Jede andere Stadt

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 04.09.2006, 22:07

In der Werkstatt.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 09.05.2007, 21:31, insgesamt 11-mal geändert.

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 04.09.2006, 23:47

hallo paul ost,

hab jetzt bis zur ersten sternchenzeile gelesen (sehr praktisch!) und hab das bedürfnis zu sagen:

bis zum einsetzen des dialogs finde ich diesen text eine klasse besser als andere prosa die ich von dir kenne. das heißt sehr gut, dicht, fesselnd.

auch zwischen den dialogen, und in den überleitungen, finde ich alles wunderbar.
nur die dialoge selbst kann ich als leser nicht 'glauben' (d.h. der illusionsfaden reißt. - analysieren kann ich das jetzt nicht)

spannend ist das 'schwanken' zwischen den figuren - eine scheint hauptfigur zu sein, dann kippt dieser eindruck wieder.

(werde später weiterlesen, prosa - außer kafka .-) - am monitor ist nicht so mein ding)

vielen dank erstmal!

aram

steyk

Beitragvon steyk » 05.09.2006, 07:51

Hallo Paul,
ich bin ganz anderer Ansicht als aram. Aber die Geschmäcker sind halt verschieden.
Eigentlich eine Geschichte aus dem Leben, wie sie jeden Tag irgendwo passiert, die mich jedoch nicht mitzureißen versteht. Vielleicht liegt es
an den mitunder sehr in die Länge gezogenen Sätze, die ermüden, oder an der Vorhersehbarkeit der Geschichte , die sich wie ein schlaffer Gummi hinzieht, um am Ende zu bestätigen, was man schon ahnte. Es passiert nicht wirklich was. Das Thema gibt sicherlich mehr her.
Die Dialoge empfinde ich als zu steif.

Zwei kleine Fehler sind mir aufgefallen, auf die ich dich hinweisen möchte:

Im dritten Teil:

Der Fahrstuhl spie zuerst Miriam aus, wollte sich aber von Paul zunächst gar nicht trennen. Oder war es Paul, der noch einen Augenblick länger den Geruch von Miriams Parfüm eingeatmet hätte, und deshalb nur lustlos auf den Gang schlurfte? Er führte Miriam zu ihrem Zimmer und gab ihr den Schlüssel: „Ich xxxx im Zimmer direkt gegenüber. Klopf an, sobald du fertig bist.“

Hier hast du ein Wort vergessen. bin, warte – wie auch immer.

Im vierten Teil:

„Es war ja auch schwer zu verstehen. Du schmeißt alles hin, was wir uns in Jahren aufgebaut haben und wenn ich mit dir reden will, springst du auf dien Fahrrad und haust ab.“

dein statt dien.

Es gibt andere Texte von dir, die ich mit mehr Freude gelesen habe.

Gruß
Stefan

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 05.09.2006, 13:57

(zweites 'kapitel' gelesen) - bin weiterhin sehr angetan. schöner spannungsaufbau durch die 'vorbereitung zweier räume' - zugleich ist damit eine ironische ebene lakonisch präsent, ich erwarte mir als leser keine 'großen geschehnisse' - im taxi wurde die situation bereits benannt - sondern ergötze mich an dem, was zwischen den zeilen steht.
das witzige / selbstironische / tragische bei gleichzeitiger konzentration und ernsthatigkeit des protagonisten erzeugt ein lebendiges bild.
die szene in der erinnerung des p. ist gut beschrieben - schön, wie eine 'glückliche remineszenz' eingefügt wird, die ebenfalls kaum handlung enthält, und kein 'fassbares', 'erfolgreiches' glück - sozusagen 'glück zwischen den zeilen' bei gleichzeitigem 'unglück (unerfülltem) zwischen den zeilen' - und das ganze als rückblende mit 'einheit des ortes' zum aktuellen geschehen, unter anderen voraussetzungen - das gefällt mir.

