Einen Blühblock im Mai zu beginnen ist eigentlich ein hoffnungsloses Unterfangen – im Blühmonat schlechthin – es wird nicht möglich sein, die Natur schreibend wieder einzuholen. Flieder blühduftet betäubend, Roßkastanien und Vogelbeere wetteifern um Insekten, der Taschentuchbaum wirft weiße Fetzen herum und der Star unseres Gartens, der Blauregen, krönt wie ein riesiger Springbrunnen einen Wäschepfahl. Am Meisenkasten sind bereits häufige Ein- und Ausflüge zu beobachten, offensichtlich ist der Nachwuchs geschlüpft. Der Zilpzalp zählt und zählt. Wahrscheinlich die Tage, bis sein Nachwuchs sich endlich aus dem Ei geschält hat. Nur wo ist das Nest? Ich habe es noch nicht entdeckt. Dafür weiß ich, dass die Dohle im Schuppenschornstein gebaut hat. Sie denkt allerdings, ich hätte es nicht bemerkt und gibt sich heimlich.
Einer meiner liebsten Blütenbäume hat mich dieses Jahr im Stich gelassen. Was ihm wohl fehlt? Ich habe ihm vor Jahren dieses Gedicht gewidmet:
blühstück
birnbaum dein blühstück
verdient allen bienenapplaus
in löwengezähnte szene setzt du dein kleid
wirfst es premieren-erfahren
auf gräsernen teppichen aus
raffst deine ringe
& stundest zum fruchten die zeit
fenestras blühblog
lenzt’s endlich
heute mehren sich die zeichen
als wären sie vom frost festgezurrt gewesen
und nun durch tauwetter gleichsam
vom tau sich losreißend mit dem schmelz
wasser losbrechend frei geworden
500 wildgänse überm haus
nicht wie winters täglich zum äsen vom
neuen moor westlich der grenze
auf die fetten äcker des hasetals
diesmal vom südwesten her
spät vor mittags
gen nordosten
nur ganz leicht verschoben
die achse die zeit
und heißt doch
abschied nehmen
die heckenbraunelle singsangt entfesselt
(die meisen nimmt niemand ernst
ihr messingsches gepingel tönt bereits
seit wochen zwischen den frostnächten)
die schwarzwangigen feldsperlinge
tragen trockene hälmchen in den kasten
vor tagen erst hob ich
zwei letztjährige nester aus
übereinander gepresst
prall gestopft mit hühnerfedern
laub und stroh
gottlob ohne ein
totes vogelmümchen
mit einem mir unheimlichen eifer
breche ich alte halme von blumenkübeln
reiße an hohlen mohnstängeln
erloschenen laternen und blattskeletten
ein himmelgüägeli ergreift die flucht
(zwei andere hatten im badezimmer überwintert)
aus dem boden steigt – ja: mächtig! –
der humus des erwachenden jahres
meine hände färben sich
duften herb nach mutterkraut und minze
jetzt muss es frühling werden
heute mehren sich die zeichen
als wären sie vom frost festgezurrt gewesen
und nun durch tauwetter gleichsam
vom tau sich losreißend mit dem schmelz
wasser losbrechend frei geworden
500 wildgänse überm haus
nicht wie winters täglich zum äsen vom
neuen moor westlich der grenze
auf die fetten äcker des hasetals
diesmal vom südwesten her
spät vor mittags
gen nordosten
nur ganz leicht verschoben
die achse die zeit
und heißt doch
abschied nehmen
die heckenbraunelle singsangt entfesselt
(die meisen nimmt niemand ernst
ihr messingsches gepingel tönt bereits
seit wochen zwischen den frostnächten)
die schwarzwangigen feldsperlinge
tragen trockene hälmchen in den kasten
vor tagen erst hob ich
zwei letztjährige nester aus
übereinander gepresst
prall gestopft mit hühnerfedern
laub und stroh
gottlob ohne ein
totes vogelmümchen
mit einem mir unheimlichen eifer
breche ich alte halme von blumenkübeln
reiße an hohlen mohnstängeln
erloschenen laternen und blattskeletten
ein himmelgüägeli ergreift die flucht
(zwei andere hatten im badezimmer überwintert)
aus dem boden steigt – ja: mächtig! –
der humus des erwachenden jahres
meine hände färben sich
duften herb nach mutterkraut und minze
jetzt muss es frühling werden
hi fenestra,
das hoffe ich auch inständig, aber noch sind die wiesen schneebedeckt und an den straßenrändern türmt sich ein braunes gemisch von abgeschobenem, das sich beharrlich dagegen wehrt, das feld zu räumen.
aber ich hörs hier auch, wie es erwartungsvoll singsangt.
sehr eindringliche zeilen, da juckts die gärtnerin mächtig in den fingern, besonders im grünen .
liebe grüße, poeta
die heckenbraunelle singsangt entfesselt ...
