Zitalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Mucki
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Beitragvon Mucki » 01.12.2013, 00:04


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Zitat - Text - Zitat - Text - Zitat - Inspiration durch Zitate - Lyrik - Prosa - Zitat als Angelpunkt -
Lieblingszitate mit eigenem Leben füllen - neues Zitat als Inspiration weitergeben



Im Zitalog könnt ihr euren Gedanken - inspiriert durch ein Zitat - lyrisch und prosaisch freien Lauf lassen. Zitalog ist kooperatives Schreiben, Texte, Gedichte, die das Zitat des Vorschreibers aufgreifen. Hierdurch entstehen unkommentierte Textfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen, Lyrik, z.B. ob gereimt oder ungereimt, Prosa, kurz oder lang, ganz wie ihr es möchtet.

Alles beginnt mit einem Zitat, dessen Autor ihr in Klammern dahintersetzt. Darauf folgt ein Text, Lyrik oder Prosa. Am Ende setzt der Schreiber ein neues Zitat mit Autor des Zitates in Klammern dahinter. Der nächste Schreiber beginnt mit dem letzten Zitat des Vorgängers.


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Lieblingszitate mit eigenem Leben füllen - neues Zitat als Inspiration weitergeben

ecb

Beitragvon ecb » 21.12.2013, 11:06

Wer es dahin gebracht hat, dem eigenen Leben zuschauen zu können, ist den Leiden des Lebens entronnen. (Oscar Wilde)


Außen vor


Zum ersten Mal wieder draußen sitzen können
vor dem Café und dem Treiben zuschauen,
den Vorbeigehenden, dem fahrenden Verkehr,
her und hin, hin und her.
Die Stadt scheint vollzählig auf den Beinen
oder auf den Rädern am Bahnhof gegenüber,
den Bussen, den Wagen auf der Straße davor,
auf der irgendwie notwendigen Wanderung
von einem Ende zum andern und
in umgekehrter Richtung. Endlos
lasse ich all dies an mir vorbei,
die für einen Moment beiseite getreten
und sich hingesetzt hat vor ein Glas Caffe latte
und Lärm und Rauschen und Rollen genießt.
Der dicke Milchschaum ist wie ein sanfter Kuß,
der Tag ist schön, der erste schöne Tag,
doch ich sitze hier auch, weil jemand angerufen hat,
und ich dran denken muß, was sie gesagt,
und der kleine Block und ein Stift liegen da,
denn es dauerte etwas, bis ich halbwegs verstand.
Den beiden gehts gut, zurück aus Amerika,
schon lange fertigstudiert, beide weit über dreißig,
und nun studieren sie noch einmal, Kunst diesmal,
und Mutter geht putzen und bezahlt
und macht sich tot, und sie dürfen nichts wissen
von den Herzanfällen und der Woche Krankenhaus,
ich mußte es versprechen. Das nennt man dann
Kindesliebe – oder so, das sind
tiefe Gewässer aus Bedingungslosigkeit,
aus Opfermut, aus Opferlust sogar.
Und so sitze ich hier und schreib es auf, auf meine Art,
weil ich nichts anderes kann, und was immer das soll.


"Denn alles, was geschieht, kann zur Geschichte werden und zum Schönen Gespräch, und leicht kann es sein, daß wir in einer Geschichte sind." (Thomas Mann)

Niko

Beitragvon Niko » 22.12.2013, 09:05

"Denn alles, was geschieht, kann zur Geschichte werden und zum Schönen Gespräch, und leicht kann es sein, daß wir in einer Geschichte sind." (Thomas Mann)


die schöne war ein biest
aladdin ein rattenfänger
nicht nur in hameln
gibt es immer wieder
aschenputtel überall auf der welt
hasen und igel
hässliche entlein und einen froschkönig

solange dies bestand hat
verwünschung happy end
die 7 und die 13
sind die reisen schwierig
das jüngste kind bleibt das beste
und der spiegel
plaudert geheimnisse aus




Hat ein des Rechnens unkundiger Mensch, wenn er ein vierblättriges Kleeblatt gefunden hat, kein Recht, glücklich zu sein?
Stanislaw Jerzy Lec

pjesma

Beitragvon pjesma » 29.12.2013, 10:23

Hat ein des Rechnens unkundiger Mensch, wenn er ein vierblättriges Kleeblatt gefunden hat, kein Recht, glücklich zu sein?
Stanislaw Jerzy Lec



komm
lass uns das jahr
ablegen
das erwartete
feuerwerk
blieb aus
dennoch aßen wir
vom guten
brot
und träumten
im weichen
bett
täglich
wachten wir auf
und liefen
umher
auf eigenen
beinen
mehr gab es nicht
als genug,
was ein glück