die illusion vermittelt sich in diesem abschnitt völlig durchgängig - bis auf den satz "Die Beschreibung der jungen Blonden..." - das ergänzungslos stereotype von 'junge blonde' finde ich zu plakativ in dieser (sprachlichen) umgebung, and dieser stelle das 'gelangweilte' unterzubringen ('gelangweilte junge blonde') fände ich eine gute lösung.

merci, aram

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 05.09.2006, 15:10

Hallo Paul,

finde ich klasse die Geschichte und bin schon gespannt auf die Fortsetzung (lieber Stefan... welches Ende ist vorhersehbar? Es ist doch gar keins da... aber vielleicht kannst du ja einen Tipp abgeben, wie es ausgeht :mrgreen: )

Der erste Teil (nach der etwas abschweifigen (<-- ist das ein Wort, ich denke nicht) Einleitung) hat mich vor allem durch die schönen Heidegger-Gedanken gefesselt... jaja... diese Sätze - aber wieso steht da irgendwas von einem "Heidelberger Philosophen"??? Entweder ich habe ne schwere Bildungslücke, du meinst jemand anderen oder da sollte Freiburger stehen...

Sehr schön auch, wie aram sagte, das Schwanken... wer ist Hauptfigur... ich nehme an, der Taxifahrer taucht später nochmal auf (ich hoffe es!).

Beschreibungen und Gedankengänge sind hervorragend miteinander verwoben, handwerklich sehr schick gemacht, die langen Sätze gefallen mir auch (das erzeugt bei mir irgendwie eine "weiche" Erzählweise als Grundstimmung; es läuft alles etwas verlangsamt ab, wie es sich ja für einen melancholischen Text gehört).

"die im Schlafanzug unter einer Mollydecke vor ___ Fernseher sitzen mochten. "

Zweiter Teil; heißt es nicht "Lounge" anstatt "Launch"? Eine andere Ungereimheit der folgende Satz: "verfolgte sie diese mit der Präzision und Zielgenauigkeit eines Marschflugkörpers." Öhhm... Ironie?? :mrgreen: Soll es ja nicht sein, aber im allgemeinen Bewusstsein stehen Marschflugkörper wohl kaum dafür.

Ansonsten schließe ich mich auch hier aram an... alles sehr fein beschrieben, die richtigen Details ausgesucht, die Erinnerung und die Vorbereitung erhöhen langsam die Spannung nach der eher allgemeinen Einleitung (erster Teil) - eben ganz analog zu der Gefühlswelt des Protagonisten.

Dritter Teil: Den Anfang mit den sich entgegenstreckenden Sesseln überlese ich, vielleicht sollte es klarer werden, dass sich das Paul nur vorstellt. Alles weitere ist sehr gelungen, Fahrstuhl etc. (danach hat man wirklich etwas Parfümgeruch in der Nase), nur das: "Der Fahrstuhl spie zuerst Miriam aus" würde ich überdenken, weil es a) Pauls Perspektive ist, dann sieht es doch nicht so aus, oder? oder es b) der Erzähler sagt... dann finde ich die Metapher glücklos/aufgesetzt/übertrieben... allerdings verstehe ich, dass du den Fahrstuhl hier aktiv haben willst...

Vierter Teil: Ich verstehe nicht, wieso dieses Gespräch jetzt schon sein muss... generell habe ich mit den Dialogen Schwierigkeiten (s.u.) - aber vielleicht klärt sich ja noch auf, was der Protagonist überhaupt vorhat (erst ist es ein Abschied "das letzte Treffen"... dann liebt er sie noch immer... jetzt diese Briefe und unten will er sie heiraten - sicherlich Taten aus Verzweiflung, aber für mich ist das einfach ein bisschen wirr, dass er hier schon mit diesem Trumpf kommt... )

Fünfter Teil: Seltsamerweise dachte ich schon bei Pauls Ankunft es wäre Nacht gewesen (???)... vielleicht streust du oben noch irgendeine Zeitangabe ein, damit der arme Lichel sich nicht verläuft... der dritte Dialogsatz steht ohne Anführungszeichen (wenn das gewollt ist, bin ich ahnungslos)

Insgesamt wird's für mich ein bisschen fahrig, weil ich dem Protagonisten mit seinem Plan nicht ganz folgen kann... bereits in Teil 4 hat er im Prinzip schon dasselbe gesagt, und sein Benehmen lässt es mir nicht gerade wahrscheinlich erscheinen, dass die Dame so viel Geduld haben würde, insbesondere in dieser zweifelhaften Situation. Diese Bedenken kann ich aber unterdrücken.

