Beitragvon Zefira » 09.05.2012, 23:34
Ein weltberühmter Komponist, Sänger und Schlagzeuger – einer von denen, die früher mal interessant waren und jetzt nur noch Filmmusik machen – hat dafür gesorgt, dass ich mich in meinem eigenen Heimatort furchtbar blamiert habe. Diese Geschichte ist ein Beweis dafür, wie sich das Gehirn manchmal in einer Art Denkschlaufe verhakt und viele, viele Jahre, manchmal ein Leben lang, aus diesem Fahrwasser nicht mehr herauskommt.
Vor dreißig Jahren habe ich ein Konzert dieses weltberühmten Komponisten, Sängers und Schlagzeugers besucht. (Würde ich heute nicht mehr machen, aber damals war er ein interessanter Musiker.) Es war in Frankfurt. Der Mann sprach erstaunlich gut Deutsch. Er stellte seine Kollegen auf deutsch vor und sagte auch seine Stücke jeweils auf deutsch an. Darunter war ein ziemlich tranig-trauriger Blues, einer von der Sorte, bei der man sich einen einsamen Mann an einem Bartresen vorstellen soll, der in sein Bier weint. Der Sänger führte das auch bildlich vor. Er nahm sich einen Barhocker, setzte sich drauf und arrangierte seine Requisiten vor sich. Es waren zwei Requisiten. Das eine war ein großes Glas (eines von der Sorte, wo man einen vierstöckigen Whisky reingießt), das andere war ein weißer Damenschlüpfer, mindestens Größe 48, damit er auch richtig gut im Publikum zu sehen war.
Ich erinnere mich über den Zeitraum von 30 Jahren hinweg, wie er seine Requisiten vorzeigte, abwechselnd in die Höhe hob und erklärte: „Ein Glas … und ein Damenslip. Ein Glas, ein Damenslip. Glas, Damenslip …“, er hob abwechselnd die Hände, „Glas, Damenslip, Glas, Damenslip …“
Es war nicht wirklich komisch, trotzdem krümmten wir uns alle vor Lachen. Und wirklich bluesig kam der Blues danach auch nicht mehr rüber.
Danach ging alles seinen Gang, es gab ein paar Zugaben und den üblichen Rausschmeißer-Song am Schluss, wir fuhren nach Hause, am nächsten Tag hatte uns das Leben wieder. So auch das übliche Geflecht aus Pflichten und Routine. Ich ging zum Bäcker und musste Schlange stehen. Vor mir war eine ältere Frau dran, die eine lange Einkaufsliste abarbeitete. „Ein Roggenbrot … zwei Berliner … ein Sesambrötchen … ein Vierkornbrötchen …“
Ich murmelte vor mich hin: „Ein Glas … ein Damenslip …“
Es geschah ganz unbewusst. Entgeisterte Blicke ruhten auf mir. Es dauerte ein paar Tage, bis ich mich wieder in diesen Laden traute.
Inzwischen kann ich mich besser beherrschen. Aber heute, wie gesagt über dreißig Jahre später, geschieht es immer noch. Das Hirn kommt da nicht heraus. Wenn ich etwa zu Staples fahren will und mein Mann mir nachruft: „Denk dran, eine Patrone rot, eine Patrone schwarz!“, antworte ich noch immer automatisch: „Ein Glas, ein Damenslip!“ Aber ich habe gelernt, es sotto voce zu sagen.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)