Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
Beiträge: 3900
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

Bild
Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 20.07.2012, 00:24


suche keine antworten
am ort leerer hüllen
im nächsten ort
dem ohne namen
erwarte die fülle

Gerda

Beitragvon Gerda » 20.07.2012, 10:33

Ein Tag zum Verzetteln
mit Gedankenkarussell
Die richtigen Fragen
waren ihr entglitten

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 20.07.2012, 16:28


Und ich frage dich, Tag:
was wirst du mir bescheren?
Gedankenspiralen?
Ach komm, das
hatten wir schon zur Genüge.
Denk dir was Neues aus.
Und der Tag sprach:
Frag nicht,
setz dich ins Kettenkarussell
und flieg wie ein Kind.
Dann wirst du mich
nicht mehr fragen.

ecb

Beitragvon ecb » 23.07.2012, 14:43

denn ich will dich tragen
wie der wind, der um den erdball weht
im kreise wild, bis er, wie du
wieder in sich geht
am ursprungsort und weiter, weiter
sich aufzufrischen, pfeift sein lied

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5724
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 23.07.2012, 22:03

heidelberg:

auf abschüssigem pflaster
steht die suppe
schief im teller.

auf der brücke eine ziehharmonika
schlimm falsch gespielt ...
wolkenbälle rufen
hawai, hawai.

reiseleiter tragen
schirme voran,
man weiß ja nie.

wer es noch nicht glauben will
streitet am flussufer,
giftige worte fallen
über ameisen, rinks lechts rinks lechts.

noch zu blauer stunde
wirbeln worte in messbecher.
hin und her.
hawai, hawai.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Benutzeravatar
Ylvi
Beiträge: 9469
Registriert: 04.03.2006

Beitragvon Ylvi » 24.07.2012, 10:40




am abend erzählten sich die schafe märchen
und da sie keine worte gebrauchten
waren sie wahr


wenn er am morgen nicht auftaucht
pfeift wie der wind den zopf begreift
als ginge es um ihr leben geht sie
die wendeltreppe (eine solide aus stein)
hinunter und der turm scheint
für lange zeit kein ende zu nehmen
(jede scharte nur ihre aussicht
seine fehlt) sie folgt dem faden
der ihr aus den händen rollte
(selbstgesponnene schäfchenwolle)
und wickelt ihn wieder auf
das knäuel wächst mit jedem schritt
manchmal verhakt er sich (der faden)
an einer stufe und reißt - sie hält inne
aber was da zieht (im innern) so wundersam
das bleibt - so nimmt sie ihn wieder auf
und es braucht nur ein paar windungen
bis die enden wie grinsende gnome verschwinden

man meint man fällt (er und sie) in ein loch
wenn sie sich nicht sehen (da zückt man
erdige farben) aber je näher man kommt
desto weiter dehnen sich ihre landschaften
wälder (lichte tannengründe) weinberge weiden
mit weißem fell um stacheldrahtspitzen
berge in der mitte das meer (in gedanken) ein see
ein gewaschener himmel ein lachen
aus einem haus am rand
ein hund der bellt

man (sie und er) könnten sagen:
es geht uns gut

und wie die schafe sich erzählen
liegt auf der türschwelle
immer ein knäuel liebe

und der hirte spielt dazu schief
ziehharmonika

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 24.07.2012, 14:21


nachts träumte ich mir märchen
von fernen ländern
fremden leben
kleinen wundern
großen hoffnungen
anderen zeiten
bunten visionen
vom fliegen in die weite

träumte so viele träume
die summe aller träume ist in mir
lebe ein leben voller träume
so lebe ich viele märchen in mir

Nifl
Beiträge: 3900
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 24.07.2012, 21:37

Im Sommerloch scheint die Sonne

mein Pulli wurde aufgeribbelt
zu einem festen Knäuel ohne Banderole
hab ihn immer bei mir
werfe ihn auch manchmal aus
tue dann so als sei es ein Seemannspulli gewesen
einer der nur einmal lieben kann
danach stumm den Horizont vermisst

Und dann hängen doch tote Fische dran
(wenn ein Knäuel das Weite sucht)
(also niemals einholen)(niemals)
(lieber kappen)
(für immer kappen)
(nur so käme man je aus der Klammer raus)
(sagt der Seemann)(ohne Pulli)(im Sommerloch)

