Die mit den Rehen flüstert

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
no-name

Beitragvon no-name » 06.05.2007, 08:21

„Guck Dir das arme Ding an“, sagt meine Kollegin Marina mitleidig. Sie steht im offenen Türrahmen unseres Büros und guckt hinaus auf die Wiese. Ich gähne, die heiße abgestandene Luft im Büro hat mich müde gemacht.
„Was ist denn?“
„Nun steh’ doch mal auf und komm her, Sandra!“ Marinas Stimme wird drängender, „wann sieht man schon mal ein Reh so nahe?!“
„Ein Reh?“ frage ich begriffsstutzig.
„Na, ein Elefant sieht anders aus!“ grinst sie.
Ich schlurfe barfuss zu ihr rüber und tatsächlich, sie hat nicht gelogen. Ein junges Reh, rennt panisch etwa zehn Meter von uns entfernt am Zaun entlang, immer wieder läuft es hin und her. Verzweifelt sucht es den Ausgang, den es nicht mehr finden kann. Es hat sich eingesperrt.
Ich schlüpfe in meine Latschen und gehe an Marina vorbei, die mir interessiert zusieht. Langsam bewege ich mich auf das in Panik erstarrte Reh zu. Dabei rede ich beruhigend auf das verschreckte Tier ein. Es bleibt tatsächlich stehen, zittert aber immer noch am ganzen Körper wie Espenlaub. Ich nähere mich bis auf einen Meter an das Tier und bleibe stehen. Wir sehen uns gegenseitig in die Augen.
’Das ist einer von diesen magischen Momenten, wie es im Leben nur ganz wenige gibt’, denke ich und mein Herz schlägt so laut, dass ich befürchte, das Reh wird schon deswegen jeden Moment angstvoll davon springen, aber es bewegt sich noch immer kein Stück vom Fleck. Wie angewurzelt steht es vor mir und sieht mich an. Es zittert jetzt auch nicht mehr. Hört es mir etwa zu? Die glänzenden schwarzen Augen blicken mich erwartungsvoll an. Ich weiß nicht mehr, was ich dem Tier alles gesagt habe, bis ich mich irgendwann immer noch aufreizend langsam an dem Tier vorbeibewegt habe in Richtung des Ausgangs. Es ist unglaublich, aber das Reh folgt mir, ebenfalls langsam, sich meinem Tempo anpassend. Am schmalen Ausgang zur Wiese angekommen, öffne ich das Gatter noch ein Stückchen weiter, damit dem Tier bewusst wird, dass diese Stelle der Ausgang in die Freiheit ist. Es macht ein schnaubendes Geräusch, so als würde es niesen und senkt den Kopf ein bisschen, allerdings nicht, ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
„Was bist Du für ein kluges und schönes Tier“, murmele ich leise. Stolz hebt das Reh den Kopf und schreitet langsam und ohne Hast an mir vorbei, durch das offene Gatter. Nach einigen Schritten bleibt es stehen und sieht sich nach mir um. Dann wendet es den Kopf wieder in Richtung des Waldes und springt davon.
Ich sehe ihm seufzend nach. Die Anspannung fällt von mir ab.
Aus dem Fenster des Nebenbüros ruft meine Kollegin Michaela:
„Ich wusste gar nicht, dass wir eine “Rehflüsterin“ unter uns haben!“
Alles lacht und mir wird erst jetzt bewusst, dass mich meine sämtlichen Kollegen die ganze Zeit aus den offenen Fenstern beobachtet haben müssen.
“Na, toll…“, denke ich, jetzt habe ich einen neuen Spitznamen, den ich mir mit Sicherheit noch monatelang anhören darf...

no-name

Beitragvon no-name » 06.05.2007, 21:12

Also,... ich muss mich hier mal ordnen... eins, oder besser einer nach dem anderen... *schwitz*...


