Peregrin

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 11.04.2007, 10:18

Es war einmal ein Maler namens Eduard, der wollte ein Pferd malen. Einen schönen, edlen, schwarzen Hengst auf einer Blumenwiese. Also begann er fröhlich mit seinem Werk und es gelang ihm wunderbar. Als er den Pinsel niederlegte, blickte ihn ein Pferd so lebensnah an, dass er das feuchte Fell förmlich riechen konnte. Es war ihm, als poche das Blut unter seinen Fingern, wenn er seine Hand auf die Leinwand legte. Und beinah hörte er ein leises Schnauben, wie zur Begrüßung. Doch dann erschrak Eduard. Man hatte ihm gesagt, ein Bild müsse Dynamik haben. Wo war die in seinem Bild. Nichts davon zu sehen. Also stellte er es schnell in die Ecke und begann von neuem. Ein galoppierendes Pferd. Und auch dieses gelang ihm vortrefflich. Der Wind blies einem ins Gesicht und man konnte die Freiheit schmecken. Eine Weile genoss Eduard diesen Anblick und freute sich über seine Zeichenkunst. Bis die Zweifel sich einschlichen. Gab es nicht schon hunderte, wenn nicht tausende von Pferdebildern? Was also sollte das besondere an diesem sein, was hob es von den anderen ab. Hätte man nicht ebenso ein Pferd fotografieren können? Es war also keine Kunst. Es war nichts. Eduard kam ins Schwitzen. Eine Idee musste her. Eine noch nie dagewesene. Vielleicht ein Hund auf dem Rücken des Pferdes. Nein, das war Zirkus oder Bremer Stadtmusikanten. Nein es musste etwas Irreales sein. Ein Baum. Ja, er würde dem Hengst einen Baum auf den Rücken malen. Ihm Wurzeln um seinen Bauch legen. Also malte er flink einen Baum, keinen ungewöhnlichen, einfach irgendeinen hinein in sein Bild. Und zum Glück deckten seine Ölfarben wunderbar, machten durch die dicke Schicht den Baum fast noch plastischer. Eduard war nun zufrieden und legte sich schlafen. Und er schlief schlecht, träumte von seinem Bild und schreckte morgens um drei Uhr aus seinem Dämmerschlaf. Jetzt wusste er, was falsch war. Wie hatte er das übersehen können. Er hatte ein Pferdebild gemalt, auf dem für jeden deutlich sichtbar ein Pferd zu sehen war. Wie banal. Kein Geheimnis, keine Tiefe lag in seinem Bild. Es war Handwerk, niemals Kunst. Der Rappe musste weg. Es ging doch um die Idee des Tieres, um die künstlerische Begegnung, da durfte nicht abgebildet werden. Eduard brauchte dieses Mal viel Farbe. Doch letztlich war nichts mehr von seinem Pferd zu sehen, das er heimlich schon Peregrin genannt hatte. Eduard stand nun vor seinem Meisterwerk. Einer ausgedorrten Landschaft mit einem Baum, dem Dornen gewachsen waren, die Wolken anstachen, die natürlich nicht an Pferde erinnerten, das wäre ja schon eine beinah lächerliche Andeutung gewesen. Aus den Wolken tropfte es rot auf die rissige Erde und die Wurzeln des Baumes schienen begierig das rot aufzusaugen. Es sog sich durch den Stamm hinauf, verändert die Farbe langsam über violett ins dunkle blau, um an den Blättern hellblau vor dem grauen Himmel zu erstrahlen. Nun war sein Werk vollendet und Eduard sank beruhigt in tiefen Schlaf.
Die Kritiker nahmen sich des Bildes voller Begeisterung an. Es wurde philosophiert und interpretiert. Über Hungersnöte in Afrika, die Weltpolitik, das psychologische Phänomen der Autoaggression. Es wurden Ebenen gefunden, die Eduard erblassen ließen ihn ihrer Tragweite und seinen intellektuellen Horizont bei weitem überstiegen. Und doch, was niemand sah, einfach niemand erkannte, war der Grund, der Ursprung, seine Intention. Peregrin wurde nicht gefunden. Er blieb dem Betrachter fremd. Aber da, hinter der dicken Schicht Farbe, konnte man ihn da nicht zittern sehen, vor Anstrengung vom weiten Weg? Eduard sah ihn so deutlich, wieso nicht die anderen. Er hatte doch alles bedacht, jeden Hinweis, den er jemals bekommen hatte sorgsam umgesetzt. Und nun das. Niemand verstand sein Bild und niemand seine Frage, ob man denn nicht noch etwas finde, wo ja schon so viel an Inhalt gefunden worden war. Selbst der Titel des Bildes „Der Fremdling“ hatte niemanden auf die richtige Spur gebracht. Zweifelnd und niedergeschlagen ging Eduard nach Hause, betrat sein Atelier und sein erster Blick fiel auf Peregrin, wie er da so statisch auf seiner Blumenwiese stand und ihn begrüßte. Nicht vorwurfsvoll. Nur froh, dass er zurück war.
Zuletzt geändert von Ylvi am 16.04.2007, 15:18, insgesamt 4-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.04.2007, 01:20

