Sie sterben auf der Liste

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Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 08.10.2010, 14:37

Sie sterben auf der Liste

Offiziell gibt es sie nicht, die Zweiklassenmedizin. Inoffiziell sieht die Sache schon anders aus. Als Kassenpatient einen schnellen Termin beim Facharzt zu bekommen ist schon fast aussichtslos. Tritt man als Privatversicherter auf, löst sich die übervolle Praxis und der ausgebuchte Terminkalender plötzlich in Luft auf.
Benachteiligungen, die sogar schon lebensbedrohende Formen für die Kranken angenommen haben, sollen immer mehr gängige Praxis auch in Krankenhäusern sein.

Im Gegenzug versucht man immer wieder auf die Bevölkerung einzuwirken sich doch mit der Ausstellung eines Organspenderausweises anzufreunden. Man zeigt die Not, in der sich kranke Menschen befinden, die auf ein Spenderorgan hoffen und nur damit eine Chance auf Leben erhalten.
Da kann der gesetzlich Versicherte nur misstrauisch werden. Liegt er dann etwa ein paar Stunden länger unbehandelt auf seiner Liege im Krankenhausflur?
Natürlich gibt es das offiziell nicht, aber was gibt es bereits inoffiziell?
Lässt man tunlichst die schwerkranken Menschen auf der Organwarte-Liste sterben, weil man sich nicht mehr sicher sein darf, dass man als gesetzlich versicherter Kassenpatient mit Organspenderausweis überlebt?
Die Schönheit erklärt man nicht, man empfindet sie (Peter Rosegger).

Louisa

Beitragvon Louisa » 11.10.2010, 22:16

Hallo Alma Marie Schneider!

Mmmm.....

Rein literarisch: Fehlt mir hier der Pepp und das tatsächlich böse, schwarz-humorige, überzogene! Du deutest es zwar an - aber es bleibt mir noch zu farblos und nicht drastisch genug. Deine Einleitung klingt eher nach einem nüchternen Zeitungsbericht als nach einer Satire. Einzig der Satz mit dem sich in Luft auflösenden Terminkalender hat etwas von dieser bösen Übertreibung von der ich gerne mehr gelesen hätte. Du könntest den Text zum Beispiel sehr gut mit einer Szene beginnen. Ich würde damit anfangen zu erzählen:

"Im Oktober hatte ich eine Halsentzündung. ich ging zum HNO-Arzt meines Vertrauens und blickte mich in der gefüllten Praxis um, wo schon einige Gestalten mit dicken Schals und schniefenden Nasen saßen. "Ich möchte gerne wegen einer Halsentzündung behandelt werden." meinte ich zur Sprechstundenhilfe. Diese verzerrte genervt das Gesicht, blätterte lässig in einem Heft, sah kurz auf ihren PC-Bildschirm und erwiederte: "Das geht heute gar nicht. Der Herr Doktor Leistner ist vollkommen ausgebucht. Sie können eventuell Ende März wiederkommen! Da hätten wir noch was frei!" "Aber da werde ich doch wahrscheinlich gar keine Halsentzündung mehr haben! Oh, aber ich bin ja Privatpatient!" "Ach! Na, dann warten sie einen Augenblick.... oh, vielleicht hat der Herr Doktor noch in einer halben Stunde kurz Zeit für sie!"

usw :) ... und dann kannst du das ganze ja kommentieren, denke ich.... Nun schließt du von dieser Sonderbehandlung relativ schnell auf das Thema Organspende -

Diesen Sprung finde ich auch etwas zu gewagt. Ich würde auch dies besser einleiten wollen und ein kleines Beispiel, was etwas persönlicher wirkt einbauen....

Jetzt muss ich aber eher inhaltlich kritisieren:

Also, ich finde nicht, dass man das so in Verbindung bringen kann: Die BEhandlung der Ärtzte auf Notfallstationen - dazu habe ich hier auch mal eine nette GEschichte eingestellt - und die Tatsache, dass viele Menschen auf ein Spendeorgan angewiesen sind und kaum ein Mensch in diesem Land so einen Spendeausweis besitzt.

