Die Zwillingsbrüder

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Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 06.04.2013, 20:12

Feuer, Wasser, Erde und Luft

Mutter Erde, von ihren Söhnen über Jahrtausende hinweg betrogen und belogen, erfuhr den wahren Zustand der Dinge erst, als sie selbst den zunehmenden Verlust gewisser kostbarer und notwendiger Substanzen verspürte.

Aus ihrem Innern wurden jene Erze, an denen, wie bei allen Kindern der Sonne, ihr magnetisches Feld gehangen hatte, mit rücksichtsloser Sorgfalt, unter Zuhilfenahme immer feinerer Extraktionsroboter herausgeschält. Bei ihrem viel zu spät erfolgten Kontrollgang, sah sie miAbscheu, wie spinnenartige Aluminiummännchen sich über die Wandflächen der fast bis zuletzt im Verborgenen gebliebenen Herzblasen des Innern verteilten.

Daraufhin hatte Erde ihre Töchter und Söhne herbeigerufen. Ihr schien, sie könne sich auf ihre Stärke verlassen, wie eh und je. Denn Feuer, der Angriffslustigste unter ihnen unterließ keinen Versuch und kämpfte mannhaft. Er schüttelte aus seinen zahlreichen Öffnungen hasserfüllte Flammen, zog sich rechtzeitig in seine unterirdischen Schmelzfelder zurück, nährte sich von Mutters Mangetvorräten und genoss so, wie in den Jahrtausenden zuvor Siege, die seine Schwester Luft erschauern ließen, denn ihr war kein Rückzug möglich und der Anblick verkohlter Feinde blieb ihr nicht erspart. Feuer hingegen, der Wildeste aller Wilden, verspürte reine Genugtuung. Und mehr, von dem seine Mutter nichts wusste.

Was Jahrtausende lang von Wasser und Feuer bewahrt und beschützt wurde, war dann zum letzten Zankapfel der beiden Zwillingsbrüder geworden. Keiner der mächtigen Erdbewohner, Kinder einer Substanz, Erde und einer Valenz, der Zeit, wollte als bereits Besiegter da stehen. Diese bis zuletzt verborgene Niederlage, die sich hinter den Scharmützeln verbarg, mit denen Erde getäuscht wurde, konnte der Mutter nicht ewig verheimlicht werden.

Denn schon hatte sich Feuer in Windungen aus Betonstahl eingeschlossen gefühlt und er musste zusehen, wie aus seiner Mitte heraus ein mächtiges schwarzes Kabel wuchs. Fast ein Jahrtausend lang war es ihm gelungen, von den Machenschaften jener Tiere, wie er die Menschen nannte, seiner Mutter nichts zu berichten. Feuer übte sich im Zerstören aller Stoffe und rieb sich die Lippen wund an Substanzen, die abartig und fremd weder den Flammen noch der ihm entströmenden, höchsten Hitze Widerstand leisteten. Die Saugnäpfe, die an seiner Leibesmitte hingen, hatten dic Tiere an sein glimmendes Herzen vernetzt, bevor er es begriff. So gelähmt, ja, nicht nur gelähmt, so seines Feuers entleert, stieg er zum Bruder empor.

Wasser, den man lange in der Familie den großen Vertilger genannt hate, betrachtete die Ankunft des Bruders von seiner größten Welle aus, von der großen Tsunami, die ihm stets diente, wenn ihm ein Bauwerk der Zwerge, wie er sie nannte, zu mächtig wurde. Wasser war stets kühler und kühner gewesen als Feuer. Wasser, in den sich alle in der Annahme stürzten, er trüge sie, war in Wirklichkeit der große Betrüger.

Er ritt lächelnd auf dem Kamm der Welle und ließ sich von der Gischt mehrmals erfrischen. Aber auch er wusste, was die Stunde geschlagen hatte, denn auch er hatte vergebens gekämpft. Auf seinen Schwimmbeinen wuchsen übelriechende Farne, die ihn austrockneten und umschlangen.

Doch die Brüder waren stolz. Sie spielten sich noch einmal die Herrschaft vor, die sie nicht mehr besaßen. Wie damals, als sie ihre jungen Kräfte aneinander maßen, ließen sie sich fallen und sprangen auf Kommando hoch und jeder für sich, zerstörten sie kilomterweit zubetonniertes Küstenland.

