Gesicht 4

Max

Beitragvon Max » 22.07.2010, 22:47

Ehe wir die welt anriefen

Damals
als du bergauf gingst
noch ehe der talnebel wich
und du die sonne sahst

trafst du den bruder
den kräftigen
mit der breiten stirn
den
dem du wild neidetest
und der schrie
wenn er dein feuer sah

du musstest ihn nicht erschlagen
allein dein wille
dein wunsch
deine vorstellung
sie waren stark

und doch
verfolgt dich
bei den sternen des pols
ebenso wie unter dem kreuz des südens
ein gedanke aus schuld

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.07.2010, 18:25

Hallo Max,

faszinierend an deinem Gedicht finde ich, wie du hier, nach meiner Lesart, die Kain und Abel-Geschichte verwebst mit einem Bruder, der Abel sein könnte und in den Zeilen die Gedanken eines Kain, der eben nicht seinen Bruder erschlug, dies jedoch in Gedanken tut und ihn deshalb Schuldgefühle plagen, du also die Geschichte quasi umschreibst.
Auch insgesamt enthält dein Gedicht ein biblisches Element, eine Erhöhung, schon durch den Titel und durch Sätze wie
Max hat geschrieben:Damals
als du bergauf gingst
noch ehe der talnebel wich
und du die sonne sahst

Max hat geschrieben:dem du wild neidetest
und der schrie
wenn er dein feuer sah

Max hat geschrieben:bei den sternen des pols
ebenso wie unter dem kreuz des südens

Da steckt sehr viel Emotion in den Zeilen, die mich als Leser aufrütteln.
Sehr gelungen!

Saludos
Mucki

scarlett

Beitragvon scarlett » 23.07.2010, 21:38

Lieber Max,

das biblische Motiv fein eingearbeitet ...
Das psychologische, dahinterliegende, offenbart die ganze Tragik, die sich aus nur Gedachtem ergeben kann ...
Ein Gedanke aus Schuld ... dass es "aus" heißt und nicht "der" - finde ich bezeichnend - bleibt, bei sensiblen Menschen allemal.

Gefällt mir, dein Text, und wie du das Bild umgesetzt hast.

LG
scarlett

Max

Beitragvon Max » 25.07.2010, 11:30

Lieben Dank für Eure Kommentare! Ich hatte halb verdrängt, dassich hier auch welche bekommen kann :-).

Wisst Ihr was lustig ist? Ich habe mir eigentlich nur dasBild angeschaut und dann geschrieben, erst Ihr habt gesehen, dass das ja eigentlich das Bibelmotiv ist ... wobei ja das Wild da nicht ganz passt;kain und Abel ist ja auch eine geschichte gegen die Sesshaftigkeit: der Bauer wird erschlagen, der Jäger und Sammler überlebt.

Liebe Grüße und danke für den schönen Hinweis
Max

Niko

Beitragvon Niko » 25.07.2010, 12:33

hallo max!
dein text macht mich ambivalent :pfeifen:
zum einen finde ich deinen schreibstil hier hervorragend und passend. was in meinem kopf wie ein hammer wirkt, ist die letzten zeilen "verfolgt mich.....ein gedanke aus schuld" das finde ich unbeschreiblich gut - und kann nicht einmal sagen, warum das bei mir im kopf so einschlägt. alleine die letzte strofe wäre ein gedicht für sich. das "sie" der letzten zeile in der vorletzten strofe scheint mir zuviel. man könnte es , sollte es streichen, aber es würde dem gesamten nicht guttun, den "fluss" unterbrechen.
für mich ist es ein gedicht über das "lyrich". jekyll & hide, kain & abel.........in jedem von uns schlummern viele facetten. die einen lässt man zu, von anderen weiß man womöglich nichts, wieder andere werden erschlagen und unterdrückt. die letzte strofe ist ein abfinden mit dem leben, verbunden mit der doch latent vorhanden trauer des "sich arrangiert habens".
sehr interessanter text! und gerne gelesen!

liebe grüße: Niko


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