Diese Menschen, die auf ein Organ warten sind ja genauso Privat oder gesetzlich versichert und werden genauso gut oder schlecht von ihren Ärtzten behandelt. Meine Mutter war zum Beispiel privat versichert und hat auf ein Herz gewartet und musste dann einmal ebenfalls eine ganze Nacht lang im Krankenhausflur des Neuköllner Krankenhauses neben einigen anderen "Notfällen" im Halbdunkel liegen - neben ihr lag eine alte frau, die die ganze Zeit gestöhnt und sich ausgezogen hat - und der Rest der Patienten war ebenso mehr als fertig mit den Nerven.

Man kann also glaube ich nicht generell sagen: Wenn ich Kassenpatient bin sterbe ich noch in der Noaufnahme auf Grund der Inkompetenz der Ärtzte und zu allem Überfluss wollen die auch noch, dass ich danach ein Organ spende!

Das finde ich leicht schwachsinnig.

Ich würde eher sagen: Es ist sicherlich ungerecht, dass Privatpatienten so große Vorteile haben und es gibt nur sehr wenige Kliniken bei denen es tatsächlich nach dem Muster "Patient ist Patient" abläuft - viel größer ist doch aber das Problem der Überlastung und der Unmenschlichkeit vieler Ärzte - Es ist zum Beispiel ein Problem, dass es keine Schulung im Medizinstudium dafür gibt wie ich mit Patienten umgehen muss. Jeder Lehrer besucht ja auch einen Didaktik-Kurs... Und es ist natürlich furchtbar wie Leute auf der Notaufnahme teilweise im Gang "abgestellt" werden.

Aber du kannst das nicht alles mit der Organspende verbinden, finde ich. Du kannst auch nicht sagen, dass Privatpatienten grundsätzlich besser behandelt werden. Was die Standards und die Terminvergabe angeht schon - aber oftmals stehst du auch als Privatpatient vollkommen im Regen, glaube mir.

Vielleicht bin ich auch zu vorbelastet um deine Satire hier tatsächlich aufnehmen zu können - Aber wenn du das schon so sagen willst - dann finde ich - müsste es viel, viel härter klingen. So klingt es dermaßen nüchtern, dass man das alles als blanke Tatsachen lesen könnte.

Zudem stellt sich mir die Frage: Was haben denn die Ärtzte davon wenn alle einen Organspendeausweis besitzen? Das beschert ihnen doch eher mehr "Arbeit" - dann musst du Organe herausoperieren, sie wieder anderen hereinoperieren -

Du kritisierst doch eher diese Ignoranz und das Nicht-Behandeln von Patienten - Wenn alle einen Organspendeausweis hätten würden viel mehr Menschen behandelt werden - ich glaube nicht, dass das ein so großer "Spaß" wäre - wenn man Ärzte so zeichnet wie du es hier tust.

Ich denke dieser Ausweis kommt tatsächlich den Leuten zu Gute die ein Organ brauchen - und ich habe selber jeden Tag Menschen -ob nun Kasse oder Privat- auf verschiedenste Organe warten sehen - deshalb unterstütze ich diese Kampagne auch vollkommen und würde dennoch genauso wie du unser Gesundheitssystem was die Fürsorge und Gleichberechtigung gegenüber Patienten angeht kritisieren.

Vielleicht kannst du sagen: Die Leute, die sich einen Organspendeausweis ausstellen lassen wollen brauchen so lange um in das Behandlungszimmer eines Artztes zu gelangen das am Ende sowohl die Organ-Wartenden als auch die Organspender nicht mehr behandelt werden können und sozusagen alle im Krankenhausflur friedlich einschlafen, weil sie allesamt keine Privatpatienten waren.

Das meine ich mit Überzeichnung und Pepp... in dieser Art jedenfalls... und inhaltlich sollte es nicht so vollkommen elitär werden, glaube ich.

Viel Spaß!
l

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 11.10.2010, 23:39

Ich finde die Verbindung Zweiklassenmedizin - Organspende durchaus legitim, muss aber sagen, dass mir der ganze Text dafür zu "harmlos" klingt. Man hätte sicher mehr Spitzen einbauen können, so dass der Rückschluss so richtig reinhaut.
Überhaupt ist das Thema Organspende hier und da ein Erinnern wert, da hast Du absolut recht, Alma Marie Schneider. Mich stört jedesmal dieses "Anspruchsdenken", das so fleißig in der Öffentlichkeit geschürt wird, und dass die Privaten da noch mehr "Ansprüche" haben (dürfen), ergibt sich vermutlich von selbst. Ich habe inhaltlich gar nichts zu "beanstanden", aber sprachlich müsste es doch heftiger sein, meine ich.

