Die Gabe
Im Zug sagt ein alter Mann zu mir: „Ich bin ein Toter.“
„Wie kann das sein“, frage ich, „da ich Sie doch sehen kann?“
„Sie haben die Gabe“, sagt er.
Ich frage die Frau neben mir, ob sie den alten Mann sehen könne.
„Ja, ich kann ihn sehen“, antwortet sie.
„Auch sie hat die Gabe“, sagt der alte Mann.
Ich wende mich an die anderen Fahrgäste. Jeder bestätigt mir, den Mann ebenfalls sehen zu können.
„Sie alle haben die Gabe“, sagt er daraufhin.
„Aber wenn es alle können“, erwidere ich, „dann ist es doch keine Gabe.“
An der nächsten Station erhebt sich der Alte und steigt aus. Die anderen folgen ihm.
Ich fahre weiter.
Die Gabe
Lieber Sam
Diese Art von Texten, die deine virtuose Schreibkunst zeigen, mag ich weniger, weil sie entweder auf einer Komplizenschaft mit dem Leser aufbauen (das klappt dann nicht jedes Mal) - oder auf einemkontrllierten " den Leser in den Text hineintauchen" -
Damit will ich sagen, dass der Leser dem Text hypnotisiert folgt ... was ja eher ein Kompliment.
Auf diesem Weg behält der Erzähler das Heft stets in der Hand - ein Text, der die Macht des Schreibers zeigt....
Solche Texte sprechen mich z.B. auch bei Kafka weniger an - ich liebe Samsa ---- aber ich misstraue dem Wächter "vor dem Gesetz" - fast scheint mir etwas Ideologisches in dieser Erzählart zu liegen.
Es handelt sich ja um eine Parabel, die uns zeigt, wie alltäglich unsere Verbindung mit den Toten ist.
Ich suche noch, warum ich im Rhythmus der letzten beiden Sätze etwas Störendes finde ..
entweder ist da noch ein Wort zuviel oder zuwenig ...
wie wäre z.B.
statt : Die anderen folgen ihm. Ich fahre weiter. dies: Die anderen folgen ihm, ich nicht.
liebe Grüße
Renée
Diese Art von Texten, die deine virtuose Schreibkunst zeigen, mag ich weniger, weil sie entweder auf einer Komplizenschaft mit dem Leser aufbauen (das klappt dann nicht jedes Mal) - oder auf einemkontrllierten " den Leser in den Text hineintauchen" -
Damit will ich sagen, dass der Leser dem Text hypnotisiert folgt ... was ja eher ein Kompliment.
Auf diesem Weg behält der Erzähler das Heft stets in der Hand - ein Text, der die Macht des Schreibers zeigt....
Solche Texte sprechen mich z.B. auch bei Kafka weniger an - ich liebe Samsa ---- aber ich misstraue dem Wächter "vor dem Gesetz" - fast scheint mir etwas Ideologisches in dieser Erzählart zu liegen.
Es handelt sich ja um eine Parabel, die uns zeigt, wie alltäglich unsere Verbindung mit den Toten ist.
Ich suche noch, warum ich im Rhythmus der letzten beiden Sätze etwas Störendes finde ..
Sam hat geschrieben:Die Gabe
An der nächsten Station erhebt sich der Alte und steigt aus. Die anderen folgen ihm.
Ich fahre weiter.
entweder ist da noch ein Wort zuviel oder zuwenig ...
wie wäre z.B.
statt : Die anderen folgen ihm. Ich fahre weiter. dies: Die anderen folgen ihm, ich nicht.
liebe Grüße
Renée
Renée Lomris hat geschrieben:statt : Die anderen folgen ihm. Ich fahre weiter. dies: Die anderen folgen ihm, ich nicht.
Hallo Renée,
das würde ich nicht schreiben, das wäre ein Stilbruch. Zu geschmeidig, zu warm. Außerdem ginge Information verloren: Fährt er weiter, oder bleibt er stehen?