Nifl,

schön, dass ich hier in keiner "Anstalt" gelandet bin, in der Texte "gegenseitig beklatscht" werden. Das habe ich auch nicht erwartet. Sollte ich diesen Eindruck vermittelt haben, dann habe ich mich missverständich ausgedrückt.

Verschiedene Sichtweisen sind mir durchaus wichtig - keine Frage, denn sie eröffnen einem oft Dimensionen, die man selber mangels Abstand zum eigenen Text, nicht sieht. Ich schätze das sehr!

Ob ich hier aktiv bleibe oder nicht entscheidet sich nicht von heute auf morgen, und ganz sicher nicht, an dem einen oder anderen Kommentar, der mich vielleicht ärgert. ;-)

Übrigens habe ich dich (bisher) nicht als Klugscheißer empfunden - das nur zu deiner Information. :smile:


Hallo smile,

sorry, aber erwartest du auf deine provokante Frage:
Hast du ihn (=meinen Text) reingestellt, um noch daran zu arbeiten, oder um positive Kritik zu bekommen?

eine Antwort von mir? Ganz ernsthaft... Hast du bisher gelesen, was ich geschrieben habe? Ich denke, das beantwortet deine Frage ausführlich.

Ich "erwarte" tatsächlich rein gar nichts. Ich freue mich über Kommentare, wenn sie kommen. Noch mehr freue ich mich über textbezogene Kommentare.


Hallo Charly,

ich kann mir schon vorstellen, was du meinst, und stimme dir durchaus zu, denn mir liegt auch nichts an Lobhudeleien. Ich bin kein Teeanager mehr und fange bei Kritik nicht gleich an zu heulen - keine Angst! :mrgreen:
Eine gewisse "Betriebsblindheit" gegenüber seinen eigenen Texten hat man sicher immer, wenn man halbwegs ehrlich ist, da bin ich keine Ausnahme. Du wirst es nicht glauben, aber ich bin durchaus bereit, an meinen Texten und an mir zu arbeiten.

Ja, ich habe schon veröffentlicht. Ist das wichtig? Wenn ja, warum?
Dadurch habe ich auch nicht mehr Selbstbewusstsein als andere und es macht mich sicher nicht besser oder ungereifbarer...


Hallo Sam,

du hast mich nicht verletzt. Das könntest du gar nicht. Darüber musst du dir also keinen Kopf machen.
Was mich an deinem ersten Kommentar geärgert hat, war, dass du mir geschrieben hast, mein Text wäre deiner Meinung nach "banal", aber ohne mir zu schreiben, was du "banal" findest. Das haben wir ja jetzt geklärt. Punkt.

Freundliche Grüße an alle von no-name.

Sam

Beitragvon Sam » 07.05.2007, 07:02

Hallo Pjotr,

natürlich ist ein Text auf einer emotionalen Ebene an den Autor gekoppelt. Besonders wenn es sich um sogenannte Autobio-Texte handelt. Das ist aber ein Problem des Autors, nicht des Lesers. Der bekommt nur ungefragt einen Text vorgelegt. Und wenn er denn eine Meinung dazu hat, bezieht die sich allein auf den Text - mehr hat er ja nicht, um sich ein Bild zu machen.
Aus diesem Grund rate ich immer jeden davon ab, Texte einzustellen, deren Inhalt in der Weise biografisch gefärbt ist, dass eine Kritik am Text immer als Kritik an der Person des Autors betrachtet werden muss (das betrifft nicht Texte wie diesen hier, sondern vorallem solche, in denen es um persönliche Tragödien und Katastrophen geht). Das ist nicht gut für das Seelenleben des Schreiberlings und auch unfair gegenüber dem Leser, der, wie oben erwähnt, solche Zusammenhänge ja nicht kennen kann und anstatt eines Textes plötzlich Lebensläufe kritisiert.

