Im-Puls 12/17
... die Gabe Momos, zuzuhören, richtig zuzuhören. Mir selbst zuzuhören. Ich hörte wohl Sätze wie: da sind keine grauen Herren. Oder besser gesagt: sie sind da, nur lauten ihre Namen bei dir anders. Und ich fragte mich wohl: wie heißen sie? Und ich antwortete mir selbst (ich kann das, weil ich mir selbst ja ganz genau zuhöre): die Zeitdiebe, diejenigen, die dich treiben, hetzen, jagen, deren Beute deine Lebenszeit ist, wie du es glaubst, sind graue Gedanken, zerzaust, wild, böse und fürchterlich gierig. Sie sind so gierig, dass sie sich selbst auffressen und dich gleich mit. Sie kreisen in sich selbst, fügen sich zu turmhohen Spiralen hoch und während sie sich nach oben drehen, verengen sie sich zu einem Knoten, in dem kein Hauch von Luft mehr bleibt. Das ist der Grund, warum du dich so atemlos fühlst, glaubst, für nichts mehr Zeit zu haben. Wie aber zerschlage ich diese Knoten, diese grauen Gedanken, würde ich mich wohl fragen. Einen ersten Schritt hast du doch schon getan, lautete wohl die Antwort. Du bist dir darüber klar geworden, indem du das hier aufschreibst, dir die Zeit dafür nicht stiehlst, sondern dir einfach nimmst.
Stimmt, denke dich und wünsche mir nicht mehr, mir eine Stundenblume zu wünschen.
Stimmt, denke dich und wünsche mir nicht mehr, mir eine Stundenblume zu wünschen.
Ach hätte ich doch bloß
zeit. und u-boot-augen und
alle gedankenstriche würde sich
treiben lassen. quallen.
leuchtend. wie der mond
über der oberflächenspannung
ziehen die vögel
und engel beten wir
in fragezeichen
wie schnell man verdrängt
das wasser die luft irgendwo
muss es hin. muss es bleiben
da unten liegen steine. da war ein gedicht
das umkreiste das fehlen
mit einem pling
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)
.
eine terz unter mir
im grűn der wortlosigkeit verschlüsselt
fand ich sie
noch vergessen im takt
verloren in würde
später noch ein trugschluss
verquer im gewährlauf
ungeachtet des schusses
der immer nach hinten losgeht
der immer garantiert
doch auf der strecke
brennt ein verwunschener tagtraum
und spricht
von der neigung des flusses
darin ich baden möchte
.
eine terz unter mir
im grűn der wortlosigkeit verschlüsselt
fand ich sie
noch vergessen im takt
verloren in würde
später noch ein trugschluss
verquer im gewährlauf
ungeachtet des schusses
der immer nach hinten losgeht
der immer garantiert
doch auf der strecke
brennt ein verwunschener tagtraum
und spricht
von der neigung des flusses
darin ich baden möchte
.
Ich war ungefähr siebenundzwanzig, als ich das zweite Mal umzog. Beim ersten Mal hatte ich nicht viel zum Umziehen, beim zweiten Mal einige Kisten und Kartons voll Hausrat, den ich mir zwischenzeitlich angeschafft hatte. Unter den Papieren, die mit mir umziehen sollten, befand sich ein fertiger Roman mit dem Titel „Und der Himmel hängt voller Strohhalme“, mit der Schreibmaschine auf zweihundert Seiten eng getippt. Der Titel klingt unsinnig, aber ich hatte einen guten Grund dafür, das Werk so zu nennen. Dachte ich jedenfalls. Warum, weiß ich nicht mehr.
Ich hatte noch keine Erfahrung mit Umzügen und verpackte alles irgendwie notdürftig, wie es mir in die Hände kam. Der gelochte und zusammengeheftete Roman wanderte in einen Strohkoffer, zusammen mit einem Buch, das mir nicht gehörte; meine damals beste Freundin hatte es mir geliehen. Das Buch hieß „Lilar“ – die hessische Form der Farbe Lila – und enthielt eine persönliche Widmung für meine Freundin, die es bei einer Autorenlesung gekauft hatte. Das Buch war ihr lieb und teuer. Es ist wohl inzwischen gar nicht mehr erhältlich, jedenfalls warf Google nichts darüber aus.