Viel schlimmer ist aber meiner Meinung, dass an mehreren Stellen (in der ganzen Geschichte) dieser wunderbare Erzählfluss durch die Dialoge aufgehoben wird. Das bezieht sich fast immer auf die Aussagen des Protagonisten, woraus ich schließe, dass dessen seltsame Kommentare (also z.B.: "Ich weiß, der Name ist bescheuert, aber ich habe ihn mir ja nicht ausgedacht, oder?" "Miriam, schön, dass du gekommen bist. Die Schlüssel habe ich schon, aber du musst dich noch eintragen. Bist du gut durchgekommen?" Und leider auch im 5. Teil sein Heiratsantrag, der doch arg pathetisch rüberkommt "Und das will schon etwas heißen" und überhaupt die ganzen Hauptsätze nacheinander... (vielleicht meine ich auch, es ist nicht pathetisch genug :mrgreen: ich kann das schlecht begründen, irgendwie)), dass seine Kommentare also irgendwie seine Persönlichkeit zeichnen sollen... kommt bei mir aber nicht so recht an.

Andererseits gibt es auch schöne Dialogstellen, besonders Miriams Entgegnungen gefallen mir. Naja... es wirft mich wie gesagt ein bisschen raus, aber ich denke ihn mir einfach als etwas seltsam, dann geht's schon.

Jedenfalls sehr routiniert und gekonnt erzählt, nicht zuletzt wegen der wunderbaren Details sehr gern gelesen! Warte gespannt auf die Fortsetzung.

Gruß,
lichelzauch

steyk

Beitragvon steyk » 05.09.2006, 18:05

lichelzauch hat geschrieben:(lieber Stefan... welches Ende ist vorhersehbar? Es ist doch gar keins da... aber vielleicht kannst du ja einen Tipp abgeben, wie es ausgeht :mrgreen: )


Hi lichel,
wenn man das erste Kapitel aufmerksam liest, spürt man, daß "er" nicht viel von den Treffen erwartet. "Es ist ein Abschied" sagt er zum Taxifahrer. Und das Ende macht den Eindruck eines Abschieds. Ich habe nur diese Geschichte gelesen und dabei nicht an eine Fortsetzung gedacht, von der - außer Paul - niemand weiß, wie sie weitergeht. Nur weil ich diesen Teil hier kritisiert habe, heißt ja nicht, daß ich Paulls Geschichte nicht weiterlese. Vielleicht wird es ja auch für mich interessanter. Ist eben Geschmacksache (zum Glück, sonst gäbe es keine Vielfalt), anderes von ihm hat mir besser gefallen und ich halte ihn auch weiterhin für einen der besten im Forum.
Ich verschlinge Kurzgeschichten, auch solche, die als Fortsetzng geschrieben sind. Habe oft erlebt, daß die Folgen besser waren als der erste Teil. ;-)

Gruß
Stefan

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 05.09.2006, 18:07

Hallo zusammen,

noch will ich mich nicht ausführlich äußern, habe aber schon einmal die groben Fehler beseitigt. Danke an Steyk und Lichelzauch (Freiburg!). Vielleicht kommen ja noch ein paar mehr Kommentare, bevor ich inhaltlich was sage. Aber, lieber Lichelzauch, eins ist gewiss: Frauen handeln tatsächlich in der Liebe wie Marschflugkörper. Männer sind im Vergleich dazu eher so eine Art Streubombe. Solltest Du das noch nicht erfahren haben, wünsche ich Dir ein soziologisches Ausnahmeleben.