"Träume sind manchmal der reine Quatsch", Alice Munro

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 14.01.2014, 08:50



Träume sind manchmal der reine Quatsch. Alice Munro


ungelichgewichte (eine traumverschiebung) rein
ein wort wie der letzte ton eines liedes
streicht er ihnen durchs haar - ich bin ganz
bei dir - in ihr flüstert er - leuchtet das schilf
im licht des murmeltiers bindet er sich
das glöckchen um zittert seine hand
einen schatten auf schlafende
knospen
dort will er liegen (leben glühen)
gedankenlos wie ein liebender
ihr blühen unter seiner zunge
spüren wie glücklich sie sind !!!
(ein stein in der wüste)

er denkt
was er nie wollte (vergleiche
die sich in den schwanz beißen
zwanghaft) verflucht
sei die fähigkeit auf drei zu zählen
und das traurige wissen
mit jedem atemzug
halst er sich federn auf
(der teer der märchen)

das leichte zieht ihn
in den spalt

sie schauen ihn an
die beiden geliebten
seiten seiner geschichte
greinen wie ein entgleisender
zug

und der stempel auf seiner stirn
grinst

er weiß nicht mehr wohin
sortiert gummibärchen und scherben
nach farben für den kormoran


Einmal, so erzählten die Alten, verschwand ein Papierschiffchen flussabwärts. Meir Shalev

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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nera
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Beitragvon nera » 14.01.2014, 23:20

"Einmal, so erzählten die Alten, verschwand ein Papierschiffchen flussabwärts. Meir Shalev"

eine andere seite flog zu den sternen und landete im kahlen geäst der nachbarskirsche.
seite für seite verlor sich das buch in den folgenden monaten, zerfledderte zu geheimnisvollen botschaften, abrissen, halben sätzen und zerfiel in buchstaben, die zusammenhangslos starben. und wenn sie jemand las, wunderte er sich: auf der seite 43, eine e markiert? warum? eine seite nur diente einem krähenpaar zum nestbau und löste sich mit dem flüggewerde des nachwuchses in wohlgefallen auf.

deinen buchliebesbrief- ich habe ihn nie zu ende gelesen.

"soviele gestirne, die
man uns hinhält. ich war,
als ich dich ansah- wann-?
draußen bei
den anderen welten."
p. celan

ecb

Beitragvon ecb » 04.02.2014, 08:25

"soviele gestirne, die
man uns hinhält. ich war,
als ich dich ansah- wann-?
draußen bei
den anderen welten."
p. celan


zwei sterne
wie sie sich umkreisen
einer
in des anderen schatten
und licht
und suchen sich
wärme



"Alles, worauf es in Wahrheit ankommt, ist Selbstzweck, das heißt unnütz und unverzichtbar zugleich."
Hilde Domin

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.02.2014, 16:18

"Alles, worauf es in Wahrheit ankommt, ist Selbstzweck, das heißt unnütz und unverzichtbar zugleich."
(Hilde Domin)

hypohyperchondrisches

wissen|will ich nicht|will ich doch|mehr mehr mehr|quellen schürfen|tief|noch tiefer|drückt|bedrückt|nichts ranlassen|gier wächst|hyper was|hypo wie|aufsaugen|kein tangieren|oder doch|da geht noch was|da geht noch mehr|hirn platzt|vor gierde|wie es mich belastet|ich halt das aus|goldgräberrausch|graben graben|wie es mich lehrt| was es mich kostet|wofür steht was|warum|wieso|weshalb|abgründe|ekel|fetzen|bilder|und blut|es zehrt|und leert|ich kann nicht anders|








"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar" (Ingeborg Bachmann)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 21.03.2014, 20:18



Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Ingeborg Bachmann


du siehst eine frau
an einem tisch
versunken
den mann

sie liebt den schwindel
seiner augen

er geht ihr nach
sie geht ihm nach
und man weiß nicht
wie das gehen soll

nur dass etwas aufgehoben wurde

und noch haben sie nicht einmal
über die farbe der bäume
bei nacht gesprochen


Die Wirklichkeit ist der Schatten des Wortes. Bruno Schulz

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 22.03.2014, 11:14

Die Wirklichkeit ist der Schatten des Wortes. Bruno Schulz

unsere begegnung
umschattet von worten
dein gesicht
abseits dessen was
gesagt werden kann
jeder ausdruck
hinterlässt wunden
erleuchtungen
flackernde flammen
vom schatten
ins licht

„Wenn man die Vergangenheit nicht ordentlich erzieht,
wird sie rachsüchtig ab ihrer Pubertät “ István Kemény

Ada
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Beitragvon Ada » 12.04.2014, 17:45

Wer es dahin gebracht hat, dem eigenen Leben zuschauen zu können, ist den Leiden des Lebens entronnen. (Oscar Wilde)

Eine lachende Frau läuft durch die Wellen auf den Strand, auf mich zu. Ihr Bikini ist mit großen Punkten verziert, das Unterteil ungewohnt hoch, beinahe züchtig. Ihr Haar ist zu einem wippenden Pferdeschwanz gebunden. Ihre nasse Haut glänzt. So hat er sie damals gefilmt. So kann ich sie immer wieder aus dem Wasser laufen lassen. Schwarz-weiß mit Gelbstich. Die Super-8 hat das Bild festgehalten, nicht den Ton. Aber ich weiß, dass sie ihn beim Namen gerufen hat, als sie auf ihn zukam.

