Von der aufgeschobenen Gegenwärtigkeit

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Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.07.2015, 16:20

Von der aufgeschobenen Gegenwärtigkeit

So sei es umschrieben, ohne gesagt zu sein. So dass ich fühle, wie es zu pochen beginnt und gar nicht weiß, wie mir vor Glück geschieht. Und gar nicht weiß, dass es Glück ist, das geschieht. Und gar nicht weiß, dass es geschieht.

Das ist wohl Glück. Der Moment, in dem Traurigkeit keinen Raum hat, Zweifel fortgeflogen und Gedanken über diesen Moment noch nicht aufgekommen sind. Denn die Tragik meines Glücks ist die Angst, es zu verlieren im Bewusstwerden seiner wahrhaftigen Gegenwärtigkeit.



Aus den Zündelphrasen, leicht abgewandelt.

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birke
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Beitragvon birke » 23.07.2015, 16:56

das hast du sehr trefflich beschrieben, mucki.
ich finde, das trifft es echt genau. :daumen:
und ich würde vielleicht sogar noch weiter gehen und sagen: ("denn die tragik meines glücks...") ist nicht nur die angst davor (...) sondern das wissen darum! (denn glück ist, wenn man es so betrachtet wie du hier, aus meiner sicht einfach flüchtig.) und man erkennt es oft auch erst im nachhinein ... eine echte krux!
liebe grüße
diana
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.07.2015, 17:38

Hallo Diana,

ja, oft erkennt man es erst hinterher. Doch die Tragik, die ich hier meine, ist die, dass ich mir Glücksmomente wirklich kaputt mache, weil ich Angst bekomme, wenn ich mir so richtig bewusst bin: jetzt, in diesem Moment bin ich glücklich, es ist ein Glücksmoment. Sofort schleicht sich diese fiese, wabernde Angst ein und unterwandert das Glückgefühl, so dass es zu schwinden beginnt. Das ist so ver-rückt. Warum ist der Mensch so kompliziert und kann nicht einfach glücklich sein? :blink2:

Liebe Grüße
Mucki

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birke
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Beitragvon birke » 23.07.2015, 17:48

ja, ich weiß, was du meinst...
im moment der bewusstwerdung, wenn man das glück als solches erkennt, ist es schon eigentlich kein ungetrübtes glück mehr,
weil man sofort weiterdenkt (da ist dann diese angst oder auch das wissen um die vergänglichkeit dieses moments). jedenfalls kenne ich das so durchaus auch.
liebe grüße!
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Patrick
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Beitragvon Patrick » 06.08.2015, 16:41

Mucki hat geschrieben:Von der aufgeschobenen Gegenwärtigkeit

So sei es umschrieben, ohne gesagt zu sein. So dass ich fühle, wie es zu pochen beginnt und gar nicht weiß, wie mir vor Glück geschieht. Und gar nicht weiß, dass es Glück ist, das geschieht. Und gar nicht weiß, dass es geschieht.

Das ist wohl Glück. Der Moment, in dem Traurigkeit keinen Raum hat, Zweifel fortgeflogen und Gedanken über diesen Moment noch nicht aufgekommen sind. Denn die Tragik meines Glücks ist die Angst, es zu verlieren im Bewusstwerden seiner wahrhaftigen Gegenwärtigkeit.



Aus den Zündelphrasen, leicht abgewandelt.

Finde ich ein sehr schöner Text. Kurz und dennoch umfasst er ein Thema, über das sicherlich schon die meisten sich den Kopf zerbrochen haben.

Beim ersten Durchlesen habe ich den 1. Satz nicht gleich verstanden. Was ist "es" und wie wird es "umschrieben"? Aber das bezieht sich wohl auf den Titel. Finde ich ein bisschen irritierend. Den Titel einer Arbeit nehme ich ausschliesslich als Info über den Inhalt wahr und nicht als etwas, auf das sich der Text bezieht. Aber ist vielleicht ist das der moderne way to go :)
Viele Grüße

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.08.2015, 17:36

Hallo Patrick,

ich freue mich, dass dir das Textlein gefällt.
Patrick hat geschrieben:Beim ersten Durchlesen habe ich den 1. Satz nicht gleich verstanden. Was ist "es" und wie wird es "umschrieben"? Aber das bezieht sich wohl auf den Titel.

Nein, der Titel steht für sich als Überschrift.
Das "es" bezieht sich auf das, was hier eben nicht genannt, sondern (durch das "zu pochen beginnt") umschrieben wird, nämlich das vor Glück pochende Herz. ,-)

Saludos
Mucki


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