[als jemand die fenster geschlossen]

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Werner
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Beitragvon Werner » 31.10.2024, 23:08

als jemand die fenster geschlossen
und die stadt ausgesperrt hatte

und ein eisregen brach herein
und in der steppe irrten herdentiere umher

und die sprache wechselt von einem loop
in verse

treibt schnee
über brachland

bis an die häuserwände
bis an die felsen am gebirgsrand

Marzanna träumt einen traum von grünland
laubtagen mit lichtdunst wie honigmilch

überschall zieht heran
und mit einem knall

wasser rinnt eine erdfurche entlang
so ähnlich könnte sintflut beginnen

ich sitze am tisch und schaue nach draußen
da ist nichts

und das buch das ich lese existiert
nur in meinem kopf

eine geschichte über nomadentum
großstadtindianer und robbenfangende inuit

sonaten erklingen
sonette schwingen

maschinengeheul in einer fabrikhalle
heute keine sirene kein schichtende und wechsel

malochen malochen ma-
‑lochen

schweiß rinnt in die kuhle an deinem schlüsselbein
salzhaare fallen über die schultern

haut an haut
klebt die liebe

begattungen
zungenspiel

und jemand hatte die fenster wieder geöffnet
und das drinnen floss nach draußen
und das draußen nach drinnen
alles!
die stadt die herden der steppe schnee und eis
laublicht honigmilch wasser und schweiß
ultraschall

und deine stimme schwingt
wie eine saite
von meinem bogen der nacht gestrichen

jondoy
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Beitragvon jondoy » 01.11.2024, 16:50

hallo werner,

beim lesen des textes hab ich beim ersten mal fast andächtig gelauscht,
soviele wechselnde bilder wild hintereinander, aus unterschiedlichsten herkunftswelten,
dennoch dank der unterbrechungen schön dosiert,
raffiniert komponiert,
mit vielen Anspielungen und brüchen,
die erotischen zum Ende hin sind nicht zu leugnen, oder fallen sie nur mir so ins ohr,
weil sie zum Ende hin plötzlich auftauchen,
ein wildes potpourri, seine sprache loopverse,
ein nicht alltäglicher text, bei dem mir nicht einfallen würde, irgendwas dran zu kritisieren,
wirkt auf mich, wie soll ichs beschreiben, ein wenig wie ein großes gemälde, mit vielen unterschiedlichen szenen drin,
auch wenn ich natürlich schon das stimmige, das verbindende motiv sehe, einen sehr großen bogen, aber das gerät beim lesen in vergessenheit, falls es anfänglich bereits titelmäßig insistierend dem leser/ der leserin eingehaucht worden sein sollte, erkenne ich es erst aus einer entfernteren "gesamtheitlicheren" Betrachtungsweise dieses Textes,

wer marzanna ist, hab ich mich noch gefragt und klicklich darüber gelesen, eine wendische und slawische naturgottheit, liebes-, erd- und mondgöttin, ganz schön viel,

novembergrüße, jondy

OscarTheFish
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Beitragvon OscarTheFish » 02.11.2024, 12:38

Werner hat geschrieben:Marzanna träumt einen traum von grünland

Als Berliner Immigrant erzeugte diese Zeile einen poetischen Fehlklang in mir, den ich aber nicht unerwähnt lassen wollte. Zu Berlin gehört der Stadtteil Marzahn, einer typischen DDR Plattenbausiedlung, die auf der grünen Wiese errichtet worden ist. Marzahn ist sicherlich keine Marzanna, aber es träumt immer noch den Traum von Grünland als Ausdruck der Scham architektonischer Sünden. Teilweise ist durch Ausdünnung der Hochhäuser Grünland zwischen den Türmen zurückgekehrt. Es regt die Fantasie an wie die zitierte Zeile bzw. wie die Serie der stürmischen Bilder des Gedichts.
Ein paar ausgewählte Werke zur Stillung weiterer Neugier:
AKUTES ABDOMEN, OBWOHL WIR BLIND SIND, SCHMUSEREI, MUCH ADO ABOUT FUJI.
Gedichte von: Der beste Dichter der Welt und XRayFusion.

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Werner
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Beitragvon Werner » 02.11.2024, 14:16

Danke Euch für den doch guten Zuspruch! Ich kenne Marzahn nicht, nur jemanden, der von dort stammt und dort aufgewachsen ist. Er hat sich nur immer empört, dass Cindy gar nicht aus Marzahn ist, und dass Marzahn eigentlich ganz anders ist als die landläufige Vorstellung davon. Und, wie ich herauslese, passt das Grünland zu MarzannaMarzahn.

An die gegoogelte Göttin hatte ich beim Schreiben gar nicht gedacht. Es musste ein schöner und guter, passender Frauenname sein (kurz hatte ich noch Malaika, aber der war zu abgenutzt), hier ein polnischer, was meiner Affinität zu Polen geschuldet ist, und den auch eine meiner polnischen Lieblingsdichterinnen trägt, Marzanna Kielar.

Ja, ein großes Tableau, manchmal gelingt ein Gedicht auch. Danke.

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 03.11.2024, 09:14

Eine Vielfalt an lebendig geschilderten Eindrücken, wie die auf einen einstürzenden Gedanken und Assoziationen, wenn das Denken heiß läuft. Am Ende scheint es zur Ruhe zu kommen, auf der in der Nacht gestrichene Saite wird wohl eher ein Nachtlied gespielt als der Hummeltanz. Das Buch, dass nur im Kopf existiert, ist einprägsam, da gut bekannt -- daran werde ich mich erinnern.

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Werner
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Beitragvon Werner » 03.11.2024, 13:41

Denke sehr.


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