Nach dem Umzug war der Strohkoffer verschwunden. Ich habe es erst ein paar Wochen später gemerkt, als meine Freundin fragte, wann ich ihr das Buch zurückzugeben gedächte. Ich grub mehrfach meine gesamte Habe um und fand den Strohkoffer nicht. Meine Freundin war ziemlich lange Zeit verärgert. Das Buch war unersetzlich. Ich kann sie gut verstehen. Trotzdem blieben wir beste Freundinnen bis in die neunziger Jahre hinein, als ich noch zwei weitere Male umgezogen war.
Der Roman „Und der Himmel hängt voller Strohhalme“ war auch weg. Ich kann mich noch erinnern, dass er mit der Frage endete: „Und schließlich, wozu ist man auch sonst auf der Welt?“
Manchmal stelle ich mir vor, wie ein unbekannter Mensch, wahrscheinlich ein Müllmann – denn wohin sollte der Koffer verschwunden sein, wenn nicht im Müll? – eben jenen Koffer in die Hände bekommt. Er wird ihn öffnen und ein schön gebundenes Buch mit dem Titel „Lilar“ und eine Loseblattsammlung mit dem Titel „Und der Himmel hängt voller Strohhalme“ vorfinden. Manchmal sehe ich eine gut aufgeräumte und gepflegte Müllmannwohnung vor mir, mit einem wandfüllenden Regal voll ausgewählter Lektüre, von Fontane bis Paul Auster. Und im untersten Bord liegt der Strohkoffer. Wenn ich nachts wach liege und dieses Bild vor Augen habe, brennt mein Kopf. Strohhalme. Wozu ist man auch sonst auf der Welt. Es ist nicht zu ertragen.
Ich hatte noch keine Erfahrung mit Umzügen und verpackte alles irgendwie notdürftig, wie es mir in die Hände kam. Der gelochte und zusammengeheftete Roman wanderte in einen Strohkoffer, zusammen mit einem Buch, das mir nicht gehörte; meine damals beste Freundin hatte es mir geliehen. Das Buch hieß „Lilar“ – die hessische Form der Farbe Lila – und enthielt eine persönliche Widmung für meine Freundin, die es bei einer Autorenlesung gekauft hatte. Das Buch war ihr lieb und teuer. Es ist wohl inzwischen gar nicht mehr erhältlich, jedenfalls warf Google nichts darüber aus.
Nach dem Umzug war der Strohkoffer verschwunden. Ich habe es erst ein paar Wochen später gemerkt, als meine Freundin fragte, wann ich ihr das Buch zurückzugeben gedächte. Ich grub mehrfach meine gesamte Habe um und fand den Strohkoffer nicht. Meine Freundin war ziemlich lange Zeit verärgert. Das Buch war unersetzlich. Ich kann sie gut verstehen. Trotzdem blieben wir beste Freundinnen bis in die neunziger Jahre hinein, als ich noch zwei weitere Male umgezogen war.
Der Roman „Und der Himmel hängt voller Strohhalme“ war auch weg. Ich kann mich noch erinnern, dass er mit der Frage endete: „Und schließlich, wozu ist man auch sonst auf der Welt?“
Manchmal stelle ich mir vor, wie ein unbekannter Mensch, wahrscheinlich ein Müllmann – denn wohin sollte der Koffer verschwunden sein, wenn nicht im Müll? – eben jenen Koffer in die Hände bekommt. Er wird ihn öffnen und ein schön gebundenes Buch mit dem Titel „Lilar“ und eine Loseblattsammlung mit dem Titel „Und der Himmel hängt voller Strohhalme“ vorfinden. Manchmal sehe ich eine gut aufgeräumte und gepflegte Müllmannwohnung vor mir, mit einem wandfüllenden Regal voll ausgewählter Lektüre, von Fontane bis Paul Auster. Und im untersten Bord liegt der Strohkoffer. Wenn ich nachts wach liege und dieses Bild vor Augen habe, brennt mein Kopf. Strohhalme. Wozu ist man auch sonst auf der Welt. Es ist nicht zu ertragen.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
ach hätte ich doch bloß
die faszinierende gabe
in der zeit zurückzuspringen
zu einem ganz bestimmten tag
nur von einer einzigen bewegung
hielte ich abstand
welche veränderung sich daraus ergäbe
da gibt es noch einen tag
viel weiter zurück
ein wort ließe ich ungesagt
was hätte ich vermieden
und noch einen
meine entscheidung
fiele anders aus
es hört nicht auf
da sind unendlich viele tage
eine lunte lege ich mir
aus schwelbrand wird feuer
das 'hätte' ist des teufels
nein nein nein
diese gabe möchte ich nicht
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