Das Fest der Liebe

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Hoedur

Beitragvon Hoedur » 18.12.2006, 22:49

Stefan saß auf der Ofenbank, zählte die Schneeflocken
an der Scheibe vorbeifliegen, zählte Frostgraupel, die an der
Scheibe aufschlugen, zerplatzten, sich auflösten.
Überall auf den Tannenspitzen sah er goldene Lichtlein
blitzen, warmer Schein in der Kälte, Wärme.
Stefan ließ seinen Löffel fallen und warf seine Tasse an
die Wand. Die Jahre vergingen, ungefragt trat immer mehr
Unordnung in sein Leben. Jeder Versuch zusammenzuhalten,
was nicht zueinander gehörte, mußte fehlen.
Das Leben war eine mißliche Lage.
Die Ärzte sagten, es bestehe keine Hoffnung, keine Heilung.
Jetzt tanzten sie! Wie der Wind so mit ihnen spielte - ganz geil.
Stefan griff zu einem Stück Papier, notierte - Lisa ein
Skateboard, für Peter das Lego, ein paar gute Flaschen Wein
für die Eltern, vielleicht ein Buch, something.
Fünf Jahre Weihnachten im Halbschlaf.
Tritte verletzten den Fußboden.
Verdammt, Steffi hätte ich bald vergessen, die Steffi, mit den
Augen, die seinerzeit die dunklen Gedanken bannen hatten können -
wenn auch nur für Augenblicke. Was machte sie wohl gerade?
Vergeben, nie vergessen. Einst ein blonder Engel ...
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ...
Er stand auf, legte sich auf den Boden, stellte sich vor, wie
es war, tot zu sein, vom Leben nichts mehr erwarten zu müssen,
ruhig, atemlos zu verharren, am Boden, im Boden.
Stefan glaubte nicht.
Diese Schwäche erlaubte er sich nicht.
Der Schnee verwandelte sich in Regen. Die Welt hatte ihre
Unschuld verloren.

DAS war das Fest der Liebe.

Sein Weihnachtsbaum stand über und über geschmückt im Schatten des
Wohnzimmerschrankes, glänzte in seiner letzten Blüte.
Morgen schon würde er ihn auf den Müll werfen - vorbei.
Stefan zerknüllte seinen Einkaufszettel, warf ihn zur Seite.
Nehmen - war doch stärker als Geben.

CJD 181206
Zuletzt geändert von Hoedur am 08.01.2007, 10:47, insgesamt 3-mal geändert.

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 19.12.2006, 08:58

Hallo Hoedur,

hervorragende Momentaufnahme, mehr ist da nicht zu sagen.

Winzmeckerchen: Es muss heißen "ihre" Welt statt seine Welt.

Liebe Grüße
Marlene

pandora

Beitragvon pandora » 19.12.2006, 09:32

hallo hoedur,


ich möchte mich meiner vorschreiberin anschließen: das ist eine gelungene momentaufnahme. allerdings bin ich der meinung, das der text durch eine weitere überarbeitung durchaus besser werden könnte.
ich würde straffen. ein erzählstrang ist mit der beobachtung der witterung (schnee, der seine konsistenz verändert) gegeben. um diese linie winden sich die erinnerungen und zweifel des mannes. bedenken würde ich außerdem die erzählperspektive. du wechselt vom auktorialen zum ich-erzähler. vielleicht ist das gewollt. möglicherweise wäre aber eine einheitliche perspektive günstiger. ein paar anmerkungen außerdem:

- schneeflocken zerspringen/zerbrechen ... /"zerplatzen" bringe ich mit tropfen in verbindung

- "Sein Weihnachtsbaum stand über und über geschmückt im Schatten des
Wohnzimmerschrankes, glänzte und blühte seine letzte Blüte. " (blühen/Blüte ----> wiederholung des wortstammes)

- "Nehmen - war doch stärker als Geben.".



lg
p.

Hoedur

Beitragvon Hoedur » 19.12.2006, 22:15

Liebe Marlene, liebe Pandora,

schön, daß ihr euch Zeit für meinen Text genommen habt.
Marlene, danke fürs Lob. Sowas hör ich immer gern. ;-)
Pandora, Du hast es entdeckt - das Zitat muss zwar in der
Ich-Form bleiben, jedoch einmal bin ich "aus Gewohnheit"
in die Ich-Form übergewechselt. Muss ich gleich ausradieren.
Vielleicht sollte ich schreiben: GRAUPEL zerspringen. Die
Verben würde ich gerne behalten, da sie meine Grundstimmung
unterstützen.
Das Blühen hab ich getilgt.