Ich meine, der Text wirkt unter anderem durch seine Kälte. Er klingt wie aus einem Mathebuch, wie eines dieser Textaufgaben. Paula hat zwei Äpfel. Mittags wird einer gestohlen, abends einer geschenkt. Wie viele hat sie um Mitternacht? -- Nüchterne, informative Sätze, in klaren logischen Einheiten. Hart, kantig, unmissverständlich.
Trotz aller Nüchternheit, markiert dieses "Ich fahre weiter", weil es abgesetzt ist, eine kleine dramatische Pause; so etwas wie ein Hauch einer Pointe. Ein winziger Hauch von Wärme, ein menschengemachtes Eselsohr an der letzten Seite des kalten Mathebuchs. Hingegen wäre ein schnelles, kommagefolgtes "ich nicht" einerseits zu pausenlos, und andererseits, wie gesagt, allzu menschlich. Meiner Ansicht nach.
Grüßelnd
Pjotr
Hallo Sam, Eve und Pjotr
Sam du wirst dich bestimmt nicht durch diesen kleinen Änderungsvorschlag umwerfen lassen, dazu hast du ein zu sicheres Stilgefühl. Dass ich es mir herausgenommen habe, einen Vorschlag zu machen, liegt an der Absicht eine Diskussion um unterschiedliche Wahrnehmungen in Gang zu setzen, das ist ja geschehen, möglicherweise bringt es weniger als ich erhofft hatte, aber das ist ja angesichts der Endlichkeit aller Dinge kein Problem.
@ eve: danke für deine Rückmeldung
@ danke für deine ausführliche Erklärung und Analyse, ja, damit kann ich durchaus etwas anfangen.
herzliche Grüße
Renée
Sam du wirst dich bestimmt nicht durch diesen kleinen Änderungsvorschlag umwerfen lassen, dazu hast du ein zu sicheres Stilgefühl. Dass ich es mir herausgenommen habe, einen Vorschlag zu machen, liegt an der Absicht eine Diskussion um unterschiedliche Wahrnehmungen in Gang zu setzen, das ist ja geschehen, möglicherweise bringt es weniger als ich erhofft hatte, aber das ist ja angesichts der Endlichkeit aller Dinge kein Problem.
@ eve: danke für deine Rückmeldung
@ danke für deine ausführliche Erklärung und Analyse, ja, damit kann ich durchaus etwas anfangen.
herzliche Grüße
Renée
Hallo Renée,
vielen Dank!
Zu dem letzten Satz hat dir Pjotr ja schon etwas geschrieben, und dem kann ich nur zustimmen. Vor allem, wenn er von einer Pause spricht, die durch den letzten Satz entsteht. Anfangs hatte ich daran gedacht, noch einen Absatz vor dem letzten Satz zu machen, empfand das aber dann als zu starken Eingriff. Dass es auch ohne als kleine Zäsur wahrgenommen wird, bestätigt mich in der Entscheidung.
Dass man bei dieser Art Text wesentlich mehr auf den Leser angewiesen ist, als bei einer auserzählten Geschichte, ist wohl war. Wobei ich da nicht von Komplizenschaft reden würde, sondern eher von einem Spiel, das darin besteht, dem anderen einen Ball zuzuwerfen. Den kann er fangen, wegschlagen, zurückwerfen oder einfach ignorieren. Wenn eine Ideologie dahinter steht, dann die, sich diese soweit wie möglich vom Leib zu halten.
Vielen dank auch an euch pjotr und eve.
Gruß
Sam
vielen Dank!
Zu dem letzten Satz hat dir Pjotr ja schon etwas geschrieben, und dem kann ich nur zustimmen. Vor allem, wenn er von einer Pause spricht, die durch den letzten Satz entsteht. Anfangs hatte ich daran gedacht, noch einen Absatz vor dem letzten Satz zu machen, empfand das aber dann als zu starken Eingriff. Dass es auch ohne als kleine Zäsur wahrgenommen wird, bestätigt mich in der Entscheidung.
Dass man bei dieser Art Text wesentlich mehr auf den Leser angewiesen ist, als bei einer auserzählten Geschichte, ist wohl war. Wobei ich da nicht von Komplizenschaft reden würde, sondern eher von einem Spiel, das darin besteht, dem anderen einen Ball zuzuwerfen. Den kann er fangen, wegschlagen, zurückwerfen oder einfach ignorieren. Wenn eine Ideologie dahinter steht, dann die, sich diese soweit wie möglich vom Leib zu halten.