Der andere bohrt einen Finger rein
spielt mit den Katzen
lässt sich den Bauch küssen
(von der Sonne im Sommerloch)

Ein neuer Pulli
nein ein neuer Pulli nicht
vielleicht ein Paar Socken
für die Weihnachtsfrau in den USA
und für einen warmen Fingerhut in der Liebelei

zu mehr tauge ich nicht
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Niko

Beitragvon Niko » 24.07.2012, 22:17

was ich nicht verstehe
sind gutschriften und bonuspunkte
besorgte konserven
schert es nicht
sie kennen nur ein leben ohne

was ich verstehe
ist was ich glaube
und das ist nicht wenig
aber wer versteht schon
das einem wichtiger ist
was man glaubt

ich versteh´s ja selbst kaum

Benutzeravatar
Ylvi
Beiträge: 9469
Registriert: 04.03.2006

Beitragvon Ylvi » 25.07.2012, 11:14


Schuhe4.jpg


sie kennt nur ein leben ohne
und eine spielte mit zappelnden fischen
auf seinem teppichboden



etwas hatte sich eingeschlichen
wie eine angefütterte katze (dreifarbig)
die über nacht in den klang
seiner worte streunte
und ergraute

da wusste sie es (es
das ist ein neutrum
das macht keine sorgen
bis es etwas mit seinen
stumpfen zähnen
zermalmt) wieder
bevor er es sagte
sah sie den steinbeißer
in der unendlichen geschichte
weinen

und dann steht sie am kai
zwischen den blauen tauen
und winkt einem seemann nach
den sie nie gehalten hat

und dann schreitet sie
die hafenstraße hinauf
im gegenlicht barfüßig
in seinen viel zu großen stiefeln


Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Niko

Beitragvon Niko » 25.07.2012, 17:17

als müsse man worte zusammenhalten
ihren inhalt umfassen
wenn sie von den lippen fliehen wollen
doch was auf der zunge brennt
ist im hirn schon vertrocknet

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 25.07.2012, 17:31


als müsse man sie einbrennen
die guten nachrichten
sie über die schlechten legen
ohne pauspapier
mit festem urkleber
aus dem hirn rausbrennen
bevor hiob auch nur
an die nächste botschaft denkt

Nifl
Beiträge: 3900
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 25.07.2012, 20:13

Du Musekantin

die Stiefel lagen doch
wo der Pfeffer wächst
wie hast du sie gefunden?

Und die Leiter kenne ich
auf der bin ich geboren
da ging ich hinaufherab

Oben ist der Sprungturm (ein Phallussymbol)
von dem sprang ich schief
um dir zu gefallen

Wir küssten uns durch Pauspapier
entzündeten lässig die Seesucht
Ahoi Ahoi Ahoi

Unten ist die Falltür (kein Phallussymbol)
durch die sprang ich schief
um dir zu entfallen

Wir kratzten uns durchs Pauspapier
löschten lässig die hohe See
Ioha Ioha Ioha

(warum hast du keinen Stiefel für das Märchen verloren)
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Benutzeravatar
Ylvi
Beiträge: 9469
Registriert: 04.03.2006

Beitragvon Ylvi » 26.07.2012, 10:08



aloha (er ist kein prinz und sie kein märchen)


ich fädle blumen auf
kitschige! bunte! aus papier!
auf einen sicherheitsfaden (schnellreißend!)
mit panikknoten damit allein der gedanke
dich nicht erdrosselt auf dem weg nach sibirien
ist das oben? und unten?
(ein kalter kopffüßler?
obwohl der ofen glüht
steht er auf der leiter?)
ach das ist mist mit zeichen
an denen man sich sticht
ohne einen fingerhut

und wo der pfeffer wächst
(da waren wir lange nicht)
blüht noch immer mein mund
auf deiner stirn (ja leg sie nur in wellen
wie das hawaiianische meer oder die berge des altai
oder lass deine taube auf unter dem mond
und schau ihr nach bis sie verschwindet)
das lass dir gesagt sein spring
doch wie du willst (zur not
wie ein grinsender delfin
oder eine verwunschene kröte)
du entfällst mir nicht im traum
oder leben – wozu brauchst du
einen schuh wenn du ihr gesicht
schon lange kennst


Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste