Der glänzende Boden unter dem Kreuz

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Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 22.03.2016, 14:10

Anne hängt am Kreuz ihrer Einsamkeit.

Rechts eine Tochter, links eine Tochter,

zu Füßen ein Mann

und auf der Stirn die Dornenkrone,

gespannt zwischen Zuversicht und Zweifel.

Die Frauen, die den Boden

zu ihren Füßen scheuern,

beachten sie nicht.

Beim Wort Kreuz

denken sie an ihren gekrümmten Rücken,

an den Trost, der darin liegt,

dass die Arbeit ihrer Hände ihre Kinder ernährt.

Sie müssen sich nicht verkaufen.

Nur scheuern, bis der Boden glänzt.

Letzte Zeile: den andere mit Füßen treten" gelöscht. Weil da wirklich eine Wertung drin steckt.
Zuletzt geändert von Xanthippe am 07.04.2016, 16:06, insgesamt 1-mal geändert.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 07.04.2016, 10:18

Zunächst einmal ganz herzlichen Dank für eure sehr weitreichenden Gedanken zum Text. Ich weiß gar nicht, ob es klug ist, etwas dazu zu sagen. Bzw. ob es klug ist die Entstehungsgeschichte des Gedichtes kurz zu umreissen, aber vielleicht ist es interessant für euch. Ich habe mit zwei anderen Frauen versucht zum Thema Passion, Leidensgeschichte Christi, etwas zu machen. Dazu las ich nochmals Anne Sextons Gedichte, insbesondere die aus dem Band "die Jesus Akte", daher stammt die Anne, die also tatsächlich Bildungsbürgerin ist, und in gewisser Weise ihr Leiden stilisiert, die Putzfrauen wiederum stammen aus meiner vorhergehenden Beschäftigung mit Karin Kneffel, insbesondere mit diesem Bild: https://muetzenfalterin.wordpress.com/2 ... kneffel-2/. Ich erlebe diese Frauen nicht als freier, auch nicht als mehr bei sich selbst, nur auf eine ganz andere Art und Weise abhängig und auch auf andere, körperlichere Art, leidend. Ich wollte und will da aber auch gar keine Wertung vornehmen, wie ihr mir gezeigt habt, ist diese Gegenüberstellung weitreichend genug, um einiges an Gedankengängen anzustoßen.
Noch einmal vielen Dank an alle für dieses Gespräch
Xanthippe

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 07.04.2016, 10:50

Im letzten Vers ist doch eine Wertung, und zwar durch das Wort "andere".

Quoth
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Beitragvon Quoth » 07.04.2016, 13:28

Die latente Spannung zwischen den beiden Frauenwelten wird offenkundig, wenn man beobachtet, wie bildungsbürgerliche Damen, die sich so gern selbst bemitleiden, keinerlei Skrupel haben, Frauen aus dem Osten unter Mindestlohn für sich wracken zu lassen, ja, sie kommen sich dabei noch mildtätig vor! :-)
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Klara
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Beitragvon Klara » 07.04.2016, 15:12

Hallo,

für mein Empfinden sendet der Text zu viele Absichten und Wertungen - und macht zu viele Worte.
Bilder würden reichen.

Ich weiß nicht recht, bzw. ich zweifle auch, ob das Kreuz hier als -vielbemühtes - Metaphorico-Religiosi-Historicum reicht. Es hat ja gar keine Bedeutung, keinen Bezug, außer das Leiden, das genausogut ein hinduistisches, muslimsiches oder atheistisches sein könnte.

Wenn hier "bildungsbürgerliche Frauen" an den (Kreuzes-)Pranger gestellt werden sollen, "Anne" als pars pro toto für eine in der Totalen als selbstmitleidig verdammten Gruppe, weiß ich nicht, was das mit Lyrik zu tun haben soll: Es wäre Politik. Und außerdem platt.
Das Kreuz steht für mein Empfinden eher für das Gegenteil: Jeder Mensch ist geliebt, und auch eingebildetes Leiden ist Leiden. Die Heilung von Gelähmten und Blinden steht sinnbildlich dafür, was auch immer in der historischen "Wirklichkeit" davon "wahr" sein mag: Raus aus dem Festgefahrenen. Und es steht, natürlich, für Auferstehung.