Vielen dank auch an euch pjotr und eve.
Gruß
Sam
Hallo,
hm - ich muss sagen: mir gefällt der Text weniger. Das liegt nicht daran, dass ich denke, dass er keine Geschichte erzählen könnte (mit dem Kopf kann ich mir auch interessante, verschiedene Deutungen des Textes überlegen), sondern vielmehr, dass mich die Sprache des Textes (Satzkonstruktion, Wortwahl) nicht anspricht, ich sie als unattraktiv, grob geschnitzt (wie einige typische Kinobilder auch sprechen, stimmt ich musste auch an Kino denken, Dolby Surround) empfinde, ja sie sogar Abwehr in mir überzeugt, und sie es deshalb gar nicht schaffen kann, mich zu überzeugen. So wirkt etwa der Satz "Ich bin ein Toter" in meinen Augen gänzlich unecht bis unfreiwllig komisch, sowas sagt keiner, mir dient die Formulierung zu sehr zu etwas, wirkt konstruiert, auch nicht gut gemacht. Ins Parabelhafte geht das ganze sprachlich dabei für mich auch nicht. Auch die anderen wichtigen Knotenpunkte wie das Wort "Gabe" oder die Dialogstruktur weisen für mich diese Mängel auf (wenn Zefis Lesart etwa stimmen würde (was auch meine erste Lesart war), wäre der Text sprachlich schlecht gemacht, da ja eben gesagt wird, dass die anderen auch die Gabe hätten, wenn die die dann doch nicht haben, wäre das ein Text, der in meinen Augen unbefriedigend sein überraschendes Ende herbeiführt). Es wird unterschieden zwischen dem ich und den anderen, der Masse und einem einzelnen, aber die betonte, für den text essentielle Unterscheidung ist rein behauptet, es gibt kein einziges Attribut, durch das ich irgendein Gefühl für eine Figur in dem Text bekommen könnte, weshalb die gemachte Unterscheidung gar nicht rezipierbar ist usf. Der letzte Satz ist mir viel zu trompetendickwenderisch. Deshalb strande ich am Ende dann irgendwo bei dem Eindruck, dass der Text zwar viel erzählen könnte, aber mir nichts erzählt bei gleichzeitiger Wahrnehmung, dass der Text das aber doch nur allzugern täte. Was mich ungehalten macht!
Ich hoffe, das war jetzt nicht zu grob, aber nach einiger Begeisterung für den Text ist ein Kommentar, der zeigt, dass der Text mich tatsächlich ungehalten gemacht hat, vielleicht möglich .-)
liebe Grüße,
Lisa
(hab das Lied noch nie gehört, musste aber an die Titelzeile denken und da passt einiges )
hm - ich muss sagen: mir gefällt der Text weniger. Das liegt nicht daran, dass ich denke, dass er keine Geschichte erzählen könnte (mit dem Kopf kann ich mir auch interessante, verschiedene Deutungen des Textes überlegen), sondern vielmehr, dass mich die Sprache des Textes (Satzkonstruktion, Wortwahl) nicht anspricht, ich sie als unattraktiv, grob geschnitzt (wie einige typische Kinobilder auch sprechen, stimmt ich musste auch an Kino denken, Dolby Surround) empfinde, ja sie sogar Abwehr in mir überzeugt, und sie es deshalb gar nicht schaffen kann, mich zu überzeugen. So wirkt etwa der Satz "Ich bin ein Toter" in meinen Augen gänzlich unecht bis unfreiwllig komisch, sowas sagt keiner, mir dient die Formulierung zu sehr zu etwas, wirkt konstruiert, auch nicht gut gemacht. Ins Parabelhafte geht das ganze sprachlich dabei für mich auch nicht. Auch die anderen wichtigen Knotenpunkte wie das Wort "Gabe" oder die Dialogstruktur weisen für mich diese Mängel auf (wenn Zefis Lesart etwa stimmen würde (was auch meine erste Lesart war), wäre der Text sprachlich schlecht gemacht, da ja eben gesagt wird, dass die anderen auch die Gabe hätten, wenn die die dann doch nicht haben, wäre das ein Text, der in meinen Augen unbefriedigend sein überraschendes Ende herbeiführt). Es wird unterschieden zwischen dem ich und den anderen, der Masse und einem einzelnen, aber die betonte, für den text essentielle Unterscheidung ist rein behauptet, es gibt kein einziges Attribut, durch das ich irgendein Gefühl für eine Figur in dem Text bekommen könnte, weshalb die gemachte Unterscheidung gar nicht rezipierbar ist usf. Der letzte Satz ist mir viel zu trompetendickwenderisch. Deshalb strande ich am Ende dann irgendwo bei dem Eindruck, dass der Text zwar viel erzählen könnte, aber mir nichts erzählt bei gleichzeitiger Wahrnehmung, dass der Text das aber doch nur allzugern täte. Was mich ungehalten macht!
