Von Kurzstreckenläufern, Kinderhusten und Hohlriesen

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 21.03.2007, 22:46

Überarbeitete Fassung (veränderte(abgeschwächte Erzählerposition)

Von Kurzstreckenläufern, Kinderhusten und Hohlriesen


Wenn Hannah auszumachen versucht, wann sie das erste Mal nicht mehr ...

dann weiß sie es nicht. Was sie noch weiß, ist, wie sie als Kind auf Klassenfahrt nach Sandhatten fuhr, und dass sie sich an eine Begebenheit erinnert, die vielleicht eine Annäherung an früher bedeutet.
Viele Erinnerungen hat Hannah an diese Fahrt nicht mehr, wie sie an das meiste kaum Erinnerungen hat. Wenn sie die anderen von früher reden hört, hat sie immer das Gefühl, ihr Gedächtnis sei fehlerhaft angelegt. In ihrem Kopf gibt es keine Geschichten, keine große Linie, da gibt es gar keine Linie, nur jede Menge tiefstes Schwarz; welches allerdings auch schon eine ungesicherte Behauptung ist. Im Grunde umschreibt es ein „Gar nichts“ am besten, aus dem „dann und wann“ etwas „herausragt“, wie eine Gipfel aus dem Nebel. Nur eben ein Gipfel, der auf dem Kopf steht oder noch genauer, einer, der in die Tiefe wächst.
Hannah meint sich weiterhin zu erinnern, dass dies sich nicht immer so verhielt, dass sie sich einmal auf andere Weise erinnern konnte oder zumindest das Gefühl beim Erinnern einmal ein anderes war. Sie vermutet, dass dies mit dem ihr eigenen Trieb zusammenhängt, Ungeheuerlichkeiten wie etwa einen großen Schmerz oder eine große Lust erinnern zu wollen. Was nach einer solch großen Aufmerksamkeit verlangt, dass sie nur gelingt, wenn etwas auf die Spitze getrieben wird. Als ob solche Erinnerungen ein so alles überragender und spitzer Berg sein wollten, auf dem Feld, das zur Verfügung steht, dass sie das Gegenteil davon sind – ein großes, alle sonstigen Zusammenhänge in sich hineinziehendes Loch; aber weil sie nicht zugeben, dass sie ein solches alle sonstigen Zusammenhänge in sich hineinziehendes Loch sind, sich wiederum zu einem Berg emporschwingen. Hannah stört bei ihren Versuchen, in klare Gedanken zu fassen, wie es sich mit ihrem Erinnern verhält, der ständige Rückfall in Paradoxe; sie wünscht sich, das ganze sich selbst gegenüber weniger als romantischen Anfall aussehen lassen zu können.

Aber zurück zu dem, wovon Hannah weiß.

Sie weiß noch, dass sie an einem der Tage während der Klassenfahrt auf den Steinplatten zwischen all dem Rasen und Sand Riesenseifenblasen hat platzen lassen; oder zumindest, dass sie anderen Kindern dabei zugesehen hat. Und sie weiß auch noch, dass auf dem Gelände ein Bunker stand, an dessen einem schmalen Eingang sich eine Schlange aus den Mutigen bildete (dabei war es nicht der Sinn im Bunker zu sein, sondern hindurchzukriechen und am anderen Ende wieder hervorzukommen) (was Hannah wieder an den Bunker erinnert, der vor dem Altersheim in ihrer Straße daheim stand und in dem über viele Jahre hinweg nur modrig riechende Bücher lagen, zuhauf, Gott weiß, formulierte eine Freundin immer ganz seltsam, wie Hannah schon damals fand, Gott weiß, wo die herkommen! Verkaufen können wir die jedenfalls nicht).
Sie weiß auch noch, dass sie sich gleich nach der Anreise in der DJH beim Bettenbeziehen aufregte, so wie sie sich auch immer zuhause beim Staubsaugen aufregte, innen drin, auf diese Art, dass man sich fast übergibt vor Wut, weil es nicht gelingen will. Und als sie anfing, es ordentlich zu machen (Decke glatt bereitlegen, Bettbezug auf die verkehrte Seite ziehen, aus dem inneren des Bezugs heraus die beiden Zipfel an der kurzen Seite der Decke greifen und den Bezug umstülpen, dann schütteln, nachziehen, wieder schütteln, nachziehen u.s.f.), da war schon alle Geduld durch Zehren, Stopfen und Ziehen aufgebraucht. Die anderen liefen bereits hinaus in die umliegenden Hügel und hinterließen mamaglatt bezogene Betten und Hannah ließ ihres klumpig, wie es war, und lief hinterher.
Dann gibt es noch ein paar andere Erinnerungen (der Dorn im Fuß, auf dem Marsch zu den Großsteingräbern, zwei der eigentlich vier Zeilen der selbstgedichteten Strophe des Liedes, das zur Klassenfahrt auf eine bekannte Melodie geschrieben wurde (Das Essen hat uns gut geschmeckt/Wir haben die Teller abgeleckt), der durch die Heidelandschaft brausende Motorradfahrer, den die Kinder, als wären sie abgerichtete Hunde, beschimpften und wo sie es wieder übertrieb, sodass sie auffiel, wie sie es so oft schon getan hatte und auch weiterhin tun würde).
Bei diesen Erinnerungen ist sich Hannah allerdings nicht sicher, ob sie sich wirklich an diese erinnert oder nur noch von ihnen weiß, weil sie später davon erzählt bekommen hat oder sie einfach nur sehr oft in dem Buch über die Klassenfahrt geblättert hat.

Bis auf eine verbliebene sind mit diesen wenigen Lichtwürfen auch schon alle Erinnerungen Hannahs an mehrere Jahre ihres Lebens zusammengetragen. Jene allerdings ist für Hannah zu einem der in die Tiefe gewachsenen, spitzen Gipfel geworden.

Jeden Tag nämlich spielten die Kinder in den umliegenden Sandhügeln Räuber und Gendarm und an einem dieser Tage legte Hannah sich müde vom Spiel auf einen leichten Hügel und schaute in die Wolken. Sie war an der Oberfläche so etwas wie traurig, fühlte, dass sie nicht im Spiel aufging, obwohl ihr niemand etwas besonders Gemeines oder Gutes getan hatte. Vielleicht hatte sie schon davor einmal diese Oberfläche gespürt, aber damals band Hannah sie das erste Mal in ihr Handeln ein. Denn wie sie dort, zwischen den Hügeln, an der Oberfläche so etwas wie traurig war, musste sie an ihre kleine Katze (Anna, kleiner als die Hand des großen Bruders) denken, die kurz zuvor überfahren worden war. Und auf einmal hatte Hannah den Wunsch, traurig darüber zu sein, dass sie tot war (Hannah ist sich unsicher, ob aus einem schlechten Gewissen heraus, weil sie es vorher nicht genug gewesen war, oder aus einem plötzlichen Verständnis). Und sie suchte am Himmel nach einer Wolke, die einer Katze ähnelte, aber da gab es keine. Sie waren sehr weiß gegen das Blau, aber keine sah auch nur annähernd aus wie eine Katze, nicht mal ein Katzenkopf war auszumachen. Hannah weiß bis heute noch genau, wie sich dieser Moment gestaltete und erinnert sich sogar noch, wie es weiterging: Nämlich, dass sie sich im Folgenden ein erstes kleines psychologisches Meisterwerk kreierte. Denn als sich keine passende Wolke finden ließ, suggerierte sie sich eine katzenähnliche, sah also eine solche, obwohl dort keine war und wusste dies auch noch, heimlich, tiefer, versteckt; heiß, aber zugleich kaum gegenwärtig, wie ein schleichendes Fieber. Und so schaffte sie es an diesem Tag, dass sie weinen konnte und schließlich auch weinte.

Das war natürlich nur ein einzelner Moment und es kamen viele Jahre, in denen es wieder war wie zuvor, so vermutete Hannah zumindest, denn es gab kaum Erinnerungen an diese Zeit. Es ist natürlich nicht gesichert, dass es nicht schon früher solche Szenen gegeben hatte; etwa im Kindergarten, wo es dieses Loch im Maschendraht gab, hinter der Hütte für die Roller und anderen Spielsachen; dieses Loch, verdeckt von Brennnesseln, das nur sie kannte, durch das sie jederzeit hätte davonlaufen können und durch welches der immerheulende Pitt, hätte er es gekannt, sicher davongelaufen wäre, Hannah aber nicht, weil sie sich dafür entschied.
Aber die Suggestion zwischen den Hügeln ist die erste Erinnerung, an der sich für Hannah eindeutig Entscheidendes manifestiert und deshalb nennt sie sie, im Bewusstsein, dass die diese Aussage begleitende psychologische Dramatik nicht einiger Lächerlichkeit entbehrt, den „Anfang“.

Den Anfang? Den Anfang von was? Hannah weinte in diesem Augenblick nicht. Nein, Hannah war geteilt in Oberfläche und etwas anderes und dann machte sie etwas mit sich, damit sie etwas fühlte. Sie weinte nicht, weil sie traurig war, sondern sie machte, dass sie weinte, damit sie traurig sein konnte.
Darum weiß Hannah auch nicht mehr, ob später wirklich andere Kinder gekommen waren und sie fragten, was sie hätte, und sie gesagt hatte Ach, nichts oder Meine Katze ist gestorben und ich bin traurig, dass sie tot ist oder ob niemand gekommen war und diese Erinnerung nur in ihrem Kopf kam, weil sie sich gewünscht hatte, dass andere gekommen wären.

Schlimm an solchen Anfängen ist, dass sie erst der Anfang von etwas sind. Und man hinnehmen muss, dass das, was angefangen hat, immer weitergeht, auch wenn es einem nicht gefällt, auch wenn man es rückgängig machen möchte.
Hannah behauptet, dass die Teilung in Oberfläche und etwas anderes das war, was sie verletzbar gemacht hat. Die Welt rückt in die Ferne, wird zu einem empfindlichen Wunsch, im besseren Fall vielleicht zu einer süßen Angst. Es gibt eine Wegstrecke zurückzulegen, wenn etwas Wirklichkeit werden soll. Auf dieser Wegstrecke kann soviel passieren und natürlich passiert so vieles und berührt einen auch nur ein Hauch von diesem vielen, so muss man aufgeben, oder weitergehen; und beides tut weh, denn vorher war es anders, da kannte man ein muss nur als von anderen auferlegt. Jetzt aber gab es ein unbestimmtes Müssen und ganz gleich, was man tat, man verlor etwas dafür.
Die Verstecke waren es, die Hannah abhanden kamen, denn entweder war man allein (dann war man ja nicht versteckt) oder das Versteck war unter den anderen (und auch dann war man nicht versteckt). Ja, um es wieder zu übertreiben, im Grunde war man nur versteckt, wenn man sich nicht versteckte und diese Zeit war vorbei.

*

Als Hannah etwa 15 Jahre alt war, da gab es eine Nacht, in der dachte sie, dass sie es nicht länger aushielte, das Maß voll sei, es genug sei. Sie lag auf der Matratze, am Boden und hörte eine Musik, immer wieder dieselbe, und der Mond schien durch die wehenden Birken ins Fenster und zeichnete Schatten auf die Tapete. Sie dachte an diesen Mann, den es so, wie sie ihn kannte, gar nicht gab. Den sie sich nur aus Bildern im Fernsehen zusammengeliebt hatte. Und auf einmal hatte Hannah dieses Gefühl, nein, das traf es nicht, es muss heißen, auf einmal wusste Hannah, dass dieser Mann genau in diesem Augenblick, in welchem sie dort lag, weinend im Mond, auf der Matratze, die spielenden Schatten im Blick, mit seiner Frau schlief. Dass er nicht einmal wusste, dass es sie gab und doch ganz echt war, wie sie selbst.

Sie sprach dann dramatisch mit Gott, an den sie sonst nicht glaubte, er solle sie jetzt, in diesem Augenblick und nur in diesem Augenblick holen, für irgendein anderes Leben, zum Beispiel das eines verunglückten Motorradfahrers, der gerade in diesem Moment auf einer Straße entlanggeschlittert war und nun reglos aber bei Bewusstsein auf der Grasnarbe lag und kaum seinen Brustkorb heben konnte.
Hannah bediente sich für diese Phantasie eines Gefühls, das sie vom Reiten kannte. Sie war einmal von ihrem bockenden und furzenden Lieblingspony Lester mit ordentlicher Gewalt auf den Rücken in den Reithallensand gefallen (dass Reitponys immer fürchterlich furzten, dass sie so würdelos wirkten, wenn sie sich auflehnten, empfand Hannah als bezeichnend). Der Buchstabe E der kurzen Bandenseite war auf sie zugetrieben, es flimmerte und glitzerte von den Augenrändern her und ihr Brustkorb war so eng, dass nur das Wort „spröde“ ihn richtig beschrieb, denn dieses Wort fasste den Genuss in sich, den Hannah empfand, nicht zu atmen, obwohl ihr Körper es versuchte.
Dieses ihr bekannte Gefühl also nahm sie zur Hilfe, als sie dalag in dieser Nacht, die eine von vielen war, um durch eine Phantasie dem eben verunglückten Motorradfahrer nah zu sein. Ihn spüren zu können, wie er dalag und nicht atmen konnte. Und das Spiel kam Hannah wie ein magisches Spiel vor; sie glaubte daran, sie glaubte an den Motorradfahrer, glaubte, dass er genau in diesem Moment wirklich irgendwo in derselben Stadt wie sie lag, und hatte das Gefühl, sie müsse nur genau den Takt des Nichtatmens dieses Menschen treffen, dann würde es wahr, dann würde Gott sie aus dieser Welt holen und ihr letzter Atemzug (sie spielte auch diesen und hielt die Luft möglichst unabsichtlich an, aber nichts geschah) würde der erste erneute des Motorradfahrers sein. Sie war bereit zu gehen, auch mit Schmerz, sie gab sich weg. Aber Gott, den es ja auch gar nicht gab, nahm sie nicht. Und so ging Hannah am nächsten Morgen wie auch jeden Morgen zuvor zur Schule und war eine unter vielen.

Und so kam es, wie es für die, die Hannah heute war, nur allzu verständlich war: Jeder Tag tat immer öfter weh und umso öfter es wehtat, desto verzagter wurde sie. Ihre Handlungen verschoben sich zu Beobachtungen, wodurch sie sich selbst zunächst zu abseits erschien und zurückzuckte, aber durch eine von Hohn gespeiste Faszination nach und nach begann, es doch zu genießen. Denn sie bekam einen Zug um die Mundwinkel, mit dem sie sich locker an die Wand gegenüber den Klassenräumen lehnen konnte, ohne dass ihr jemand die Beine im Vorbeirennen wegschlug, wie das ja oft geschah, bei jedermann, nur so, zum Spaß.

Dieser Genuss war natürlich gefährlich, denn Hannah bemerkte durch ihn nicht, dass sie sich zur Kurzstreckenläuferin ausbildete.
Sie verlernte auch einmal über einen Punkt hinauszuschießen, wenn die Kraft nicht zu reichen scheint. Wenn ihr der Tag so wehtat, dass ihr nach mehr verlangte, als dies in der Nacht unter dem Mond mit sich alleine auszutragen, wünschte sie sich, sie wäre jemand, der Nasenbluten bekäme, wenn er sich aufregte. Und nach und nach trug ihr Spott sie so weit aus allem heraus, dass sie auch ihre Wut verlor. Ja, zuletzt gab sie ihrer Vorliebe für das Träumen so stark nach, dass sie ihre Lautstärke gänzlich verlor, sich immer mehr zurückzog, das Vermeiden lernte, das Aufgeben vor dem Anfangen. Und so stellte sie sich lieber vor, wie es wäre, wenn sie doch Nasenbluten bekäme, als sich ein Stück weiter vorzuwagen. Sie verlernte, dumm genug zu sein für den Versuch, und alles um sie her und in ihr war in ein mattes, müdes Licht getaucht.

In dieser Zeit gab es eine Traumsequenz, die Hannahs Sehnsucht weckte. Sie fuhr auf einem weißen Fahrrad ihre Straße zuhause entlang. Seltsamerweise hatte sie das Gefühl gerade erst von Zuhause losgefahren zu sein und zugleich fuhr sie doch darauf zu. Mit einem Mal dann ging sie, und das war das Magische daran, ganz ohne Gegenwehr, nicht einmal ein Reflex durchkreuzte die Szene, in einem sinkendem Stürzen zu Boden. Da war zwar auch Schmerz, aber sie war nicht getrennt oder heiß von ihm, wie es etwa bei einer Schürfwunde der Fall ist, sondern sie schwappte mit ihm gemeinsam auf den Fahrradweg, wie ein Wasserbombenballon, dessen Aufprall eine Kamera in Zeitlupe wiedergibt und der sein Rund allmählich und flüssig verliert, nicht auf diese Art, die man mit berstend beschriebe, sondern verschwappt, und der sich dann nur noch ausbreitet und ausbreitet und ausbreitet und ausbreitet und ausbreitet und ausbreitet und ergießt.
Die Eindrücke waren so stark, dass es bisher das einzige Mal in ihrem Leben gewesen war, dass Hannah einen Traum mit in ihren Körper herübernahm. Sie ist sich sicher, dass dies daran lag, dass sie bei dem Versuch aufzustehen wusste, dass dieses unmöglich war und dass sie es nur darum richtig versuchen konnte, mit aller Anstrengung. Es war nicht wie bei dem Sturz von Lester, der zwar in Hinblick auf seine Heftigkeit immerhin so auffällig gewesen war, dass er sich von anderen alltäglichen Vorfällen wie etwa einem Ratscher oder eine Prellung durch eine Süße unterschied, der aber doch nicht eine echte Gefahr war und so, da Hannah, indem sie einen Moment länger, als es ihr tatsächlich unmöglich war, nicht aufstand, wenigstens seine Nähe zu einer solchen auskostete, zu einem Spiel wurde und für das Gefunden werden gänzlich verloren ging.
Aber im Traum da war es durch und durch ernst, da war sie zerflossen. Und wer zerflossen ist, der kann nicht mehr aufstehen. Und wer nicht mehr aufstehen kann, der kann auch probieren aufzustehen und die anderen werden ihn trotzdem finden und trotzdem bestürzt sein. Deswegen nahm Hannah den Traum mit in ihren Körper herüber und fühlte ihre Glieder, die sich nicht erheben ließen (weil sie ja schlief) und wachte darüber auf und sehnte sich zurück, zerflossen auf den Radweg.

*

Nach dem Abitur zog Hannah in eine andere Stadt, um zu studieren, und kaufte sich ein 1,40 x 2,00 Meter-Bett. Es war weiß, aus Holz und die Kopfseite bestand aus einer Vielzahl senkrechter weißer Streben. Als sie ein halbes Jahr lang studiert hatte, fiel ihr an einem der Abende, an dem sie allein von Freunden nachhause kam und das Laternenlicht das Furnier seltsam bleich erscheinen ließ, auf, dass ihr Bett aussah wie ein Krankenbett und sie wunderte sich, dass ihr das nicht früher aufgefallen war, und fand das sehr passend.

Sie hatte sich ein wenig in der Liebe geübt, ließ sich dabei aber nicht wirklich auf jemanden ein, jedenfalls nicht mehr als damals auf den Mann, den sie nur aus dem Fernsehen kannte (es war ihr sehr ernst damit gewesen, noch heute würde sie von Liebe sprechen, wenn sie es, was nie geschah, jemandem erzählte). Aber sie ließ sich doch so weit ein, dass es wehtat. Beim ersten Mal war sie noch erstaunt, dass so etwas möglich war, dass etwas geschah, was sie nicht schon vorher wusste, und wollte so etwas niemals wieder erleben. Aber weil diese Mann/Frau-Sache auf tatsächlich körperlicher Ebene für sie noch etwas vollständig Neues waren, zog es selbst Hannah doch immer wieder in kleinere Geschichten hinein schon bald merkte sie, dass die Art Schmerz, die aus ihnen entstand, so nah daran war, ein echtes Ereignis zu sein (so wie in etwa der Sturz damals von Lester für ein Kind, wie Hannah es war), dass sie ihn genoss, in seinem heißen, gegenwärtigen Gefühl und ihn auch provozierte.

Denn inzwischen gab es nicht mehr viel, was Hannah fühlte. Sie wunderte sich immer, wie andere Menschen sich ohne ersichtliche Anstrengung einander die Frage beantworten konnten, wie es ihnen gehe oder wie sie sich fühlten. Hannah wusste darüber nur sehr selten etwas und noch seltener wusste sie darüber etwas zu sagen. Es war fast nur noch ihre Oberfläche da und das Irritierendste daran war, dass sich diese Oberfläche nicht unterscheiden ließ von etwas anderem, etwa etwas tiefer Liegendem. Es war, als hätte man einen bestimmten Geschmack eine solche lange Zeit nicht mehr geschmeckt, dass man ihn so sehr vergaß und so wenig damit anzufangen wusste, dass man nicht einmal mehr auf ihn reagierte, was natürlich naturwissenschaftlich unmöglich ist, aber gerade um das Sichtbarmachen dieser Grenzüberschreitung ging es ja. Für Hannah lag jemandem anzudeuten, wie es ihr ging, ja sogar ihr selbst anzudeuten, wie es ihr ging, in einer solchen Ferne, als sagte jemand zu ihr, sie solle in jenes Stück Holz hineinbeißen, weil es ganz natürlich sei, dass Menschen so etwas zu sich nähmen, sie hätte es nur durch die Jahre vergessen. Es sei doch so mundgerecht und vorzüglich zugesägt, sie müsse es nur einmal ausprobieren und schon würde sie Gefallen daran finden.

Die Kurzstreckenläuferin Hannah merkte natürlich mit der Zeit, wie es um sie bestellt war. In den Nächten, damals zuhause hatte sie trotz aller Verzweiflung noch viel mehr besessen, als sich zu dieser Zeit erahnen ließ. Allein, dass sich von Verzweifeln sprechen ließ, verriet schon alles (Eine gefräßige, gierige, fette Katzenmade,/die mit dir spielt,/das ist das Leben hatte sie in dieser Zeit einmal in ein Buch geschrieben, weil sie das Buch nutzen wollte, ihr Vater hatte es ihr geschenkt). Dieser Satz und alles um diesen herum war zwar peinlich und unangenehm, weil es so unangemessen und dramatisch war, aber es rührte Hannah an, wie sie auch manche ihrer Kinderphotos anrührten; besonders die, auf denen sie nackt zu sehen war, weil auf ihnen alles so unversehrt war, so heil.

Inzwischen war nichts mehr von dieser akuten Verzweiflung übrig, ihr Körper und ihre Lungen kamen ihr vor, als seien sie aus Papier, und wenn es doch einmal, durch einen Zufall oder eine kleine Nähe dazu kam, dass Hannah jemanden eine ihrer Erinnerungen erzählte, natürlich nur eine von den harmlosen, keine der Bergspitzen, dann fühlte sie zwischen ihren Brüsten, unter dem flachen Knochen, dort wo die Lunge hinablief und man den Atem sich heben und senken sieht, nur noch diese Ahnung von Schmerz. Es fühlte sich an wie eine bestimmter Husten, den man nur als Kind bekommt, ohne schwer erkrankt zu sein. Der Schmerz in der Brust ist so groß bei ihm, dass man vermeidet zu husten, aber immer ist da dieser Reiz, dass man doch husten muss, und dann kratzt und zieht es, als atmete man Eisnadeln und man fängt an, um die Stirn herum Perlen zu schwitzen (Hannah ist geneigt dabei von Keuchhusten zu sprechen, um den es sich medizinisch betrachtet sicher nicht handelt).

Wenn Hannah aber heute diesen Schmerz in ihrer Brust fühlt, dann hat sie gar keinen Husten; es ist ein rudimentäres Gefühl, was sie dort fühlt. Oder, noch einmal gesteigert beobachtet, nicht mal ein Gefühl, sondern die Abwesenheit eines Gefühls, welche wiederum dann erst die Empfindung hervorruft. Aber das ist schon sehr weit getrieben, selbst Hannah findet das, und ihr kommt es auch nur in einzelnen Momenten auf solche Genauigkeiten an, weil sie sich an ihnen festhalten kann; zum Beispiel wenn sie angefangen hat, anderen von etwas zu erzählen, und merkt, dass sie nicht weiter davon sprechen kann, ohne die Haltung zu verlieren.
Hannah macht diese Empfindung in ihrer Müdigkeit in solchen Situationen eine große Angst, weil sie spürt, dass etwas Unverhältnismäßiges aufbrechen könnte, gebe sie der Empfindung stärker nach, und so bricht sie ab, wovon sie erzählt und spannt einen Schweif, der für ihr Gegenüber auf eine so mühelose Weise zu leuchten scheint, dass ihr leichter Hand der Rückzug gelingt. Und schon bald ist sie wieder nur noch Oberfläche.

Früher, in den Nächten daheim hatte sie geweint und es gab immer neue Tränen und immer ein Lied, das noch nicht abgenutzt war, um noch mehr Tränen zu weinen, bis die Lippen anfingen zu kribbeln. Bis es gut war. Und gut war es hinterher immer, jedes einzelne Mal.

Hannah dachte damals immer, dass sich andere immer so fühlten, wie sie sich nur nach dem Weinen fühlte, rund, ruhig, sicher, immer noch allein, aber aufgehoben, mit sich.
Heute kann Hannah nicht mehr auf diese gesunde Art weinen, alle große Musik ist verbraucht und sie weint über den Tag verteilt, immer kurz vor der Träne, wie ein asthmatischer Säugling. Das schlimme für Hannah ist, dass es so weit gekommen ist, dass sie sich dabei zusehen kann, wie sie es genau so will, wie es ist, und weil sie es so will, es nicht anders geht. Das Zusehen aber wiederum im gleichen Maße den Wunsch heranzüchtet, dass es doch anders sei und wenn sie es dann gegen ihren Willen versucht, nicht gegen diesen ankommt und die Tage unter einer Glasglocke verbringt, immer dieses ermüdende Tönen im Ohr.

Was hatte sie doch damals noch für eine Kraft zur Verfügung, was war sie doch für ein fallreifer Dominostein in ihrem Spott, prall wie ein Granatapfel, und wäre nur einer gekommen, nur ein einziger, sie hätte allen Trotz mir nichts dir nichts über den Haufen geworfen und wäre...

Aber es war niemand gekommen. Und nun blieb Hannah einzig noch der Genuss der Ungeheuerlichkeit dieses Wortes; wenn es sie auch demütigte, sich in dieses Spiel zu versteigen, weil jede noch so arme Sau es spielte, als sei es gerade für sie erfunden und es doch auf keinen, keinen, keinen zutraf.

Hannah muss wegen all diesem bei dem Gedanken daran, dass Menschen, bis sie erwachsen sind, immer größer werden, so manches Mal sehr lachen. Sie kann das zwar nur selten, wenn ihr etwas heiter zu Mute ist, beispielsweise nach einer Nacht mit zu wenig Schlaf, wenn alles um sie herum dämmert und es allem an Wasser mangelt, denn es handelt sich um keinen spöttischen Gedanken, dafür ist er viel zu klar, unschuldig geradezu, und Hannah hat ihn auch zu gern dafür. Aber wenn es geht, dann herrscht eine weite Klarheit und Ruhe breitet sich aus. Es erscheint ihr einfach zu absurd, dass ein Lebewesen, dem nach Hannahs Erfahrung immer mehr und mehr verloren geht, immer weiter und weiter und weiter und weiter wächst und sie fragt sich, was wohl in diesem Hohlraum ist, in all diesen erwachsenen Zwischenraum. So viel Fleisch um all den Verlust auszufüllen, hat doch kein Mensch und doch ist noch nie einer zusammengefallen.

Aber Hannahs Herz ist an diesen Tagen viel zu vage, um damit zu irgendetwas zu gelangen und es trägt sie fort.

Wie damals in Dänemark, auf dem Blockhaus die Eichhörnchen trippelten und wie der Wind den Rauchgeruch der umliegenden Fabriken nach verbranntem Holz zu uns hinübertrug...

Hannah fragt sich manchmal, ob sich ihr Zustand eines Tages noch einmal durch einen weiteren, noch reduzierteren ablöst; aber das liegt außerhalb ihrer Vorstellungskraft.









1. Fassung

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Von Kurzstreckenläufern, Kinderhusten und Hohlriesen


Wenn Hannah auszumachen versucht, wann sie das erste Mal nicht mehr ...

dann weiß sie es nicht. Was sie noch weiß, ist, wie sie als Kind auf Klassenfahrt nach Sandhatten fuhr, und dass sie sich an eine Begebenheit erinnert, die vielleicht eine Annäherung an früher bedeutet.
Viele Erinnerungen hat Hannah an diese Fahrt nicht mehr, wie sie an das meiste kaum Erinnerungen hat. Wenn sie andere von früher reden hört, hat sie immer das Gefühl, ihr Gedächtnis sei fehlerhaft konzipiert. In ihrem Kopf gibt es keine Geschichten, keine große Linie, da gibt es gar keine Linie, nur jede Menge tiefstes Schwarz; was allerdings auch schon eine ungesicherte Behauptung ist.
Im Grunde umschreibt es ein „Gar nichts“ am besten, aus dem „dann und wann“ etwas „herausragt“, wie eine Gipfel aus dem Nebel. Nur eben ein Gipfel, der auf dem Kopf steht oder noch genauer, einer, der in die Tiefe wächst.
Hannah meint sich weiterhin zu erinnern, dass dies sich nicht immer so verhielt, dass sie sich einmal auf andere Weise erinnern konnte oder zumindest das Gefühl beim Erinnern einmal ein anderes war. Sie vermutet, dass dies mit dem ihr eigenen Trieb zusammenhängt, Ungeheuerlichkeiten wie etwa einen großen Schmerz oder eine große Lust erinnern zu wollen. Denn dies verlangt nach einer solch großen Aufmerksamkeit, die nur gelingt, wenn man etwas auf die Spitze treibt. Als ob solche Erinnerungen ein so alles überragender und spitzer Berg sein wollten, auf dem Feld, das zur Verfügung steht, dass sie das Gegenteil davon sind – ein großes, alle sonstigen Zusammenhänge in sich hineinziehendes Loch; aber weil sie nicht zugeben, dass sie ein solches alle sonstigen Zusammenhänge in sich hineinziehendes Loch sind, sich wiederum zu einem Berg emporschwingen.

Aber zurück zu dem, wovon Hannah weiß.

Hannah weiß noch, dass sie an einem der Tage während der Klassenfahrt auf den Steinplatten zwischen all dem Rasen und Sand Riesenseifenblasen hat platzen lassen; oder zumindest, dass sie anderen Kindern dabei zugesehen hat. Und sie weiß auch noch, dass auf dem Gelände ein Bunker stand, an dessen einem schmalen Eingang sich eine Schlange aus den Mutigen bildete (dabei war es nicht der Sinn im Bunker zu sein, sondern hindurchzukriechen und am anderen Ende wieder hervorzukommen) (was Hannah wieder an den Bunker erinnert, der vor dem Altersheim in ihrer Straße daheim stand und in dem immer nur modrig riechende Bücher lagen, zuhauf, Gott weiß, formulierte eine Freundin immer ganz seltsam, wie Hannah schon damals fand, Gott weiß, wo die herkommen! Verkaufen können wir die jedenfalls nicht).
Sie weiß auch noch, dass sie sich gleich nach der Anreise in der DJH beim Bettenbeziehen aufregte, so wie sie sich auch immer zuhause beim Staubsaugen aufregte, innen drin, auf diese Art, dass man sich fast übergibt vor Wut, weil es nicht gelingen will. Und als sie anfing, es ordentlich zu machen (Decke glatt bereitlegen, Bettbezug auf die verkehrte Seite ziehen, aus dem inneren des Bezugs heraus die beiden Zipfel an der kurzen Seite der Decke greifen und den Bezug umstülpen, dann schütteln, nachziehen, wieder schütteln, nachziehen u.s.f.), da war schon alle Geduld durch Zehren, Stopfen und Ziehen aufgebraucht. Die anderen liefen bereits hinaus in die umliegenden Hügel und hinterließen mamaglatt bezogene Betten und Hannah ließ ihres klumpig, wie es war, und lief hinterher.
Allein wegen dieser Erinnerung weiß Hannah auch noch, dass sie dort in einer der oberen Etagen der vielen Hochbetten schlief und dass es eine Liste für die Eltern gab, was sie nicht vergessen sollten einzupacken (Bettwäsche war nämlich einer der Unterpunkte dieser Liste).

Dann gibt es noch ein paar andere Erinnerungen (der Dorn im Fuß, auf dem Marsch zu den Großsteingräbern, zwei der eigentlich vier Zeilen der selbstgedichteten Strophe des Liedes, das zur Klassenfahrt auf eine bekannte Melodie geschrieben wurde (Das Essen hat uns gut geschmeckt/Wir haben die Teller abgeleckt), der durch die Heidelandschaft brausende Motorradfahrer, den die Kinder, als wären sie abgerichtete Hunde, beschimpften und wo sie es wieder übertrieb, sodass sie auffiel, wie so oft schon und auch weiterhin).
Bei diesen Erinnerungen ist sich Hannah aber nicht sicher, ob sie sich wirklich an diese erinnert oder nur noch von ihnen weiß, weil sie in einem Buch in Bildern und Texten festgehalten wurden.

Und damit hätten wir auch, bis auf eine letzte verbliebene Erinnerung an eine Begebenheit, welche allerdings auch erst den entscheidenden Unterschied machen wird, schon das Ende unserer spärlichen Aufzählung aller verbliebenen Erinnerungen an viele Jahre von Hannah erreicht. Für Hannah ist sie zu einem dieser in die Tiefe gewachsenen spitzen Gipfel geworden und für uns soll sie den Anlass zu dieser Geschichte geben.

Jeden Tag nämlich spielten die Kinder in den umliegenden Sandhügeln Räuber und Gendarm und an einem dieser Tage legte Hannah sich müde vom Spiel auf einen leichten Hügel und schaute in die Wolken. Sie war an der Oberfläche so etwas wie traurig, fühlte, dass sie nicht im Spiel aufging, obwohl ihr niemand etwas besonders Gemeines oder Gutes getan hatte. Vielleicht hatte sie schon davor einmal diese Oberfläche gespürt, aber damals band Hannah sie das erste Mal in ihr Handeln ein. Denn wie sie dort, zwischen den Hügeln, an der Oberfläche so etwas wie traurig war, da musste sie an ihre kleine Katze (Anna, kleiner als die Hand des großen Bruders) denken, die kurz zuvor überfahren worden war. Und auf einmal hatte Hannah den Wunsch, traurig darüber zu sein, dass sie tot war (Hannah ist sich unsicher, ob aus einem schlechten Gewissen, weil sie es vorher nicht genug gewesen war, oder aus einem plötzlichen Verständnis heraus). Und sie suchte am Himmel nach einer Wolke, die einer Katze ähnelte, aber da gab es keine. Sie waren sehr weiß gegen das Blau, aber keine sah auch nur annähernd aus wie eine Katze, nicht mal ein Katzenkopf war auszumachen. Hannah weiß bis heute noch genau, wie sich dieser Moment gestaltete und erinnert sich sogar noch wie es weiterging: Nämlich, dass sie im Folgendem ein erstes kleines psychologisches Meisterwerk kreierte. Denn als sich keine passende Wolke finden ließ, suggerierte sie sich eine katzenähnliche, sah also eine solche, obwohl dort keine war und wusste dies auch noch heimlich, tiefer, versteckt; heiß, aber zugleich kaum gegenwärtig, wie ein schleichendes Fieber. Und so schaffte sie es an diesem Tag, dass sie weinen konnte und schließlich auch weinte.

Das war natürlich nur ein einzelner Moment und es kamen viele Jahre, in denen es wieder war wie zuvor, so vermutete Hannah zumindest, denn es gab kaum Erinnerungen an diese Zeit. Es ist natürlich nicht gesichert, dass es nicht schon früher solche Szenen gegeben hatte; etwa im Kindergarten, wo es dieses Loch im Maschendraht gab, hinter der Hütte für die Roller und anderen Spielsachen; dieses Loch, verdeckt von Brennnessel, das nur sie kannte, durch das sie jederzeit hätte davonlaufen können und durch welches der immerheulende Pitt, hätte er es gekannt, sicher davongelaufen wäre, Hannah aber nicht, weil sie es nicht wollte.
Aber die Suggestion zwischen den Hügeln ist die erste Erinnerung, an der sich eindeutig Entscheidendes manifestiert und deshalb nennt Hannah sie, im Bewusstsein, dass die diese Aussage begleitende psychologische Dramatik nicht einiger Lächerlichkeit entbehrt, den „Anfang“.

Den Anfang? Den Anfang von was? Schauen wir doch noch einmal genau hin: Hannah weinte in diesem Augenblick nicht. Nein, Hannah war geteilt in Oberfläche und etwas anderes und dann machte sie etwas mit sich, damit sie etwas fühlte. Sie weinte nicht, weil sie traurig war, sondern sie machte, dass sie weinte, damit sie traurig sein konnte.
Darum weiß Hannah auch nicht mehr, ob später wirklich andere Kinder gekommen waren und sie fragten, was sie hätte, und sie gesagt hatte „Ach, nichts“ oder „Meine Katze ist gestorben und ich bin traurig, dass sie tot ist“ oder ob niemand gekommen war und diese Erinnerung, nur in ihrem Kopf kam, weil sie sich gewünscht hatte, dass andere gekommen wären.

Schlimm an solchen Anfängen ist, dass sie eben erst der Anfang von etwas sind. Und man hinnehmen muss, dass das, was angefangen hat, immer weitergeht. Hannah behauptet, dass diese Teilung in Oberfläche und etwas anderes das war, was sie verletzbar gemacht hat. Die Welt rückt in die Ferne, wird zu einem empfindlichen Wunsch oder vielleicht auch zu einer süßen Angst. Es gibt eine Wegstrecke zurückzulegen, wenn etwas Wirklichkeit werden soll. Und auf dieser Wegstrecke kann soviel passieren und natürlich passiert vieles und berührt einen auch nur ein Hauch von diesem vielen, so muss man aufgeben, oder weitergehen; und beides tut weh, denn es ist letztlich dasselbe; man verliert etwas dafür.
Die Verstecke waren es, die Hannah abhanden kamen, denn entweder war man allein (dann war man ja nicht versteckt) oder das Versteck war unter den anderen (und auch dann war man nicht versteckt). Ja, um es wieder zu übertreiben, wie Hannah es liebte: Im Grunde war man nur versteckt, wenn man sich nicht versteckte und diese Zeit war vorbei.


Als Hannah etwa 15 Jahre alt war, da gab es eine Nacht, in der dachte sie, dass sie es nicht mehr aushielte, dass das Maß voll sei, dass es genug sei. Sie lag auf der Matratze, am Boden und hörte eine Musik, immer wieder dieselbe, und der Mond schien durch die wehenden Birken ins Fenster und zeichnete Schatten auf die Tapete. Sie dachte an diesen Mann, den es, so, wie sie ihn kannte, gar nicht gab. Den sie sich nur aus Bildern im Fernsehen zusammengeliebt hatte. Und auf einmal hatte sie dieses Gefühl, nein, das traf es nicht, es muss heißen, auf einmal wusste sie, dass dieser Mann genau in diesem Augenblick, in welchem sie dort lag, weinend im Mond, auf der Matratze, die spielenden Schatten im Blick, mit seiner Frau schlief.
Sie sprach dann dramatisch mit Gott, an den sie sonst nicht glaubte, er solle sie jetzt, in diesem Augenblick und nur in diesem Augenblick holen, für irgendein anderes Leben, zum Beispiel das eines verunglückten Motorradfahrers, der gerade in diesem Moment auf einer Straße entlanggeschlittert war und nun reglos aber bei Bewusstsein auf der Grasnarbe lag und kaum seinen Brustkorb heben konnte. Hannah bediente sich für diese Phantasie eines Gefühls, das sie vom Reiten kannte. Sie war einmal von ihrem bockenden und furzenden Lieblingspony Lester mit ordentlicher Gewalt auf den Rücken in den Reithallensand gefallen (dass Reitponys immer fürchterlich furzten, so würdelos wirkten, wenn sie sich auflehnten, empfand Hannah als bezeichnend). Der Buchstabe E, der kurzen Bandenseite war auf sie zugetrieben, es flimmerte und glitzerte von den Augenrändern her und ihr Brustkorb war so eng, dass nur das Wort „spröde“ ihn richtig beschrieb, denn dieses Wort fasste den Genuss in sich, den Hannah empfand, nicht zu atmen, obwohl ihr Körper es versuchte. Dieses ihr bekannte Gefühl also nahm sie zur Hilfe, als sie dalag in dieser Nacht, die eine von vielen war, um durch eine Phantasie dem eben verunglückten Motorradfahrer nah zu sein. Ihn, falls es ihn denn gab, spüren zu können, wie er dalag und nicht atmen konnte. Dieses Spiel kam Hannah wie ein magisches Spiel vor; sie glaubte daran und hatte das Gefühl, sie müsse nur genau den Takt des Nichtatmens dieses Menschen treffen, dann würde es wahr, dann würde Gott sie aus dieser Welt holen und ihr letzter Atemzug (sie spielte auch diesen und hielt die Luft möglichst unabsichtlich an, aber nichts geschah) würde der erste erneute des Motorradfahrers sein. Sie war bereit zu gehen, auch mit Schmerz, sie gab sich weg. Aber Gott, den es ja auch gar nicht gab, nahm sie nicht. Und so ging Hannah am nächsten Morgen wie auch jeden Morgen zuvor zur Schule und war eine unter vielen.

Und so kam es, wie es für die, die Hannah heute war, nur allzu verständlich war: Jeder Tag tat immer öfter weh und umso öfter es wehtat, desto verzagter wurde sie. Ihre Handlungen verschoben sich zu Beobachtungen, wodurch sie sich selbst zunächst zu abseits erschien und zurückzuckte, aber durch eine von Hohn gespeiste Faszination nach und nach begann, es doch zu genießen. Denn sie bekam einen Zug um die Mundwinkel, mit dem sie sich locker an die Wand gegenüber den Klassenräumen lehnen konnte, ohne dass ihr jemand die Beine im Vorbeirennen wegschlug, wie das ja oft geschah, bei jedermann, nur so, zum Spaß.

Dieser Genuss war natürlich gefährlich, denn Hannah bemerkte durch ihn nicht, dass sie sich zur Kurzstreckenläuferin ausbildete.
Sie verlernte auch einmal über einen Punkt hinauszuschießen, wenn die Kraft nicht zu reichen schien. Wenn ihr der Tag so wehtat, dass ihr nach mehr verlangte, als dies in der Nacht unter dem Mond mit sich alleine auszutragen, wünschte sie sich, sie wäre jemand, der Nasenbluten bekäme, wenn er sich aufregte, was natürlich aber nicht geschah. Der Spott hatte sie schon so weit aus allem herausgetragen, dass sie ihre Wut verlor. Ja, zuletzt gab sie ihrer Vorliebe für das Träumen so stark nach, dass sie ihre Lautstärke und später sogar ihren Spott verlor, zog sich immer mehr zurück, lernte das Vermeiden, das Aufgeben vor dem Anfangen. Und so stellte sie sich lieber vor, wie es wäre, wenn sie doch Nasenbluten bekäme, als sich ein Stück weiter vorzuwagen. Sie verlernte, dumm genug zu sein für den Versuch und alles um sie her und in ihr war in ein mattes Licht getaucht.


In jener Zeit gab es eine Traumsequenz, die Hannahs Sehnsucht weckte. Sie fuhr auf einem weißen Fahrrad ihre Straße entlang. Seltsamerweise hatte sie das Gefühl gerade erst von Zuhause losgefahren zu sein und zugleich fuhr sie doch darauf zu. Mit einem Mal dann ging sie, und das war das Magische daran, ganz ohne Gegenwehr, nicht einmal ein Reflex durchkreuzte die Szene, in einem sinkendem Stürzen zu Boden. Da war zwar auch Schmerz, aber sie war nicht getrennt oder heiß von ihm, wie es etwa bei einer Schürfwunde der Fall ist, sondern sie schwappte mit ihm gemeinsam auf den Fahrradweg, wie ein Wasserbombenballon, dessen Aufprall eine Kamera in Zeitlupe wiedergibt und der sein Rund allmählich und flüssig verliert, nicht auf diese Art, die man mit berstend beschriebe, sondern verschwappt, und der sich dann nur noch ausbreitet und ausbreitet und ausbreitet und ausbreitet und ausbreitet und ausbreitet und ergießt.
Die Eindrücke waren so stark, dass es bisher das einzige Mal in ihrem Leben gewesen war, dass Hannah einen Traum mit in ihren Körper herübernahm. Sie ist sich sicher, dass dies daran lag, dass sie bei dem Versuch aufzustehen wusste, dass es unmöglich war und dass sie es darum nur richtig versuchen konnte, mit aller Anstrengung. Es war nicht wie beim Sturz von Lester, der zwar in Hinblick auf seine Heftigkeit immerhin so auffällig gewesen war, dass er sich von anderen alltäglichen Vorfällen wie etwa einem Ratscher durch eine Süße unterschied, die Hannah auskostete, indem sie einen Moment länger, als es ihr tatsächlich unmöglich war, nicht aufstand und so das ganze zu einem Spiel wurde.
Aber im Traum da war es durch und durch ernst, da war sie zerflossen. Und wer zerflossen ist, der kann nicht mehr aufstehen. Und wer nicht mehr aufstehen kann, der kann auch probieren aufzustehen und die anderen werden ihn trotzdem finden und trotzdem bestürzt sein.
Deswegen nahm Hannah den Traum mit in ihren Körper herüber und fühlte ihre Glieder, die sich nicht erheben ließen (weil sie ja schlief) und wachte darüber auf und sehnte sich zurück, zerflossen auf den Radweg.


Nach dem Abitur zog Hannah in eine andere Stadt, um zu studieren, und kaufte sich ein 1,40 x 2,00 Meter-Bett. Es war weiß, aus Holz und die Kopfseite bestand aus einer Vielzahl senkrechter weißer Streben. Als sie ein halbes Jahr lang studiert hatte, fiel ihr an einem der Abende, an dem sie allein von Freunden nachhause kam und das Laternenlicht das Furnier seltsam bleich erscheinen ließ, auf, dass ihr Bett aussah wie ein Krankenbett und sie wunderte sich, dass ihr das nicht früher aufgefallen war, und fand das sehr passend.

Sie hatte sich ein wenig in der Liebe geübt, ließ sich dabei aber nicht wirklich auf jemanden ein, jedenfalls nicht mehr als damals auf den Mann, den sie nur aus dem Fernsehen kannte (es war ihr sehr ernst damit gewesen, noch heute würde sie von Liebe sprechen, wenn sie es, was nie geschah, jemandem erzählte). Aber sie ließ sich doch so weit ein, dass es wehtat. Beim ersten Mal war sie noch erstaunt, dass so etwas möglich war, dass etwas geschah, was sie nicht schon vorher wusste, und wollte so etwas niemals wieder erleben. Aber schon bald merkte sie, dass diese Art Schmerz so nah daran war, ein echtes Ereignis zu sein (so wie in etwa der Sturz damals von Lester für ein Kind wie Hannah es war), dass sie ihn genoss, in seinem heißen, gegenwärtigem Gefühl und ihn auch provozierte.
Denn inzwischen gab es nicht mehr viel, was Hannah fühlte. Sie wunderte sich immer, wie andere Menschen sich ohne ersichtliche Anstrengung einander die Fragen beantworten konnten, wie es ihnen gehe oder wie sie sich fühlten. Hannah wusste darüber nur sehr selten etwas und noch seltener wusste sie darüber etwas zu sagen. Es war fast nur noch ihre Oberfläche da und das Irritierendste daran war, dass sich diese Oberfläche nicht unterscheiden ließ von etwas anderem, etwa etwas tiefer Liegendem. Es war, als hätte man einen Geschmack eine solche lange Zeit nicht mehr geschmeckt, dass man es so sehr vergaß und so wenig damit anzufangen wusste, dass man nicht einmal mehr darauf reagierte. Für Hannah war jemandem anzudeuten, wie es ihr ging, ja selbst, ihr selbst anzudeuten, wie es ihr ging, so fremd als sagte jemand zu ihr, sie solle in jenes Stück Holz hineinbeißen und es essen, weil es ganz natürlich sei, dass Menschen so etwas zu sich nahmen, sie hätte es nur vergessen. Es sei doch so mundgerecht und vorzüglich zugesägt, sie müsse es nur einmal ausprobieren und schon würde sie Gefallen daran finden.

Die Kurzstreckenläuferin Hannah merkte natürlich mit der Zeit, wie es um sie bestellt war. In den Nächten damals zuhause hatte sie trotz aller Verzweiflung noch viel mehr besessen, als sich erahnen ließ. Allein, dass sich von Verzweifeln sprechen ließ, sagte schon soviel (Eine gefräßige, gierige, fette Katzenmade,/die mit dir spielt,/das ist das Leben hatte sie in dieser Zeit einmal in ein Buch geschrieben, weil sie das Buch nutzen wollte, ihr Vater ihr es geschenkt hatte). Das alles war zwar so peinlich und unangenehm, weil es so unangemessen und dramatisch war, aber es rührte Hannah an, wie sie auch manche ihrer Kinderbilder anrührten, besonders die, auf denen sie nackt zu sehen war, weil alles so unversehrt war, so heil.

Inzwischen war nichts mehr davon übrig, ihr Körper und ihre Lungen kamen ihr vor wie Asche und wenn es manchmal, durch einen Zufall oder eine kleine Nähe dazu kam, dass Hannah jemanden doch eine ihrer wenigen Erinnerungen erzählte, natürlich nur die harmlosen, keine der Bergspitzen, dann fühlte sie zwischen ihren Brüsten, unter dem flachen Knochen, dort wo die Lunge hinablief und man den Atem sich heben und senken sieht, nur noch diese Ahnung von Schmerz. Es fühlte sich an, wie eine bestimmte Art Husten, den man nur als Kind hat, ohne schwer erkrankt zu sein. Er tut so weh in der Brust, dass man vermeidet zu husten, aber immer ist da dieser Reiz, dass man doch husten muss und dann kratzt und zieht es, als atmete man Eis und man fängt an, um die Stirn herum Perlen zu schwitzen (Hannah ist geneigt von Keuchhusten zu sprechen, um den es sich medizinisch betrachtet sicher nicht handelt, aber das Wort passt zu gut). Wenn Hannah aber heute diesen Schmerz in ihrer Brust fühlt, dann hat sie gar keinen Husten; es ist ein rudimentäres Gefühl, was sie dort fühlt.
Wenn Hannah sich hineinsteigert noch genauer nachzuhorchen, wie es sich damit verhält, ist sie geneigt zu behaupten, dass es nicht mal Gefühl ist, das sie da fühlt, sondern die Abwesenheit eines Gefühls, welche wiederum dann erst die Empfindung hervorruft. Aber das ist schon sehr weit getrieben, selbst Hannah findet das, und ihr kommt auch nur in einzelnen Momenten auf solche Genauigkeiten an, weil man sich an ihnen festhalten kann; zum Beispiel wenn man angefangen hat, anderen von etwas zu erzählen, und merkt, dass man nicht weiter davon sprechen kann, ohne die Haltung zu verlieren. Hannah macht diese Empfindung in ihrer Müdigkeit dann eine große Angst, weil sie spürt, dass etwas Unverhältnismäßiges aufbrechen könnte, gebe sie der Empfindung stärker nach, und so bricht sie ab, wovon sie erzählt und spannt einen Schweif, der für ihr Gegenüber auf eine so mühelose Weise zu leuchten scheint, dass ihr leichter Hand der Rückzug gelingt und schon bald ist sie wieder nur noch in ihrer Oberfläche.

Früher, in den Nächten daheim, hatte sie geweint und es gab immer neue Tränen und immer ein Lied, das noch nicht abgenutzt war, um noch mehr Tränen zu weinen, bis die Lippen anfingen zu kribbeln. Bis es gut war. Und gut war es immer hinterher, jedes Mal.
Hannah dachte damals immer, dass sich andere immer so fühlten, wie sie sich nur nach dem Weinen fühlte, rund, ruhig, sicher, immer noch allein, aber aufgehoben, mit sich.

Heute konnte Hannah nicht mehr auf diese gesunde Art weinen, alle große Musik war verbraucht und sie weint über den Tag verteilt, immer kurz vor der Träne, wie ein asthmatischer Säugling. Das schlimme für Hannah ist, dass sie das alles will, so wie es ist, und weil sie es so will, es nicht anders geht und dass, zieht man das Ganze vom anderen Ende auf, es genauso wahr ist und auch das nichts ändert. Was hatte sie doch damals noch für eine Kraft zur Verfügung, was war sie doch für ein fallreifer Dominostein in ihrem Spott, prall wie ein Granatapfel, und wäre nur einer gekommen, nur ein einziger, sie hätte allen Trotz über den Haufen geworfen und wäre...

Aber es war niemand gekommen. Und nun blieb Hannah einzig noch der Genuss der Ungeheuerlichkeit dieses Wortes; wenn es sie auch demütigte, sich in dieses Spiel zu versteigen, weil jede noch so arme Sau es spielte, als sei es gerade für sie erfunden und es doch auf keinen, keinen zutraf.

Hannah muss wegen all diesem bei dem Gedanken daran, dass Menschen, bis sie erwachsen sind, immer größer werden, so manches Mal sehr lachen. Sie kann das zwar nur selten, wenn ihr etwas heiter zu Mute ist, beispielsweise nach einer Nacht mit zu wenig Schlaf, wenn alles um sie herum dämmert und es allem an Wasser mangelt, denn es handelt sich um keinen spöttischen Gedanken, dafür ist er viel zu klar, unschuldig geradezu, und Hannah hat ihn auch zu gern dafür. Aber wenn es geht, dann herrscht eine weite Klarheit und Ruhe breitet sich aus. Es erscheint ihr einfach zu absurd, dass ein Lebewesen, dem nach Hannahs Erfahrung immer mehr und mehr verloren geht, immer weiter und weiter und weiter und weiter wächst und sie fragt sich, was wohl in diesem Hohlraum ist, in all diesen erwachsenen Zwischenraum, so viel Fleisch um all den Verlust auszufüllen, hat doch kein Mensch und doch fällt keiner zusammen.


Aber Hannahs Herz ist an diesen Tagen viel zu vage, um damit zu irgendetwas zu gelangen und es trägt sie fort.

Wie damals in Dänemark, auf dem Blockhaus die Eichhörnchen trippelten und wie es zugleich nach verbranntem Holz roch...


Hannah fragt sich manchmal, ob sich ihr Zustand eines Tages noch einmal durch einen weiteren, noch reduzierteren ablöst; aber das liegt außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Und weil es damit auch außerhalb unserer Vorstellungskraft liegt, soll die Geschichte hier an ihrem Ende angelangt sein.
Zuletzt geändert von Lisa am 05.04.2007, 15:16, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitragvon Lisa » 05.04.2007, 15:22

Hallo ihr,

ich habe es endlich geschafft die Erzählposition zu ändern, wenn auch nicht gänzlich anders umzugestalten, aber die Kapriolen sind alle raus. Ich denke, es ist besser geworden und auch wenn ihr vielleicht die Änderungen nur als kosmetische Details empfindet, ist es für mich eine grundsätzliche Änderung.

Ich hoffe, so liest es sich schon anders und dieses anders ist besser?
Einen Satz habe ich noch blau markiert - weil ich nicht weiß, ob er stehen oder fallen soll. Mal schauen, was ihr so denkt...über Rückmeldung wäre ich sehr dankbar.

Liebe Grüße,
Lisa

(Hab den Faden mal per Shadowfunktion aus dem alten Monatsthema hierhin kopiert, um weiter dran zu arbeiten)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max Dernet

Beitragvon Max Dernet » 25.04.2007, 10:24

hallo lisa,

ich glaube bei hoffmann war es eher so, dass ihn seine fiktionen im griff hatten. jedenfalls bekam er vor seinen einfällen gelegentlich solche angst, dass er sich unterm bett versteckte. :)

nach erstem (leider arg flüchtigen) lesen zu deinem text : faszinierende passagen, aber womöglich alles zu sehr auf gleicher höhe formuliert. in den nächsten tagen mal mehr dazu

viele grüße

max dernet

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Beitragvon Lisa » 25.04.2007, 10:44

Lieber Dernet (max geht einfach nicht, weils ja schon einen Max gibt, verzeih ;-)),

ich unterscheide zwischen Hoffmann und seinem Werk, bei ersterem magst du Recht haben, aber sein Werk ist am Ende immer eine Ausgewogenheit, natürlich durchaus eine verkappte, kranke oder furchterregende.. Ach, blablabla..., er ist einfach mein Zuckerstück.

Mit deinem Kommentar vermagst du mich neugierig zu quälen..."auf zu gleicher Höhe" - aha?
Falls es sich einrichten lässt, sehr sehr gern.

Liebe Grüße,
Lisa
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Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max Dernet

Beitragvon Max Dernet » 26.04.2007, 11:37

Lisa hat geschrieben:Lieber Dernet (max geht einfach nicht, weils ja schon einen Max gibt, verzeih ;-)),

ich unterscheide zwischen Hoffmann und seinem Werk, bei ersterem magst du Recht haben, aber sein Werk ist am Ende immer eine Ausgewogenheit, natürlich durchaus eine verkappte, kranke oder furchterregende.. Ach, blablabla..., er ist einfach mein Zuckerstück.

Mit deinem Kommentar vermagst du mich neugierig zu quälen..."auf zu gleicher Höhe" - aha?
Falls es sich einrichten lässt, sehr sehr gern.

Liebe Grüße,
Lisa


hallo lisa,
immer noch kurz & allgemein, da der text ein rechter brocken (qaulitativ wie vom umfang her)
nicht 'auf zu gleicher höhe' - sondern 'zu sehr auf gleicher höhe', einen ton (zu) lange durchgehalten ist womöglich die treffendere charakterisierung. der text erzählt die inneren begebnisse eines mädchens/ einer jungen frau, als auflösung noch im werden (so verstehe ich ihn jedenfalls, aber mein innenleben ist aus zinkblech)
überwiegend durch schilderung (distanziert kommentiert anfänglich) eben dieser inneren prozesse. wie wäre es, wann du das innere geschehen gelegentlich, quasi synkoisierend, durch äußeres geschehen, also nur indirekt aufscheinen lässt und es dadurch deutlicher machst ihm zusätzliche konturen verleihst? niemand existiert nur als innen, wenn, dann als herausgebildete differenz zum außen.
wenn ich nicht ganz daneben liege, kann ich noch was zu den details sagen

viele grüße

max

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Beitragvon Ylvi » 26.04.2007, 12:51

Hallo Lisa,
ich habe deinen Text gerade das erste Mal gelesen. :hut0039:
Ich kann Hannah sehen zwischen deinen Zeilen und ihre Leere berührt mich. Was mir jedoch als Leser fehlt, ist das "warum". Es ist, als könne Hannah von etwas nicht erzählen und würde sie es wagen, es auszusprechen würde ihr Lebenskonstrukt zusammenbrechen. Da muss ein Schmerz sein, so groß, dass er nur durch das Abschalten jeglicher Emotion, sozusagen der Abspaltung des nach außen gelebten Ich, auszuhalten ist. Ein sehr eindringlicher Text.


liebe Grüße smile

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Beitragvon Lisa » 28.04.2007, 17:44

Liebe smile,

danke! Das "warum" ist gerade deshalb so mächtig, weil es kein konkretes warum ist, kein Greifbares..kein festmachendes...Hannah wurde nicht geschlagen, war kein besonders schlecht behandelter Mensch etc. - so die Idee hinter dem Text...Hannah ist zwar schon ein besonderer Fall, was ihren Grad an Empfindlichkeit angeht, aber im Grunde erzählt der Text von etwas, oder sagen wir zutreffender will der Text von etwas erzählen, was auf alle zutrifft....

Lieber Dernet,

dir auch danke...ich habe verstanden, was du meinst. Ich glaube, was du ansprichst trifft voll zu. Das wäre aber wohl nur in einer längeren Version möglich (deutlich länger meine ich). Inzwischen denke ich, dieser Textteil ist aus mir herausgekommen, aber erst ein Anfang von was...mal sehen, ob ich das sschaffe, herauszufinden. Deshalb sehr gerne mehr zu deinen Punkten...ich versuche dann angemessen darauf einzugehen; ich kann solche Hinweise sehr gut gebrauchen.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max Dernet

Beitragvon Max Dernet » 30.04.2007, 19:28

Liebe Lisa,

jo, ich sehe den Text jetzt als Materialsammlung und nicht als Geschichte, oder als die Innenseite einer möglichen Geschichte.

Viel Grüße

Max


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