J.

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
SchwarzeTinte

Beitragvon SchwarzeTinte » 25.07.2009, 14:20

Vorbei.
Es gab viele Auswege, doch ich habe mich für den Einfachsten entschieden.
Das ist der Grund, warum ich heute lebe; das habe ich allein mir zu verdanken, ich habe mir selbst ein neues Leben geschenkt.
Den Richtern habe ich aufs Wort genau das gesagt, was sie hören wollten, doch sie haben es trotzdem nicht erwartet.
Darum bin ich nun frei, so frei, wie ich noch nie war, und ich kann dadurch ein neues Leben
beginnen. Jenes wird so grundsätzlich anders sein als meine vorherige Kriegsmacherei, wie ich es mir, im Moment, noch gar nicht vorstellen kann.
Ich habe mich von meinen Idealen leiten lassen, wie sich sonst nur Narren verleiten lassen können.
Für mein Vaterland habe ich gekämpft, ein Vaterland, das damals noch nicht existierte.
Diejenigen, die sich mein Werk zunutze gemacht haben, sind nicht von Idealen geleitet, nur von sich selber, ihrer Machtgier zuliebe.
Aber bin ich nicht auch selber dieser Machtgier verfallen? Was berechtigt mich dazu, mich von dieser Masse an menschlicher Geier abzuheben?
Es ist mir gleichgültig, denn meine Utopie hat sich in Realität gewandelt.
Erst jetzt sehe ich das ungeschminkte Gesicht meiner so schönen Ideen.
Ein korruptes Konstrukt, das auf Blut gebaut ist; Blut, das ich vergossen habe, im Namen meiner Ideen, die sich nun gegen mich gestellt haben.
Nun habe ich meinen Kopf selber aus den Flammen geholt, ich lebe…
Unwichtig scheint mir nun alles, alles was mich umgibt, alles was in diesem Land, ja, in dieser ganzen Welt geschieht, welchen Wert sollte es noch für mich haben?
Erschöpft und müde, so könnte man mich bezeichnen, und so ähnlich sind diese beiden Begriffe gar nicht.
Meine Gedanken bewegen sich schnell, wie damals meine Männer in der Schlacht.
Männer, die Söhne, Väter und Ehemänner waren, die für ein Vaterland gestorben sind, das damals noch in der Wiege lag, und sie nicht kannte.
Ein Vaterland, das nur geboren werden konnte, indem es seine eigenen Söhne in den Tod geschickt hat – angeführt durch mich.
Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, dass gerade ich diese Aufgabe ausführen musste, die doch scheinbar durch Gottes Willen befürwortet wurde…
Gott will also, dass Länder aus dem Blut hervorgehen, nur um danach noch mehr Blut vergießen zu können, um ihre Position zu legitimieren?
Mein Blut bekommen sie nicht, zumindest nicht heute, auch wenn es eine sehr gut geplante Tarnung für ihr Blutvergießen gewesen wäre.
Nun verlasse ich die Bühne dieses Theaters, das die große Welt darstellt, meine Rolle ist zu Ende gespielt… Nicht durch ein heroisches Ende, sondern in der denkbar verachtenswertesten Art. Zumindest in den Augen derer, die den Mut preisen, diesen Mut, der durstig und hungrig nach Blut und Anerkennung ist.
Wird jemals jemand diese Bühne besteigen, diese Bühne der Macht, der je an etwas anderes denken wird als an seine Macht?
Derjenige könnte vielleicht dieses grausige Schauspiel neu besetzen und seine Handlung umschreiben.
Der Vorhang fällt nicht heute, nicht durch mich, nicht meinetwegen.
Der Tag war lang und er endet hier, nicht durch meinen Tod, sondern durch
seinen friedvolleren Bruder, dem Schlaf.