Ich hoffe, das war jetzt nicht zu grob, aber nach einiger Begeisterung für den Text ist ein Kommentar, der zeigt, dass der Text mich tatsächlich ungehalten gemacht hat, vielleicht möglich .-)
liebe Grüße,
Lisa
(hab das Lied noch nie gehört, musste aber an die Titelzeile denken und da passt einiges )
Es fährt ein Zug nach nirgendwo
mit mir allein als Passagier.
Mit jeder Stunde, die vergeht
führt er mich weiter weg von dir.
Es fährt ein Zug nach nirgendwo,
den es noch gestern gar nicht gab.
Ich hab gedacht, du glaubst an mich
und dass ich dich für immer hab.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Hallo Sam,
ich habe hier auch so meine Schwierigkeiten...
Das fängt schon an mit der "Glaubensleistung", die mir der Text in den ersten beiden Zeilen abverlangt: Das erstaunliche ist doch nicht, dass "Ich" den Toten sehen kann (niemand wird im Moment des Todes unsichtbar), sondern dass der Tote sich in einem Zug befindet und spricht - da hätte ich als Frage viel eher "Wie kann das sein, wenn wir uns doch unterhalten" erwartet.
Renee stellt fest, dass der Leser dem Text "hypnotisiert folgt", aber ich zumindestens folge ihm eher pflichtschuldig - ich denke, es liegt an dieser Leere der Sätze, dem ständigen Wiederholen von "sehen" und "können" und solchen im wesentlichen umständlichen Ausdrücken wie "Jeder bestätigt mir, den Mann ebenfalls sehen zu können." (Mir war, als hättest du dafür irgendwo einen Grund angegeben, aber das finde ich gerade nicht - anderer Text?)
Insgesamt biebe ich dann doch ein gutes Stück außerhalb des Textes.
Ferdigruß!
ich habe hier auch so meine Schwierigkeiten...
Das fängt schon an mit der "Glaubensleistung", die mir der Text in den ersten beiden Zeilen abverlangt: Das erstaunliche ist doch nicht, dass "Ich" den Toten sehen kann (niemand wird im Moment des Todes unsichtbar), sondern dass der Tote sich in einem Zug befindet und spricht - da hätte ich als Frage viel eher "Wie kann das sein, wenn wir uns doch unterhalten" erwartet.
Renee stellt fest, dass der Leser dem Text "hypnotisiert folgt", aber ich zumindestens folge ihm eher pflichtschuldig - ich denke, es liegt an dieser Leere der Sätze, dem ständigen Wiederholen von "sehen" und "können" und solchen im wesentlichen umständlichen Ausdrücken wie "Jeder bestätigt mir, den Mann ebenfalls sehen zu können." (Mir war, als hättest du dafür irgendwo einen Grund angegeben, aber das finde ich gerade nicht - anderer Text?)
Insgesamt biebe ich dann doch ein gutes Stück außerhalb des Textes.
Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)
Hallo Lisa und Ferdi,
habt vielen Dank! Ihr beide habt, um mein Beispiel des zugeworfenen Balls nochmal aufzunehmen, diesen weit weg geschlagen. Das finde ich im Sinne der Diskussion hervorragend.
