Wir haben uns immer im Dunkeln -

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Antibus

Beitragvon Antibus » 21.11.2006, 14:29

Wir haben uns immer im Dunkeln -

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Erwartungsgemäß finde ich dich. Auf der selben Brücke. Die ohne Geländer, links. Stehst und schaust, hast dieses Lachen wieder dabei. Jenes verheißungsvolle, das ich überall wiedererkennen würde. In Zellophan gehüllt, kalte Strahlen einer tiefen Sonne reflektierend.

Bestich mich, sehne ich. Belüg mich. Einen Moment nur, bis es Abend ist. Oder bis Morgen vielleicht, dann hätten wir noch die Nacht, die Dunkelheit, nach Kirschen schmeckende Lippen und Fingerspitzen überall, lustvolles Stöhnen begleitend, das sich in erschöpfter Atmung verliert. Und dann? Dann das Ganze von vorn und von vorn, bis ins Tageslicht, welches uns Lügen auf die Haut malt, die frieren lassen, weil es eben Winter ist.

Ein Windstoß lässt die Folie knistern. Die vor deinem Herzen mit dem Lächeln drin. Ob wir nicht reden wollen, fragst du. Von dem, was alles anders sei und von Bedauern. Mir fällt auf, dass ich deine Augenfarbe nicht kenne - wir haben uns immer im Dunkeln geliebt - die auch jetzt im Schatten liegt und lügt. Dazu kommt, dass ich auch deine Worte nicht verstehe (War das schon immer so?), nur in meiner Sprache zuhöre und dich begleiten will. Wenigstens ein Stück. Ein kurzes nur, um zu verstehen und vielleicht die Farbe deiner Augen –

Ich erschrecke, als deine kalte Hand die meine nimmt. Wissend, unser Weg führt immer links herum.


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Antibus

scarlett

Beitragvon scarlett » 21.11.2006, 15:02

Hallo Antibus,

ein kurzer Augenblick, ein Wiedersehen, wunderbar eingefangen und in Worte umgesetzt.
Die Aufgeregtheit, die "Atemlosigkeit" widerspiegelt sich z T in kurzen Sätzen - das ist gelungen.

Die Idee mit der Brücke ohne Geländer, der mögliche Sturz ins Bodenlose, ein Bild, das beeindruckt, mich zumindest und das den Rahmen bildet, den Bogen spannt zum Ende.

Dazwischen das Erinnern ...

Mir ist sprachlich zweierlei aufgefallen:
- der Relativsatz wirkt irgendwie zu schwach, zu sehr "angehängt", das Bezugswort ist m M nach zu weit weg. Aber das ließe sich ja ganz leicht ändern, ohne in irgendeiner Weise den Inhalt zu verändern.
- "bis Morgen" - müßte das nicht entweder klein geschrieben werden oder "bis zum Morgen" heißen? :12:

Das sicher ungewöhnliche "sehne ich" hingegen finde ich super...ebenso die auf die Haut gemalten Lügen.

Sehr gerne gelesen!

Gruß,

scarlett

Mucki
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Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 21.11.2006, 23:43

Hallo Katja,

mich spricht dein Text sehr an. Ein tragischer, wehmütiger Einblick. Bin mal mit meinen Anregungen drin.
Saludos
Magic



Erwartungsgemäß finde ich dich. Auf der selben Brücke. Die ohne Geländer, links. Stehst und schaust, hast dieses Lachen wieder dabei. Jenes verheißungsvolle, das ich überall wiedererkennen würde. In Zellophan gehüllt, kalte Strahlen einer tiefen Sonne reflektierend.

Dieser Absatz ist klasse.

Bestich mich, sehne ich. Belüg mich. Einen Moment nur, bis es Abend ist. Oder bis Morgen vielleicht, dann hätten wir noch die Nacht, die Dunkelheit, nach Kirschen schmeckende Lippen und Fingerspitzen überall, lustvolles Stöhnen begleitend, das sich in erschöpfter Atmung verliert. Und dann? Dann das Ganze von vorn und von vorn (klingt nicht gut, zu mechanisch, zu emotionslos, würde ich weglassen, sondern den direkten Übergang schaffen zum "bis ins Tageslicht")
, bis ins Tageslicht, welches uns Lügen auf die Haut malt, die frieren lassen. , weil es eben Winter ist. kann weg, ist überflüssig, außerdem ist das "frieren" dann doppeldeutiger.