Grüße

Paul Ost

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 05.09.2006, 20:34

Aber, lieber Lichelzauch, eins ist gewiss: Frauen handeln tatsächlich in der Liebe wie Marschflugkörper.


Das mag ja sein :mrgreen: - aber im Text steht nicht unbedingt was von Liebe, sondern davon, dass sie so ihren Entscheidungen nachgeht, zudem sich der Vergleich ja explizit auf die Eigenschaften: "Präzision" und "Zielgenauigkeit" bezieht - eben Eigenschaften, die ja bei jedem Einsatz eben jener Marschflugkörper von den Medien in Frage gestellt werden (ob nun berechtigt oder nicht) - dadurch schwingt bei mir immer so eine Art links-ironischer Unterton mit, "von wegen präzise... Kriegsverbrecher!" - soll heißen, viele sehen den Unterschied zwischen Streubomben und Marschflugkörper vielleicht gar nicht so deutlich. Wie gesagt, das liegt nicht an den eigentlichen Sachverhalten. Nur wenn man dann erstmal zu zweifeln beginnt, ist die Metapher natürlich dahin (sie soll es ja hervorheben, illustrieren - wenn ich dann an willkürliche Zerstörungen denken, kommt bei mir nicht gerade das Bild von "Präzision" auf - )



steyk, versteh ich immer noch nicht. Für mich ist die Geschichte einfach noch nicht zu Ende, und damit weiß ich auch nicht, wie es weitergeht. Sicherlich hat er am Anfang gesagt, es sei ein Abschied und war recht hoffnungslos - aber zwischendrin hat ihn dann doch wieder der (verzweifelte) Mut gepackt, oder nicht? Selbst Miriam ist sich ja nicht ganz klar (die beste Dialogstelle:
"„Du spinnst. Du spinnst völlig. Du bist irre“, plötzlich standen ihr Tränen in den Augen.
„Es ist vorbei. Ich liebe dich nicht mehr. Ich habe einen anderen.“
„Also seid ihr doch zusammen.“
„Ich weiß es nicht.“ ")

Naja, mal sehen, ob dann im nächsten Teil noch etwas "Überraschendes" passiert (was für mich gar nicht muss - diese Geschichte lese ich schon fast hauptsächlich der Beobachtungen wegen - die "Story" fesselt mich bis jetzt weniger (aber nicht wenig!))

Wann gibt's den nächsten Teil, Paul?

Schönen Abend,
l

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 05.09.2006, 23:52

Lieber Lichelzauch,

wir haben, glaube ich, sehr ähnliche Ideen bezüglich dem Wesen und der Durchschlagskraft von Marschflugkörpern und Streubomben. Letztere kommen ja auch gar nicht im Text vor. Erstere sind eben sehr unbeirrbar in ihrer Zielerfüllung. In der Liebe gibt es aber gelegentlich wirksame Störsender: Nostalgie, ein schlechtes Gewissen, körperliche Nähe, usw.

Übrigens freue ich mich, wenn Du meine Metaphern dekonstruierst. Schließlich sollen uns ja die "Worte wie Pilze im Mund zerfallen", wie ich vor längerer Zeit einmal in einem Literaturseminar hörte.

Der nächste Teil befindet sich gerade in einem entelechischem Prozess (= ich habe ihn noch nicht geschrieben). Mir bleiben aber für das Ende mindestens vier Möglichkeiten:

1.) Die Wahrheit (immer schlecht)
2.) nicht die ganze Wahrheit (besser)
3.) ein offenes Ende (der Leser soll denken)
4.) eine Überraschung, wie Steyk sie sich wünscht.

Ich hoffe, dass ich nicht zu lange für die Fortsetzung brauchen werde. Das Tippen geht bei mir (leider) oft schneller, als das Denken.

Grüße

Paul Ost

Nifl
Beiträge: 3916
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 11.09.2006, 20:47

Hallo Paul, (keine Kommentare gelesen)

nun komme ich endlich mal dazu, deine Geschichte zu kommentieren. Ich mag das Pathologische an deinem Protag. Das baut Spannung auf ... . Mit dieser "Ungewöhnlichkeit" fängst du mich als Leser.