Lisa,
dadurch, dass du den Text hier mit einem Schlager vergleichst, treibst du natürlich schmerzhaft einen Stachel in mein stolzes Schreiberfleisch. Aber auch das sollte man sich von Zeit zu Zeit mal gefallen lassen
Im Ernst, ich kann deine Ablehnung gut nachvollziehen und habe eigentlich mit wesentlich mehr Kommentaren gerechnet, die in diese Richtung gehen. Dass dann doch so einiges an Positivem gab, hat mir gezeigt, der Text kann funktionieren. Aber er kann es genauso gut auch nicht, wie man bei dir sieht. Ich denke, es ergibt auch wenig Sinn, nun gegen dich anzuargumentieren. Ich sehe solche Texte sowieso eher als Expirement an. Es sind Ideen, die nur durch das Feedback Leben erhalten können. Ein unabgeschlossener Denkvorgang, den man dem Leser übereignet, auf dass er etwas daraus mache. Da ist also keinerlei Überzeugungswillen meinerseits. Ungehalten machen wollte ich allerdings niemanden.
Natürlich habe ich mir Gedanken darum gemacht, wie man die Idee ins sprachliche Kleid bringt. Mir schien da nur das Sperrige und Unechte passend. Klar, "Ich bin ein Toter" ist ein kantiger Satz, den so niemand sagen würde. Ich habe ihn aber deshalb gewählt, weil durch die behinderte Ausdrucksweise nichts weiter transportiert wird, als eben diese Aussage. Alle anderen Begriffe wie Geist oder Gespenst, oder die viel bessere Ausdrucksweise "ich bin tot" o.ä., brächten eine Art von Realismus bzw. Realismusbehauptung mit sich, die ich aber in dem Text nicht haben wollte. Weil die Idee hinter dem Text nicht stark genug, diesen zu tragen. Von daher wundert es mich nicht, wenn du sagst, du bekämst kein Gefühl für eine Figur des Textes. Das kann nur vom Leser selber kommen, nicht aus dem Text heraus. Der kann nicht irgendetwas erzählen, sondern höchstens, in gücklichen Fällen, den Leser dazu bringen, sich selbst etwas zu erzählen.
Trompetendickwenderisch ist ein geiles Wort!!
Nochmal zu dem Lied. Ich kenne es und habe es als Kind sehr gerne gehört. Roland Kaiser? Jürgen Marcus? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls ist es eine interessante Assoziation von dir. Aber nicht jeder, der allein im Zug sitzt, fährt nach nirgendwo. Zum Glück
Ferdi,
zum sprachlichen Aspekt habe ich jetzt bei Lisa schon einiges geschrieben, vielleicht magst du es auch überfliegen, es betrifft zum Teil auch deine Bedenken. Ich sehe es übrigens wie du, dass die "natürliche" Reaktion auf die Aussage "Ich bin ein Toter" wäre, auf die scheinbare Lebendigkeit des Sprechenden zu verweisen. Das ließe aber die Tragfähigkeit der Konstruktion des Textes ganz in sich zusammebrechen. Wenn er denn funktioniert, was ja beileibe nicht bei jedem Leser der Fall ist, dann nur durch das Absurde oder Bizarre. Dazu auch der Verzicht auf ein Erzählen, auf die geschliffene abgerundete Formulierung. Deswegen steht ja auch, bis auf eine gewollte Ausnahme, jeder Satz für sich.
Euch beiden nochmals vielen Dank!
Gruß
Sam
habt vielen Dank! Ihr beide habt, um mein Beispiel des zugeworfenen Balls nochmal aufzunehmen, diesen weit weg geschlagen. Das finde ich im Sinne der Diskussion hervorragend.