Hallo smile,

ich bin erst heute dazu gekommen, deine Geschichte zu lesen. Sie gefällt mir wirklich gut, flüssig und bildhaft geschrieben. Und man kann dieses Gleichnis auf Vieles anwenden. Ich hatte z.B. den Gedanken an einen Dichter im Kopf, der, weil er so viele Kritiken bekommen hatte, immer wieder sein Gedicht verändert und so am Schluss etwas herauskommt, was nicht mehr seins ist.
Sehr gerne gelesen,-)
Saludos
Mucki

Gast

Beitragvon Gast » 14.04.2007, 01:51

Liebe smile,

hübsche Fabel, flüssig erzählt, aber sie geht mir nicht tief genug. Mir fehlt viel von der Qual, die mit einer solchen "Angelegenheit" verbunden ist.
Aus einer, wie von dir geschilderten Übermalung ist schon manches Kunstwerk entstanden. Inwieweit dieses einfließen könnte in deinen Text, finde ich überlegenswert und auch reizvoll.
(Ich würde sogar überlegen diese Geschichte um ein reales Kunstwerk zu schreiben)
Auch wenn der Maler Eduard (den ich übrigens Edouard schreiben würde), ;-) in deiner Geschichte, versucht einem Zeitgeschmack Genüge zu tun, halte ich die Fabel insgesamt für zu glatt.
Ich glaube du müsstest dir genau überlegen, was dir am Wichtigsten ist.
Die satirisch komische Seite, dass sich "Kunstkenner" derart vorführen lassen, oder der Schaffensprozess als Leidensweg des Künstlers, der hinterher frustriert und enttäuscht ist.
So weit mal meine Gedanken.

smile hat geschrieben:Als er den Pinsel niederlegte, blickte ihn ein Pferd so lebensnah an, dass er ihn förmlich riechen konnte.

Hier ist eine Fehlerchen zu berichtigen. Statt "ihn" muss es "es" heißen. Bezug auf das Pferd.
Liebe Grüße
Gerda

Sam

Beitragvon Sam » 14.04.2007, 07:57

Hallo smile,

was ich aus der Geschichte in erster Linie herauslese, ist die Frustration, nicht verstanden zu werden. Und das fängt ja schon an, wenn man einen "Kunstwerk" der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Z.B. einen Text, den man in ein Forum stellt.

Dieser Eduard ist eigentlich ein armer Kerl, denn er malt nicht das, was er malen möchte, sondern richtet sich nach dem, was andere über seine Malerei denken könnten. Er übermalt und übermalt und auch wenn er dann am Ende Erfolg hat, so nicht mit dem, was er ursprünglich zeigen wollte. Den Erfolg empfindet er sogar als Verrat an seiner Kunst (so interpretiere ich das Ende).

Der Text für mich: Bildnis des Künstlers am Anfang seines Weges. D.h eine Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und Rezeption der eigenen Kunst durch andere, bzw. Unterordnung des eigenen Themas unter die Meinung der Rezepienten.

Liebe Grüße

Sam

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 14.04.2007, 10:28

Hallo Mucki und Sam,
danke für eure Kommentare, freut mich, dass euch die Geschichte angesprochen hat.
Den Gedanken an den Dichter hatte ich auch im Kopf. ;-)
Bildnis des Künstlers am Anfang seines Weges

Darüber rätsel ich noch, ob der Künstler auf seinem Weg sicherer und autarker wird.