Manchmal wird mir, was einmal Sprache war, bloß zum nackten Geräusch. Dann versuche ich, mir meine Geschichte oder zumindest Teile davon in Geräuschen zu erzählen, die unhörbar bleiben für die Ohren von Luftweltlern und natürlich auch unverständlich gemäß jeder Logik, der mein Leben einmal folgte. (Christoph Ransmayr, aus Damen und Herren unter Wasser)

jondoy
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Beitragvon jondoy » 22.04.2014, 21:41

...in Unterwasserspiegelschrift...
Manchmal wird mir, was einmal nacktes Geräusch war, bloß zur Sprache.
Dann versuche ich, mir meine Geräusche oder zumindest Teile davon in kleine Geschichten aufzulösen, die im Wasser blubbern, wenn ich sie in die Ohren von Sprachweltlern stecke, unverdaubar bleiben für die Gemeinde von Wortgläubigen, so unnatürlich verständlich, bar jeder Absicht, dass ich sie vor langer Zeit schon mal in einer kleinen Höhle leben und als Drachen auftreten lassen wollte, die an Rauchvergiftung sterben und danach gepflegt gesund werden wollten...
(Christoph Ransmayr, aus Damen und Herren unter Wasser)


Ich freue mich so sehr, dass auf dem Glas Honig jetzt "Natürlich" draufstehen darf, auch wenn er aus genmanipulierten Blüten stammt. Ich bin so froh und dankbar, dass der Staat mir endlich zutraut, dass ich nicht denken kann.


"Das eigentliche Dilemma...ist der Verlust der Illusionen, die der Welt eine solche Farbigkeit verleihen, dass es einem gleichgültig ist, ob etwas richtig oder falsch ist, solange man nur an diesem wunderbaren Zauber teilhaben kann."Francis Scott Fitzgerald

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.04.2014, 19:45

"Das eigentliche Dilemma...ist der Verlust der Illusionen, die der Welt eine solche Farbigkeit verleihen, dass es einem gleichgültig ist, ob etwas richtig oder falsch ist, solange man nur an diesem wunderbaren Zauber teilhaben kann."
(Francis Scott Fitzgerald)


Die Schaukel

Knallrot war sie angestrichen und wackelte an den Verankerungen. Das hat Papa nie bemerkt. Beim Wippen quietschte es und der Rost blätterte langsam zum Boden. Doch das störte mich nicht. Kräftig Schwung nehmen und auf in den Himmel. Höher, immer höher. Einmal, nur einmal wollte ich einen Überschlag schaffen. An Knochenbrüche oder Schlimmeres dachte ich dabei nicht. Ich hatte viel größere Angst, dass meine Eltern mich beim Überschlag erwischen würden.
Also schlich ich mich nachts in den Garten. Kühl war es, doch ich fieberte meinem Moment entgegen. Heute würde ich es schaffen. Ich wusste es einfach. Wenn es dunkel ist, hört man besser. Quietsch, quietsch. Und man fühlt viel intensiver, wie der Wind einen trägt. Wie sich der Magen fast umdreht, wenn man oben kopfüber fast in der Senkrechten steht. Komm, ein kleines Stückchen weiter! Ein Windstoß schenkte mir den Triumph. Endlich!
Die Schaukel trudelte aus, ich schlich mit klopfendem Herzen schnell ins Haus, hielt mir die Hand auf die Brust, damit meine Eltern es nicht hörten. Da standen beide, die Hände in die Hüften gestemmt. Ich hatte vergessen, meinen Jubelschrei zu unterdrücken.
Die Schaukel war am nächsten Tag nicht mehr da. Egal, ich hatte meinen Moment.






Wer glaubt, kann keine Wunder erleben. Bei Tag sieht man keine Sterne.
(Franz Kafka)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 18.10.2014, 08:42



Wer glaubt, kann keine Wunder erleben. Bei Tag sieht man keine Sterne. (Franz Kafka)

und der blick in den himmel entlarvt
auch die schönheit dieses satzes
als schwindel trägt sie in sich
das ewige hingezogensein
zur dunkelheit wächst der glaube
am warten entzünde sich
der tag wie ein wunder
wird er geheilt

Er wusste nicht, wie er leben sollte, er hatte nie gelernt, die Schatten zu unterscheiden. (Marica Bodrožić)

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 14.03.2015, 22:49



Er wusste nicht, wie er leben sollte, er hatte nie gelernt, die Schatten zu unterscheiden. (Marica Bodrožić)

er legte das ohr an die luft
als könnte er sich dort anlehnen
als würde sie ihn aufnehmen
bei nacht dachte er
so spielten die worte mit ihm
ein schattentheater die frau
ahmte ihre formen nach und bewegte sich
schlafwandlerisch in ihrer mitte lag der klang
wie ein neugeborenes kätzchen
mit geschlossenen augen
schau nur
ob es atmet?

Ich drückte ihre Hand fester, um ihr zu helfen, sich nicht zu vergessen. (Göran Tunström)

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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