Jeder Autor ist sensibel, was die Rezeption seiner Texte angeht, da schließe ich mich nicht aus. Jedem von uns ist ein Lob und anerkennende Kommentare lieber, als Kritik und Ablehnung. Aber das eine gibt es nicht ohne das andere. Und nicht selten führt letzteres zum ersteren, wenn man es schafft, mit den negativen Kommentaren richtig umzugehen und daraus zu lernen.

Liebe Grüße und ein angenehme Woche

Sam

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 07.05.2007, 09:50

Hallo no-name,

Willkommen im Blauen Salon!

Leider muss ich mich der Kritik anschließen - auch mir fehlt dem Text die Spannung und ein Grund erzählt zu werden (Unterhaltung ist ein Grund, aber ich werde hier nicht unterhalten). Ob nun selbst erlebt oder nicht (wie es sich damit verhält, spielt glaube ich keine Rolle, ich bin sicher, es gibt viele Texte, die reine Notiz sind und literarisch stark rüberkommen und jede Menge Texte, die nicht 1:1 erlebt sind, aber so wirken und auch noch alles umgekehrte und Mischtypen, blabla...wichtig ist die Wirkung als text dann. Manches geht eben ohne Ergänzung, manches geht nicht ohne Realbezug. Manches 1:1 kann sich als text voll entfalten, geht voll auf, manches geht gar nicht.

Die Geschichte hier fehlt die Wirkkraft als literarischer Text. Auch ist das lyr. Ich mir zu harmlos, es wirkt extrem angepasst/kindlich gehalten und weißt mir zuviele Ähnlichkeiten mit dem Reh auf. Die Rehbeschreibung dann erinnert mich stark an Bambi

In der Schule im Englischunterricht las ich mal eine Kurzgeschichte, die hieß "the unicorn", ich glaube, ich erinnere mich falsch, aber ich meine, sie war von Hemingway. In die Richtung dieser Geschichte könnte deine Story zum Beispiel gehen...irgendeinen Spannungsbogen haben, dersich auf einer anderen Ebene bewegt.



barfuss - barfuß
Warum hat sich das Reh selbst eingesperrt? Und vor allem wie?
Was ist das eigentlich für ein Arbeitsplatz? ich bringe ihn mit dem benötigtem Rehumfeld nicht ganz zusammen.

Deine Art das Wort "elitär" zu benutzen, finde ich übrigens seltsam. Ich denke, viele Kommentare hier sind ausführlich und kritische Stellungnahmen haben doch nichts damit zu tun, dass andere Texte besser sind oder was auch immer. Ich würde mich freuen, wenn du die Prosaecke mit belebst und dir von den Kritiken das herauspickst, was für dich stimmig ist. Vielleicht gewinnen manche Texte ja dadurch? Was dir nicht zusagst, kannst du doch ganz einfach zurückweisen.

Ich würde mich auf eine überarbeitete Version dieses Textes freuen, vielleicht bekommst du ja Lust.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 07.05.2007, 10:34

Hallo No-name!

Im Gegensatz zu manch anderem hier empfinde den Inhalt deines Textes als durchaus erzählenswert. Allerdings ist die formale Umsetzung nicht immer ansprechend?! Zum einen ist der Text etwas zu lang, denke ich; das liegt auch daran, dass du zuviele Adjektive / Adverbialen drin hast. Manchmal schaden sie auch direkt - ein "offener Türrahmen"?! Eine offene Tür ist im Vergleich mit einer geöffneten Tür ja schon schlimm genug, aber einen offenen Türrahmen gibt es meiner unmaßgeblichen Meinung nach nicht ;-) Zum anderen ist es ja nicht so, dass der Text keine Möglichkeiten böte, ein wenig Abwechslung im Tempo etc einzubringen; aber ich finde, du nutzt sie nicht voll aus. Etwa hier:

Ich sehe ihm seufzend nach. Die Anspannung fällt von mir ab.
Aus dem Fenster des Nebenbüros ruft meine Kollegin Michaela:
„Ich wusste gar nicht, dass wir eine “Rehflüsterin“ unter uns haben!“

Das "Ich" ist sicherlich überrascht über den Zuruf; der Leser kann es nicht sein, weil du ihn darauf vorbereitest. Mehr "in der Geschichte" bleibt der Leser durch eine Formulierung wie

Ich sehe ihm seufzend nach. Die Anspannung fällt von mir ab.
„Ich wusste gar nicht, dass wir eine “Rehflüsterin“ unter uns haben!“
Meine Kollegin Michaela aus dem Fenster des Nebenbüros.

