Weißer Morgen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 17.02.2006, 17:29

Weißer Morgen

Ob es sein wird
im Fernland
am Bernsteinstrand

weiß nur der Morgen

Noch hört man
sanfte Flügelschläge
weißer Hoffnungsfalter

Ob der Südflug
die Landung
gefunden hat

sagt mir der Morgen

Und schwärzt man
sie heimlich
mit Kohlenstaub

und Asche aus Angst
werden sie fliegen
und werden Dich finden

Wie meine Lippen auf Deinen
sich leise gen Süden
hinwenden

zeigt mir der Morgen.

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 17.02.2006, 23:15

Dieses Gedicht ist einfach nur schön.

(Leider konnte ich keine Smilies mit klatschenden Händen finden)

Die Verbindung von Liebe-Vertrauen-Wärem-Liebe mit der Kraft, dem Mut, dem Durchhaltevermögen von Vögeln, die gen Süden ziehen, um dem Winter zu entfliehen, herzustellen ist dir voll und ganz gelungen.

Nur mit dem Titel habe ich etwas Probleme: warum "Weißer Morgen"?
Weiß assoziiere ich halt mit Schnee und Winter in diesem Fall.

Gruß

hwg

Beitragvon hwg » 18.02.2006, 07:57

Guten Morgen Louisa!
Die diesem Gedicht innewohnende poetische Kraft müsste eigentlich jede Wettbewerbsjury beeindrucken und Redakteure von Literaturzeitschriften zu einer Veröffentlichung veranlassen.
§blumen§ Herzlichen Gruß aus der noch immer tief verschneiten Obersteiermark!

Louisa

Beitragvon Louisa » 20.02.2006, 18:26

Hallo ihr beiden,
Ich bin einfach nur erschlagen. Ich danke euch vielmals, besonders Dir, hwg.

Noch eine kleine Anmerkung: Mit den weißen Faltern meinte ich die berühmten Schmetterlinge, keine Vögel.

Und: Dunkel ist das Heute, weiß (ist) nur der Morgen.

Leider habe ich keinen schamroten, überglücklichen Smilie gefunden, der meine Freude illustriert...

Liebe Grüße, Louisa

Max

Beitragvon Max » 22.02.2006, 11:25

Liebe Louisa,

grosses Kompliment fuer dieses sehr dichte Kunstwerk. Ein vielleicht noch groesseres Kompliment: es erinnert mich, nicht nur wegen des Titels an Ingeborg Bachmanns "Tage in Weiss" - wobei die Bachmann fuer mich zu den Allergroessten deutscher Sprache im 20. Jahrhundert zaehlt.

Liebe Gruesse
Max

PS: Fuer alle die das Bachmann-Gedicht nicht kennen, hier ist es:


Tage in Weiß

In diesen Tagen steh ich auf mit den Birken
und kämm mir das Weizenhaar aus der Stirn
vor einem Spiegel aus Eis.
Mit meinem Atem vermengt,
flockt die Milch.
So früh schäumt sie leicht.
Und wo ich die Scheibe behauch, erscheint,
von einem kindlichen Finger gemalt,
wieder dein Name : Unschuld !
Nach so langer Zeit.

In diesen Tagen schmerzt mich nicht,
daß ich vergessen kann
und mich erinnern muß.

Ich liebe. Bis zur Weißglut
lieb ich und danke mit englischen Grüßen.
Ich hab sie im Fluge erlernt.

In diesen Tagen denk ich des Albatros',
mit dem ich mich auf-
und herüberschwang
in ein unbeschriebenes Land.

Am Horizont ahne ich,
glanzvoll im Untergang,
meinen fabelhaften Kontinent
dort drüben, der mich entließ
im Totenhemd.
Ich lebe und höre von fern seinen Schwanengesang!

Louisa

Beitragvon Louisa » 22.02.2006, 18:58

Hallo Max,
Vielen Dank. Das ist ein schönes Gedicht, was ich noch gar nicht kannte.

Nebenbei: In "Montauk" schreibt Frisch ja auch einmal, dass er mit den Birken aufsteht, das fand ich beim Lesen grandios.
War das seine oder Ingeborgs Idee?

LG, Louisa

Max

Beitragvon Max » 24.02.2006, 13:01

Hallo Louisa,

das war ein Zitat aus eben jenem Gedicht von der Bachmann. Uebrigens LIEBE ich den Montauk und auch wenn es sich Frisch und Bachmann zum Schluss wirklich schwer miteinander gemacht haben, finde ich die Zeilen; die Frisch zur Bachmann findet, liebevoll. Es gibt uebrigens ein siebenstuendiges Fernsehinterview von Frisch; in dem man seine Betroofenheit sieht; wenn er auf das Thema Ingeborg Bachmann angesprochen wird.

Liebe gruesse
Max


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