... jetzt muss es frühling werden
das hoffe ich auch inständig, aber noch sind die wiesen schneebedeckt und an den straßenrändern türmt sich ein braunes gemisch von abgeschobenem, das sich beharrlich dagegen wehrt, das feld zu räumen.
aber ich hörs hier auch, wie es erwartungsvoll singsangt.
sehr eindringliche zeilen, da juckts die gärtnerin mächtig in den fingern, besonders im grünen .
liebe grüße, poeta
Ja, das hab ich auch sehr gern gelesen, fenestra. Erdig, würzig, lebendig ... Frühling, aber nicht versüßt. Und "himmelgüägeli" ist ja ein herrliches Wort! :)
Liebe Grüße
Flora
Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)
Ihr werdet lachen, das "Himmelsgüägeli" kenne ich auch erst seit einer Woche! Bei einer Impro-Theateraufführung fragten die Schauspieler nach jemandem, der von weit her kommt und ein Wort sagen kann, das wahrscheinlich niemand kennt. Das war dann eine Schweizerin mit dem "Himmelsgüägeli". Das Wort hatte es mir sofort angetan. Es bedeutet wörtlich "kleine Himmelsgeige" und nun muss ich bei jedem Siebenpunkt daran denken und habs gleich verarbeitet.
Liebe fenestra,
wie wunderbar beschreibst du die Bereitschaft den Frühling jetzt zu empfangen.
Nicht die Sehnsucht, wie sie von den Romantikern beschrieben ist und doch leuchtet in der letzten Zeile etwas davon auf.
(Bei Emanuel Geibel heißt es: "Es muss doch Frühling werden", bei Eduard Möricke ..."Frühling, ja du bist's dich hab ich vernommen", oder bei Ludwig Uhland "...Nun muss sich alles, alles wenden".)
Du schreibst: Jetzt muss es Frühling werden ... Gebündelt die Sehnsucht im Wörtchen "muss". Aber auch die Gewissheit, befreit von Aberglauben und allzu romantisierenden Vorstellungen, über das was der Frühling mit sich bringt.
Sonntagsgrüße
Gerda
PS ... gestern hatte auch ich schwarze Hände
wie wunderbar beschreibst du die Bereitschaft den Frühling jetzt zu empfangen.
Nicht die Sehnsucht, wie sie von den Romantikern beschrieben ist und doch leuchtet in der letzten Zeile etwas davon auf.
(Bei Emanuel Geibel heißt es: "Es muss doch Frühling werden", bei Eduard Möricke ..."Frühling, ja du bist's dich hab ich vernommen", oder bei Ludwig Uhland "...Nun muss sich alles, alles wenden".)
Du schreibst: Jetzt muss es Frühling werden ... Gebündelt die Sehnsucht im Wörtchen "muss". Aber auch die Gewissheit, befreit von Aberglauben und allzu romantisierenden Vorstellungen, über das was der Frühling mit sich bringt.
Sonntagsgrüße
Gerda
PS ... gestern hatte auch ich schwarze Hände
Liebe Gerda, danke für den Exkurs in die Romantik - mir war gar nicht bewusst, dass der Text durch die letzte Zeile tatsächlich noch daran anknüpft. Es sind eben immer dieselben Sehnsüchte der Dichter!
Noch haben wir sie, diese Gewissheit. Die Tage werden länger, die Vögel bauen Nester und hoffen auf Insekten. Aber was, wenn die Frühlingsmilde sich immer weniger einstellen will und von Wetterextremen zunehmend zerschossen wird (wie im bedrückenden, fast hellseherischen Roman von T.C.Boyle, Freunde der Erde)?
Nein, aber daran habe ich beim Verfassen dieses Textes wirklich nicht gedacht, sondern war eben voller Tatendrang, genauso, wie es rüber kam, liebe Gabi.