Jedenfalls scheint mir das so :smile: Wobei ich "Meine Kollegin" streichen wollen würde.

Na ja, so könnte man den ganzern Text durchgehen, aber ich denke, du siehst, worauf es mir ankommt.

Ferdigruß!

Charly

Beitragvon Charly » 07.05.2007, 16:49

Pjotr hat geschrieben:Hallo Charly,

Du hast mich neugierig gemacht; wirst Du sagen, wie jenes tränentreibende Forum heißt?



Klar.

aram
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Beitragvon aram » 07.05.2007, 17:32

hallo no-name, willkommen im blauen salon!

ich finde, keine begebenheit kann "zu banal sein, um erzählt zu werden" - sogar "nichts" lässt sich erzählen - es kommt nur darauf an, wie erzählt wird.

und nur das spricht mich an dieser geschichte nicht an, deren thema mir gefällt und deren grundbogen (einstieg, schluss) ich ok finde - mit der art der schilderung komme ich nicht klar.

leider habe ich langsam das ungute Gefühl, dass hier eine Messlatte angelegt wird, die Autoren, die nur "unterhalten" wollen, gar nicht erfüllen können. Kann das sein?

das ist wohl ein missverständnis - "unterhaltung" ist nichts geringes. der schilderung gelingt es eben nicht, mich zu unterhalten.

was mir auffiel:

im offenen Türrahmen

?

die heiße abgestandene Luft

komma zwischen den adjektiven, oder, was ich besser fände: "heiße" streichen

Marinas Stimme wird drängender,

würde ich weglassen - klingt übertrieben bedeutsam

barfuss

(barfuß) - welchen sinn hat es, das zu erwähnen?

Ein junges Reh, rennt

ohne komma

panisch

woran sieht das die erzählerin? (sollte entfallen, wenn nur aufgrund des hin- und herlaufens - falls noch an etwas anderem: schildern!)

Verzweifelt

siehe oben

den es nicht mehr finden kann.

'no na, ned' .-) (überflüssig da klar)

Ich schlüpfe in meine Latschen und gehe an Marina vorbei, die mir interessiert zusieht. Langsam bewege ich mich auf das in Panik erstarrte Reh zu.

erst hier habe ich das aha-erlebnis, dass das büro offenbar ebenerdig mit ausgang zur wiese liegt
(aber wieso ist die luft abgestanden, wenn die tür auf ist?)

das in Panik erstarrte Reh

gleichzeitig in panik und erstarrt, wie geht das/ wie sieht das aus? - kurz darauf "bleibt (das reh) stehen" - es war also erstarrt und dabei in bewegung??

das verschreckte Tier

"verschreckt" sagt nichts neues - grundsätzlich fände ich beschreibungen anstelle von behauptungen unterhaltsamer

wie Espenlaub.

klischee, erzeugt kein mehr an vorstellung

Ich nähere mich bis auf einen Meter an das Tier

entweder nähere mich (...) dem tier oder gehe bis auf (...) an das tier heran

gegenseitig

klar gegenseitig, wie denn sonst... wenn du hier betonen möchtest, vielleicht "einander"?