Louisa

Beitragvon Louisa » 12.10.2010, 09:14

Hallo Amanita!

Deinen Kommentar finde ich zugegebener Maße auch ziemlich unmöglich :smile: !

Wenn man das liest könnte man auf die Idee kommen du willst sagen/in Erwägung ziehen:

"Ein Privatversicherter Patient hat einen höheren Anspruch auf ein Spendeorgan"

Ist dem so? Wolltest du das sagen? Ich kann deine Andeutungen auch nicht wirklich entziffern.

Wieso soll es sich "von selbst ergeben", das "die Privaten da vermutlich noch mehr Ansprüche haben" ????

Ich finde man sollte es sich drei Mal überlegen bevor man so etwas andeutet.

Bei diesen Wartelisten geht es nicht vorrangig um deine Versicherung, sondern um dein Alter, deine Blutwerte, deine körperliche und psychische Verfassung und deine Bereitschaft für eine Transplantation.

Ab und zu gibt es dann Menschen, die meinen es ginge dabei auch um deine Versicherung. Siehe dazu auch diesen Herrn vor ein paar Jahren:

http://www.focus.de/gesundheit/gesundle ... 27832.html

Das Schlimme ist, das die Organspende nicht in jedem Land so einwandfrei geregelt ist wie hier und es wäre natürlich toll, wenn noch mehr MEnschen spenden würden weil ich meine das man damit auch solche Phänomene bekämpfen könnte:

http://de.wikipedia.org/wiki/Organhandel

Und dann noch mal zu diesem Text insgesamt:

Ich finde es zwar immer noch richtig, dass ihr die unterschiedliche Behandlung der Privat- und Kassenpatienten anprangert - gleichzeitig empfinde ich das aber auch als ein "Jammern auf hohem Niveau" - wenn ihr ein paar Stunden im Flugzeug sitzt und wieder aussteigt, dann freut ihr euch wenn euer Kind nicht an seiner ersten Erkältung sterben muss - da wird nämlich nach dem Geldbeutel behandelt - und ganz so drastisch ist es hier ja nun auch wieder nicht.

Fraglich ist dann worum man sich zuerst kümmern sollte.

Schönen Tag!
l

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 12.10.2010, 09:18

Guten Morgen,

also ich bin froh, dass hier sprachliche Zurückhaltung geübt wurde. Wer am lautesten plärrt ... Mit Übertreibungen bzw. "immer feste druff" ist doch schon längst nur noch das Gegenteil zu erreichen.

Liebe Grüße
Marlene

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 12.10.2010, 09:44

Liebe Louisa, ich weiß gar nicht, warum Du dermaßen allergisch reagierst. Es hat doch niemand davon gesprochen, dass unser Gesundheitssystem nur Mist ist. Dass unsere Medizin vom Wohlstand geprägt ist, steht doch außer Zweifel. Gleichwohl gibt es mehr Schwachstellen (auch in anderen Ländern Europas, ich weiß z. B. von Schweden, dass da mehr im Argen liegt als man von hier aus ahnt) als "nötig" wären. Ich möchte allerdings bezweifeln, ob man das alles literarisch aufarbeiten oder "anbieten" kann.
Der Bereich Organspende ist eventuell aber ganz gut geeignet, weil er erstens relativ neu und mit allen möglichen Unsicherheiten behaftet ist, und er zweitens ein ganz neues Denken - bezogen aufs Menschenbild, neuartige Qualitäten menschlicher Verbindungen usw. - mit sich bringt. Und ich wiederhole: Dass eine "Anspruchshaltung" (bezogen auf Spenderorgane) dermaßen betont wird, geht mir einfach quer. Es ist etwas anderes, ob ich ein Medikament brauche oder eine Leber. Im ersteren Fall sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass ich es bekomme, im zweiten ist es immer noch "Glückssache", ob man das nun will oder nicht.
Da man aber als Kassenpatient auch nicht immer die optimale Medikation bekommt, ist wirklich anzuzweifeln, ob bei (d. h. vor!) Transplantationen alles so läuft, wie es sollte.