Erwachen, ohne den Drang, etwas machen zu müssen, ein Geschenk.
Viele würden sagen, ein Geschenk des Himmels, aber der Himmel, vertreten von seinen Handlangern, hätte mich verbrennen lassen, um mich dann gereinigt in ein anderes Feuer zu werfen.
Der Mensch ist seines Glückes Schmied, wir müssen unser Leben selbst in die Hand nehmen, wir müssen darum kämpfen, auch wenn es manchmal moralisch nicht auf die ehrenwerteste Weise geschieht.
Moral soll nur dann Moral sein, wenn sie dem Menschen Nutzen bringt, und nicht, wenn sie von den bereits Mächtigen dazu missbraucht wird, um ihre Macht noch zu vergrößern.
Ich war jemand, man kannte mich, man hat mir zugejubelt, ich hatte eine ganze Armee, die mir gehorchte, und nun… bin ich ein Niemand für sie alle. Für mich selbst dagegen bin ich nun ich selbst.
Es wäre eine Lüge zu sagen, es ginge mir jetzt besser, denn es ist unsere Natur, der Mensch ist ein soziales Tier, das nach Macht und Anerkennung dürstet.
In meiner Jugend war ich auch so, ich war es sogar noch bis gestern, ich hätte einen heroischen Tod sterben können, für den die kommenden Generationen mich bewundert hätten, für den ich eine Ikone für mein Land geworden wäre…
Was bringt uns aber der Ruhm über den Tod hinaus? Denken wir, durch ihn wäre unser Leben nicht sinnlos gewesen? Aber denken wir denn überhaupt darüber nach, wie viel uns dieser Ruhm gekostet hat, und nicht nur uns…
Wie viele Menschen sind durch mein Schwert und jenes meiner Männer gestorben? Und dies nur um unser Land zu errichten, um die Mächtigen auf ein Podest der Unsterblichkeit zu heben, und mich dazu.
Es ist deine moralische Verpflichtung… es ist zum Wohle deines Landes… Die Moral wird von den Mächtigen definiert, um sie in den Institutionen der Unterdrückung in unsere Köpfe einzutrichtern, um uns unter keinen Umständen auf den Gedanken zu bringen, wir könnten etwas unmoralisches gegen diese doch selbst so unmoralischen Machtträger tun. Es gibt keine Demokratie, wie sie die Griechen gepredigt haben, Demokratie ist nur das scheinbare Streben mehrerer, die doch nur zu einer Diktatur führt. Die Moral besagt, gebietet und erklärt den Menschen ins Zentrum aller Belange zu stellen, der Mensch als solcher – nicht der machtausübende Mensch, der Stärkere unter Schwachen.
Wir können gar nicht ausbrechen, wir sind in jeder Minute unseres Daseins verstrickt, in diesem Denken, in diesem System. Ich selber bin ebenfalls nicht entronnen, denn auch mich quält stetig das Streben nach Großem; ich bin diesem, durch meine gestrige Entscheidung nicht entronnen, ich bleibe noch immer ein Mensch…
Gibt es für uns noch Hoffnung? Ist der Glaube an die Menschheit noch ein verlässlicher Wert – oder haben Ideologie, Verblendung und Machthunger in den letzten Jahrhunderten einen solchen Flächenbrand verursacht, dass wir nicht mehr zu retten sind? Sind die Wunden in unserem Weltbild so tief und mannigfaltig, dass sie nicht mehr zu heilen sind?
Solange man die Macht hat, stellt man sich solche Fragen nicht, sie werden nur von den Kassandras dieser Welt gestellt. Jenen Frauen und Männern, die sich aus dem System gekämpft haben, und den andere Menschen, die noch der Traumwelt angehören, in der alles einen Sinn und Ordnung hat, nicht glauben.
Mein Leben hat für diese Menschheit keinen Sinn mehr, denn sie braucht jene Stimmen nicht, die ihr kritisch gegenüber stehen. Sie alle glauben, ihr Weg sei der einzig richtige, und auch kleine Schwierigkeiten auf ihrem Weg, die eigentlich ein Omen für das sind, was kommen könnte, sind für sie keine Gründe für einen Kurswechsel. Wenn der Wind unter ihren Segeln fehlt, gibt es immer noch genug Mächtige, die den Schwachen das Pusten befehlen.
Ich werde meine Atemzüge anhalten, um euch vor diesem Schicksal zu warnen… doch auch dieses Anhalten wird nicht dazu führen, dass ihr selbst die Segel streicht…
Ein schwacher, egoistischer Trost bleibt mir, denn wenigstens ich spiele nicht mehr ihr Spiel. Ich hoffe, je mehr gegen diese Zustände aufbegehren, desto langsamer wird ihr Segelschiff fahren, desto weiter wird ihr Ziel rücken…das Ziel, das wir um keinen Preis der Welt erreichen dürfen… es wäre das Ende jedes denkenden Menschen außerhalb der Elite…und am Schluss – das Ende von allem.