’Das ist einer von diesen magischen Momenten, wie es im Leben nur ganz wenige gibt’, denke ich

eine schlüsselstelle, an der die erzählung m.e. schwächelt/ auseinanderfällt - im moment der nähe in der begegnung wird beschrieben, was der prot. durch den kopf geht - an sich gut; doch das, was sie denkt, zerstört nach meinem empfinden die magie der begegnung - auch das finde ich realistisch und gut beobachtet, doch tut der text zugleich so, als wäre es anders, als hätte dieser gedanke sozusagen "keine auswirkung" - und wenn das gesagt sein soll, steht es hier m.e. an der falschen stelle (nicht des erlebens, sondern der schilderung) - ich habe den eindruck, der gedanke der protagonistin wird wird distanzlos "verwendet", um die erzählung selbst zu ersetzen, ein ersatz, bei dem ich als leser auf distanz gehe... und zugleich die beschreibung des "magischen" vermisse... als würde die erzählerin für das "eigentliche", die kernerfahrung ihres erlebnisses, keine worte finden.

und mein Herz schlägt so laut, dass ich befürchte, das Reh wird schon deswegen jeden Moment angstvoll davon springen

kann ich nicht glauben...

erwartungsvoll

inwiefern? (würde das adjektiv streichen)

bis ich mich irgendwann immer noch aufreizend langsam an dem Tier vorbeibewegt habe

aufreizend???

murmele ich leise

kann man auch laut murmeln?

Stolz

?

schreitet langsam und ohne Hast an mir vorbei

"langsam und hastig" ginge ja wohl auch nicht...


- ich merke details an, um zu illustrieren, wie viele einzelheiten in diesem kurzen text nicht rund sind; um dich zu animieren, deine ausdrucksweise in den fokus zu nehmen - nicht um dich zu entmutigen: denn wie gesagt finde ich diese geschichte erzählenswert, in ihrem grundaufbau stimmig, und potentiell sowohl berührend als auch unterhaltsam - ich wünschte, du würdest sie überarbeiten, dem "magischen höhepunkt" des erlebten klareren ausdruck verleihen (der leser, der ähnliches selbst erlebt hat, weiß vielleicht, was gemeint ist - aber es ist nicht beschrieben), und deiner erzählweise " geschichtenunabhängig" größere aufmerksamkeit widmen.

liebe grüße
aram
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

Max

Beitragvon Max » 07.05.2007, 21:15

Liebe No-name,

auch von mir ein Willkommen. Vielleicht bist Du darüber erschrocken, dass Dein Text hier in einer sehr kritischer Weise besprochen wird, aber ich denke, dass letztendlich von einer solchen Besprechung nur der Text profitiert.

Auch ich habe mit Deinem Erstling hier so meine Probleme. Rein stilistisch kommt mein Empfinden dem Arams sehr nahe, weshalb ich darauf verzichte seine Bemerkungen zu wiederholen. Inhaltlich aber frage ich mich, warum Du erzählst, was Du erzählst. Es ist nicht wahr, dass Salonisten grundsätzlich allen, die unterhalten wollen, gegenüber skeptisch sind. Du kannst von mir aus alles erzählen (und gerade gegenüber sogenannten sozialkritischen Texten gegnüber bin ich skeptisch), aber Du musst mir plausibel machen, dass das spannend ist. Bei Deiner Geschichte strauchel ich darüber, dass ich der Protagonistin die Geschichte nicht glaube, weil ich ihr die Gedanken nicht glaube. Denkt man in so einem Moment wirklich:

’Das ist einer von diesen magischen Momenten, wie es im Leben nur ganz wenige gibt’


und fürchte man wirklich, dass
mein Herz [...] so laut [schlägt], dass ich befürchte, das Reh wird schon deswegen jeden Moment angstvoll davon springen,


oder denkt man das nur, wenn man schreibt. Ich denke Authenzität ist eine magische Zutat, die eine Geschichte unterhaltsam machen - und daran mangelt es der Geschichte leider.