Das Thema Zweiklassenmedizin begleitet mich seit vielen Jahren, da ich eine Kassenpatientin unter lauter Privaten bin. Sorry, ich wünschte mir, dass es anders wäre: Es gibt sie, die Zweiklassenmedizin, sie breitet sich mit einer Heftigkeit aus, die mir Angst macht. Wenn es woanders schlimmer/ wirklich schlimm ist - klar ist es das, in bitterarmen Ländern -, dann macht es unseren Murks hier aber nicht besser. Wie es bei Organtransplantationen aussieht, kann ich nicht sagen - aber warum sollte dort plötzlich alles in Ordnung sein? Warum sollte da der Betuchte den Hartz4ler nicht auch mal locker überholen können?

Louisa, versteh mich bitte nicht falsch: Es gibt wirklich "Adressen", da wird alles korrekt abgewickelt, dort spielt nur beim Abrechnen hinterher eine Rolle, wer wie versichert ist. Aber ich habe schon so viel Hanebüchenes erlebt, dass mein Optimismus schwer gedämpft ist.

Was ist daran "unmöglich", wenn man aufgrund böser Erfahrungen skeptisch ist?

Louisa

Beitragvon Louisa » 12.10.2010, 10:49

Wenn du nicht genau weißt, ob Kassepatienten bei Orgenspenden benachteiligt werden - wie kannst du es dann behaupten?

Oder wolltest du das gar nicht behaupten?

Wenn ich auf so einer Wartestation liegen würde - ob nun Kassenpatient oder Privatpatient - dann würde ich darauf hoffen, dass irgend ein Mottoradfahrer so einen Ausweis hat. Ich finde das vollkommen verständlich. Was will man denn mit seinen Organen anstellen wenn man nicht mehr lebt?

Die Menschen, denen lebenswichtige Organe entnommen werden sind ja nachweislich "hirntot" -

http://debeka.gesundheitsportal-privat. ... -5351.html

Würdest du gerne so leben wollen wie es der Artikel beschreibt? Findest du dieses Leben sollte anderen Menschen das Leben retten oder findest du man sollte den Menschen einfach sterben lassen?

Aber das soll sowieso jeder für sich selbst entscheiden, finde ich. Ich denke es gibt bestimmt auch gute Argumente dafür wieso man kein Organ spenden möchte. Mir fallen sie nur gerade nicht ein.

Ich finde es nicht gut Halbwahrheiten zu vertreten oder Dinge zu behaupten, die man "mal eben so vermutet" - das habe ich gesagt.

Vielleicht verstehe ich dich aber auch ganz, ganz falsch. Meine Kritik bezog sich nur auf deine Äußerung bezüglich der bevorzugten Organspende-Bedürftigen mit Privatversicherung. Ich habe das einfach 2 Jahre lang hautnah miterlebt und finde das nicht richtig, was du sagst. Deshalb reagiere ich so "allergisch".

Schönen Tag!
l

Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 12.10.2010, 12:47

@ Louisa
Hallo Louisa, danke erst einmal, daß Du Dir solch ausführliche Gedanken gemacht hast. Es handelt sich hier um eine Kolumne, also um einen kleinen Meinungsbeitrag, der Ängste ausdrückt. Ich möchte damit hier eigentlich auf ein Problem aufmerksam machen. Zu viele Menschen sterben, weil es keine Spender gibt. Das ist einfach ein Fakt.

Überlastung und Sparwut an der falschen Stelle wird gerade in einer zweiklassen Medizin für Betroffene leider zum Dilemma. Ich mußte das selbst erfahren (nicht nur als Patient) und viele machen gleiche Erfahrung. Lange Wartezeiten beim Facharzt. Ich mußte nach einem schweren Unfall über 12 Wochen auf ein MRT warten. Erst nach Bekanntgabe dieser Zustände durch viele viele Betroffene wurde ein zweites Krankenhaus damit bestückt.

Man zeigt immer auf, daß es so wenig Spender gibt. Man muß sich doch einmal fragen warum?
Halbwahrheiten: Darum geht es hier nicht. Es geht um Systeme und damit verbundene Ängste.
Mir geht es darum, daß Ängste ernst genommen und nicht vom Tisch gewischt werden.


@Amanita
Danke für Deinen Beitrag. Meine Kolumne hat sich gelohnt, wenn Menschen anfangen über ihre Erfahrungen und Ängste zu sprechen. Vielleicht gibt es dann doch das ein oder ander Herz mehr (im doppeltem Sinne). Ich bin leider nicht davon überzeugt. Geld regiert nun mal die Welt.

