände.
Von den Straßen kommt unverständliches Gemurmel aus dutzenden Mündern und Lärm von Motoren endlich vieler Autos. Aber ich sehe gar nicht mehr hin.
Ich beobachte meine Finger.
Das Geräusch, das mir am nächsten ist, ist das Singen einer leisen, kaum vernehmlichen Stimme. Sie geht unter, bei der Geräuschkulisse, die uns einhüllt. Ich weiß, dass sie wieder über das Dach läuft, wandert, singt, und immer wieder zur Sonne sieht, zu den Menschen und Autos unter uns.
Ich muss gar nicht hinsehen, um das zu wissen.
Also beobachte ich meine Finger.
"I-", beginnt sie, ihre Stimme klingt noch melodisch vom Singen nach, "-an. Ian" Sie spricht mich an, ich sehe auf, meine Finger hören auf, über den Stein zu reiben. Das Pochen setzt ein, ich weiß, dass meine Finger wund sind, ohne, dass ich hinsehe.
"Ian", wiederholt sie. Eines der einzigen Worte, die sie zu mir sagt. Mein Name.
Sie deutet irgendwo hin, lächelt dabei, sieht mich gar nicht, obwohl ihr Blick in meine Richtung gewandt ist. "Ian"
Mein Blick gleitet über ihr Gesicht, ich sehe es gar nicht wirklich an, denn ich kenne es schon. Ihr Lachen, rein, wundervoll, sanft, wie sie es ist, klingt in meinen Ohren wieder. Ja, ich weiß, warum du mich heute hierhin mitgenommen hast.
Ich richte meinen Blick wieder zu Boden. Meine Finger beginnen von alleine, hartnäckig über den Stein zu rubbeln, ich beobachte sie dabei. Und sie? Sie beginnt wieder zu singen, aber ich verstehe ihre Worte nicht. Die Melodie ist immer die gleiche. Sie singt die Melodie, die wir zusammen gehört haben, sie kam aus dem Laden, bei dem wir manchmal sitzen...
"Ian" Ich sehe gar nicht mehr auf. Ich beobachte meine Finger, wie sie im roten Abendlicht die ersten Spuren hinterlassen.
Und dann kichert sie, ich höre ihre Schritte in meiner Nähe. Sie klopft mir leicht auf den Kopf, als wollte sie mich aufmuntern, dann dreht sie sich um. Ihre dreckigen, einst blonden Locken, haben sich aus den zwei Zöpfen, die ihr jemand gemacht hatte, gelöst, fallen ihr in den Nacken, stören sie gar nicht. Ich sehe ja doch wieder hin...
"Ian" Sie sieht mich nicht mehr an, läuft lachend über das Dach, aber ich weiß, sie weint. Weil sie alle weinen, nachdem sie sich umgedreht haben. Weil sie alle weinen, wenn sie über das Dach laufen. Weil sie alle lachen müssen, obwohl sie weinen, wenn sie ihre Arme ausbreiten, um zu fliegen.
Weil wir alle nicht mehr lachen und nicht mehr weinen können, bis wir anfangen zu fliegen.
Der Radau auf der Straße wird lauter, und ich weiß, dass ich weg muss, wenn ich keinen Ärger kriegen will. Auf dem Dach werden bald Menschen herumwuseln, werden den Grund suchen, warum am Boden das Blut zu sehen ist, warum am Boden blonde Locken rot werden, warum am Boden ihr zerschlissenes Kleid Flecken bekommt. Weil sie wissen müssen, warum sie nicht mehr singen wollte.
Und sie werden sagen, dass das Haus nicht mehr betreten werden darf. Dass es abgerissen wird, weil schon wieder ein Kind von hier oben hinunter sprang.
Und dann tun sie es doch nicht, weil sie es nie taten, und lassen zu, dass wir hier oben sind.
Die Sonne verschwindet flammend rot am Horizont, malt den Himmel wohl wieder in wunderschönsten Farben an, und ich... Ich sehe hin. Ich sitze auf dem Dach des alten, nun gesehenen Hauses, stehe vor dem Abgrund, sehe nun wieder auf die Straße hinab.
Wie oft habe ich doch gesehen, dass wir, obwohl man uns damals im Heim Engel nannte, nicht fliegen können? Ich habe sie alle gesehen, traf sie, nachdem sie irgendwo ausgerissen waren.
Manche waren so alt wie ich, manche älter, manche jünger, aber das war egal, weil wir eh alle gleich sind. Und weil wir gleich sind, werde ich warten, bis ich jemanden finde, der mit mir wartet, bis die Sonne untergeht. Damit ich feststelle, dass auch ich nicht fliegen kann.
