ganz still

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2009, 10:28

Ein älteres Gedicht, was schon einmal im Salon war, aber erstens hier zum Thema passt (obwohl es sich ihm vom anderen Ende nähert), und zweitens gerade gut in meine aktuelle (Schreib-)Verfassung.




ganz still



dort
von dort wird es kommen
aus einer beliebigen dunklen spalte

blitzartig
und unerwartet
wie der biss der muräne

ohne vorhang
ohne tusch
und tamtam

-   so gewaltig
    dass selbst die zeit innehält
    in dem moment
    da die globalen generatoren zerbersten
    und das fulminante kreischen der getriebe
    und das schreien des schmelzenden stahls -

sich ein letztes mal emporschwingen
zur göttlichen partitur
und in schwefelblau-blitzenden sphären
untergehen

während stockhausen dazu grinst
und hitler auf die knie sinkt

und dann wird es plötzlich still sein
endlich ganz still




schwefelgelb geändert in schwefelblau dank Andreas
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 19.06.2009, 15:21, insgesamt 3-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Andreas

Beitragvon Andreas » 18.06.2009, 13:05

Faszinierend Thomas.
Vielleicht habe ich später mehr Worte für deine Zeilen.

Derzeit nur eine kurze Anmerkung:
Obwohl ich nun schon lange meine schulische Abneigung gegen Chemie, Physik und andere Naturwissenschaften hinter mir lassen durfte, meine ich mich zu entsinnen, dass Schwefel zwar im festen Zustand gelb ist, jedoch völlig blau abbrennt.

So schlecht würden sich auch gar nicht mal "schwefelblau-blitzende sphären" anhören. Ich gestehe, dass ich mit den "-blitzenden sphären" und "untergehen" automatisch etwas wie Feuer und damit blau assoziiert habe.

Viele Grüße
Andreas

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2009, 13:15

Aha? Interessant. Da teilen wir die Abneigung gegen Chemie ebenso wie das Gutfinden von 'schwefelblau'. Salon macht schlau. Ich guck das mal nach und ändere selbstredend ... Schönen Dank!

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2009, 13:18

Gelber Schwefel schmilzt bei Verbrennung zu einer blutroten Flüssigkeit. Die dabei entstehende blaue Flamme wird idealerweise in der Dunkelheit beobachtet. [Wiki]

Tja, wattennu? Alles so bunt hier ...

Ich nehme ... blau. Weils brennt ...
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

DonKju

Beitragvon DonKju » 18.06.2009, 21:27

Hallo Thomas,

ein eindrücklicher Text, bei dem mir allerdings eine Passage eher so gefallen würde :

"...
ohne vorhang
ohne tusch
ohne tamtam
..."

da mir ein "und" hier ein wenig willkürlich gesetzt scheint, die Iteration irgendwie konsequenter wirkt, aber das ist natürlich nur mein Leseindruck, dem Du nicht zwingend folgen musst ...

Mit Grüßen von Hannes

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 19.06.2009, 10:33

Tom,

ich blamiere mich jetzt bestimmt, weil ich damals einen Kommentar zu dem Text geschrieben habe, aber für mich ist der Text völlig neu: ich habe ihn so genossen! Es ist so angemessen unangemessen in dem, was es beschreibt, dass es abslut authentisch ist, obwohl es sehr hoch stilisiert ist. Und dann gefällt mir daran, dass das ganze in diesem "molochmaschinenton" (durch den Mitttelteil besonders geprägt und das breitet sich dann von dort aus zum schlichten Anfang und zum andersbildigen Ende hin aus, dass es einen richtig mitnimmt und diese Stimmung versetzt) geschrieben ist; ja, finde ich sehr gelungen und ich kann auch verstehen, dass der Text zu deiner derzeitigen (Schreib-)verfassung passt, obwohl es eine andere Lautstärke ist, ist es für mich die gleiche Energie und auch der gleiche Beobachtungsstandpunkt.

Ich hoffe, ich komm noch dazu, was zu Juist 1 oder/und 2 zu schreiben! Zu viele gute Texte immoment im Forum...

segenundfluchgrüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 19.06.2009, 12:04

Lisa hat geschrieben:Zu viele gute Texte immoment im Forum...


Zu viele gute ...? Wann hat man sowas schon gehört? :o)

Lisa hat geschrieben:Ich hoffe, ich komm noch dazu, was zu Juist 1 oder/und 2 zu schreiben!