@MarleneGeselle
Danke Marlene.
Der Anspruch an eine Kolumne ist nicht der der an hochwertige Forschungsliteratur gestellt wird. Hier möchte ich nur einen kleinen Anstoß geben.

@Louisa
Es gibt mittlerweile viele Menschen in diesem Lande, die sich eine Krankenversicherung gar nicht mehr leisten können oder Menschen, die sich Zuzahlungen nicht mehr leisten können.

Zu Deiner literarischen Idee!
Sollte ja im Prinzip nur eine Kolumne sein. Literarisch wollte ich nichts aufarbeiten. Im Übrigem habe ich selbst einmal etliche Zeit in einem Krankenhaus gearbeitet. Also die Benachteiligungen sind real. Daß daraus Ängste entstehen liegt eigentlich auf der Hand.

Hirntot:
Auch wieder so ein Wort. Warum werden dann Hirntote betäubt bei der Organentnahme. Es gibt auch Berichte, da sollen sich Hirntote ohne Betäubung heftig gewehrt haben? Vielleicht deshalb? Doch das ist wieder ein anderes Thema.

Wäre schön wenn sich noch ein paar Meinungen dazu gesellen würden, weil ich das Thema doch für ernst halte.


Eine sonnige Woche
Alma Marie
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Louisa

Beitragvon Louisa » 12.10.2010, 13:23

Hallo Alma Marie!

Das was du jetzt zu deinem text sagst habe ich deinem text aber nur sehr vage entnehmen können Vielleicht ginge das im text noch etwas deutlicher?

Ich stimme dir weiterhin zu, dass die Ungerechtigkeit bei der Behandlung und die vielen Fehlgriffe -manche davon auch sicherlich mutmaßlich- das Misstrauen gegenüber dem Gesundheitssystem verstärken.

Andererseits gibt es aber sicherlich auch zu allem, was du hier schilderst wunderbare Gegenbeispiele - Es fällt mir schwer pauschal über "die Spender" oder "die Hirntoten" oder "die Patienten auf der Liste" oder "die Ärzte" zu urteilen. Man kann auch nicht sagen alle immigrierten Araber sind dumm und kriminell veranlagt (siehe Sarrazin) - deshalb empfinde ich solche Kolummnen, wenn sie ihre Themen dermaßen weit spannen (Gesundheitssystem, Privatpatienten, Organspenden) einfach für diese enorme Komplexität des Sujets als zu enges literarisches Format.

Ich denke es braucht mehr fundierte Informationen oder mehr persönliche Erfahrungsberichte, damit es nicht den Anschein einer Pauschalisierung erweckt, den es für mich immer noch hat.

Alles Gute!
l

Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 12.10.2010, 15:41

@Louisa
Ein persönlicher Erfahrungsbericht und es gibt derer noch mehr

Mein Sohn, damals drei Jahre alt tobte im Garten. Er fiel unglücklich und brach sich den Arm. Es war natürlich wieder Samstags und so fuhren mein Mann und ich mit ihm zur Notaufnahme ins Krankenhaus. Wir warteten bereits vier Stunden, mein Kleiner immer noch unversorgt und ohne Schmerzmittel, als ich bemerkte, daß immer wieder Patienten aufgerufen wurden, die weit nach uns kamen. Ich mußte zur Toilette. Draußen begegnete ich einen Mann mit eingebundenem Fuß, der auch gerade erst kam und sofort aufgerufen wurde. Ich fragte ihn, wieso er schon fertig ist. Er war nur zum Verbandswechsel da und absolut kein Notfall.
Privatpatient muß man halt sein, meinte er. Ich war zwar privat Versichert, doch leider bei der AOK und die macht da keine Unterschiede. Ich fand das in Ordnung. Doch andere Kassen lassen in der Abrechnung den Satz eines Chefarztes zu, die AOK nicht.
Obwohl der Aufnahme bekannt war, daß mein Kleiner Schmerzen und einen Bruch an der Elle hatte, hat sich niemand in diesen vier Stunden nach ihm erkundigt. Ein Routine - Verbandswechsel war wichtiger. Was die unzähligen anderen Patienten hatten, die bevorzugt aufgerufen wurden kann ich nicht sagen, weil mein wimmerndes Kind meine Aufmerksamkeit dringender benötigte. Wir kamen dann nach endlosen sieben Stunden an die Reihe.
Der Fenstersturz nach mir war bereits bewußtlos. Um den hat man sich dann doch endlich gleich mitgekümmert.

Hinter jeder Angst steckt oft eine negative Erfahrung. Nun ist eine Kolumne nur eine "kleine" Meinungsäußerung und sollte nicht zu sehr ausgedehnt werden. Ich bin mir jedoch sicher, daß sich aufgrund angstmachender Negativerfahrungen damit Bücher füllen lassen. Drastische Hygienemängel sollen jedes Jahr ca. 40 000 Menschen das Leben kosten. Die Gesellschaft für Krankenhaushygiene spricht sogar von 100 000 Toten, die sich vor allem mit Arzneiresistenten Erregern wie Wundkeimen infizieren. Das ist ja hier gar nicht angesprochen.
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 12.10.2010, 16:12

Ein Verwandter von mir ist wegen eines im Krankenhaus - mutmaßlich - vergessenen Medikamentes verstorben (es gab plötzlich kein Antithrombosemittel mehr, nur zwei Tage nach der OP - was mir meine Verwandten am Telefon erzählten und mit einem Zeichen guter Genesung verwechselten:"Er braucht nicht mal mehr sein Antithrombosemedikament, es geht ihm schon soooo gut") - verstorben an einer Thrombose, und zwar einen Tag später und noch im Krankenhaus.
Obwohl schon sensibilisiert durch zahlreiche Negativ-Erfahrungen, glaubte ich während des Telefongesprächs daran, dass "die" wissen was sie tun. Sie hatten es aber offensichtlich nicht gewusst. Ich mag das jetzt nicht unbedingt auf seinen Status als "Nur"-Kassenpatient beziehen, aber mein Vertrauen in unser Gesundheitssystem ist mit diesem Fall noch eine Etage tiefer gerutscht.
In früheren Zeiten war ich eine Verfechterin des Organspendens ... aber nach zahlreichen Das-gibts-doch-nicht-Erfahrungen und -Beobachtungen bin ich mir jetzt nicht mehr so sicher.

Ein krankes Kind sieben Stunden warten zu lassen, klingt so grausam, dass man sich wirklich fragen muss, wie unterschiedlich die Qualität ärztlicher Versorgung mittlerweile ist. Und wenn sie doch offensichtlich sehr verschieden ist, wie kann ich sicher sein, dass mein Ende nicht auch "fehldiagnostiziert" wird? Daher sprach ich oben von unterschiedlichen Adressen - man geht als Laie immer von gleichen Standards aus, die es aber eindeutig nicht gibt und die je nach Krankenversicherung nochmal variieren.

Mit einem Arzt hatte ich mal (mündlich, ohne Zeugen) die Zuzahlung "geregelt". Er beruhigte mich, dass alles okay sei - bis ich kurze Zeit später eine Rechnung von 400.-- bekam! Auch sehr vertrauenserweckend, diese rein-pekuniäre Seite ...

Louisa

Beitragvon Louisa » 12.10.2010, 16:43

Ja. Das sind auch Missstände, die ich nachvollziehen kann - Wobei es in der Notaufnahme glaube ich auch noch einmal ganz besonders drastisch zugeht. Mein Bruder hat dort Zivildienst gemacht und hat nach einer ganzen Weile auch irgendwann nicht mehr menschlich reagieren können wenn er dauernd gerade fast sterbende Menschen ins Behandlungszimmer bringen musste und daneben noch zwanzig andere standen, die sich wegen ihrer gebrochenen Arme und schmerzenden Nieren beklagt haben - Dafür ist die Notaufnahme auch einfach nicht da... Man kann dort immer damit rechnen mindestens 4 Stunden zu warten, wenn man nicht mit einem Messer im Rücken hereinkommt. So ist das.

Schlimm ist daran, dass die Leute im Flur stehen gelassen werden, die bewusstlos, verwirrt oder bettlägerig sind. Schlimm ist auch, dass es nicht noch mehr Personal auf der Notaufnahme gibt.

Geldgier ist auch furchtbar - gerade wenn es um Behandlungen geht.