Die Proportionen des Textes sind leider (für mich) nicht ausgeglichen genug. Der Anfang des Textes ist viel zu lang. Was bringt der Taxifahrer der Geschichte? Ich dachte gar zuerst, er sei der Protag. Abgesehen davon solltest du -wenn du ihn schon behalten möchtest- unbedingt die Perspektive korrigieren ... die hüpft -gerade am Anfang- ständig hin und her.

Inhaltlich ist mir nicht klar geworden, warum die Ex-Freundin überhaupt kommt? Was will sie? Ich meine, er hatte sie ja sogar schon bestalkt... welche Frau ist denn so verrückt und trifft sich dann noch mit so einem Typen?

Dieser Text sollte unbedingt auf Redundanzen überprüft werden ... das würde die Dynamik steigern und die Handlung nicht "versickern" lassen.

Frag dich, was deine Prämisse sein soll und bleibe da stringent dran.



außer vielleicht bei einer Klassenfahrt, bei der der Geschichtslehrer hoffnungsfroh in die leeren Gesichter seiner Schüler blickt, während er vor einem Haus steht, auf dem aus unerklärlichen Gründen etwas über den westfälischen Frieden steht, nie gehört, was soll das, um dann anschließend doch noch mit einem kurzen Exkurs über Foltermethoden auch über den Tod hinaus am Fuße der Lambertikirche das Interesse seiner ungnädigen Zuhörer zu gewinnen.


zB. vollkommen überflüssig.

„Wohin soll es denn gehen?“
„Hotel Eden. Und lachen sie nicht. Ich weiß, der Name ist bescheuert, aber ich habe ihn mir ja nicht ausgedacht, oder?“
„Nein, das Eden gibt es wirklich. Sie meinen doch das in der Nordstraße?“
„Genau“, seufzte Paul, indem er ausatmete und sich anschnallte. Er hatte keine Lust auf ein Gespräch mit dem Taxifahrer. Sein ganzer Kosmos war in diesem Moment auf seine Magengrube zusammengestürzt, denn dort sammelte sich gerade die Angst vor dem, was ihn im Hotel erwarten würde, und die Freude darauf, sie endlich wieder zu treffen. Beide Gefühle hatten sich zu einem engumschlungenen Tanz in seinen Eingeweiden verabredet.
„Darf ich hier rauchen“.
„Sicher“, sagte der Fahrer geistesabwesend.

Auch deine Dialoge sind zu lang, zu wenig kontrovers und bringen die Handlung nicht voran.


Der Fahrgast lächelte scheu und wandte den Blick zum Seitenfenster.

Hier bist du mit der Perspektive schon derart daneben, dass dein Protag sogar nur noch "der Fahrgast" ist.

Dann eine langatmige Einführung des Hotels, das sie flux wieder verlassen? Also warum die beschreibende Akribie, die Detailversessenheit zu einem kaum gebrauchten Setting?
Weiterhin verstehe ich nicht so recht, warum er sich das "bessere" Zimmer nimmt? Es ist ziemlich gefährlich, einem Protagonisten unsympathische Züge zu geben. Außerdem glaube ich das nicht.



frisch gewaschenen Lacken,

witziger Verschreiber


Warum sie sich aber auf dieses Treffen hier im Hotel eingelassen hatte, konnte er sich nicht erklären.

Ich auch nicht.

Die äußere Dimension deiner Figuren zeichnest du übrigens imho ganz hervorragend! (bei ihm und ihr) Echt stark.


Sie schaute sich zögerlich um und tat ein paar Schritte in Richtung Rezeption, bevor sie Paul bemerkte.

Perspektive!



Für die schöne Überwasserkirche hatten sie kaum einen Blick übrig. Sie überquerte die Aa, ohne auch nur zu bemerken, dass da unten ihnen ein kleiner Fluss plätscherte, liefen am Dom vorbei, ohne auch nur einen Blick auf seine Architektur zu werfen und ignorierten selbst die Lambertikirche mit ihren Käfigen, obwohl Paul sicher ohne Probleme eine Parallele hätte ziehen können zwischen seinem Leben nachdem Miriam gegangen war, und dem Schicksal von Jan van Leyden, Bernhard Krechting und Bernd Knipperdolling, nachdem man sie dort oben aufgehängt hatte. Alle vier Männer hätten sich mit Sicherheit einiges zu erzählen gewusst über das Gefühl, verraten worden zu sein.
„Mir wird kalt. Lass uns etwas essen.“
„Da vorne ist eine Pizzeria.“
„Sieht ziemlich teuer aus, der Laden.“

Plätscher plätscher ... der Spannungsbogen knickt völlig weg.


Du hast eine schöne Diktion. Wenn du dich etwas zügeln würdest, gewänne der Text enorm.
Sprich: Handlung rein, Erläuterungen raus. Der Konflikt ist mir zu dünn, die Figuren könnten etwas mehr "Biss" vertragen ...

Trotz allem Genifl ... zweimal gerne gelesen !

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Benutzeravatar
Thomas Milser
Beiträge: 6069
Registriert: 14.05.2006
Geschlecht:

Beitragvon Thomas Milser » 11.09.2006, 21:19

Ja, es kommen bald mehr Kommentare. Hatte gerade nur Zeit für den ersten Teil, und es fesselt mich schon so, dass ich fast sauer bin, gleich verabredet zu sein. Sehr vielversprechend.

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 14.09.2006, 14:44

Hallo zusammen,

ist ja nett, dass es hier noch ein paar weitere Kommentare gibt.

Lieber Nifl,

vielleicht ist ja das Springen in der Perspektive beabsichtigt? Ich wüsste nicht, wo das Grundgesetz steht, dass in einer Geschichte eine Perspektive streng durchgehalten werden muss. Aber vielleicht klärst Du mich auf?

Was die ausführlichen Beschreibungen angeht: Ich finde Hemingway scheiße! und freue mich über ausführliche Beschreibungen auch von scheinbaren Nebensächlichkeiten. Alle diese "Nebensächlichkeiten" könnte man ja auch unter dem Begriff "Setting" zusammenfassen.

Zum "Protagonisten" (wer ist schon Protagonist?): pathologisch? Wer fällt dieses Urteil? Offensichtlich doch der Leser (in diesem Falle Du). Es könnte auch andere Meinungen geben...

Zur "Protagonistin". Sie handelt eben nicht konsequent. Ich weiß nicht, wie es Dir geht. Ich kenne fast niemanden, der "konsequent" handelt.

Zum Begriff "Stalking": Vorsicht! Hierbei handelt es sich um eine interessante moderne Begriffsschöpfung. Vielleicht kann man ja auch diesen Begriff problematisieren?

Zur "Handlung": Mein Bruder liest Bücher mit viel Handlung. Krimis, Thriller und Science Fiction. Er ist Manager und liest evasorisch. Am liebsten hat er Helden, die die Welt retten und Flugzeuge, die in schwarzen Löchern verschwinden. Braucht man wirklich Handlung? Gerade eben habe ich zum zweiten Mal Zadie Smiths dritten Roman "Von der Schönheit" gelesen. Natürlich kann ich mich nicht mit ihr vergleichen. Sie ist großartig, kommt aber (fast) völlig ohne Handlung aus. Sie ist für mich ein (unerreichbares) Ideal.

Zum "unsympathischen" "Protagonisten": Vorsicht! Du findest den Charakter Paul unsympathisch (s. Stalker), wenn er an bestimmten Stellen so handelt. Aber es gibt ja auch noch andere Sichtweisen, oder? Warum darf ein Protagonist nicht "unsympathisch" sein?

Zum Hotel: Gebäude und Settings können gerade in solchen Texten einiges über die beteiligten Personen und deren Beziehung untereinander aussagen. Mit der Beschreibung des Ortes beschreibst Du auch die Person. Ähnlich wie bei den problematischen Protagonisten könnte ich auch hier mit dem großartigen (und für mich literarischen nicht erreichbaren) E. A. Poe argumentieren. Denk nur mal an den "Fall des Hauses Usher".