Ich weiß nicht mehr was ich sagen, denken, leben soll.
Mein ganzes Leben, vor und nach meiner Entscheidung, scheint mir so blass, so entfernt von dem, was ein Mensch eigentlich sein sollte.
Wir preisen uns als Geschöpfe Gottes, wir sollten also nach anderen Idealen streben als lediglich denen der Macht.
Selbst nach meinem Wandel strebte ich noch eine andere Form der Macht an, eine Macht, die einfach nur anderen Menschen zugeflossen wäre. Die, die jetzt die Außenseiter sind, würden zu den neuen Mächtigen werden, aber würden sie es dann besser machen?
Wir können dieses System zum Einsturz bringen, aber hilft dies auch der Menschheit sich zu erheben und das zu sein, was wir uns erträumen?
Sind Frieden und Machtlosigkeit nicht nur fromme Wünsche und zerschlagene Hoffnungen, die nichts mehr mit dem Menschsein gemein haben?
Die ganze Kraft, die ich aufbringen konnte, als ich voller Leidenschaft für mein Ziel entbrannte zuvor für mein Vaterland, danach für die Menschheit – scheint sich verflüchtig zu haben.
Was bleibt, ist Unmut, Enttäuschung und bittere Erkenntnis…
Ich muss mich damit abfinden, dass nicht ich den Wandel bringen werde, den sich viele erhofften. Ich habe mich überschätzt, bei vielen Menschen sind meine Errungenschaften schon lange vergessen, da sie nur zu dem Ziel geführt haben, dass sich einige Mächtige erwünschten.
Ja, mein Vaterland wurde erschaffen, es trinkt nun das Blut der menschlichen Opfergaben, die wir für diesen Zweck zur Schlachtbank getrieben haben.
Ich habe mein Leben gerettet, durch meine Entscheidung, damals, vor dem Gericht. Ich habe meine Ideen und Überzeugungen verraten, nur um neue Überzeugungen anzunehmen, die scheinbar moralischer und ehrenwerter waren, nur um heute zu merken, dass diese Anstrengung völlig sinnlos war, da sich die Grundideen niemals verwirklichen lassen, und dass meine Gedanken, deswegen, nur dazu führen werden, dass andere Mächte erbaut werden, die doch nur wieder andere Menschen unterdrücken wollen und werden.
Ich wollte nur Harmonie, in meinem ganzen Leben, das gleichzeitig zu lang und dafür zu kurz war. Doch erschafft habe ich vor allem Schmerz, Verwüstung und Tod.
Ich bin schuldig der Täuschung, des Verrates und des Mordes an der Menschheit – nicht mehr und nicht weniger – wie alle andere Menschen, die um mich herum leben, aber hätte ich es nicht anders, besser machen können?!
Ich ziehe meine Schlüsse daraus und fälle mein Urteil, das genauso grausam sein soll und gleichzeitig die vollkommene Ruhe in mein Leben bringt, wie ich sie all meinen Opfern zuvor unerbittlich gebracht habe.
Mein Urteil wird der Tod sein… wie sich die Menschheit selbst ermordet, so wird mein Urteil auch von meiner Hand geschehen.
Meine Zeit ist vorbei, ich habe versucht, in meinem Leben etwas zu verändern, die Menschen, die Zeit, vielleicht die Welt zu ändern, gelungen ist es mir nicht. Das einzige, das mir gelungen ist, ist mein Leben künstlich zu verlängern, und den Richtern nicht die Genugtuung zu geben, mir das Leben aus der Hand zu nehmen.
So sterbe ich heute, alleine, nicht auf dem Schlachtfeld, wie ich es mir früher gewünscht habe, sondern durch meine eigene innere Schlacht. Ein Kampf, nicht mehr um das Leben, sondern den Tod.
Von der Geschichte werde ich vergessen werden. Dieses Schreiben, die einzige Erinnerung an mich, in der Hoffnung, dass dies jemand lesen wird, der wirklich etwas verändern wird.
Des Schlafes ewiger Bruder erwartet mich, er ist der dunkle Ruhespender, er bringt mir den ersehnten Frieden.
In seiner Umarmung schlafe ich langsam ein. Meine Umgebung färbt sich samtig rot.
Meine Augen schließen sich. Nun. Für immer.



