Spaßvogel

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Sigrine

Beitragvon Sigrine » 27.03.2014, 20:11

Spaßvogel

Manchmal lacht es sich
gut mit dir.
Manchmal sehe ich
meinem Gelächter zu,
wie es an den Klippen
der Mitmenschlichkeit
zerschellt.
Jeder Satz ein Spaß.
Zum Totlachen.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 28.03.2014, 08:40

Hallo Sigrine,

erst einmal herzlich Willkommen im Salon. :)

Manchmal lacht es sich
gut mit dir.
Manchmal sehe ich
meinem Gelächter zu,
wie es an den Klippen
zerschellt.


Das könnte für mich auch gut für sich alleine stehen (auch ohne Titel), finde ich sehr gelungen.

Die "Mitmenschlichkeit" würde ich streichen, da das aus meiner Sicht zu erklärend ist und das Gedicht zu sehr einschnürt und auch klanglich stört.

Die letzten beiden Zeilen sind mir persönlich zu alltäglich und zu wenig bildhaft, als dass sie wirken könnten, oder einen Nachhall erzeugen. Interessant fände ich, wenn du den Titel bildhafter aufgreifen würdest. Durch die Klippen hättest du ja schon einen schönen Ausgangspunkt für ein Vogelbild. Etwas in diese Richtung z.B.
Jeder Satz ein Küken.
Aus dem Nest gestürzt/gepickt/gefallen.

Aber das würde natürlich auch den Tenor etwas verschieben.

Vielleicht ist noch eine Anregung für dich dabei.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 28.03.2014, 10:00

Hallo Sigrine!

Auf Anhieb gefiel mir dein Gedicht gut. So wird es den meisten Menschen gehen... Und doch, jetzt, nach Floras Bemerkungen, verstehe ich, das es doch noch besser zu machen ist.

"Man soll nicht konkrete und abstrakte Begriffe vermischen", sagt Ezra Pound, der größte Förderer von James Joyce.

"Klippen" ist ein konkreter Begriff, "Menschlichkeit" ein abstrakter.

Es ist unheimlich schwer in der Praxis, sich hundert protzentig an dieser Regel zu halten, es geht wahrscheinlich gar nicht, aber das dichterische Bestreben sollte es anpeilen.

Nicht umsonst behauptet Gottfried Benn, ein Dichter wäre nicht in der Lage, viel mehr als sieben gute Gedichte in seinem Leben zu verfassen.

Wie dem auch sei: Herzlich willkommen!

Carlos
Zuletzt geändert von Klimperer am 28.03.2014, 13:52, insgesamt 1-mal geändert.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 28.03.2014, 13:22

Why not, Ezra?



Ich glaube, "Menschlichkeit" ist ein wichtiger Begriff in diesem Text. Nur, ich würde gerne begreifen, wie er gemeint ist. Wie stehen die Klippen im Raum? Verhindern sie Menschlichkeit? Oder verhindern sie Unmenschlichkeit? Ist das Lachen so groß, dass es schadet? Oder nicht laut genug, um zu schaden? Für Flora scheint es klar. Für mich nicht. Wie ist das gemeint? Aber ich würde an der Idee dranbleiben. Ich würde nur versuchen, die Geometrie unmissverständlicher darzustellen.


"Mitmenschlichkeit" -- für mich kein total abstrakter Begriff; ein bisschen, aber nicht total.

"Klippen der Mitmenschlichkeit" -- für mich kein abstrakter Begriff. Ich sehe eine riesige Wand mit vielen eingemeißelten, gütigen Gesichtern, ähnlich jenen des Mount Rushmore, aber mit "gütigeren" Mimiken.




Ahoy

P.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 28.03.2014, 20:15

....der erste Satz drückt für mich aus, dass da jemand - manchmal - mit einem andern zusammen - wirklich über etwas lachen kann.

Im restlichen Text schwingt jedenfalls ein sehr (selbst-)ironischer Unterton mit.
Diese drei Sätze bilden eine Einheit.
Deswegen kann da unmöglich stehen: "Jeder Satz ein Küken."
Das würde den Sinn total verkehren. Geht in eine völlig andere Richtung, noch dazu in eine völlig abgeschwächte...

Beim ersten Lesen hat mich ebenfalls der Begriff "Mitmenschlichkeit" gestört, vielleicht so ne unbewusste Abwehrhaltung, weil ich da gleich was rührseliges befürchte,

Piotr hat angedeutet, dass vielleicht die Geometrie der Setzung verändert werden sollte.
an den Klippen der Mitmenschlichkeit,
so würde es sich - allein schon durch die Zeilensetzung - etwas anders lesen

"Klippen der Mitmenschlichkeit", auch das ist für mich ein abstrakter Begriff, der zu viel Platz lässt zum Bilderfüllen, als das es mich wirklich berühren könnte, im Text deutet nichts an, was der Auslöser für diese Rückschau-(Selbst-)Ironie gewesen sein könnte,

der Tonfall des Textes zum Ende hin gefällt mir,
da fällt es schwer, noch etwas hinzuzufügen, weil dies den Nachhall liquideren würde.