Juist (1) kannst du vergessen ... kleiner Ausrutscher.

Dieser Text hier hängt eher mit Juist (2) oder 'Laryngitis vulgaris' zusammen ..


Zum Text dasselbst:

@Lisa: Ich bin selbst überrascht, wie aktuell ein oller Text sein (oder besser: wieder werden) kann. Irgendwie wiederholt sich alles, aber nichts scheint gelöst ...

@Bilbo: Für mich ist es rhythmisch etwas anderes, 'ohne tusch und tamtam' gehört für mich zusammen. Sicher, dann hätte man es in eine Zeile bringen können. Aber eben nicht müssen :o)

Ich bedanke mich allseits für die Löbe und freu mich, wenns erfreut.

Tom
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.06.2009, 13:23

Hi Tom,

dieser Text wirkt für mich wie eine "paradoxe Fortsetzung" von "Laryngitis vulgaris". Dort ist es so laut, kracht und dröhnt, dass man sich die Ohren zuhalten möchte und schier erdrückt wird, das LI nicht ertragen kann.
Und hier beschreibst du, nach meiner Lesart, das Entsetzen, die böse Ahnung des LI, dass, ohne Vorwarnung, ein Stahlwerk mit einem letzten göttlichen Blau aufhören wird zu existieren, es "plötzlich still sein" wird. LI liebt dieses Stahlwerk. Doch dieses "endlich ganz still" assoziert mir diese "paradoxe Fortsetzung" von Laryngitis vulgaris. Faszinierend finde ich das.

Saludos
Mucki

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 19.06.2009, 14:51

Vielen Dank, Gabriella.

Das von dir bezeichnete 'Stahlwerk' ist aber eher ein Synonym führ etwas Größeres, für die Lebensmaschinerie, das Zeitalter der Technisierung, und dessen finale Zerstörung kann erst wieder völige Stille hervorbringen. Die wir alle mal so nötig hätten.

Tom
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.06.2009, 15:05

Hi Tom,

dass das von mir bezeichnete Stahlwerk als Synomym für das Zeitalter der Technisierung gilt, ist schon klar, durch
"da die globalen generatoren zerbersten"

Dennoch schwingt in diesem Passus nach meiner Lesart die Verehrung des LIs mit (deshalb das "paradox"):
und das fulminante kreischen der getriebe
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zur göttlichen partitur
und in schwefelblau-blitzenden sphären
untergehen

Auf der anderen Seite wird, gerade durch die Huldigung des LIs und die Bereitschaft, das Stahlwerk als Repräsentant, zu "opfern", damit endlich Ruhe einkehrt, (die "Not" des LIs wird dadurch bekräftigt) meine Assoziation bestätigt: der Zusammenhang deiner beiden Texte. Ja, passt, sehr gut sogar.

Saludos
Mucki

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 19.06.2009, 15:21

Also 'Verehrung' ist sicherlich nicht auf die Existenz, sondern eher auf die Zerstörung bezogen.

So wie Karlheinz Stockhausen nach den Anschlägen von 9/11 auf das WTO davon sprach, es sei 'das größte Kunstwerk, was es je gegeben habe.' (Man muss das natürlich in seinem Kontext verstehen, was einige damals nicht begriffen und es einen ziemlichen Skandal gab)

Aus diesem Grund tausche ich jetzt aus der Distanz den zwar atonalen, aber durchweg freundlichen Herrn Schönberg gegen ebendiesen aus.

Tom
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Beitragvon Mucki » 19.06.2009, 17:07

Hi Tom,

durch den Namen Stockhausen wird klarer, was du meinst, ja.
Ich frage mich jedoch, ob hier
während stockhausen dazu grinst

das "grinst" passt. Das hört sich zu zynisch und zu selbstgefällig an, finde ich. Er meinte ja, es wäre das größte Kunstwerk, welches jemals erschaffen wurde, wovon Komponisten nur träumen könnten. Ein Kunstwerk, dass die Menschen erwachen lässt, etc.
Da müsste m.E. ein adäquateres Wort rein, wobei mir ad hoc keines einfällt, aber dir vielleicht.

Saludos
Mucki

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 19.06.2009, 17:35

Ein bisschen zynisch und selbstgefällig isses aber schon, finde ich (anmaßend?) ... Aber grinsen tu ich auch, wenn ich von einer tollen Komposition eingefangen werde, selbst, wenns nicht meine eigene ist ... Ich find grinsen nicht so schlecht, als Beifallsbekundung...
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