Liebe Grüße
Max

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 08.05.2007, 01:07

Hallo No-name,

die Begegnung mit dem Reh finde ich hochinteressant. Schade, dass Du dies nicht detailierter ausführst und stattdessen der Einleitung fast die Hälfte widmest. Auch die Ausleitung, die vermutlich eine Art abschließender Spaßkommentar darstellen soll, halte ich für zu lang hinsichtlich dessen, was sie leistet. So bekomme ich am Ende den Eindruck, die Begegnung mit dem Reh ist sekundär und Deine Priorität liegt darin, mitzuteilen, dass Du Dich geehrt und geschmeichelt fühlst, als Naturverbunde: Es ist Dir wichtig zu erzählen, dass Du naturverbunden barfuß gehst, dass Du Dich mit Tieren verstehst, dass alle Kollegen Dich dafür wertschätzen. Das ist selbstverständlich nicht verwerflich. Das kritisiere ich nicht. Ich meine nur, Du hättest all diese ehrenden und schmeichelnden Gefühlswelten tiefgründiger, fragender, nachdenklicher beschreiben sollen, und nicht verpacken in Sätze wie etwa die letzen beiden; die erinnern mich eher an altdeutsche Heimatfilme von 1954, wo bei Sonnenschein die Schulkinder aus den Klassenfenstern winken und kokette aber wohlgesittete Sprüche nachrufen. -- Das ironische “Na, toll…“ halte ich zudem für unglaubwürdig, oder eben zu kokettierend, weil ich eher glaube, dass Dich der Name "Rehflüsterin" alles andere als stört. Kurz gesagt: Ich würde weniger kokettieren (ich unterstelle das jetzt), und stattdessen ehrlich meine Gefühle beschreiben. -- Ich hoffe, meine Wortwahl war nicht zu grob.

Willkommen an Bord

Pjotr

Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.05.2007, 13:47

Hallo no-name,

du hast einen wirklich magischen Moment erlebt, etwas Einzigartiges.
Und genau DAS rüberzubringen, ist verdammt schwer. Meiner Meinung nach solltest du den Text erheblich straffen, alles, was sich auf die Kollegen bezieht, das mit dem Fenster, etc., rausnehmen und nur diese mystische Begegnung beschreiben. Denn das ist sie. Mystisch, fantastisch, wie ein Wunder! Und keineswegs banal,-)
Der Titel z.B. verrät zuviel. Da würde ich einen anderen wählen, der nichts verrät. Überrasche den Leser, in dem du den Titel quasi erzählst. Und den letzten Satz auch raus, weil er die Magie kaputt macht.
Noch eins: Wenn eine Geschichte autobiografisch ist, sage es nicht. Behalte dies für dich, kleiner Tipp am Rande,-)
Ansonsten wurden dir hier schon soviele Anregungen gegeben. Ich bin mir sicher, dass du aus dieser Begegnung eine tolle Geschichte machen kannst. (Habe deine HP durchstöbert. Du kannst klasse schreiben!) Also, Kopf hoch, Ärmel hochgekrempelt und ran *smile*
Saludos
Mucki

Gast

Beitragvon Gast » 08.05.2007, 18:50

Charly hat geschrieben:Blöde Frage - hast du schon was veröffentlicht?

Das ist in der Tat eine saublöde Frage, wie du sehr gut selber wissen solltest, lieber Charly. Entschuldige, ich kenne dich nicht. Aber eine solche Frage mir gegenüber würde ich als unverschämt präpotent empfinden. (Präpotente Rückfrage: Was hast DU denn schon veröffentlicht?)

Ich gehe mal davon aus, dass das Gros der hier Schreibenden nicht auf Verkaufbarkeit aus ist. Sicher, niemand hat was dagegen, die eine oder andere Geschichte zu "verkaufen", aber wenn ich lernen will wie ich DAS mache, wüsste ich mir bessere Quellen. Hier krebse ich rum, um Kritik zu meinen Texten zu kriegen und zu lernen wie ich anderer Leute Texte sinnvoll kommentiere. Ich nehme an, das tut auch no-name. Ich sehe mich als ambitionierte Hobbyautorin. Seht ihr euch denn als Profis? Verzeihung, wenn ich lache.