Trau dich.

jondoy,
namaste

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 28.03.2014, 21:25

(Ich meine die Geometrie zwischen den Klippen und den Personen im Raum. Von welcher Seite der Ethik aus werden die Lacher an die Klippen geworfen: Halten die Klippen die Lacher auf der freundlichen Seite, oder auf der unfreundlichen Seite? Was verhindern die Klippen? Verhindern sie übermäßige Freundlichkeit, oder übermäßige Unfreundlichkeit? Was wird zerschellt? Das Böse oder das Gute?)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 28.03.2014, 23:52

Klimperer hat geschrieben:"Man soll nicht konkrete und abstrakte Begriffe vermischen", sagt Ezra Pound

Mich interessiert immer noch, warum man das nicht tun soll.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 29.03.2014, 00:07

Mich erinnert das an einen Aufsatz, den ich mal über ein Gedicht von Brecht gelesen habe. Das Gedicht lautete (ich zitiere aus dem Kopf): "Den Haien entrann ich, den Tiger erlegte ich, aufgefressen wurde ich von den Wanzen". In einer früheren Fassung soll es "aufgefressen wurde ich von den Mittelmäßigkeiten" geheißen haben.
Da kann man nun trefflich streiten, welcher Effekt besser ankommt: das glasklare, treffende Bild von den Wanzen oder die ÜBerraschung, wenn man mit einem dritten Tier gerechnet hat und dann was ganz anderes kommt.

Nachtgrüße!
Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Sigrine

Beitragvon Sigrine » 29.03.2014, 15:43

Hallo Flora,
vielen Dank für deine Rückmeldung. Es freut mich, dass dich mein Text, oder zumindest Teile davon, angesprochen haben. Was deinen Vorschlag bezüglich der letzten beiden Verse anbelangt, bin ich allerdings jondoys Meinung. Die Aussage des Textes würde dadurch völlig verändert werden.

Herzliche Grüße

Sigrine

Sigrine

Beitragvon Sigrine » 29.03.2014, 15:51

Hallo Klimperer, Pjotr und Zefira,

vielen Dank für eure Rückmeldungen. Mir leuchtet es auch nicht wirklich ein, warum man konkrete und abstrakte Begriffe nicht vermischen sollte. Aber es ist sicher gut, wenn man sich bewusst macht, ob man die einen oder die anderen verwendet und welche Wirkung man damit erzielt. Allerdings finde ich, dass man sich im künstlerischen Schaffen nicht durch irgendwelche stilistischen Regeln einschränken lassen sollte, da die Kunst sonst an der Weiterentwicklung gehindert werden könnte.

Herzliche Grüße

Sigrine

Sigrine

Beitragvon Sigrine » 29.03.2014, 16:10

Lieber Pjotr, lieber jondoy,

herzlichen Dank für eure Rückmeldungen. Die beiden Anfangsverse sollen das ausdrücken, was jondoy geschrieben hat. Das lyrische Ich lacht mitunter gerne gemeinsam mit dem Spaßvogel.
Die Vorstellung von den "Klippen der Mitmenschlichkeit" als Wand mit eingemeißelten Gesichter gefällt mir. In meiner Vorstellung haben die Klippen den Effekt, dass beispielsweise ein schadenfrohes Lachen über einen Scherz auf Kosten anderer, den der Spaßvogel macht, "zerschellt", d.h. dem lyrischen Ich bewusst wird, dass es ein schlechter Scherz war und das Lachen evtl. auch im Halse steckenbleibt.
Der Text soll in knapper Form eine bestimmte Verhaltensweise, nämlich die des "Spaßvogels", in ihrer ambivalenten Art charakterisieren. Menschen, die ihre Bedeutung überwiegend durch das "Klopfen" lustiger Sprüche erlangen, können das Leben durch ihre lustige Art bereichern, so dass man sich gerne "totlacht". Späße entgleiten aber auch schnell und können dann im wörtlichen Sinn zum "Totlachen" sein.

Liebe Grüße

Sigrine

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 29.03.2014, 17:30

Hallo Sigrine,

ja, so erscheint mir die Konstellation recht klar und plausibel. Beim ersten Lesen dachte ich es mir auch so. Beim zweiten Lesen habe ich mir überlegt, ob das womöglich anders gemeint war.


Ahoy

Pjotr

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 06.04.2014, 17:11

Ich denke, Ezra Pound hat Recht, auch wenn ich das nicht aus dem Stehgreif begründen kann.
Aber wie wäre

"wie es an den Klippen
meiner Mitmenschen
zerschellt"
?

Liebe Grüße
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 06.04.2014, 19:02

Hallo Sigrine,

Die Aussage des Textes würde dadurch völlig verändert werden.
Es sollte auch nur illustrieren, was ich damit meine. Vielleicht ließe sich ein Bild finden, dass die Aussage für dich tragen kann.
Späße entgleiten aber auch schnell und können dann im wörtlichen Sinn zum "Totlachen" sein.
Im wörtlichen Sinn? Das finde ich einen guten Ansatz für ein Gedicht, aber genau das funktioniert für mich hier nicht.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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