Ein Windstoß lässt die Folie knistern. Die vor deinem Herzen mit dem Lächeln drin. Ob wir nicht reden wollen, fragst du. Von dem, was alles anders sei und von Bedauern. Mir fällt auf, dass ich deine Augenfarbe nicht kenne (dies würde ich direkter schreiben: ich kenne deine Augenfarbe nicht)- wir haben uns immer im Dunkeln geliebt - die auch jetzt im Schatten liegt und lügt. Dazu kommt, dass ich auch deine Worte nicht verstehe (War das schon immer so?), nur in meiner Sprache zuhöre und dich begleiten will.(auch hier direkter: ich verstehe deine Worte nicht, war das schon immer so? Nur in meiner Sprache höre ich dir zu, will dich begleiten. Das "Dazu kommt" ist auch zu mechanisch) Wenigstens ein Stück. Ein kurzes nur, um zu verstehen und vielleicht die Farbe deiner Augen ...

Ich erschrecke, als deine kalte Hand die meine nimmt. Wissend, unser Weg führt immer links herum. --> klasse!

Antibus

Beitragvon Antibus » 22.11.2006, 10:01

Mir ist sprachlich zweierlei aufgefallen:
- der Relativsatz wirkt irgendwie zu schwach, zu sehr "angehängt", das Bezugswort ist m M nach zu weit weg. Aber das ließe sich ja ganz leicht ändern, ohne in irgendeiner Weise den Inhalt zu verändern.


Liebe Scarlett, geht das etwas genauer, ich seh den Wald nicht so richtig, vor Bäumen??? Einen Vorschlag am besten.

- "bis Morgen" - müßte das nicht entweder klein geschrieben werden oder "bis zum Morgen" heißen?


danke, ja, natürlich klein.

Vielen Dank für deinen Kommentar. Liebe Grüße, A.

Antibus

Beitragvon Antibus » 22.11.2006, 10:08

Liebe Magic,

selbstverständlich sind einige Stellen - gewollt - mechanisch. Genau dieses "von vorn und von vorn (...) - die Endlosschleife, in welche die Beziehung bei jedem erneuten Wiedersehen abdriftet. Und das - ja - das hat was von Emotionslosigkeit/Abgeklärtheit bezüglich der Machtlosigkeit dem gegenüber, was immer wieder passiert und aus dem man sich nicht befreit.

Mir fällt auf, dass ich deine Augenfarbe nicht kenne (dies würde ich direkter schreiben: ich kenne deine Augenfarbe nicht)-


Danke für die Anregung, den Satz werde ich wahrscheinlich umstellen.

Dazu kommt, dass ich auch deine Worte nicht verstehe (War das schon immer so?), nur in meiner Sprache zuhöre und dich begleiten will.(auch hier direkter: ich verstehe deine Worte nicht, war das schon immer so? Nur in meiner Sprache höre ich dir zu, will dich begleiten. Das "Dazu kommt" ist auch zu mechanisch)


Danke auch für das, ich denke mal in Ruhe drüber nach.

Lieben Dank dir, Katja

scarlett

Beitragvon scarlett » 22.11.2006, 12:39

Liebe Katja,

entschuldige bitte, du hast natürlich recht -
Ich meinte diesen Satz hier:

Mir fällt auf, dass ich deine Augenfarbe nicht kenne - wir haben uns immer im Dunkeln geliebt - die auch jetzt im Schatten liegt und lügt.


Übrigens empfinde ich die "mechanisch" gesetzten Stellen als genau richtig, ich habe das so gelesen und interpretiert, wie du es erklärt hast. Würde ich keinesfalls ändern.

Ein sehr guter Text, der in meine "Privatsammlung" wandert :-)

Gruß,

scarlett

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.11.2006, 13:09

Hallo Antibus,

(und huhu an das Bild, bist du das?)

Mir gefällt der Text auch, ich habe ihn gern gelesen. Ich würde allerdings, die meisten Änderungsvorschläge von magic nicht übernehmen! Was ich gut finde, sind die Hinweise:

Mir fällt auf, dass ich deine Augenfarbe nicht kenne (dies würde ich direkter schreiben: ich kenne deine Augenfarbe nicht)


und den ersten Teil hier von

(auch hier direkter: ich verstehe deine Worte nicht, war das schon immer so? Nur in meiner Sprache höre ich dir zu, will dich begleiten.) ja, find ich auch so besser.


aber den satz war das schon immer so? ruhig in der Klammer lassen, das mag ich! Aber die direkte Variante des Restes von magic find ich toll.

