WORT DER WOCHE
- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -
~ S C H A N D F L E C K ~
Wort der Woche ~ SCHANDFLECK ~
Zwischenstop Weltplatz
Er wäre ein Schandfleck, sagten die Einen, das Gelände zwischen dem großen Autokreisel, der Ausfallstraße und dem anschließenden Bahnbereich mit den stillgelegten Rangiergeleisen. Schandfleck deshalb, weil hier gesprüht wurde, was das Zeug hielt. Man konnte schlecht die Augen verschließen vor so viel knallbunten, überbordenden Jugendphantasien, die in jede Richtung hervorwucherten, auch am Bahnhofsgebäude und in die anschließenden Wohngebiete.
Es war ein Schandfleck, sagten die Anderen, bevor die Sprüher kamen. Nur grauer, angerußter Beton und zwischen den Verschalungen sammelte sich der Abfall, der aus den fahrenden Autos geworfen wurde, abgesehen von der rekordverdächtigen Abgasbelastung.
Traute man sich aber, über die kleinen Fußtreppen in die schwindelnde Tiefe und das chaotische Labyrinth der immer in Sackgassen endenden Trampelpfade hinabzusteigen, traf man gelegentlich auch die Einwohner diese Gevierts. Vermummte Körper mit Sonnenbrillen, jugendliche Skateboard- oder Fahrradfahrer, Obdachlose, Künstler und Penner. Die Betonfluchten sind riesige Freiluftgalerien, an denen kilometerlang der Bilderstream entlangläuft, mit einer grandiosen, je nach Exposition und Offenlage einfallenden Naturbeleuchtung, ein Lichtdom, abhängig von Tageszeit und Wetterbedingungen.
Trotz meiner eingehenden Recherchen war das Gebiet in der lokalen Presse bislang nie mit Gewalt- oder Drogendelikten aufgefallen. Einer der Künstler sagte zu mir: "Das ist ein Weltplatz. Wenn Du hier lebst, weißt Du Bescheid". An diesem Tag blieb ich drei Stunden. Dann ging mein Flug weiter, einen Stock höher.
Er wäre ein Schandfleck, sagten die Einen, das Gelände zwischen dem großen Autokreisel, der Ausfallstraße und dem anschließenden Bahnbereich mit den stillgelegten Rangiergeleisen. Schandfleck deshalb, weil hier gesprüht wurde, was das Zeug hielt. Man konnte schlecht die Augen verschließen vor so viel knallbunten, überbordenden Jugendphantasien, die in jede Richtung hervorwucherten, auch am Bahnhofsgebäude und in die anschließenden Wohngebiete.
Es war ein Schandfleck, sagten die Anderen, bevor die Sprüher kamen. Nur grauer, angerußter Beton und zwischen den Verschalungen sammelte sich der Abfall, der aus den fahrenden Autos geworfen wurde, abgesehen von der rekordverdächtigen Abgasbelastung.
Traute man sich aber, über die kleinen Fußtreppen in die schwindelnde Tiefe und das chaotische Labyrinth der immer in Sackgassen endenden Trampelpfade hinabzusteigen, traf man gelegentlich auch die Einwohner diese Gevierts. Vermummte Körper mit Sonnenbrillen, jugendliche Skateboard- oder Fahrradfahrer, Obdachlose, Künstler und Penner. Die Betonfluchten sind riesige Freiluftgalerien, an denen kilometerlang der Bilderstream entlangläuft, mit einer grandiosen, je nach Exposition und Offenlage einfallenden Naturbeleuchtung, ein Lichtdom, abhängig von Tageszeit und Wetterbedingungen.
Trotz meiner eingehenden Recherchen war das Gebiet in der lokalen Presse bislang nie mit Gewalt- oder Drogendelikten aufgefallen. Einer der Künstler sagte zu mir: "Das ist ein Weltplatz. Wenn Du hier lebst, weißt Du Bescheid". An diesem Tag blieb ich drei Stunden. Dann ging mein Flug weiter, einen Stock höher.
Zuletzt geändert von Eule am 14.07.2011, 16:25, insgesamt 2-mal geändert.
Ein Klang zum Sprachspiel.
