Alltag

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Niko

Beitragvon Niko » 16.09.2006, 13:30



Alltag


Die Windel hab ich ihm gewechselt. Das mag er gar nicht. Wie immer. Ich hebe ihn aus seinem Bett und wasche ihn. Setze ihn zu mir an den Tisch und füttere ihn mit gequetschten Kartoffeln und Spinat. Sein Lieblingsessen. Nach dem Essen fahre ich ihn ein bisschen spazieren. Das mag er sehr. Danach lege ich ihn noch einmal für eine Stunde in sein Bett. Als er schläft, räume ich die Wohnung auf.
Später - nach gut einer Stunde - ruft er und ich hebe ihn wieder aus dem Bett. Zum Kaffee hat sich Besuch angesagt. Ich will ihn vorher noch schnell rasieren.
Zuletzt geändert von Niko am 07.07.2011, 10:19, insgesamt 2-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.09.2006, 13:38

Au mann, Niko,

da hab ich jetzt aber echt eine Gänsehaut bekommen. Es fängt so friedlich an, und dann der Schluss, puh!
Aber gerade dadurch, sehr gut!
Saludos
Magic

Niko

Beitragvon Niko » 16.09.2006, 14:26

dank dir, magic

saludos! - ;-) Niko

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 16.09.2006, 16:12

Hallo Niko,

vom Feinsten.

Liebe Grüße
Marlene

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.09.2006, 17:11

Hallo Niko,
der Schluss ist ähnlich "überraschend" wie in: "Das Ende", oder? Leider hatte ich mir das gemerkt und ahnte hier schon das Ende voraus.

Ich bin absolut kein Kurzgeschichten/Kurzprosaprofi, aber wenn ich zum Beispiel an Borcherts Texte denke (die ersten Texte, über die ich Zugang zu solchen Geschichten gewann), dann denke ich: Da hatte das abrupt und überraschend (offene) Ende immer mehr als einen Unterhaltungszweck.

Es gibt natürlich auch andere Geschichten, die rein aus Freude am Erzählen diese Pointen kunstvoll anwenden (Hemingway zum Teil?) - und sei es aus Unterhaltungsgründen. Wogegen ja erstmal, wenn der Text gut gemacht ist, nichts einzuwenden ist.

Bei diesem Text weiß ich nicht genau - zum einen ein Thema, das aufzuwerfen sich lohnt. Zum anderen aber ein zu großes Thema, um es bloß um der Pointe Willen aufzugreifen? Das soll jetzt nicht moralisch argumentiert sein. Ich verstehe nur gar nicht, wo der Text denn hin will? Was bleibt außer dem "Überraschungseffekt" über? Was ist die Aussage des Textes? Das Thema, das am Ende deutlich wird, braucht in meinen Augen tiefere Auseinandersetzung, der Text wäre mir dafür also zu kurz, nicht genug ausgearbeitet. Ansonsten würde ich das Thema erst gar nicht anschneiden.

Oder hast du da bestimmte Motive, die ich übersehe?

Liebe grüße
von der mal wieder kritischen Lisa :alien0027:
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 21.09.2006, 16:13

Sehr guter, schnörkelloser Text, bar jeder Illusion.
Ich sehe die Parallelität zwischen dem Unbeholfensein des Kleinkindes und des Greises. Das ist mir als Aussage für einen Kurztext schon genug, zumal es hier sehr präzise auf den Punkt gebracht wird. Die Absicht des Autors, den Leser bis zum Schluss im Unklaren zu lassen, um welche Art Pflegefall es sich handelt, oder sogar den des Kindes bewusst zu suggerieren (zerquetschte Kartoffel mit Spinat, Windel...), halte ich nicht für das Streben nach einer Pointe, sondern durch den Überraschungseffekt für sehr intensiv dargestellt.

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 21.09.2006, 16:59

Hi NJ.

Ich kannte den Text schon ... und finde ihn immer noch klasse ... Sicher arbeitet er mit dem -immer etwas trivialen- Überraschungseffekt, aber für meine Begriffe gelungen, weil er nicht als Witz verpufft, sondern anklingen lässt .... und der Subtext, der durch die Pointe getriggert wird, einen ungewöhnlichen Tiefgang (für solche Texte) eröffnet.

Vielleicht weil ich den Text schon kannte, hatte ich beim Lesen ein bisschen das Gefühl, dass der Autor bemüht war, die Pointe funktionieren zu lassen und so umständliche/verräterische Formulierungen wählte.

Doch es ist halt passiert...

Was eigentlich? Das Alter?

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 21.09.2006, 17:34

off-topic:

...und der Subtext, der durch die Pointe getriggert wird,...

Nöfl (Nörgl+Nifl), du bist eine echte Granate. Den habe ich mir wie Schokoladengelutschtes auf der Rezensentenzunge zergehen lassen, und es bleibt ein breites Grinsen des Genusses. Das Schlimme daran ist, dass man nach dreimaligem Lesen und Sackenlassen sagen muss: Stimmt!

*Verneig*

Tom :o|
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