Und, pardon, QUoth, aber pauschlierende Aussagen wie "die sich so gerne bemitleiden" gehen mir gegen den Strich, egal, was davor für eine Gesamtgruppe geht. Alles, was die einzelne Menschfrau, den einzelnen Menschen negiert, hat für mich inLyrik und Literatur nur dann etwas zu suchen, wenn es sich selbst als solche Negierung mit-teilt.

Das eine Leid gegen ein anderes auszuspielen, ist m. E. keine gute Idee. Und "Einsamkeit" ist ein starkes Wort, das weh tut, auch wenn die es empfindende Anne in ihrer Selbstbezogenheit das Leid der andren nicht wahrnimmt. Am Kreuz zu hängen ist so eine furchtbare Vorstellung, dass "Bildungsbürgertum" völlig egal ist: Leid ist Leid. Warum sollte das eine Leid mehr wert sein, moralischer sein als das andere? Bzw. existiert der eigene relative Hunger ja auch angesichts totaler Armut und des Verhungerns anderswo. DAS ist es vielleicht, was mich sehr stört: Das moralische Aufwerfen, Werten von Leiden...

Man merkt: Mit diesem Text kann ich aus mehreren Gründen (literaturtheoretischen, persönlichen, politschen, sprachlichen und religiösen) nichts anfangen.

Herzlich
klara

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 07.04.2016, 21:53

Zwar sehe ich es nicht genauso wie Klara, muss aber sagen, dass mir der Text mit den "Spuren", die inzwischen gelegt wurden, nicht mehr so gut gefällt wie am Anfang.
Für mich ist Anne (ja, dass hier ein Eigenname steht, stört mich noch immer) tatsächlich eine Leidende. Und die schrubbenden Frauen leiden auch (aber eben anders). Das eine Leiden mag eher psychisch sein, das andere eher körperlich. Aber "Bildungsbürgertum"??
Was mir ganz gut gefällt: Dass es wirklich Menschen gibt, die meinen, mit glänzenden Fußböden - irgendwie - die Welt retten zu können. Anne hat kapiert, dass das nicht stimmt.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 12.04.2016, 07:23

Liebe Klara,
wenn es in dem Text um die wirkliche Kreuzigung Annes bzw. einer Frau ginge, könnte ich Deine Empörung verstehen. Aber hier geht es für mein Gefühl um etwas ganz anderes, um ein Benutzen des Kreuzes zur Selbstdarstellung. Die christliche Botschaft spielt in dem Text, soweit ich sehe, keinerlei Rolle. Gruß nach Berlin Quoth

Hallo Xanthippe,
wie Du Dir denken kannst, vermisse ich die von Dir gelöschte Zeile. Sie war für mich gleichsam die Pointe des ganzen Textes. Quoth
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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 12.04.2016, 08:50

Hallo Quoth,

es ist wirklich seltsam, wie verschieden verschiedene Menschen denselben Text empfinden können. Für mich ist das Gedicht wirklich viel besser jetzt, ohne die gelöschte erklärende Zeile.

Soll ich jetzt erklären warum?

Quoth
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Beitragvon Quoth » 12.04.2016, 15:44

Ich glaube, das ist nicht nötig, Klimperer. Du hast Die Autorin ja ohnehin schon auf Deiner Seite! :-)
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.04.2016, 20:00

Hallo,

ich finde auch, dass der Text durch die Streichung der letzten Zeile gewonnen hat.


Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

pjesma

Beitragvon pjesma » 22.04.2016, 22:58

das gedicht ist mir irgendwie "faladdisch", ein bisschen. zu trübe, zu tief religiös.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 22.04.2016, 23:03

Wenn mit religiösen Bildern/ Symbolen gearbeitet wird, muss der Text doch nicht religiös sein?

pjesma

Beitragvon pjesma » 22.04.2016, 23:35

religion gibts auch in leichtere version, mm nach.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 23.04.2016, 08:08

ja klar ...

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.04.2016, 20:31

Liebe pjesma,

meinst du mit zu "tief religös" und "religion gibts auch in leichtere version, mm nach" die Mächtigkeit/Wirkungsart der Bilder? Oder etwas anderes?

Viele Grüße
Lisa
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