Trotzdem: Ich weiß nicht wie es bei euch ist, aber ich wäre schon zwei Mal in meinem Leben gestorben wenn es keine Ärtzte wie in unserem Land gäbe - und meine Mutter wäre schon viel früher gestorben wenn man sich nicht doch oft so gut um ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden gekümmert hätte wie es in manchen Krankenhäusern der Fall war.

Natürlich ist auch da Furchtbares passiert - Meine Mutter ist auch an einem Krankenhauskeim auf der Intensivstation gestorben - Aber deshalb empfinde ich nicht alle Ärzte und das gesamte Gesundheitssystem als furchtbar.

In Amerika ist es doch zum Beispiel noch viel heftiger was die Versicherungen angeht!

Ich denke einfach, dass es wenig bringt sich auf einzelne ungerechte und schlechte Erfahrungen zu stützen und sich so sein Meinungsbild zu entwerfen. Natürlich ist auch blindes Vertrauen blödsinnig -

Aber ich finde es einfach nicht gerecht wegen solcher Negativerfahrungen Dinge wie Organspende oder das gesamte Gesundheitssystem zu kritisieren.

Es gibt glaube ich deutlich mehr Menschen, deren Leben durch ein Spendeorgan gerettet wurde als Menschen, die "anscheinend hirntot" gegen ihren Willen als Spender missbraucht wurden...

Das sind einzelne Schauergeschichten und ich würde mich doch sehr wundern, wenn das die allgemeine medizinische Praktik in Deutschland wäre -

Trotzdem gibt es auch in diesem Berufsbild und in diesem System große Mängel - wie überall - auch im Literaturbetrieb, auch im Schulbetrieb, auch im Gastronimiebetrieb - nur stirbt man dort nicht sofort auf Grund von kleinen Mängeln und Ungerechtigkeiten. Das ist das Dumme - Aber es ist nicht immer und überall so.

Blinder Argwohn gegenüber der Schulmedizin und der Organspende bringt glaube ich auch keine Verbesserung -

Ich fände es toll, wenn man zum Beispiel die Medizin aus anderen Kulturen noch mehr in der Gesellschaft etablieren könnte - wenn es mehr Behandungszweige gäbe - zum Beispiel würde ein chinesischer Arzt bei Herzrasen nie sagen: "Jetzt setzen wir da mal ein paar Stents und geben Ihnen Tabletten, dann wird das schon!" - er würde erst einmal schauen, wo dieses Herzrasen herkommt - woher also der Stress kommen könnte und würde diesen Patienten viel ganzheitlicher behandeln als sofort "etwas heraus zu schneiden" - ... Sowas finde ich sehr spannend und es gibt ja sogar auch einige europäische Ärzte, die sich damit auseinander setzen. Leider nur sehr wenige... Aber dieser ganzheitliche Behandlungsansatz und vor allem das Wechselspiel zwischen Psyche und Köper fließt zum Glück auch immer mehr in unsere westlichen Behandlungsmethoden ein.

Ich denke es ist auch in diesem Bereich nicht Hopfen und Malz verloren.

Schönen Tag!
l

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Beitragvon Amanita » 12.10.2010, 17:50

Louisa, mein kritischer Ansatz bezieht sich eher auf den organisatorischen Part innerhalb der Medizin, also aufs Krankenkassensystem bzw. seine (oft unlogischen und bejammernswert gekappten) Vergütung/en, auf Zeitpläne in Praxen und Krankenhäusernund damit verbundener Hektik (worauf ich in diesem Fall das Vergessen von Medikamenten beziehe) - oder auch auf die Tatsache, dass hier in D alle zum Arzt gejagt werden, und wenn sie brav hingehen, kriegen sie die Pressemeldung um die Ohren, dass die Deutschen am häufigsten zum Arzt gehen und also zu teuer sind! Oder dass v. a. Kassenpatienten für zu doof gehalten werden, zum "richtigen" Facharzt zu gehen und erst eine Überweisung brauchen ...

Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 12.10.2010, 19:49

Ich denke man muß anfangen, das Zweiklassen-System abzuschaffen, dann gibt es wieder mehr vertrauen. Zu knappe Personalbestückung, zu wenig Zeit für Aufklärung sind auch Hinternisse. Menschliche Schwächen wird es immer geben, doch sie sollten nicht noch von unmenschlichen Systemen gefördert werden.
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