"Ian", klingen ihre Stimmen in meinem Kopf wieder. Denn sie alle haben mich noch angesprochen, bevor sie liefen, denn sie alle haben sich verabschiedet, bevor sie mich alleine ließen.
Ich sehe ihn an, lächele. "Finn."
Und er sieht mich nicht an, hat mich eben schon nicht angesehen, reibt mit den Fingern über den Boden. Direkt da, wo andere Finger schon über den Stein rieben, bis ihre Finger Spuren hinterließen.
Ich drehe mich um, wissend, dass er weiß, dass ich weine, weil wir alle weinen, bevor wir unsere Flügel ausbreiten. Und als ich merke, dass auch ich nicht fliegen kann, lache ich, damit er nicht weint.
Fallend - Fliegend
Hallo Lillith,
erst einmal Willkommen hier
ich finde, die Geschichte hat einen guten und anziehenden Sprachstil, z.B.dieses (ich sehe gar nicht mehr hin..ich sehe ja doch hin, die einfachen Handlungsbeschreibungen, die komplexen, "dass"-Mehrfachbezüge) - das gefällt mir.
Was mir nicht so gefällt ist, dass die Geschichte das Engelmotiv so direkt umsetzt, die Engel also nicht als Motiv, übertragen oder zumindest parabelhaft zu lesen sind, sondern eine in der Geschichte "reale Instanz" bleiben - dadurch bleibt man etwas zu direkt an ihnen haften und ich frage mich, was die Aussage des Textes am Ende sein soll - ich kann es eben nur begrenzt auf menschliche Zustände etc. anwenden - es bleibt ein bisschen so, als ob du wirklich eine Art kleine Mythe über Engel erfinden wolltest (willst du das?).
Am Ende kommt mir für den kurzen Text dann noch die Wendung zu schnell, dass der Protagonist erst sagt, dass er warten will, bis jemand mit ihm den Sonnenuntergang abwartet, aber dann doch im letzten Absatz selbst springt, das ist erzähltechnisch etwas unvorteilhaft komponiert , finde ich. man stellt sich vor, wie er an diesem Tag auf dem Dach sitzt und erst soll dieser Tag repräsentativ für ganz viele andere tage, eine lange zeit des Wartens sein, aber dann eriegnet sich in diesem Horizont am gleichen tag doch sein Aufgeben. Das ist erzähltechnisch etwas viel, weil es die Behauptung, dass er sehr lange wartet, durch das Ende entkräftet (den Eindruck zurücknimmt). Daher würde ich den letzten Absatz vielleicht streichen. Die vergeblichkeit ist ja trotzdem auserzählt, finde ich.
liebe Grüße,
Lisa
erst einmal Willkommen hier

ich finde, die Geschichte hat einen guten und anziehenden Sprachstil, z.B.dieses (ich sehe gar nicht mehr hin..ich sehe ja doch hin, die einfachen Handlungsbeschreibungen, die komplexen, "dass"-Mehrfachbezüge) - das gefällt mir.
Was mir nicht so gefällt ist, dass die Geschichte das Engelmotiv so direkt umsetzt, die Engel also nicht als Motiv, übertragen oder zumindest parabelhaft zu lesen sind, sondern eine in der Geschichte "reale Instanz" bleiben - dadurch bleibt man etwas zu direkt an ihnen haften und ich frage mich, was die Aussage des Textes am Ende sein soll - ich kann es eben nur begrenzt auf menschliche Zustände etc. anwenden - es bleibt ein bisschen so, als ob du wirklich eine Art kleine Mythe über Engel erfinden wolltest (willst du das?).
Am Ende kommt mir für den kurzen Text dann noch die Wendung zu schnell, dass der Protagonist erst sagt, dass er warten will, bis jemand mit ihm den Sonnenuntergang abwartet, aber dann doch im letzten Absatz selbst springt, das ist erzähltechnisch etwas unvorteilhaft komponiert , finde ich. man stellt sich vor, wie er an diesem Tag auf dem Dach sitzt und erst soll dieser Tag repräsentativ für ganz viele andere tage, eine lange zeit des Wartens sein, aber dann eriegnet sich in diesem Horizont am gleichen tag doch sein Aufgeben. Das ist erzähltechnisch etwas viel, weil es die Behauptung, dass er sehr lange wartet, durch das Ende entkräftet (den Eindruck zurücknimmt). Daher würde ich den letzten Absatz vielleicht streichen. Die vergeblichkeit ist ja trotzdem auserzählt, finde ich.
liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Liebe Lillith,
auch von mir erstmal ein herzliches Willkommen im Salon!
Ich habe Deinen Text mehrfach gelesen und er läßt mich zwiegespalten zurück. Einerseits verwendest Du Wendungen, die mir unglaublich gut gefallen
Du verpackst hier eine Weichheit in Worte, die berührt.
Allerdings sind mir manch andere Stellen zu deutlich beschreibend, vielleicht einen Tacken zu viel.
Einerseits weiß der protag, das die Sonne flammend rot untergeht, andererseits mutmaßt er, daß der Himmel "wohl" wieder in wunderschönen Farben angemalt ist... und erklärt, daß er gar nicht mehr hinsehen würde.
Genauso wie Du den lärm der Straße beschreibst, dann aber erwähnst, daß Du gar nicht hinsiehst - hinhörst?!?
Entgegen Lisa sehe ich vor dem letzten Absatz einen ziemlichen Zeitsprung. Der Protag hat jemanden gefunden, Finn, der gewartet hat, bis die Sonne untergeht. Und nun, statt des Protag, dort sitzt und sich die Finger wund reibt, während der Protag springt. Rollenwechsel, sozusagen.
Ich mag die Art, wie Du erzählst, diese Mischung aus sehr konkreter Beschreibung und Andeutungen, die der leser selber sortieren muß.
Wie gesagt, an einigen Stellen ist mir die Beschreibung "to much", aber alles in allem habe ich den Text gerne gelesen. Ich wundere mich allerdings, daß Du männliche Namen verwendest, gerade für den Protag. Denn die Art, wie dieser beschreibt, ist für mich eine sehr weibliche Sicht der Dinge.
Einzig die Tatsache, daß sich der "Begleiter" die Finger wund reibt, erschließt sich mir nicht. Ich ahne, das es eine Art "schmerzverschiebung" ist, weg von der Seele, hin zu den Finger. Aber warum gerade die Finger? Hier hätte ich gerne mehr verstanden.
Nochmal, herzlich willkommen und ich freue mich auf mehr Texte von Dir.
Nicole
auch von mir erstmal ein herzliches Willkommen im Salon!
Ich habe Deinen Text mehrfach gelesen und er läßt mich zwiegespalten zurück. Einerseits verwendest Du Wendungen, die mir unglaublich gut gefallen
Mein Blick gleitet über ihr Gesicht, ich sehe es gar nicht wirklich an, denn ich kenne es schon. Ihr Lachen, rein, wundervoll, sanft, wie sie es ist, klingt in meinen Ohren wieder.
Du verpackst hier eine Weichheit in Worte, die berührt.
Allerdings sind mir manch andere Stellen zu deutlich beschreibend, vielleicht einen Tacken zu viel.
Die Sonne geht flammend rot unter, malt den Himmel wohl wieder in wunderschönsten Farben an, aber ich... Ich sehe gar nicht mehr hin.
Einerseits weiß der protag, das die Sonne flammend rot untergeht, andererseits mutmaßt er, daß der Himmel "wohl" wieder in wunderschönen Farben angemalt ist... und erklärt, daß er gar nicht mehr hinsehen würde.
Genauso wie Du den lärm der Straße beschreibst, dann aber erwähnst, daß Du gar nicht hinsiehst - hinhörst?!?
Entgegen Lisa sehe ich vor dem letzten Absatz einen ziemlichen Zeitsprung. Der Protag hat jemanden gefunden, Finn, der gewartet hat, bis die Sonne untergeht. Und nun, statt des Protag, dort sitzt und sich die Finger wund reibt, während der Protag springt. Rollenwechsel, sozusagen.
Ich mag die Art, wie Du erzählst, diese Mischung aus sehr konkreter Beschreibung und Andeutungen, die der leser selber sortieren muß.
Weil wir alle nicht mehr lachen und nicht mehr weinen können, bis wir anfangen zu fliegen.
Wie gesagt, an einigen Stellen ist mir die Beschreibung "to much", aber alles in allem habe ich den Text gerne gelesen. Ich wundere mich allerdings, daß Du männliche Namen verwendest, gerade für den Protag. Denn die Art, wie dieser beschreibt, ist für mich eine sehr weibliche Sicht der Dinge.
Einzig die Tatsache, daß sich der "Begleiter" die Finger wund reibt, erschließt sich mir nicht. Ich ahne, das es eine Art "schmerzverschiebung" ist, weg von der Seele, hin zu den Finger. Aber warum gerade die Finger? Hier hätte ich gerne mehr verstanden.
Nochmal, herzlich willkommen und ich freue mich auf mehr Texte von Dir.
Nicole
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