Anmerkung des Herausgebers:
Ich habe die vorliegenden Schriften in einem alten Londoner Antiquariat (13, Regent Park) gefunden. Der Originalwortlaut ist französisch, so dass er für diese Ausgabe hier ins Deutsche übersetzt wurde. Eine genaue Datierung ist nicht möglich, doch anhand meiner weiteren Recherche könnte es sein, dass es sich um die Aufzeichnungen einer historisch verbürgten Person handelt. Ja, noch konkreter, einer Frau, deren Taten noch heute in den Geschichtsbüchern zu finden sind. Doch will ich meine Vermutungen nicht auf spekulative Eindrücke münzen, ich lasse des Leser selber seine Schlüsse ziehen und stelle nachfolgend eine weitere gesicherte Schrift dar, die ein Licht in dieses dunkle, blutige und doch auch wieder erhellenden Kapitel unserer Geschichte wirft.

Im Namen des Heiligen Gottes und seiner königlichen Instanz auf Erden, unserem König Karl VII:
Durch Beschluss von Karl VII, dem siegreichen König von Frankreich, wird hiermit bestätigt, dass die Tochter des Vaterlandes, Jeanne d‘Arc, genannt Johanna von Orleans, heute den Tod durch den Scheiterhaufen gefunden hat.
Ihr lebloser Körper wurde in ihrer letzten Wohnstätte aufgefunden, wo er das Zeichen der Selbsttötung aufwies.
Für unser nun wieder auferstandenes Königreich kann es nur von Schaden sein, wenn diese Kämpferin Gottes, die so entscheidend zu unserem Sieg beigetragen hat, auf solch frevlerische Weise gestorben ist. Man bedenke die Stimmen aus dem Volke, den Schatten, den es auf Eure königliche Hoheit und auch andere Würdenträger werfen würde.
Im Namen des Königs sollen deshalb alle Akten über das Verfahren verbrannt und durch offizielle kirchliche und staatliche Schriften ersetzt werden. Ein jeder möge tun, was in seiner Macht steht und wenn das letzte Mittel dazu Gold ist, so sollen unsere englischen Brüder dieses in ausreichender Menge erhalten.
Eine Heldin, die durch das Fegefeuer als Märtyrerin gestorben ist, ist das Sinnbild, die nötige Insignie unseres Neuanfanges und das ehrenwerte Banner unseres Landes. Dieser Beschluss ist rechtskräftig und soll ohne Verzögerung ausgeführt werden. Bei Nichtachtung sind Strafen anzusetzen und die nötigen Gelder werden vom Schatzmeister persönlich bereitgestellt werden.
Für Gott, den König von Frankreich und unser geliebtes Vaterland!