Einen schönen Abend
Hoedur

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.12.2006, 20:02

Lieber Hoedur,
das habe ich auch gern gelesen, ein Text, der nahe an der Empfindung geschrieben ist, das gefällt mir als Momentaufnahme auch sehr gut. Ich könnte ihn mir gut in einer Reihe solcher Momentaufnahmen vorstellen, eine Reihe von "Mauerschauen an Weihnachten".

Liebe Grüße,
Lisa

Warum hast du ihn so schmal eingerückt?

Kleine Anmerkungen:

Überall auf den Tannenspitzen, sah er goldene Lichtlein
blitzen


Komma weg

weinachten
--> Weihnachten

falls du neue R. möchtest: mußte und mißlich ---> musste und misslich

Die Ärzte sagten, es bestehe keine Hoffnung,keine Hoffnung
auf Heilung.

würde ich streichen, da ja Ärzte schon sagt, dass es um Heilung geht...
Jetzt tanzen sie! wie der Wind so mit ihnen spielt - ganz geil.


Zum einen wie groß und zum anderen ist der Rest des Textes im IMperfekt....so sollte auch diese Stelle im Imperfekt erzählt werden?

Fußtritte verletzten den Fußboden


FUß/Fuß = Wiederholung. Vielleicht: Tritte verletzten den Fußboden? Oder Fußtritte verletzten den Küchen/Wohnzimmer/etc. -boden (oder Teppich etc.)...


Augen, die seinerzeit die dunklen Gedanken bannen hatten können -
wenn auch nur für Augenblicke


Auge Auge Wiederholung. einzelne Momente statt Augenblicke vielleicht?
Ich weiß nicht was soll es bedeuten ...


Komma nach nicht

stellte sich vor wie es war tot zu sein


Komma vor wie (und nach war)

Morgen schon würde er ihn auf den Müll werfen - Erlösung.


besser fänd ich: Morgen schon würde er ihn auf den Müll werfen - endlich.

Statt der Schneeflocken (pans Einwand, dem ich zustimme) vielleicht: Schneekristalle oder Eiskristalle oder soetwas? Graupel kommt glaube ich nicht von Schnee, sondern von Nebel. (weil du ja die Verben behalten willst).
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Hoedur

Beitragvon Hoedur » 30.12.2006, 09:25

Guten Morgen liebe Lisa,

sooo, entschuldige meine späte Antwort, doch ich war die Weihnachtstage
und danach meist nicht zuhause und hatte viel zu wenig Zeit, mal wieder.
Schön, daß Dir mein Text gefällt, daß er schmal eingerückt ist hat keinen
besonderen Grund. Danke auch fürs Kommentieren.
Oje, die neue Rechtschreibung spar ich wenn möglich noch aus.
Jetzt tanzen sie! wie der Wind so mit ihnen spielt - ganz geil.

Gut, ich werde die Zeit ändern. Ich wollte hier bewußt die Gegenwart als
Stilmittel einbringen, bei näherer Betrachtung sehe ich aber auch keinen Sinn mehr.
Tritte verletzten den Fußboden

Ich entscheide mich mal so, gefällt mir aber nicht ganz, mach ich mir mal Gedanken
darüber.
Die Ärzte sagten, es bestehe keine Hoffnung, keine Hoffnung
auf Heilung.

Hier wollte ich die Resignation ausdrücken, indem die Leute Worte und Sätze wiederholen.
Gibt es da noch andere Möglichkeiten das schöner zu machen?
Augen, die seinerzeit die dunklen Gedanken bannen hatten können -
wenn auch nur für Augenblicke

Hier habe ich versucht mit den Wörtern zu spielen: Augen / Augenblicke.
War bewußt so gewählt.
Morgen schon würde er ihn auf den Müll werfen - Erlösung.