Die anderen Sachen würde ich alle nicht übernehmen, sie sind eine Stilfrage und ich empfände es als Bruch. Ich mag die Stellen so wie sie sind.

Eine eigene Anmerkung habe ich zum letzten Satz:

Ich wäre für:

Ich erschrecke, als deine kalte Hand die meine nimmt. Ich weiß, unser Weg führt immer links herum.


Das wissend ist mir zu gestelzt, passt nicht zur Jugend/Freiheit/Stolz des textes.

Ansonsten mag ich solch gefärbten Einblicke in das, was Liebe heißt.

Liebe Grüße,
Lisa

PS: Ist der Titel eigentlich ein Abbruch und soll weitergeführt werden in "Wir haben uns immer im Dunkeln geliebt"? (wegen des Gedankenstrichs)? Dann passt es für mich nicht, dass er Vergangenheitsform verfasst ist und der Text im Präsens. Wenn der Titel lauten soll "Wir haben uns immer im Dunkeln" würde ich den Gedankenstrich aus Verwirrgründen wegnehmen...
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

ecrivain

Beitragvon ecrivain » 28.11.2006, 10:10

Hallo! Meine erste Kritik hier im Blauen Salon bezieht sich auf deinen Text von der Dunkelheit, die sich wie ein Schleier über eine nicht aufrichtige Beziehung legt. Ich finde, die Absicht ist klar: Ein Ich hadert mit einem Du und führt ein Beziehungsgespräch - ein Du, das körperlich nicht anwesend ist und nur eine Projektion des erzählenden Ichs ist? Ein monologisierender Verständigungstext, würde ich sagen, mit dem das Erzähl-Ich sich Klarheit verschaffen will über die Aufrichtigkeit seines Gegenübers. Und dabei durchblicken lässt, dass es mit der eigenen Aufrichtigkeit auch nicht so weit her ist.
Ich find den Text gut, habe aber was an den Bildern und einzelnen Ausdrücken zu mäkeln.

hast dieses Lachen wieder dabei.
Formulierung gefällt mir! Kein Lächeln von innen, mehr ein aufgesetztes Zahnpastalächeln.

In Zellophan gehüllt, kalte Strahlen einer tiefen Sonne reflektierend.
Ein etwas gesuchtes Bild, finde ich. Zellophan meint die Künstlichkeit des Ganzen, aber ein Lächeln, das darin gehüllt sein soll, erschließt sich mir nicht recht als Bild. Wirkt das Lächeln optisch unscharf? Doch eher nicht, es nicht nur künstlich!
Was meinst du mit tiefer Sonne? Tief stehend, untergehend? Oder tiefgründig?

das sich in erschöpfter Atmung verliert
lustvolles Stöhnen bis zur Erschöpfung finde ich ausreichend. Sorry, aber dein Ausdruck hat etwas Gespreiztes, unangemessen Pathetisches.

bis ins Tageslicht, welches uns Lügen auf die Haut malt
Ist es nicht so, dass das Tageslicht die Lügen der Nacht offenbart? Weil es die Verkleidungen der Dunkelheit wegzieht? Aber wenn das Tageslicht Lügen malt, hätte das Tageslicht die Schuld, und nicht das angeklagte Gegenüber.

Ein Windstoß lässt die Folie knistern. Die vor deinem Herzen mit dem Lächeln drin.
Hier gefällt mir die Wiederkehr der Zellophanfolie. Ein darin verpacktes Herz ist ein treffenderes Bild als das eingepackte Lächeln oben. Und das es knistert, deutet Unruhe und Erklärungsnot des Dus hin. Das macht auch der nächste Satz klar.

die auch jetzt im Schatten liegt und lügt
die Augenfarbe, klar. Aber erst beim zweiten Lesen. Weil das Relativpronomen "die" zu weit entfernt von seinem Bezugt steht.

nur in meiner Sprache zuhöre und dich begleiten will.
Hier entlarvt sich das Ich als der/diejenige, die den schönen Schein lieber will als die Wahrheit: Lieber nur die eigene Sprache des Fühlens im Dunkeln sprechen statt Klartext reden und bei Tageslicht lieben. So gesehen werden aber die Vorwürfe an das Du relativiert.

Wissend, unser Weg führt immer links herum.
Meinst du mit links herum: immer in die Irre? Der Ausdruck ist für mich nicht klar.

Hoffentlich findest du mich nicht destruktiv, sondern kannst mit meiner Kritik etwas anfangen! ;-)

Grüße
ecrivain


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