Gezeichnet Regnault de Chartres
Erzbischof von Reims
Zuletzt geändert von SchwarzeTinte am 15.08.2009, 13:11, insgesamt 1-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 11.08.2009, 22:47

Hallo Mario,

ich fürchte der Text ist arg lang für eine Online Rezension und ich gebe zu, dass ich nicht ganz bis zum Ende durchgekommen bin.
Dies liegt sicher zum einen an der schon beschriebenen Online-Form, aber zum anderen auch daran, dass er Text im ersten Drittel mir wenig verspricht, was ich mir nicht schon denken kann - denn der Text denkt sich selbst. Ich finde nur wenig Stellen, die von Erlebtem berichten, die so dicht sind, dass ich gespannt bin, es sind viel mehr gedanken, von denen ich den Eindruck habe, sie in anderer Form schon irgenwo einmal gelesen zu haben ...

Ich weiß, ich bin insofern ungerecht, als ich eben nicht zuende gelesen habe ... so belieben nur diese Eindrücke.

Liebe Grüße
Max

SchwarzeTinte

Beitragvon SchwarzeTinte » 13.08.2009, 09:08

Mmh, es stimmt schon, die From ladet nicht unbedingt zum lesen ein, und dass nicht viel vom erlebten erzählt wird hat alles seinen Sinn, wenn man den Text zu Ende liest ;)
Aber du hast womöglich recht wenn du sagst dass es wahrscheinlich schon x-Mal verarbeitete Gedanken sind, und ich denke es braucht eine bessere Strukturierung eben dieser Gedanken, und sie müssen ein bisschen weitergesponnen werden und nicht nur als Andeutungen im Raum stehen.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.08.2009, 10:37

Lieber Mario,

ich glaube, es ist zwar wirklich so, dass der Text für ein Forum sehr lang ist, aber wir hatten schon längere, zu denen nicht so wenige Kommentare kamen (ich glaube, du hast auch schon einen längeren eingestellt, Max .-)) - für mich hat es eher mit er Art es Textes zu tun, dass man so schwer in ihn hineinkommt, er ist sehr abstrakt/gedanklich kreiselnd und dann ist er azu auch noch lang.

Ich weiß nicht ganz so genau, wie der Text mich erreichen will und was er eigentlich transportieren soll (vorab: auch ich muss zugeben, dass ich zwar das meiste gelesen, aber manche Absätze auch nur überflogen habe) - zu Beginn des Textes hatte ich das Gefühl, der Text spielt ironisch mit dem Verhältnis von Ich zur Idee (der Selbst- und große-Pläne-Verwirklichung) - indem er übertreibt, das ganze widerkäut wie Hintergrundgeräusche der Menschheit, denn solche Gedanken hat ja jeder einmal (immer wieder) in seinem Leben, im Wohnzimmer, am Abgrund, auf der Toilette, im Schlafzimmer mit der/dem Liebsten..und kommt sich einzigartig, wichtig, unsterblich dabei vor (und das ist ja auch wichtig).

Umso mehr ich las, desto mehr bekam ich dann das Gefühl, dass der Text das ganze Kreiseln doch ernst meint - und hatte ab da Schwierigkeiten mit der Umsetzung, weil diese Gedanken eben so sehr bekannt sind, da braucht es, um mich als Leser zu fangen, mehr als die bloße Aneinanderreihung, irgendeine zusätzliche sprachliche Komponente, die das ganze interessant macht.
Im Grunde hast du so eine Ebene ja auch - dass am Ende nämlich die Erzählinstanz in einem fiktiven "Herausgeberwort" angibt, dass ganze sei authentisch von einer historisch verbürgten Person geschrieben - keine geringere als Jean d‘Arc ist gemeint.
Es ist dann für mich in dreierlei Hinsicht fraglich:

1. Inwiefern soll dieser erzähltechnische Schachzug den Text für mich interessanter machen?

2. Schafft der Text es, der historischen Figur gerecht zu werden? (ein Ja würde dann für entsprechenden Leserkreis 1. schon positvi beantworten). Ich habe wahscheinlich nicht genug wissen, um das engültig zu beantworten, aber mir scheinen deine Ausführungen viel zu allgemein (historisch, innenlebensmäßig), um sie auf diesen Mythos anzuwenden - gerade weil zahlreiche künstlerische Projekte dazu gibt - die teilweise eine magische Kraft haben zu evozieren, weil sie duch das Heilige für das Menschliche etwas darzustellen schaffen)

