WORT DER WOCHE ~ aufgeblättert ~

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birke
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Beitragvon birke » 01.02.2019, 12:50

WORT DER WOCHE

- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
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~ aufgeblättert ~
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

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Klara
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Beitragvon Klara » 02.02.2019, 11:14

Eine Arbeitsplatzbeschreibung.

Die Ministerin sagt: Ich brauchte lange, um zu verstehen, warum die Tür geschlossen bleibt. Dass die Lichtschranke nie auf meinen Körper reagiert hat, sondern immer nur auf den Körper des Mannes vor mir. (Ministerium für Mitgefühl)

Die Frau ist hochqualifiziert, arbeitslos, alleinerziehend. Sie schreibt über 100 Bewerbungen. Mit jeder Ablehnung „mit den besten Wünschen für Ihren weiteren beruflichen Weg“ drückt sie Selbstwertgefühl und Ansprüche.
Endlich lädt ein kleiner Betrieb, der viel auf Titel und Umgangsformen gibt und sich durch staatliche Förderung und Spenden finanziert, die Akademikerin zum Vorstellungsgespräch. Die Atmosphäre ist angenehm. Noch am selben Tag sagt man ihr die befristete Stelle zu.
Man fragt nach ihrer Gehaltsvorstellung. Die Frau will nichts riskieren. Sie nennt eine Zahl, die für ihre Qualifikation als Promovierte deutlich unangemessen ist.
Man schlägt ein geringeres Gehalt vor: Mehr als der Lohn einer Erzieherin sei nicht drin.
Die Frau kommt nicht auf die Idee zu verhandeln. Sie redet sich ein, ein gutes Betriebsklima sei wichtiger als eine angemessene Bezahlung.
Die Frau engagiert sich, bringt mehr als gefordert, macht Überstunden und merkt nicht, dass sie besser und schneller arbeitet als ihre Kollegen. Sie sieht vor allem ihre Defizite und meint, es gehöre zusätzlich zu ihren Aufgaben, zur guten Stimmung im Büro beizutragen. Nur wenn alle sich wohlfühlen, fühlt sie sich wohl.
Der Vorgesetzte lädt sie zum Mittagessen ein und sagt ihr, dass er sehr zufrieden sei. Er bringt es fertig, diese Anerkennung so auszudrücken, als müsse sie ihm dafür dankbar sein, dass sie so gute Leistung bringt.
Er sagt, man würde sie gern über die Befristung hinaus beschäftigen. Die Frau fragt nach der Kollegin, die sie in Elternzeit vertritt. Der würde dann gekündigt, erklärt man ihr. Die Frau zeigt sich befremdet.
Der Vorgesetzte schickt ihr auch nach Dienstschluss Emails und Termine. Die Frau fühlt sich geehrt durch das Vertrauen und den Einblick in innere Angelegenheiten. Sie engagiert sich nun noch mehr und bemüht sich, alle Anforderungen, auch die unausgesprochenen, zu er- und das Soll überzuerfüllen. Sie bringt auch Ideen und kritische Gedanken ein, erhält dafür mal ein Lob, mal einen Tadel. An jedem Fehler trägt sie schwer.
Ihr Vorgesetzter ist unberechenbar, seine Stimmung kann schnell umschlagen. Die Frau lernt, dass es nichts mit ihr zu tun hat und merkt, dass er ihre Ideen, wenn möglich, als seine eigenen ausgibt. Die Sekretärin erinnert er an ihren Rang, wenn diese zu viel Inhaltliches beisteuern möchte: Nun sei es mal gut, Frau Sekretärin.
Die Sekretärin erkrankt. Es ist unklar, wann sie wiederkommt. Der Vorgesetzte kündigt ihr in die Krankheit hinein und gibt vor, selbst darunter am meisten zu leiden. „Es fällt mir sehr schwer…“ Die Frau hat Mitgefühl mit ihm und mit der gefeuerten Sekretärin. Sie lauscht auch verständnisvoll, wenn der Vorgesetzte ihr sein privates Leid klagt: mit einer pflegebedürftigen Angehörigen, bei der Organisation von Reisen oder anderen praktischen Dingen. Ihr fällt nicht auf, dass er seinerseits wenig Interesse an ihren Problemen zeigt.
Seine Reisen, auch die privaten, organisiert die neue Sekretärin.
Bei einer Besprechung teilt der Vorgesetzte eine Liste aus, auf der die Gehälter aller Beschäftigten aufgelistet sind. So erfährt sie, dass sie das geringste Gehalt bekommt, obwohl sie formal die höchste Qualifikation hat, während der Vorgesetzte, der seine Arbeit suboptimal organisiert und nicht keinen universitären Abschluss hat, dreimal so viel erhält wie sie. Sie fühlt sich schlecht.
Die Frau beobachtet, wie der Vorgesetzte Status und Hierarchie schützt, indem er beide so wenig wie möglich zur Sprache bringt und vorgibt, es wären alle gleich. Sie spielt das Spiel der Nichthierarchie mit – wie alle anderen. Gleichzeit fordern die Statusinhaber mit ihrem Verhalten – wer mehr zu sagen hat, kann es sich erlauben, nicht pünktlich zu sein oder auch zu einem Termin gar nicht zu erscheinen etc. – eine Höherwertigkeitsbehandlung ein: den Beweis, dass sie den Status zu Recht haben. Die Frau kann diese behauptete Höherwertigkeit nicht erkennen.