Insgesamt: Vielen Dank für Dein Feedback. Gerade weil Du offensichtlich an kurze Erzählungen einen ganz anderen Anspruch hast, als ich, finde ich Deine Kommentare sehr wichtig und herausfordernd.

Schön, dass Du Dir die Zeit genommen hast, diesen Text zu lesen. Vielleicht hast Du ja auch noch Lust auf die Fortsetzung, die ich wahrscheinlich diesen Monat nicht mehr werde schreiben können.

Viele Grüße

Paul Ost

Nifl
Beiträge: 3916
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 14.09.2006, 20:25

Hi Paul.

Zuallererst würde ich dich gerne bitten, in Zukunft vorher zu informieren, ob es sich um eine Fortsetzungsgeschichte und nicht um ein vollendetes Werk handelt. Ich lese und kommentiere im IT nur häppchenweise Fortsetzungen, wenn das Gesamtwerk schon fertig ist (bisher 3 Bücher in Foren gelesen). Meine Erfahrung ist nämlich die, dass 99%ig nicht fortgesetzt wird. Außerdem ist diese Information natürlich maßgeblich für einen sinnvollen Kommentar! Sollte es sich nämlich zB. um einen Roman und nicht um eine Kurzgeschichte handeln, greifen ganz andere Kriterien. Dann könnte es durchaus Sinn machen, ausschweifender zu werden, sich mehr Zeit zu lassen. Sowas muss ich als Kommentator einfach wissen.


-vielleicht ist ja das Springen in der Perspektive beabsichtigt?
-Zum "Protagonisten" (wer ist schon Protagonist?)
-kommt aber (fast) völlig ohne Handlung aus.
-Warum darf ein Protagonist nicht "unsympathisch" sein?

*schunzel* .... du erinnerst mich ein bisschen an meine Tochter (14J.) ... alles in Frage stellen... nichts glauben... die Welt neu erfinden. Ich finde das toll und es ist ja auch eine enorm wichtige Entwicklungsphase.
Das Niflchen guckt sich Geschichten erstmal nur nach Maßstäben an, die sich über die letzten Jahrzehnte etabliert haben. Dass es sich hier um eine experimentelle Geschichte handelt, also "Fehler" bewusst gesetzt werden, Grenzen absichtlich überschritten werden usw. habe ich nicht erkannt. Sorry.
Prinzipiell bin ich aber der Meinung, dass man die "Gesetze" kennen sollte, bevor man sie überschreitet.
Aber wie gesagt, ich habe nur das Standardhandwerkszeug über deine Geschichte gelegt.


vielleicht ist ja das Springen in der Perspektive beabsichtigt? Ich wüsste nicht, wo das Grundgesetz steht, dass in einer Geschichte eine Perspektive streng durchgehalten werden muss. Aber vielleicht klärst Du mich auf?

Ja, in Kurzgeschichten ist es tabu und selbst in Romanen wird es oft als "schlechten Stil" bezeichnet (wobei sich dort in den letzten Jahren eine größere Toleranz zu entwickeln scheint).


Zum "Protagonisten" (wer ist schon Protagonist?): pathologisch? Wer fällt dieses Urteil? Offensichtlich doch der Leser (in diesem Falle Du). Es könnte auch andere Meinungen geben...

Ja sicher. Weiß nicht genau, was du mir damit sagen möchtest. Ich finde sein Verhalten schon ziemlich bedenklich ... immerhin wollte er sich umbringen -> Zwangseinweisung.


Warum darf ein Protagonist nicht "unsympathisch" sein?

Ganz einfach, weil mich dann sein Schicksal nicht mehr interessiert und ich nicht weiterlese.


Liebe Grüße
Nifl
Zuletzt geändert von Nifl am 14.09.2006, 21:20, insgesamt 2-mal geändert.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 14.09.2006, 21:10

Lieber Nifl,

Deine Tochter ist offensichtlich eine sehr kluge Person. Ihre Einstellung gefällt mir. Vielleicht sollte sie Literatur studieren, so wie ich das einmal gemacht habe. Dann würde sie sich bald bestätigt fühlen in ihren Annahmen.