3. Ist das Spiel mit der Fiktion gelungen?
as schneide ich jetzt aus Zeitgründen nur mal an: Die Anmerkungen eines fiktiven Finders des "Geankenblattes" sind in einem alten Stil verfasst - etwa wie Hoffmann das in vielen seiner Stücke gemacht hat - das muss natürlich authentisch rüberkommen, bei mir geht dieser Nachahmung des alten Stils nicht ganz auf (wobei ich das selbst auch nicht könnte!).

Ich hoffe, diese Rückmeldung ist nicht zu scharf, ich hatte nur Schwierigkeiten zu erkennen, was der Text eigentlich möchte...

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.08.2009, 14:04

Hallo Mario,

zu Ende gelesen habe ich deinen Text schon. Es ist nicht die Länge, die mich störte, wir haben hier in der Rubrik "Kaminerzählungen" einige, sehr viel längere Texte. Nicht umsonst unterteilen wir hier im Forum zwischen Kurzprosa und Kaminerzählungen.
Es sind die sich ständig wiederholenden Gedanken des Ichs, die für mich das ganze ziemlich langatmig gestalten, mir als Leser nichts Neues, keinen neuen Denkansatz, "Aha-Effekte" oder aufblitzende Momente schenken. So las ich deinen Text, nahm ihn quasi zur Kenntnis, fragte mich nach deiner Intention, "J" zu schreiben, fand jedoch keinen Ansatz, einen konstruktiven Kommentar hierzu abzugeben.

Saludos
Gabriella

SchwarzeTinte

Beitragvon SchwarzeTinte » 13.08.2009, 15:48

Wie könnte ich den Text verbessern? Indem die Gedanken geordneter sind, oder indem ich mich auf wenige Kernaussagen konzentriere und diese Vertiefe?
Tut mir leid, aber ich kann irgendwie mit euren Kommentare nicht wirklich etwas anfangen, ausser den Text einfach in der Papierwolf zu kippen ;)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.08.2009, 16:58

Hallo Mario,
Wie könnte ich den Text verbessern?

um dir diese Frage zu beantworten, wäre es erst mal wichtig zu erfahren, was denn nun ganz konkret deine Intention ist. Was ist dein Anliegen, bzw. was möchtest du erreichen / aussagen?

Soll es eine Hommage an Jeane d'Arc sein?
Soll es die letzten Gedanken von ihr ausdrücken, quasi mit der Stimme eines Fremden?
Soll es eine Art Reflexion des Ichs mit Projektion auf die Geschichte/das Weltgeschehen sein mittels der Geschichte der J.?
Soll es kritisch sein oder mehr eine Erzählung?

Du siehst, das sind einige Fragen, die sich mir hier stellen. Je ausführlicher deine Antwort, umso besser können wir auch deine oben zitierte Frage beantworten.

Saludos
Gabriella

SchwarzeTinte

Beitragvon SchwarzeTinte » 13.08.2009, 20:18

Die Grundidee war eigentlich eine Historische Figur zu zeigen die irgendwie auch heute noch Modern ist, also die Probleme von damals sind auch die Probleme von heute, es wird immer Leute geben die gegen die Zustände kämpfen, aber sie werden untergehen und ausgenutzt werden von jenen die die Macht innehaben.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.08.2009, 21:09

Hallo Mario,

ich denke, das wichtigste wäre, dir einen Spannungsbogen für die Gedanken zu überlegen - also die existentiellen Gedanken nicht so (jetzt mal zur Veranschaulichung zugespitzt formuliert) einfach aneinander zu reihen, sondern sie spannungsgeladener zu arrangieren. Wenn du den Bezug zu heute suchst, könnte ich mir auch vorstellen, dass du dir eine J. im heutigen Alltag suchst und du eine konkret beschreibende Ebene dazuziehst - aber das ist natürlich nur eine Idee!

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.08.2009, 23:07

Hallo Mario,

was Lisa schrieb, kann ich nur unterschreiben.
Die Figur der Jeanne d’Arc scheint mir für dein Anliegen nicht zu passen. Auch beschreibst du ihr Handeln und Denken zu konkret und zu ausformuliert, als das man es auf die heutige Zeit übertragen könnte. Da müsste m.E. wirklich eine modernere "Kämpferfigur" her. Und diese Aktion sollte spürbar, lebendig und eben auch kämpferisch im Sinne von kritisch, anstelle von Reflexion sein.

Saludos
Gabriella

SchwarzeTinte

Beitragvon SchwarzeTinte » 14.08.2009, 08:31

Seit mir nicht böse, aber ich habe das Gefühl, dass ihr den Text nicht versteht.
Ich mache mir Gedanken darüber, wie man es überarbeiten soll.

Nicole

Beitragvon Nicole » 14.08.2009, 12:58

Hi SchwarzeTinte,

ja, ich bekenne mich schuldig: ich verstehe diesen Text nicht.
Ich kenne Jean D'Arc und ihre Geschichte (und ja, ich habe auch verstanden, was Du versuchst: so tun, als wäre die Verbrennung der Jean D'Arc ein nachträglich erfundener Fake und den eigentlichen Selbstmord zu vertuschen...) aber dies hier verstehe ich nicht.
Wem legst Du diese Gedanken in den Kopf, wem die Worte in den Mund? Nach meinem Verständnis sicher nicht Jean D'Arc.
Unwichtig scheint mir nun alles, alles was mich umgibt, alles was in diesem Land, ja, in dieser ganzen Welt geschieht, welchen Wert sollte es noch für mich haben?

Solange man die Macht hat, stellt man sich solche Fragen nicht, sie werden nur von den Kassandras dieser Welt gestellt.

Mein Urteil wird der Tod sein… wie sich die Menschheit selbst ermordet, so wird mein Urteil auch von meiner Hand geschehen.


???????

Verzeihung, aber Deine Geschichte wird in dem Maße unglaubwürdig, in dem Du J. Worte in den Mund legst, die der historischen Persönlichkeit absolut nicht gerecht werden.

Gruß, Nicole

Trixie

Beitragvon Trixie » 14.08.2009, 14:05

Hallo Mario,

ich hab mich jetzt auch mal "durchgekämpft" - vielleicht würden da auch innerhalb der einzelnen Abschnitte (Tagebuchseiten?!) mehr Absätze helfen?
Ein paar Gedanken:

Ja, also, was mich als erstes sofort richtig aufgeregt hat war, dass du ja kein einziges Mal ihren Namen erwähnst, aber dann, wenn du es tust, ihn auch noch falsch schreibst!! Die Dame hieß nämlich nicht Jean, sondern Jeanne, bzw. Jehanne.

Was mir den Text desweiteren etwas langatmig erscheinen lässt, sind die vielen "...".

Ich glaube, du wolltest einen ziemlich großen, bedeutsamen Text schreiben und du hast vermutlich auch eine ganze Weile damit zugebracht, dich in die Figur hineinanzuverstzen.

Ich bin ein wenig verwirrt, denn einerseits spielt sie ihre eigene Rolle herunter. Sie fragt sich, was sie denn eigentlich bewirkt haben soll, wer sie denn schon groß ist und ist davon überzeugt, dass sie ohnehin die Nachwelt nicht an sie erinnern wird, denn sie sieht sich nicht als Heldin. Andererseits gibt sie widerum zu, dass sie ein eigenes Heer hatte ("meine" Männer), mit dem sie in Schlachten zog, die ein ganzes neues Land hervorbrachten. Sie spricht von Macht, von Mut, vom Blut der Menschheit, dass sie mitverschuldet. Das ist für mich widersprüchlich. Vielleicht war das von dir so beabsichtigt, aber ich würde mich da für eine Richtung entscheiden. Sie will in ihrem "Nachlass" beschreiben, wer sie wirklich war, wie sie sich wirklich sah, nämlich als a.) große Heilige, die sie ja dann später wurde, die sich ihrer Verantwortung und ihrer Macht bewusst ist, alles was sie getan hat, bewusst und absichtlich getan hat und dies auch zu einem gewissen Grad nicht bereut und wie sie damit umgeht, innerlich oder b.) als ein Werkzeug Gottes, dass eigentlich klein und unbedeutend ist, denn es hätte ja quasi jeden treffen können, sie hat nur getan, was getan werden sollte und musste und ist sich im Prinzip keiner Macht bewusst und dennoch wird sie gefeiert, man kennt ihren Namen und es wird großes Aufhebens um sie gemacht und wie sie damit umgeht.

Hier vermischt du das meines Erachtens zu sehr. Sie wirkt wie ein willkürlicher Mensch und es sind eher philosophische Gedanken, die ein Mensch sich so macht vor dem Einschlafen oder bei einem Weinchen mehr als die tatsächlichen Gedanken einer Person, die ein solches Leben führte wie eine Johanna von Orléans.

Daher kommt für mich die Verbindung zu den "Rebellen", die sich gegen die Zustände auflehnen, einfach nicht rüber. Sie war bei dir eine einzige Person, die einen großen Auftrag hatte, der ihr vielleicht hin und wieder über den Kopf gewachsen ist. Heutzutage gibt es Gruppen, Politik, Aufklärung, moderne Kommunikationsmittel. Du hättest jetzt auch im Prinzip genauso gut einen... Che Guevara oder Wilhelm Tell nehmen können, aber es ging dir um einen sehr großen Krieg und da sehe ich einfach die Verbindung nicht zur heutigen Zeit.

Ja, das mal ein wenig ungeordnet meine Gedanken zu deinem Text. Den Ansatz finde ich durchaus interessant, vor allem, weil ich mich früher sehr für die Jeanne interessiert habe und mir auch meine Gedanken über sie gemacht habe. Allerdings ist für mich einfach der Abstand, historisch wie emphatisch einfach zu groß, um mich dieser Herausforderung anzunehmen.

Liebe Grüße
die Trixie

Sam

Beitragvon Sam » 14.08.2009, 14:33

Hallo Schwarze Tinte,


die Konstruktion des Textes ist durchaus interessant und vielversprechend und bezeugt die Reife der dahinter stehenden Idee. Aber sie zwingt dich als Autor in ein Korsett, dass offensichtlich viel zu eng war. Denn J. Gedankengang ist meineserachtens ein einziger, leicht geschwätziger Anachronismus. Diese J. spricht, als hätte sie von den alten Griechen an, über Thomas Moore und Erasmus bishin zu Kant, Schopenhauer und Marx alles gelesen. Schiller auch, am meisten das über sie selbst.
Das ist insofern schon verwunderlich, als dass die Heilige Johanna angeblich mal gerade ihren Namen schreiben geschweige denn lesen konnte.

Eine Kurzgeschichte als verunglückter Versuch von Regietheater: Der Stoff wird gebogen, bis er bricht.
J. Kopf wird durch die Jahrhundert gezogen wie ein Schwamm durchs Wasser und enthält jetzt Gedanken, die sie so damals nicht gehabt haben kann. Die aber vom heutigen Standpunkt aus durchaus nachvollziehbar sind. Eine verkrüppelte Übertragung allerdings, da sie den Ausgangspunkt völlig außer acht lässt. Dadurch wird J. zum Vehikel für die Gedanken des Autors und für Fragen, die zur Zeit J. zwar schon aufkeimten, aber erst in den Jahrhunderten nach ihr zur schmerzvollen Blüte in der Seele denkender Menschen ausreifte.

Dennoch ein interessanter Text und ich habe Respekt vor der Idee und auch den Mut, soetwas zu schreiben.

LG

Sam


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