Doch schon erhob sich in der Luft eine Heerschar winziger weißer Teufel. Einige kreuzten die Flammen und löschten diese. Andere ließen sich auf Wasserläufe fallen, zerteilten diese und gruben in Windeseile Kanäle, in die sich beide, Ströme und Flammenstreifen verloren, um eingeschlossen, isoliert und geknebelt zu werden.

Schwester Luft eilte nun herbei und brachte ihren Brüdern Hilfe. Dem einen lieferte sie den erforderlichen Sauerstoff, und dem andern Schub- und Bauschkraft, was die Wasserläufe zu unzähmbaren Strahlen machte. Sie jagte von einem zum andern, schmiegte sich in die Arme der Brüder, teils vor Hitze fauchend, teils in der feuchten Kühle zum Erstarren bereit. So gelang es den drei Kindern der Erde sich ein letztes Mal vor der Habsucht und Undankbarkeit der Menschenkinder zu retten.

Erde berief eine Konferenz ein, zu der Vertreter der neuen Bewohner hinzugebeten wurden. Erde und ihre Kinder befleißigten sich pädagogisch geschickt auf die Feinde, so nannte sie ihre Tochter Luft, einzuwirken, und fast schien ihr, als habe sie diese kleinen unruhigen, emsigen Wesen überzeugt.

Doch sie brauchte nur hinzuhören, was diese in ihrer hastigen Sprache einander zuriefen: von neuen Raketen war die Rede, von Wasser und Substanzaustausch, von radikaler Erneuerung, vom verlorenen Vertrauen. Davon, dass Erde sich von den Kleinen abgewandt habe. Erde folgte den Debatten der Kleinen. Sie wollte erfahren, was diese sich ausgedacht hatten.

Wir müssen uns entfernen und Mond aufsuchen. Auf Mond wird es uns besser ergehen. Nur Luft müssen wir fangen und verstauen und aussetzen. Gesagt, getan. Das gesschäftige Völkchen hatte in bewundernswerter Zusammenarbeit sich selbst und seine Besitze miniaturisiert und in bereitstehende Ladebäuche eingepfercht. In jedes dieser fliegenden Bauchtiere waren Behälter eingebaut, deren Bestimmung es war, sich beim Abflug von Luft anzufüllen, bis diese ihnen ausreichte für den langen Siedlerflug.

Erde sah und verstand dies alles. Sie setzte sich nicht mehr zur Wehr, denn sie war alt und schwach und der Kriege müde. Luft wird es überstehen, dachte sie und schlief ein. Vor den gelähmten Armen der Zwillingsbrüder versammelten sich aber- und abertausende der Bauchvögel, füllten sich und flogen ins Weite.
Zum Schluss war Erde endlich still und und ihre beiden Söhne, die Zwillingsbrüder entschlafen.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 09.04.2013, 05:38

Eine Gutenacht Geschichte für Erwachsene.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 09.04.2013, 05:55

Eine Gutenachtgeschichte für Erwachsene.

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 09.04.2013, 10:09

mmmh :pfeifen:

eine Geschichte zum EInschlafen? ;) :rolleyes:

danke für den Hinweis, ich dachte schon die ganze Zeit, warum dieses Schweigen. Eigentlich müsste man, wenn man ehrlich mit sich selber ist, eine solche Geschichte gleich streichen ...


Trotzdem hänge ich an ein paar Bildern. An der Idee, Dass Feuer und Wasser Zwillinge sind. Sie passen auch zu amerikanischen Comics ... aber das Schweigen hier hat die Dinge schon richtig erkannt ...



ja, mit der Geschichte stimmt etwas nicht.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 09.04.2013, 12:59

Das habe ich nicht gemeint, Renée.

Ich las sehr aufmerksam, entdeckte zwei, drei Minifehler, und dann lehnte ich mich zurück und versuchte, mein Gefühl zu beschreiben, was nie klappt.

Wie gesagt, ich musste nicht zwei oder dreimal lesen, um zu verstehen, die Geschichte ist sehr logisch aufgebaut, es gibt keine Widersprüche.

Ich hätte schreiben können: "Eine schöne Geschichte ..."aber hinter dem Wort "schone" hätte sich eine eher negative Wertung versteckt.

Mehr als Erzählung ist es lyrische Prosa.

Verzeih bitte mir den Gebrauch des Wortes "Gutenacht" Geschichte. Es lag vielleicht daran, dass ich selbst schlaflos war.


Herzlichen Gruß,

Carlos


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