Hier hatte ich zuerst den Scheiterhaufen statt Müll. Die Erlösung steht dann sinnbildlich
für die Einäscherung nach dem Tod des Menschen, für den keine Heilung mehr möglich ist.
Später hab ich mich dann für den Müll entschieden, da Scheiterhaufen eher einen negativen
Beigeschmack hat. Das "endlich" will hier nicht so gut aussehen.
Ich hab mal nachgelesen und werde Reifgraupel verwenden. Das gefällt mir:
http://www.wissenschaft.de/wissen/gutzu ... 72643.html
Was man da nicht alles wieder lernt ;-)

Liebe Grüße und einen guten Rutsch
Hoedur

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Beitragvon annette » 30.12.2006, 11:00

Hallo Hoedur,

auch mir gefällt der Text ausgesprochen gut. Hier noch ein paar Ideen zu Deinen Änderungen.

"Tritte verletzten den Fußboden"
Hoedur hat geschrieben:Ich entscheide mich mal so, gefällt mir aber nicht ganz, mach ich mir mal Gedanken darüber.


Vielleicht noch eine andere Möglichkeit: "Schritte verletzen den Fußboden". Oder meinst Du Tritte im Sinne von Aufstampfen?

"Die Ärzte sagten, es bestehe keine Hoffnung, keine Hoffnung
auf Heilung."

Hoedur hat geschrieben:Hier wollte ich die Resignation ausdrücken, indem die Leute Worte und Sätze wiederholen.
Gibt es da noch andere Möglichkeiten das schöner zu machen?


Vielleicht: "Die Ärzte sagten, es bestehe keine Hoffnung, nicht die geringste." (Oder so ähnlich)

"Morgen schon würde er ihn auf den Müll werfen - Erlösung."

Die Erlösung ist mir hier auch zu beladen. Vielleicht ganz prosaisch: "- Dann ist es vorbei." Das kann man auf verschiedene Arten lesen. Als Erleichterung, als Ende des Festes, Ende des Lebens ...

Aber insgesamt eine starke Stimmung, die Du erzeugst. Auch wenn für den Leser (oder nur für mich?) einiges unaufgelöst bleibt, liest sich der Text sehr gut: fließende Gedanken und zwischendurch diese Meilensteine im Text/Leben wie:
"Jeder Versuch zusammenzuhalten, was nicht zueinander gehörte, mußte fehlen."

Grüße, Annette

Hoedur

Beitragvon Hoedur » 08.01.2007, 10:48

Hallo guten Morgen Annette,

leider war und bin ich derzeit arg beschäftigt, deshalb meine späte Antwort, entschuldige.
danke für das Lesen des Textes, Deine Worte haben mich sehr gefreut.
Mit Tritte meine ich hier schon Aufstampfen, Zorn über die Ausweglosigkeit.
Was hältst du anstatt:
Morgen schon würde er ihn auf den Müll werfen - Erlösung

einfach nur:
Morgen schon würde er ihn auf den Müll werfen - vorbei.

Hmm ... wie wärs statt
'keine Hoffnung auf Heilung' mit 'keine Heilung'


Grüße aus dem sommerlichen München
Hoedur

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Beitragvon annette » 08.01.2007, 14:18

Hallo Hoedur,

Morgen schon würde er ihn auf den Müll werfen - vorbei.

Ja, gefällt mir viel besser als „Erlösung“. Statt „vorbei“ ginge auch „das war’s“.

Hmm ... wie wärs statt
'keine Hoffnung auf Heilung' mit 'keine Heilung'

Dann heißt der Satz „Die Ärzte sagten, es bestehe keine Hoffnung, keine Heilung.“ Ergänzt man dann nicht automatisch beim Lesen zu „es bestehe keine Heilung.“ ? Das klingt etwas schief.
Wie wäre es mit „„Die Ärzte sagten, es gebe keine Hoffnung, keine Heilung“ ?

Lieber Gruß, annette

Hoedur

Beitragvon Hoedur » 08.01.2007, 17:32

Hi Annette,

hmm ... naja ... gefällt mir auch nicht so gut.
Ich stell mir vor, da brabbelt einer vor sich hin:
keine Hoffnung, keine Chance auf Heilung, ... alles vorbei...
Weisst Du, das stoische Wiederholen der Tatsache.
Wenn ich 'gebe' schreibe, dann klingt das nicht mehr so monoton
'vor sich hin' geredet.
Ich glaub ich bin da zu kleinlich.

Vielleicht sollte ich es einfach dabei belassen ... etwas besseres beginnen.

Danke für die Mühe ...
Hoedur


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