Lisa,
dadurch, dass du den Text hier mit einem Schlager vergleichst, treibst du natürlich schmerzhaft einen Stachel in mein stolzes Schreiberfleisch. Aber auch das sollte man sich von Zeit zu Zeit mal gefallen lassen
Im Ernst, ich kann deine Ablehnung gut nachvollziehen und habe eigentlich mit wesentlich mehr Kommentaren gerechnet, die in diese Richtung gehen. Dass dann doch so einiges an Positivem gab, hat mir gezeigt, der Text kann funktionieren. Aber er kann es genauso gut auch nicht, wie man bei dir sieht. Ich denke, es ergibt auch wenig Sinn, nun gegen dich anzuargumentieren. Ich sehe solche Texte sowieso eher als Expirement an. Es sind Ideen, die nur durch das Feedback Leben erhalten können. Ein unabgeschlossener Denkvorgang, den man dem Leser übereignet, auf dass er etwas daraus mache. Da ist also keinerlei Überzeugungswillen meinerseits. Ungehalten machen wollte ich allerdings niemanden.
Natürlich habe ich mir Gedanken darum gemacht, wie man die Idee ins sprachliche Kleid bringt. Mir schien da nur das Sperrige und Unechte passend. Klar, "Ich bin ein Toter" ist ein kantiger Satz, den so niemand sagen würde. Ich habe ihn aber deshalb gewählt, weil durch die behinderte Ausdrucksweise nichts weiter transportiert wird, als eben diese Aussage. Alle anderen Begriffe wie Geist oder Gespenst, oder die viel bessere Ausdrucksweise "ich bin tot" o.ä., brächten eine Art von Realismus bzw. Realismusbehauptung mit sich, die ich aber in dem Text nicht haben wollte. Weil die Idee hinter dem Text nicht stark genug, diesen zu tragen. Von daher wundert es mich nicht, wenn du sagst, du bekämst kein Gefühl für eine Figur des Textes. Das kann nur vom Leser selber kommen, nicht aus dem Text heraus. Der kann nicht irgendetwas erzählen, sondern höchstens, in gücklichen Fällen, den Leser dazu bringen, sich selbst etwas zu erzählen.
Trompetendickwenderisch ist ein geiles Wort!!
Nochmal zu dem Lied. Ich kenne es und habe es als Kind sehr gerne gehört. Roland Kaiser? Jürgen Marcus? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls ist es eine interessante Assoziation von dir. Aber nicht jeder, der allein im Zug sitzt, fährt nach nirgendwo. Zum Glück
Ferdi,
zum sprachlichen Aspekt habe ich jetzt bei Lisa schon einiges geschrieben, vielleicht magst du es auch überfliegen, es betrifft zum Teil auch deine Bedenken. Ich sehe es übrigens wie du, dass die "natürliche" Reaktion auf die Aussage "Ich bin ein Toter" wäre, auf die scheinbare Lebendigkeit des Sprechenden zu verweisen. Das ließe aber die Tragfähigkeit der Konstruktion des Textes ganz in sich zusammebrechen. Wenn er denn funktioniert, was ja beileibe nicht bei jedem Leser der Fall ist, dann nur durch das Absurde oder Bizarre. Dazu auch der Verzicht auf ein Erzählen, auf die geschliffene abgerundete Formulierung. Deswegen steht ja auch, bis auf eine gewollte Ausnahme, jeder Satz für sich.
Euch beiden nochmals vielen Dank!
Gruß
Sam
Lieber Sam. Lisa und Ferdi,
wollte nur hinzufügen, dass ich zumindest teilweise ähnliche Lese.empfindungen hatte. Das hypnotisch folgen z.B. sollte aussagen, dass der Leser nicht freiwillig mitgeht, sondern "muss" . das ist sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Texts, eine starke Wirkung, die manchen zum Widerstand aufrufen mag --- als Resultat sehr gut, finde ich ...
lg
R
wollte nur hinzufügen, dass ich zumindest teilweise ähnliche Lese.empfindungen hatte. Das hypnotisch folgen z.B. sollte aussagen, dass der Leser nicht freiwillig mitgeht, sondern "muss" . das ist sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Texts, eine starke Wirkung, die manchen zum Widerstand aufrufen mag --- als Resultat sehr gut, finde ich ...
lg
R
Sam hat geschrieben:Die Gabe
Im Zug sagt ein alter Mann zu mir: „Ich bin ein Toter.“
„Wie kann das sein“, frage ich, „da ich Sie doch sehen kann?“
„Sie haben die Gabe“, sagt er.