Die Gesetze, lieber Nifl, kenne ich sehr gut, weil ich mich sehr ausführlich mit Gattungstheorien auseinandergesetzt habe.

Die Regel, an die sich heute die meisten Literaturwissenschaftler halten, ist: es ist fast unmöglich, Gattungskriterien zu finden, die sich verallgemeinern lassen. Trotzdem sammeln wir, was wir an Kriterien finden. Schriftsteller müssen dann diese Regeln überschreiten, um innovativ zu wirken. (Hat James Joyce einen Roman geschrieben?)

Besser ist aber (rein karrieretechnisch), Deine Tochter studiert was Ordentliches. Ich zumindest arbeite jetzt als Lehrer. Nun muss ich meine Schüler zwingen, sich an bestimmte Kriterien zu halten. Woran erkennt man eine Kurzgeschichte? Blablabla... Aber die universitäre Germanistik und die Deutschdidaktik werden NIE zusammenkommen können. Die Deutschdidaktik braucht Kriterien, um Noten rechtfertigen zu könne. Die Literaturwissenschaft, muss sich mit dem auseinandersetzen, was geschrieben und kanonisiert wurde.

Was Verlage angeht, entscheiden die sich oft nach rein wirtschaftlichen Kriterien für eine Gattungsbezeichnung. Erzählungen und Kurzgeschichten verkaufen sich nämlich in der Regel recht schlecht. Also versucht man, aus Erzählungen einen Roman zu machen. Will man einer Erzählung einen intellektuellen und typisch deutschen Anstrich verleihen, nennt man sie Novelle. Hat ein anglophoner Autor Erzählungen geschrieben, so nennt man diese Kurzgeschichte oder besser noch short story. Deutsche Autoren schreiben dagegen lieber Erzählungen. Dieser Begriff lässt sich nun wirklich gar nicht auf Merkmale festnageln. Er steht dennoch in diesem Thread als Titel, weshalb ich den Mut hatte, diesen Text hier einzustellen.

Lies mal Stefan Austs Buch über die Novelle. Du wirst sehen, er kann nach schätzungweise dreihundert Seiten nur folgendes Kriterium stichhaltig aufstellen: Eine Novelle ist kürzer als ein Roman. Wie unterscheidet man jetzt eine Novelle von einer Erzählung? Eigentlich gar nicht, aber irgendetwas muss ja auf das Cover...

Ursprünglich stand unter dem Titel der Geschichte die Bemerkung "Fortsetzung folgt". Leider ist dieser Zusatz jetzt weg. Ich werde sie gleich noch einmal hinzufügen. Wer weiß, was Computer manchmal so mit Gedanken anstellen. Aber so lässt sich zumindest unser Missverständnis im Hinblick auf die Unvollständigkeit des Textes erklären.

Was die 99 etrifft... Jetzt, wo ich das weiß, werde ich natürlich keine Fortsetzung mehr schreiben. Wer will schon zu so einer verschwindenen Minderheit gehören. :razz:

Unsympathische Charaktere gibt es in der Literatur so viele... Denk nur mal an Rodin Raskolnikov. Trotzdem gelingt es Dostojevski, durch Innenweltdarstellung, ein gewisses Verständnis für diese (vielleicht) kranke Person zu erwecken.

Ein Selbstmordversuch ist für mich auch nicht notwendigerweise ein Hinweis auf einen pathologischen Zustand. Oder, um mal eine Anekdote anzufügen: Da sagte neulich auf der C.D. Friedrich Ausstellung eine alte Dame zu einer klugen Kunsthistorikerin: Dieser Maler war doch bestimmt depressiv, oder?

In diesem Sinne...

Beste Grüße und nochmals danke für Deinen ausführlichen Kommentar. Ich sehe, wir beide haben Stoff für viele interessante Diskussionen.

Paul Ost


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste