WdW: Tohuwabohu

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.07.2010, 01:36



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- jeden Sonntag ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -


Hallo in die Runde,

unser neues Wort der Woche lautet:

Tohuwabohu

Möge dieses Wort euch reichlich inspirieren! ;-)
Ich bin gespannt auf eure Beiträge!

Saludos
Gabriella

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 20.07.2010, 19:29

Narzissen & Elefanten

Herr Tohu Wabohu war ein großer kleiner Mann. Das lag daran, dass er ein von einer eropäischen Dichterseele erfundener amerikanischer Staatsbürger mit europäisch-intellektuellem Schwerkraftzentrum war: ein zweimal-ums-Eck Charakter sozusagen. Hätte die europäische Dichterseele diese Famosität in seine Körperlichkeit gelegt, wäre Herr Tohu Wabohu sicherlich ein Zwerg gewesen, da man aber eher darauf aus war, das ganze in die Organe und Drüsen der sogenannten Empfindungsbereiche zu streuen, dass es sich von dort aus ausbreitete, so schrammte er knapp an der Untergrenze zum Zwergenwuchs vorbei und war einfach nur ein auffällig kleiner Mann.
Wenn Herr Tohu Wabohu schwitze, roch er nach Narzissen. Das stiftete nicht weiter Unruhe, da die Menschen in seiner Umgebung dachten, er benützte nur auf besonders unglückliche Weise Deodorant, und ihn selbst störte weder der Geruch noch die fälschliche Annahme seiner Mitmenschen.
Herr Tohu Wabohu ging gern in den Zirkus, der in der Nachbarschaft fest sein kleines Lager aufgestellt hatte, tätschelte den einzigen Elefanten und stellte sich vor dazuzugehören. Diese Momente am Gatter waren die einzigen, in denen er sich einsam fühlte. Ansonsten bewirtschaftete er seine Vorgartenblumenbeete, arbeitete von Zuhause aus am Computer und hörte abgelaufene Jazzmusik.
Verliebt war er manchmal, aber ganz wichtig wurde es ihm nie. Die Frauen, in die er verliebt war, nannte er alle Mathilda.
Herr Tohu Wabohu starb weder jung noch alt und ich weiß nicht, ob sich noch jemand an ihn erinnert, nachdem - jetzt - seine Erfindung abgeschlossen ist.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.07.2010, 08:57


Mottelkugeln & Riesen

Gestern habe ich etwas gefunden. Ein toller Fund. Doch ich konnte ihn nicht im Fundbüro abgeben, da er erfunden war. Ein Mensch noch dazu. Sein Name war Herr Tohu Wabohu. "War" mag ich nicht schreiben, weil er noch ist. Ich erfinde ihn weiter, damit er bleibt. Herr Tohu Wabohu soll weiter erfunden werden, auf dass ihn noch viele finden und nicht im Fundbüro abgeben können. Herr Tohu Wabohu stiftete keine Unruhe im Erfundenen, doch er stiftete ein Tohuwabohu in mir. Er gab keine Ruh. Der kleine Mann wurde ganz groß. Er wuchs vom Zwerg zum Riesen. Und der Narzissenduft, der von ihm ausging, wenn er schwitzte, und der keine Unruhe stiftete, verwandelte sich in meinem Rattenkopf zum dicken, fetten, penetranten Moschusduft. Also wurde er zum Moschusochsen. Ein Bär von einem Mann. Dass er alle seine Frauen, in die er verliebt war, Mathilda nannte, ist doch klar. So hatte er ein klein wenig Ordnung in seinem inneren Tohuwabohu. Mathilda. Das ist ein schrecklichschöner altmodischer Name, der nach Lavendel riecht. Und Lavendel riecht nach Mottenkugeln. Also waren alle seine Frauen Mottenkugeln. Und wenn man viele Mottenkugeln um sich schart, verliert man den Geruchssinn, irrt betäubt zum einzigen Elefantenrüssel, setzt sich drauf und lässt sich schaukeln.
Herr Tohu Wabohu sitzt auf dem Elefantenrüssel (der Elefant kennt ihn schon, er weiß, dass Herr Tohu Wabohu sein Freund ist, deshalb schaukelt er ihn milde hin und her) und Herr Tohu Wabohu fragt sich, ob man sich an ihn erinnern wird. Und ich sage ihm:
Ja, Herr Tohu Wabohu, ich hab mich an dich erinnert und trage dich weiter, auf dass dich noch viele finden werden.

Max

Beitragvon Max » 22.07.2010, 23:17

Es war der Tag, an dem meinen Hoffnungen stürzten. Der Tag, an dem ich sah, wie fragil die Welt ist. Ich hatte in meinem Arbeitszimmer immer eine perfekte Ordnung: die uninteressanten Texte warf ich fort, die anderen stapelte ich. Daneben gab es noch eine Schubalde für Wichtiges. Als der erste Stapel sich auf eine Höhe von 1,50 m türmte, begann ich den zweiten. Als der dieselbe Höhe erreicht hatte, beschloss ich, dass es nun keine wichtigen Texte mehr gab. Das Arrangement hielt anderthalb Jahre, beinahe zwei. Dann, an einem heißen Sommertag, landete eine Fliege, ein prächtiger Brummer, auf dem unmerklich größeren der beiden Türme, der im Norden stand. Der schwankte etwas, schien sich zu fangen und brach dann zusammen. bei seinem Sturz riss er den Südturm mit sich. Alle interessanten Texte mischten sich, wodurch sie automatisch uniteressant wurden. Es war ein Bild, das mir in den Ohren knallte. Dann war es ruhig.
6 Jahre später sah ich dasselbe noch einmal. Im Fernsehen.


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