Mel


P.S.: Das hat freilich nichts damit zu tun, dass ich den Salon toll finde und mich hier sehr gern aufhalte!

P.P.S.: Hab schon wieder mal die zweite Seite der Kommentare nicht gesehen. Sorry.

Charly

Beitragvon Charly » 08.05.2007, 19:52

Melusine hat geschrieben:
Charly hat geschrieben:Blöde Frage - hast du schon was veröffentlicht?

Das ist in der Tat eine saublöde Frage, wie du sehr gut selber wissen solltest, lieber Charly. Entschuldige, ich kenne dich nicht. Aber eine solche Frage mir gegenüber würde ich als unverschämt präpotent empfinden. (Präpotente Rückfrage: Was hast DU denn schon veröffentlicht?)


Ähem ...

Obwohl du mich nicht kennst, kennst du mich schon gut.

Aber die Frage ist ja beantwortet worden.
Mir ging es eigentlich nur darum zu erfahren, ob no-name schon einmal mit einem Lektorat konfrontiert wurde.

Mir war nicht bewusst, dass so eine Frage nur jemandem zusteht, der selbst schon veröffentlicht hat.

Mea maxima culpa ...

:mrgreen: :mrgreen: :mrgreen:

pandora

Beitragvon pandora » 08.05.2007, 20:14

hallo no-name,

willkommen im salon.

um ehrlich zu sein, mich hat der titel deiner geschichte eine weile davon abgehalten, sie überhaupt zu lesen. nach leuten, die mit wölfen tanzen und männern, die pferde beflüstern mag ich diese art titel nicht mehr. aber das ist wohl eine sehr subjektive abneigung. (ich würde trotzdem eine andere überschrift suchen)

das erlebnis, welches du schilderst, finde ich interessant, aber die art und weise, wie du das erlebnis erzählst, fesselt mich nicht.
ich würde die vorgeschichte, büro+kollegin+müde+gähnen..., viel kürzer fassen. das unerwartete zusammentreffen von mensch und tier ist für mich der spannende punkt. vielleicht gelingt es dir ja, den moment noch einmal "nachzuerleben". was ging dir wirklich in dem moment durch den kopf? nifl schreibt hier öfters: "show - don't tell."
außerdem würde es dem text meiner meinung nach gut tun, ein paar von den adjektiven rauszuwerfen. "langsam" kommt gehäuft vor.

lg
p.

Gast

Beitragvon Gast » 08.05.2007, 20:46

Hi pandora, "show, don't tell" ist ein gutes Prinzip, als Schlagwort bin ich dagegen allergisch. (Nifl darf, weil er gute Kritiken schreibt *gg*.)

Charly, ich verstehe was du meinst. Ich finde es trotzdem abgeberisch angeberisch*), wenn man sowas sagt.

Falls es dich interessieren sollte: Ich habe Publikationserfahrung, aber nicht im literarischen Bereich. Da wo ich diese Erfahrungen gesammelt habe (Wissenschaftsbereich) gibt es in der Regel kein professionelles Lektorat, deshalb hat sich eine Kultur des kollegialen Lektorats entwickelt. Kritik ist gut, aber sie sollte nicht mit Totschlagargumenten daherkommen.

LG Mel


*) nachträgliche Korrektur
Zuletzt geändert von Gast am 09.05.2007, 12:48, insgesamt 1-mal geändert.

Klara
Beiträge: 4531
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 08.05.2007, 20:50

Hallo Mel,

wenn du meinen Kommentar als einen bezeichnest, der freundlicher hätte sein können, stimme ich dir ja noch zu. Aber warum reagierst du auf Pandoras sachliche, freundliche Kritik so allergisch?

Herzlich
Klara


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