Hallo Gerda,
schön dich wieder zu lesen.
Erst mal, warum soll der Maler Franzose sein?
Die Tiefe der Geschichte ergibt sich aus den Gedanken, die sie hervorruft im Leser. Ich wollte hier die Sprache bewusst leicht und flüssig halten.
Ich glaube du müsstest dir genau überlegen, was dir am Wichtigsten ist.

Beides war mir wichtig und ich denke gerade durch die Erzählstruktur ist auch beides beim Leser angekommen.

das Pferd, aber der Hengst. Deshalb das "ihn".

liebe Grüße smile

Traumreisende

Beitragvon Traumreisende » 14.04.2007, 10:53

liebe smile, du malst? du musst malen!!!! ganz bestimmt!!!! denn jedes detail war so miterlebbar, auch die farbschichten, auch das technische, das verhalten der schichten der farben...

und eben die geschichte, ich mag sie als solches annehmen...

lg silvi

Gast

Beitragvon Gast » 14.04.2007, 12:48

smile hat geschrieben:
das Pferd, aber der Hengst. Deshalb das "ihn".

liebe Grüße smile


Liebe smile,

dass du das Pferd im Satz zuvor als Hengst bezeichnet hast, stimmt zwar, (war mir auch nicht entgangen) ;-) aber der Bezug muss grammatisch zu Pferd hergestellt werden, weil im Satzteil, auf den du dich mit "ihn" beziehst, von Pferd die Rede ist, und das ist nun mal Neutrum

Der Satz lautet
smile hat geschrieben:Also begann er fröhlich mit seinem Werk und es gelang ihm wunderbar. Als er den Pinsel niederlegte, blickte ihn ein Pferd so lebensnah an, dass er ihn förmlich riechen konnte.


Mag dir vielleicht pingelig erscheinen, ist aber nun mal so.

Ich habe vorgeschlagen, Edouard zu schreiben, weil mir es reizvoll erschiene,
einen Bezug zur Realität herzustellen.
Es wäre nicht deine Intention, das habe ich nun verstanden.

Liebe Grüße
Gerda

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.04.2007, 14:16

Liebe Gerda,

sicher, man könnte das quälende Element mehr reinbringen. Ich dachte zuerst auch, dass es, schon durch den Anfang "Es war einmal", nicht konkret genug geschrieben wäre, zu weit entfernt. Aber dann, als ich den ganzen Text gelesen hatte, war es für mich stimmig, dass smile es insgesamt so geschrieben hat, weil durch diese gewisse Distanz, eine Oberflächlichkeit zum Vorschein kommt, nämlich die Oberflächlichkeit der anderen, welche die Tiefe des Künstlers nicht sehen wollen oder können. Deshalb passt der Stil m.E. gut.
Saludos
Mucki

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 15.04.2007, 19:18

Hallo Silvi,
hatte deinen Komm. ganz übersehen. Ich muß dich leider enttäuschen, ich male nicht. Zumindest nicht künstlerisch wertvoll, aber wer weiß, was noch kommt. ;-)

Hallo Gerda,
ich weiß, du hast grammatikalisch recht, aber das "es" ist irgendwie so abwertend, das will mir da einfach nicht hinpassen.

liebe Grüße smile

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 16.04.2007, 15:06

Hallo smile,

nur noch mal zu dem von Gerda monierten Satz:

Als er den Pinsel niederlegte, blickte ihn ein Pferd so lebensnah an, dass er ihn förmlich riechen konnte.


Wenn Du das so belässt, musst Du damit rechnen, dass mancher Leser den Nebensatz auf den Pinsel beziehen wird - der ist nämlich (außer dem Maler) der einzige "er" in dem Satz. :spin2:
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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leonie
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Beitragvon leonie » 16.04.2007, 15:19

Hallo smile,

spricht etwas dagegen, statt "Pferd" "Hengst" zu schreiben? Ansonste stimme ich Zefira zu, es heißt nunmal "das Pferd" und ncht "der Pferd" :-). "Er" klingt einfach falsch an der Stelle...

Liebe Grüße

leonie

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 16.04.2007, 15:20

Hallo Zefira,
ja, ihr habt recht. Ich habe ihn jetzt das feuchte Fell riechen lassen. :rolleyes:
liebe Grüße smile

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leonie
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Beitragvon leonie » 16.04.2007, 15:22

Viiiiiieeel besser, finde ich.

Liebe Grüße

leonie


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