WORT DER WOCHE ~ Sinn ~

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 22.04.2016, 23:02

WORT DER WOCHE

- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -


~ Sinn ~
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Niko

Beitragvon Niko » 23.04.2016, 01:02

tragweitenvergessen
der sinn haftet sich
an lose gedanken
strömt unter die rinde
ausgewachsener wortbrüche
und besinnt sich
worauf auch immer


.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 23.04.2016, 01:24

Es gab mal hier in Osthessen eine winzigkleine Zeitschrift für Hobbyliteraten, ich weiß nicht mal mehr, wie sie hieß. Zwei Ausgaben habe ich gekauft, dann ging sie ein. In der zweiten Ausgabe war ein langes Gedicht zum Thema Heimat, in hessischer Mundart. Es ist schwer zu beschreiben: es begann mit den Worten "de Holunder lass ich euch" oder so ähnlich und handelte von dem Verkauf eines geerbten Schrebergartens, in tief wehmütigem Ton.

Ich fand das Gedicht bezaubernd und habe das an die Zeitschriftenredaktion (ich kannte den Redakteur persönlich) so weitergegeben.

Nach zwei Wochen klingelte der Dichter an meiner Haustür. Ich war fassungslos. Vermutlich hatte er meine Adresse von der Redaktion, jedenfalls stand er da. Ein Fuzzi mit lamgem grauem Zopf. Es war eine wunderbare Begegnung. Das Gedicht handelte von einer Situation, die er erlebt hatte, als er den Garten seiner verstorbenen Eltern verkaufen musste; als wir darüber sprachen, brach seine Stimme mehrmals, und seine Augen senkten sich aufs Tischtuch. Ich habe bei der Gelegenheit auch ein neues Wort gelernt. "Was mir nur eifalle dut, wenn ich so simmelier" hieß es am Ende. "Simmelieren" ist ein Spezialwort unter Osthessen, es hat mit simulieren nichts zu tun, sondern meint "melancholisch vor sich hin sinnieren." Die klassische Sinnsuche.

Wir trennten uns mit Umarmung und Küsschen, der Fuzzi und ich. Ich weß nicht mal mehr, wie er hieß. Nie zuvor und danach bin ich mit einem Menschen, der mir unbekannt ins Haus fiel, so zweisam geworden, so wortgleich.

Später habe ich mal wieder in dem Heft geblättert und so viel Schönes drin gefunden, unter anderem ein Gedicht eines Autoren, dessen Name ich vergessen habe. Kann sein, dass es der Redakteur persönlich war. Ein cooles Gedicht. "Was es ist" hieß es da. Ich war wohl sehr unbedarft damals. Erst zwei Jahre später, als die Zeitschrift schon lange eingestellt war, habe ich begriffen, dass da jemand in unverschämtester Weise Erich Fried plagiiert hatte. Wort für Wort abgeschrieben. Ich war ziemlich fuchtig und schmiss das Heft weg; heute wäre ich froh, wenn ich es noch hätte, das Simmeliergedicht würde ich gerne nochmal lesen.

Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht.
Es ist, wie es ist.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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birke
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Beitragvon birke » 27.04.2016, 15:16

Unsinn
Sinnlicher Unsinn
Übersinnlicher Unsinn
Sinnlichkeit
Übersinnliche Sinnlichkeit
- 6. Sinn –
Unsinn
Unsinnige Übersinnlichkeit
Unsinnig sinnlich
- Sinn?



(weil es so schön passt, ein gedicht aus meiner jugend :razz: )
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 27.04.2016, 15:24

"Das macht Sinn", ein Anglizismus - ich sehe da immer das Etwas, das Sinn macht (in meiner Vorstellung ist es irgendwie haarig und hat schwarze, empfindsame Vorderpfoten, wie ein Waschbär), an einer Art Töpferscheibe sitzen und Sinn machen. Jeder Sinn ist perfekt rund und wird zur Weiterverarbeitung auf ein Brett gesetzt. Das Etwas, das Sinn macht, wird pro fertigem Sinn bezahlt; ich weiß nicht, wieviel es pro Sinn kriegt, aber viel über Mindestlohn kommt nicht dabei rum.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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(Ikkyu Sojun)

pjesma

Beitragvon pjesma » 28.04.2016, 13:54

gibt es einen sinn die literatur in gattungen zu teilen? möglich. einmal nannte ich das was ich schreibe proesie. jemand nannte was ähnliches lyrsa. fand ich blöd und zwar nicht aus neid. aus rein linearen gründen: eine proesie hat die tendenz ins gute zu steigen, lyrsa dagegen kackt nach unten ab. eitel macht kein sinn.

pjesma

Beitragvon pjesma » 28.04.2016, 14:09

ja, zefi, es ist wie es ist ;-)
ich hatte einen notizbuch als ich erst nach deutschland kam in dem ich mir wichtige worte geschrieben hatte und habe einen gedicht aus der (nicht verpöhnen jetzt) bild der frau ausgeschnitten ...ich kann mich nicht erinnern wie der gedicht hieß und wer genau es geschrieben hat, kann mich nur wenig erinnern --"wo die wangengrübchen glühen, will ich atmen süßer duft...da ist mein land in sonnenschein"...war gereimt, aber in schön :-). macht es sinn solche erinnerungen fest zu halten? ich glaube schon...ja. macht`s.
Zuletzt geändert von pjesma am 28.04.2016, 14:11, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.04.2016, 14:10

es macht keinen sinn, im jetzt nach dem sinn zu suchen. der sinn des jetzt erschließt sich im danach.

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birke
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Beitragvon birke » 28.04.2016, 14:18

ich mache sinn
du machst sinn
sie macht sinn
er macht unsinn
es macht sinn!
wir machen sinn
ihr macht sinn
sie machen sinn

macht das sinn?

/und dein lächeln voller unsinn
macht am meisten sinn/
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

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Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.04.2016, 15:19

"Da sind keine grünen Männchen. Und sie reden auch nicht mit dir!"

Als ich begriff, nicht bei Sinnen zu sein, verstand ich, warum mein Umfeld sich so von Sinnen aufführte.
So ein Unsinn. Die Männchen sind nicht grün. Sie sind blau. Und sie reden auch nicht. Sie singen. Sie singen mir Lieder von einem freien Leben, ohne über den Sinn nachzudenken.


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