Ich frage die Frau neben mir, ob sie den alten Mann sehen könne.
„Ja, ich kann ihn sehen“, antwortet sie.
„Auch sie hat die Gabe“, sagt der alte Mann.
Ich wende mich an die anderen Fahrgäste. Jeder bestätigt mir, den Mann ebenfalls sehen zu können.
„Sie alle haben die Gabe“, sagt er daraufhin.
„Aber wenn es alle können“, erwidere ich, „dann ist es doch keine Gabe.“
An der nächsten Station erhebt sich der Alte und steigt aus. Die anderen folgen ihm.
Ich fahre weiter.
Ich möchte noch hinzufügen, dass ich dem Text bei jedem Lesen eine neue Schicht abgewinne und er mir wesentlich tiefer geht als zu Beginn.
Der alte Mann spricht so, deshalb sagt er "Ich bin ein Toter" - Gestern habe ich an der Bushaltestelle ein Mädchen getroffen, das genauso auf diese lakonische und herausfordernde Art von sich sagte: "ich bin behindert" Dieser Offenbarung - die weder ihr noch mir guttat - konnte ich ebensowenig ausweichen wie die Ich-Person im Text. Ein Traum spielt sich ab, der die Wirklichkeit nachahmt: (das Hypnotische) - Alle haben die Gabe, stellt sich heraus, was unter Umständen heißt - "Ich bin ein Toter": Mit dem Ende habe ich immer noch ein Problem, mir scheint, da müsste noch etwas passieren oder nicht passieren, eine Abtrennung sollte noch sichtbar werden ... aber das ist nur das Gefühl --- diese Geschichte geht weiter ... er fährt WEITER ist mir deshalb irgendwie .... zuviel
Aber am Stil habe ich nichts auszusetzen, Bei mir war es nur dieser Versuch, mich gegen die radikale Logik des Texts z u wehren. eine Verteidigung, einen Ausweg zu finden,
lG
R
In den Kommentaren steht schon vieles bezüglich Stil und Interpretation, vor allem über die Zurückhaltung des Erzählers. Ob dieser Zurückhaltung kam mir heute beim Aufwachen der Gedanke, dass diese U-Bahn-Szene ein Traum gewesen sein könnte (was nicht schwerfällt angesichts der surrealen Stimmung), und somit Stoff für Traumdeutungen liefert. Wie gesagt wurde, es gibt einen großen Deutungsspielraum. Ich will nur hinzufügen, dass nicht nur die Deutung vielfältig sein kann, sondern auch der Zweck dieser Text-Existenz. Der Zweck muss nicht ein Missionierungsversuch sein, auch nicht eine Anklage und so weiter -- kann, muss aber nicht. Es kann auch eine Verarbeitung im Hirn sein, eine Neusortierung des Intellekts während des Schlafs, die mit Traumbildern begleitet wird. Wie bereits kommentiert, kann die U-Bahn-Fahrt den Lebenslauf symbolisieren, und der Ausstieg der anderen Fahrgäste könnte hinweisen auf eine Trennung von einer Gruppe Ähnlichgesinnter. Und der Traum mag die Verarbeitung einer Sorge oder auch einer Befreiung sein, -- was teilweise wiederum von der Trennrichtung abhängen mag: Trennt sich die Gruppe vom Erzähler, oder trennt er sich von der Gruppe? Oder beides? Der Text ist sehr schlank, enthält aber schwergewichtiges Konzentrat.
Habe jetzt skizzenhaft begonnen mit der Inszenierung und den Bildaufteilungen. Es wird wohl auf 8 Seiten hinauslaufen. Die Auswahl der Schauspieler ist auch schon fortgeschritten, auch deren Frisuren und Bekleidung. Bin mir noch nicht sicher, ob die Leute realistisch oder ein bisschen karikiert dargestellt werden sollten. Aber egal wie, ein wenig Situationskomik entsteht mir beim Zeichnen trotz allem. Ich kanns nicht lassen. Obwohl ichs ernst meine ...
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