Der Schandfleck ist sprachlich gesehen eine Art Tautologie, wie sie die deutsche Sprache in ungeheuren Mengen produziert, was berufliche und Hobbytautologen natürlich besonders reizt. Der Fleck allein ist schon eine Schande und selbst diejenigen, die nun einwenden, der Fleck habe durchaus etwas Positives, müssen zugeben, dass er das nur im dimunitiven Bereich ist: ein Fleckchen Erde, ein Fleckchen Paradies, ein Marktflecken ... aber da sind wir schon anderswo gelandet, wo uns der Marktflecken winkt, von dem wir in diesm Zusammenhang gar nichts wissen wollen. Was uns befleckt, verursacht ein Schamgefühl und bringt Schande über uns, das alles auf einmal: Huch, ein Fleck, der muss weg. Vom Flecken zum Schandflecken ist der Weg zu folgendem Ausruf nicht weit: "Das ist ein wahrer Schandfleck!" Dann kann sich der Linguist lange fragen: Gibt es auch falsche, gefälschte, lügnerische oder schlicht unwahrhaftige Schandflecken... Wie verhält sich die Moral zum Fleck(en)? Schande bringt über uns ein Fleck, der unsere Unreinheit zur Schau stellt. Wenn der Schandfleck uns außen befällt und sichtbar zum Paria macht, regt sich die Scham in uns. Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir mit ihm leben müssen, mit dem Schandflecken.
Brand-schand-blind-fleck/ eine Glosse
Es waren nur drei Straßen, aber das jahrelang. Warum gerade die drei Straßen, weiß keiner. Gut, die Straße hinunter zur Drau, da kann man liebestollwütige Gründe vermuten, um es nicht Romantik zu nennen. Es waren andere Zeiten, man knutschte eben gern, und durfte nicht den Partner nach Hause bringen. Offiziell knutschte man nicht. Frauen erst recht nicht.
Man ging zu „Corso“ um Freunde zu treffen. Um zu verehren und verehrt zu werden.
Die zweite der drei Straßen die „Corso“ ausmachten, zog sich durch die Einkaufspassage. Die dritte, am unlogischsten ausgewählt, aber doch die wichtigste Straße, weil sie die Besinnung von uns Spaziergängern unmissverständlich aussagte, war die elend lange, enge Straße in der die Straßenbahnlinien fuhren. Nicht nur einmal ist der verzweifelte Straßenbahnfahrer aus dem Fahrzeug ausgestiegen und hatte Palaver gemacht, weil er nicht durch kam. Meine Erinnerungen an diese Straße, die eigentlich schmücke „Boulevard“ hieß- und die wir Jugendlichen schlicht „Corso“ benannten, bzw. den Namen von unseren Eltern übernahmen, ist eingetränkt im bimmelnden Geräusch protestierender Straßenbahnfahrern und rege Unterhaltung tausender Stimmen.
Ja, es gab uns Tausende. Ein schlecht informierter Stadtbesucher, hätte bei zufälliger Durchreiße vermutet, dass ein Rockkonzert auf dem Boulevard stattfindet. Er hätte sich gewundert, wieso es mitten in der Woche stattfindet, und wieso Mitten in einer befahrenen Straße…und um Gotteswillen, wieso jeden Abend der Woche?
Doch wir trafen uns jeden Abend der Woche. An Wochentagen kürzer, und gingen von daher nachhause. An Wochenenden länger, und gingen von daher in Discos oder auf Partys. Aber wir hatten unsere festen Plätze. Rockerklicke, Schminkerklicke, Punks…jeder hatte sein festes Eckchen.
Jemand war immer da. Wir teilten da Zigaretten miteinander, knabberten an Kürbiskernen, klatschten und tratschten, beäugten Vorbeigänger, machten schöne Augen, erzählten Witze und die neuesten „Skandale“ aus der Schule…wir gingen Beziehungen ein, machten Schlüsse…es war die Seele der Stadt und das Herz meiner Jugend.
Im Krieg verschwand der „Corso“, unter Granatenbedrohung trafen sich Jugendlichen nicht mehr. Und welche Jugendliche? Einige kämpften, einige verließen das Land, einige hockten im Keller und warteten auf den Ausgang der bösen Geschichte.