Die Frau begreift, dass ein Status eine Höherwertigkeit und bessere Leistung vortäuscht, ohne dass es dafür eine reale Grundlage gibt. Ein Status ist dazu da, den Nachweis seiner eigenen Behauptung überflüssig zu machen und so die Hierarchie zu rechtfertigen. Jede Unterordnung, kritiklos ausgeführte Anweisung und Gehaltsauszahlung rechtfertigt und zementiert den Status. Ihr scheint, dass ein Status nicht für das Projekt da ist, sondern das Projekt für den Status, für die Eitelkeit einzelner Männer, was ihr lächerlich und unwürdig erscheint. Sie spürt, wie ihr die Loyalität abhandenkommt.
Die Frau verspürt keine Lust mehr, dieses selbstreferentielle System zu füttern oder das Spiel der Nichthierarchie mitzuspielen: Sie spricht das ungern gehörte „Chef“ aus, oder das Wort „Anweisung“ und lässt sich korrigieren, man habe doch nur eine „Bitte“ ausgesprochen.
Die Frau erfährt, dass ihre Vorgängerin, die jünger und geringer qualifiziert ist, dennoch mehr Gehalt erhielt, obwohl angeblich nicht mehr drin war. Die Frau begreift, dass man sie angelogen hat. Sie fühlt sich ausgenutzt und versteht: In der Wirklichkeit, auf dem Anerkennungsmarkt, zählen keine guten Worte, sondern nur mit hohem Energieaufwand behaupteter Status und die sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichheit von Gehältern.
Die Frau erwirkt für eine ebenfalls unterbezahlte Kollegin eine Gehaltserhöhung. Dann überwindet sie sich und bittet für sich um mehr Geld. Sie fühlt sich dabei allein und ungeschützt, fast erwartet sie eine Strafe. Sie begründet ihre Bitte mit ihrer engagierten Arbeit und ihrer Qualifikation als promovierte Akademikerin.
Der Vorgesetzte, der formal deutlich geringer qualifiziert ist, macht ein beleidigtes Gesicht, als habe sie ihn angegriffen. Um das „Missverständnis“ auszuräumen, sieht sich die Frau genötigt, sich zu entschuldigen, dass sie ihren Doktortitel erwähnt hat. Sie habe niemandem seinen Platz streitig machen wollen.
Die Gehaltserhöhung wird nicht gewährt. Eventuell sei eine Erhöhung um 100 Euro drin. Ihr nächster Gehaltszettel weist keinen Unterschied aus. Auch nicht der übernächste, überübernächste und letzte.
Die Frau sucht den Fehler bei sich selbst, macht sich Vorwürfe, dass sie es unklug angestellt habe, zu fordernd aufgetreten sei, zu direkt und unweiblich Dinge anspreche etc.
Die Frau erhält nun weniger Einblicke in Interna und mehr Zurecht- sowie Anweisungen, die nichts mit ihrem Arbeitsbereich zu tun haben (Aktenzählen, Bildersortieren, Verwaltungstätigkeiten u. Ä.) Weiterhin gibt man vor, dass alle auf gleicher Ebene an einem Strang ziehen. Sie versucht weiter, es allen recht zu machen, doch ihr Chef weist sie nun bei jeder Gelegenheit auf tatsächliche oder vermeintliche Fehler hin. Seine latente Aggressivität quält sie.
Die Frau begreift, dass sie es nicht recht machen kann, weil es darum gar nicht geht. Sie bekommt Magenschmerzen und Angstschlaf, fehlt aber keinen einzigen Tag und rechtfertigt sich ausführlich für jeden Fehler. „Sie reden wie ein Maschinengewehr“, wirft ihr der Vorgesetzte vor, ohne inhaltlich auf das Gesagte einzugehen. Zum Handschlag für Begrüßung und Abschied morgens und abends, der in dem Betrieb üblich ist, muss sie sich nun überwinden. Das „Lieber XY“ im Mailverkehr bringt sie nicht mehr fertig.
Die Frau versteht, dass die leistungs- und geschlechterungerechte Vergütung der Arbeit nicht an ihr, ihrem Verhalten oder ihrer Arbeitsleistung liegt. Es ist auch kein Versehen oder betriebswirtschaftliches Pech, dass sie bei höherer Qualifikation einen niederen Posten hat. Es ist Absicht, dass Männer besserbezahlt auf höheren Posten sitzen als Frauen und diese Tatsache nicht thematisiert, geschweige denn in Frage gestellt werden darf – nicht mal durch die Bitte um eine Gehaltserhöhung. Sie begreift zu spät, dass sie nur dann geschätzt wird, wenn sie dieses Grundprinzip nicht in Frage stellt: Im Job wirst du nicht geliebt und verdienst nur das, was ein höherbezahlter Mann für richtig hält: Es muss weniger sein als er bekommt und darf seinen Status nicht gefährden.
Die Frau kündigt.
Zum Abschied überreicht man ihr eine traurige Rose im Topf und spielt auf ihre „Stachlichkeit“ an, bevor man zum harmonischen Teil übergeht, der genauso gelogen ist.
Überstunden werden ihr nicht ausgezahlt.


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