Diesmal noch. Muss es Frühling werden!
Gewissheit, befreit von Aberglauben und allzu romantisierenden Vorstellungen, über das was der Frühling mit sich bringt
Noch haben wir sie, diese Gewissheit. Die Tage werden länger, die Vögel bauen Nester und hoffen auf Insekten. Aber was, wenn die Frühlingsmilde sich immer weniger einstellen will und von Wetterextremen zunehmend zerschossen wird (wie im bedrückenden, fast hellseherischen Roman von T.C.Boyle, Freunde der Erde)?
Nein, aber daran habe ich beim Verfassen dieses Textes wirklich nicht gedacht, sondern war eben voller Tatendrang, genauso, wie es rüber kam, liebe Gabi.
Diesmal noch. Muss es Frühling werden!
schlehentanz
die schlehen sehen aus wie haufen schneen
sie türmen sich an wegen und sie gehen
mit wurzelbruten hoch an deinen wänden
umwuchern dich mit ihren dornenhänden
die schlehen wollen doch nur mit dir gehen
sie locken bienen die auf sowas stehen
mit ultravioletten strahlenkranzen
und wollen zu walpurgis mit dir zu tanzen
die schlehen sehen aus wie haufen schaumen
sie blühen dieses jahr noch nach den pflaumen
die zweige sind so schwarz wie ebenholzen
dein blut gerinnt im schnee der bald geschmolzen
die schlehen sehen aus wie haufen schneen
sie türmen sich an wegen und sie gehen
mit wurzelbruten hoch an deinen wänden
umwuchern dich mit ihren dornenhänden
die schlehen wollen doch nur mit dir gehen
sie locken bienen die auf sowas stehen
mit ultravioletten strahlenkranzen
und wollen zu walpurgis mit dir zu tanzen
die schlehen sehen aus wie haufen schaumen
sie blühen dieses jahr noch nach den pflaumen
die zweige sind so schwarz wie ebenholzen
dein blut gerinnt im schnee der bald geschmolzen
Liebe Gerda, vielen Dank! Ich habe über Nacht an dem Text noch weiter gearbeitet und werde eine neue Version ins Forum stellen (aber nicht hierher, im Blog soll man ja nicht so herumkritzeln und Textarbeit machen). Vielleicht gefallen dir die Änderungen ja ebenso.
mittsommermezzo
rosunder rosander
so wild umeinander
rosolden doldetten
da fließt in den betten
rosecco halbtrocken
auf blütenschneeflocken
holunse holause
die sommernachtssause
ein schmaugen und sirren
ein rindenverirren
liebrosend verweht
das holundachtsgebet
rosindel die lunder
gehn drüber und drunter
verduften betäuben
die die sie bestäuben
verschwenden verzocken
die blütenschneeflocken
holonner holüste
wer immer sie küsste
sie wanken entblättert
die kelche zerschmettert
zum welken gebracht
in rosunderner nacht
rosunder rosander
so wild umeinander
rosolden doldetten
da fließt in den betten
rosecco halbtrocken
auf blütenschneeflocken
holunse holause
die sommernachtssause
ein schmaugen und sirren
ein rindenverirren
liebrosend verweht
das holundachtsgebet
rosindel die lunder
gehn drüber und drunter
verduften betäuben
die die sie bestäuben
verschwenden verzocken
die blütenschneeflocken
holonner holüste
wer immer sie küsste
sie wanken entblättert
die kelche zerschmettert
zum welken gebracht
in rosunderner nacht
Herrlich lautmalerisch, Fenestra! Und trotz der Sprachfröhlichkeit kann es am Ende vom Düsteren und Zerstörerischen erzählen. Meine einzige Stolperstelle ist hier:
Rosindel die Lunder ist für mich Einzahl, dass es mit Mehrzahl weitergeht klingt dann jedes mal wieder seltsam?
Eine Rosindel mehrere Rosindeln? Eine Lunder mehrere Lundern? :o))
Liebe Grüße
Flora
rosindel die lunder
gehn drüber und drunter
Rosindel die Lunder ist für mich Einzahl, dass es mit Mehrzahl weitergeht klingt dann jedes mal wieder seltsam?
Eine Rosindel mehrere Rosindeln? Eine Lunder mehrere Lundern? :o))
Würde in einem Gedicht nicht ein "die" ausreichen?die die sie bestäuben
Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)
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