Der Krieg endete, aber das „Corso“ lebte nicht auf. Der Frieden brachte Computer, brachte andere Arten des „Sichtreffens“. Die Straßenbahnen fuhren ungestört und ohne Gebimmel durch den „Boulevard“. Einmal, vor zwei-drei Jahren, organisierte dann die lokale Radiostation eine Nostalgie-Aktion: „Widererwecken wir das Corso!“ Die Leute wurden aufgerufen an einem bestimmten Abend, sich auf dem Corso zu treffen, ihr Platz, der ihr Stammplatz war, einzunehmen. Abgesehen davon dass es sich mittlerweile um 35-45 jährige handelte, die sich nun um Babysitter bemühen mussten, oder aus anderen Gründen nicht ohne weiteres 2-3 Stunden ihren Abends auf der Straße verbringen wollten, fehlten viele…ausradiert hat sie der Krieg. Aber die, die da waren, waren zu Tränen gerührt. Eine ganze Straße voller Leute weinte. Man erführ was aus einem Geworden ist, was für Schicksale wer erlebte…welche Liebe hielten und mit der Ehe endeten, welche Ehen zerbrachen… Straßenbahnfahrer müssten einen verlängerten Arbeitstag schieben.
Wieso fällt es mir ein?
In der anonymen Millionenstadt Frankfurt am Main, in einem Stadtteil, inmitten des Wohngebietes, auf einem kleinen Marktplatz, fing ein spontaner Menschencorso, wie ein kleines Herz der Stadt zu pochen an. Freitags, nach Feierabend und nach dem die Wirte ihre Markthäuschen abbauen, treffen sich da Menschen. Menschen!!! Keine Nicks! Die flirten, reden. Und pissen in Büsche. Das verärgerte die Bewohner und die Obrigkeiten, und sie beschlossen, den Markttag auf einen anderen Tag in der Woche zu verlegen. Sie nannten es „Einen Schand-Fleck.“
Doch die Menschen blieben. Sie verteidigten Ihren Freitag. Bezahlten Strafen, ließen sich vertreiben, tauchten wieder auf…und pissten in Büsche. Ein Schand-Fleck. Jugend macht eben Flecken. Keiner der Obrigkeiten kam auf die Idee ein paar Mülleimer aufzustellen, und ein paar Dixiklos…und sich der neuen Spontanität zu erfreuen. Es wäre womöglich günstiger als die Polizeieinsätze, aber Ordnung muss sein. In einer Millionenstadt in der ein Bewohnerehepaar die Lautstärke und Dauer sogar des Weihnachtsmarktes bestimmen darf, und die Menschen gegen den Lärm des benachbarten Kindergartens klagen, hat ein Corso nix verloren. Ob diese Haltung kein Blind-fleck ist? Wer weiß. Die Zukunft wird es zeigen. Die Zukunft…ist das nicht die Jugend?
Es waren nur drei Straßen, aber das jahrelang. Warum gerade die drei Straßen, weiß keiner. Gut, die Straße hinunter zur Drau, da kann man liebestollwütige Gründe vermuten, um es nicht Romantik zu nennen. Es waren andere Zeiten, man knutschte eben gern, und durfte nicht den Partner nach Hause bringen. Offiziell knutschte man nicht. Frauen erst recht nicht.
Man ging zu „Corso“ um Freunde zu treffen. Um zu verehren und verehrt zu werden.
Die zweite der drei Straßen die „Corso“ ausmachten, zog sich durch die Einkaufspassage. Die dritte, am unlogischsten ausgewählt, aber doch die wichtigste Straße, weil sie die Besinnung von uns Spaziergängern unmissverständlich aussagte, war die elend lange, enge Straße in der die Straßenbahnlinien fuhren. Nicht nur einmal ist der verzweifelte Straßenbahnfahrer aus dem Fahrzeug ausgestiegen und hatte Palaver gemacht, weil er nicht durch kam. Meine Erinnerungen an diese Straße, die eigentlich schmücke „Boulevard“ hieß- und die wir Jugendlichen schlicht „Corso“ benannten, bzw. den Namen von unseren Eltern übernahmen, ist eingetränkt im bimmelnden Geräusch protestierender Straßenbahnfahrern und rege Unterhaltung tausender Stimmen.
