Beitragvon Zefira » 06.01.2009, 01:18
Das kleine Hotel steht in bester Lage am Fuß des Gräberbergs, gerade am Rand eines aufgelassenen Friedhofs mitten in der Innenstadt, und ist immer ausgebucht. Ich habe dafür eine ehemalige städtische Bedürfnisanstalt gekauft und renoviert. Das Hotel hat früher weithin in roter Leuchtschrift verkündet, dass hier ein Zimmer frei sei. Inzwischen ist dieses eine Zimmer so gut wie ständig belegt, so dass ich die Leuchtschrift abgeschaltet und schließlich ganz vom Dach entfernt habe. Die Gäste folgen einander so dichtauf, dass ich kaum Zeit habe, das eine Bett abzuziehen und neu herzurichten; es ist meistens noch warm von dem letzten Gast, da tritt auch schon der nächste ein, den Rollenkoffer hinter sich herziehend, die gepolsterte Laptop-Tasche über die Schulter gehängt, und verlangt nach dem Zimmer.
Gleich hinter der Eingangstür wartet die mit rotem Samt und dunklen Eichenmöbeln ausgestattete Lobby, wo ich den Gast empfange, ihm die notwendigen Formulare zum Ausfüllen hinreiche und den einzigen Schlüssel von dem Brett hinter mir nehme, um ihn dem Gast auszuhändigen, denn mehr als dieses eine Zimmer, das rechts von der Lobby liegt, habe ich nicht; in dem anderen links davon schlafe ich selbst, und den Schlüssel, der ebenso wie der Gastzimmerschlüssel mit einer hölzernen Birne beschwert ist, trage ich ständig bei mir. Hinter der Lobby schließlich liegt der Frühstücksraum, wo ich dem Gast morgens zwischen sieben und zehn ein reichliches Frühstück anbiete, mit drei Sorten Müsli, Marmelade, Käse, Wurst und Schinken; mit frischen Brötchen, in Scheiben geschnittenem Vollkornbrot, Croissants und Rührei; es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Das Frühstück hat mir anfangs oft Kopfzerbrechen bereitet, denn ich muss alles bereitstellen, weil niemand vorher wissen kann, was der Gast verlangt; zum Beispiel äußert ein französischer Gast, der eigentlich mit Croissants und Butter zufrieden sein sollte, plötzlich Appetit auf ein englisches Frühstück, oder ein Gast aus Schweden, der eigentlich Knäckebrot und Lachsscheiben essen sollte, möchte ausnahmsweise, da er schon einmal in der Fremde sei, Toast und Marmelade haben. Inzwischen habe ich mir aber angewöhnt, einfach alles auf den Tisch zu stellen.Was übrig bleibt, esse ich selbst, und meistens reicht es mir für den Rest des Tages, so dass ich für mich gar nichts mehr kochen muss.
Eine andere Schwierigkeit ist die mangelnde Auswahl an Zimmern, denn da ich nur ein einziges Zimmer habe, kann ich dem Gast nicht anbieten, in ein anderes zu wechseln, falls ihm das Bett zu hart oder zu weich oder nicht exakt gemäß der Erdstrahlung ausgerichtet sein sollte, oder falls er fürchtet, darin morgens als ein riesiger Käfer aufzuwachen. Auch dafür habe ich eine Lösung gefunden; ich gebe dem Gast in diesen Fällen einfach mein eigenes Zimmer und ziehe in das Gastzimmer um. Damit das leicht vonstatten gehen kann, habe ich beide Zimmer gleich eingerichtet, bis auf das Bett, das eine andere Matratze hat und in eine andere Himmelsrichtung angeordnet ist. Außerdem habe ich meine Habe bis auf einen einzigen Koffer voll Kleidung reduziert. Wenn der Gast gegen Mitternacht in der Lobby die Glocke schlägt, springe ich sofort hellwach aus dem Bett, und in Minutenschnelle habe ich alles aus den Schränken geräumt und in den Rollenkoffer geworfen; auch das Bad ist sofort geleert, frische Handtücher an den Heizkörper gehängt, und eingepackte Seifenstücke liegen ohnehin immer bereit. Ich besänftige den aufgebrachten Gast, der eben in dem ihm angewiesenen Zimmer einen Geist gesehen hat oder wegen eines Betrunkenen unter seinem Fenster nicht schlafen zu können behauptet; ich rolle meinen eigenen Koffer in sein Zimmer, bin dem Gast beim Einpacken und Umziehen behilflich, und binnen einer Viertelstunde haben wir die Zimmer getauscht; ich muss nur meinen Zimmerschlüssel, mit einer hölzernen Birne behängt wie der Schlüssel des Gastes, an das Regal in der Lobby hängen. In den Morgenstunden kommt mich manchmal die Lust an, darauf zu bestehen, dass nun ich der Gast sei, da ich das Gästezimmer habe. Ich werde mich in das Frühstückszimmer hinter der Lobby hineingähnen, mich mit Müsli und frischem Obst, Vollkornbrot und Rührei, ausgebratenem Speck, Käse und Schinken bedienen; am besten so reichlich, dass für den anderen, der nunmehr der Gastgeber ist und sich an die Reste halten muss, kaum etwas übrig bleibt. Nach dem Frühstück werde ich meinen Rollenkoffer packen, in die Lobby treten und die Rechnung verlangen, und hinter mir wird das zerwühlte Bett bleiben, die nassen Handtücher auf dem Boden, die leere Klopapierrolle am Halter, die verschmierten Zahnputzgläser, die leeren Weinflaschen im Papierkorb. Vielleicht werde ich einen nett formulierten Eintrag im Gästebuch hinterlassen. Wahrscheinlicher aber ist, dass ich mich beim Auschecken, noch immer gähnend und die Laptoptasche über der Hüfte zurechtrückend, beschweren werde; über den Betrunkenen unter dem Fenster, das schlechte Wetter, den lückenhaften Internetempfang, den Zimmerservice und die klemmenden Fensterriegel, die einfach nicht aufgehen wollen, um mich wie eine Luftblase endgültig zu entlassen.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)