Ja, es gab uns Tausende. Ein schlecht informierter Stadtbesucher, hätte bei zufälliger Durchreiße vermutet, dass ein Rockkonzert auf dem Boulevard stattfindet. Er hätte sich gewundert, wieso es mitten in der Woche stattfindet, und wieso Mitten in einer befahrenen Straße…und um Gotteswillen, wieso jeden Abend der Woche?
Doch wir trafen uns jeden Abend der Woche. An Wochentagen kürzer, und gingen von daher nachhause. An Wochenenden länger, und gingen von daher in Discos oder auf Partys. Aber wir hatten unsere festen Plätze. Rockerklicke, Schminkerklicke, Punks…jeder hatte sein festes Eckchen.
Jemand war immer da. Wir teilten da Zigaretten miteinander, knabberten an Kürbiskernen, klatschten und tratschten, beäugten Vorbeigänger, machten schöne Augen, erzählten Witze und die neuesten „Skandale“ aus der Schule…wir gingen Beziehungen ein, machten Schlüsse…es war die Seele der Stadt und das Herz meiner Jugend.
Im Krieg verschwand der „Corso“, unter Granatenbedrohung trafen sich Jugendlichen nicht mehr. Und welche Jugendliche? Einige kämpften, einige verließen das Land, einige hockten im Keller und warteten auf den Ausgang der bösen Geschichte.
Der Krieg endete, aber das „Corso“ lebte nicht auf. Der Frieden brachte Computer, brachte andere Arten des „Sichtreffens“. Die Straßenbahnen fuhren ungestört und ohne Gebimmel durch den „Boulevard“. Einmal, vor zwei-drei Jahren, organisierte dann die lokale Radiostation eine Nostalgie-Aktion: „Widererwecken wir das Corso!“ Die Leute wurden aufgerufen an einem bestimmten Abend, sich auf dem Corso zu treffen, ihr Platz, der ihr Stammplatz war, einzunehmen. Abgesehen davon dass es sich mittlerweile um 35-45 jährige handelte, die sich nun um Babysitter bemühen mussten, oder aus anderen Gründen nicht ohne weiteres 2-3 Stunden ihren Abends auf der Straße verbringen wollten, fehlten viele…ausradiert hat sie der Krieg. Aber die, die da waren, waren zu Tränen gerührt. Eine ganze Straße voller Leute weinte. Man erführ was aus einem Geworden ist, was für Schicksale wer erlebte…welche Liebe hielten und mit der Ehe endeten, welche Ehen zerbrachen… Straßenbahnfahrer müssten einen verlängerten Arbeitstag schieben.
Wieso fällt es mir ein?
In der anonymen Millionenstadt Frankfurt am Main, in einem Stadtteil, inmitten des Wohngebietes, auf einem kleinen Marktplatz, fing ein spontaner Menschencorso, wie ein kleines Herz der Stadt zu pochen an. Freitags, nach Feierabend und nach dem die Wirte ihre Markthäuschen abbauen, treffen sich da Menschen. Menschen!!! Keine Nicks! Die flirten, reden. Und pissen in Büsche. Das verärgerte die Bewohner und die Obrigkeiten, und sie beschlossen, den Markttag auf einen anderen Tag in der Woche zu verlegen. Sie nannten es „Einen Schand-Fleck.“
Doch die Menschen blieben. Sie verteidigten Ihren Freitag. Bezahlten Strafen, ließen sich vertreiben, tauchten wieder auf…und pissten in Büsche. Ein Schand-Fleck. Jugend macht eben Flecken. Keiner der Obrigkeiten kam auf die Idee ein paar Mülleimer aufzustellen, und ein paar Dixiklos…und sich der neuen Spontanität zu erfreuen. Es wäre womöglich günstiger als die Polizeieinsätze, aber Ordnung muss sein. In einer Millionenstadt in der ein Bewohnerehepaar die Lautstärke und Dauer sogar des Weihnachtsmarktes bestimmen darf, und die Menschen gegen den Lärm des benachbarten Kindergartens klagen, hat ein Corso nix verloren. Ob diese Haltung kein Blind-fleck ist? Wer weiß. Die Zukunft wird es zeigen. Die Zukunft…ist das nicht die Jugend?
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