Die Schuhe

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leonie
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Beitragvon leonie » 21.04.2006, 17:32

Die Schuhe

Wie oft hat sie diese Schuhe getragen.. Ich kann mich kaum noch an andere erinnern. „Da komm ich wenigstens rein“, sagte sie. Sie beugte sich hinunter, ächzte dabei. Die Beine waren geschwollen, am Fuss der Ballen verdickt. „Und ich muss keine Schuhbänder zuknoten.“

Manchmal sah das komisch aus. Wenn sie sich in Schale geworfen hatte, das graue Kostüm, die weinrote Bluse. Und dann diese alten Treter dazu. „In Pumps passen die Füße eben nicht mehr“, sagte sie und lächelte. „Ach, das waren noch Zeiten, als ich mit Egon das Tanzbein geschwungen habe.“ Sie schaute auf ihre dicken Beine.

„Trotzdem Mama, du könntest dir wirklich mal ein paar neue kaufen,“ sagte ihre Tochter. „Du kriegst doch Rente genug“.
„Ach Kind“, sagte Oma dann. „Ich brauch keine neuen Schuhe mehr.“

Einmal habe ich zugeschaut, wie sie sie putzte. Mit schwarzer Schuhcreme und dem alten Lappen, der schon ganz fleckig war. „Ich hab sie letzte Woche neu besohlen lassen!“, sagte sie. „Aber erzähl das nicht Mama.“ Kräftig wienerte sie über die abgeschabten Spitzen, bis sie glänzten. „Fast wie neu“, meinte sie.

„Als ob sie von alten Freunden spricht“, dachte ich. Ich sah sie vor mir, wie sie in ihren Schuhen einkaufen ging, das alte Baumwollnetz in der Hand. Oder auf dem Fahrrad zum Friedhof fuhr, eine Gießkanne am Lenker und eine Kiste mit Blumen hintendrauf. „Dein Opa mochte so gerne Primeln“ sagte sie dann

Ach, Oma.
Was mache ich jetzt nur mit diesen Schuhen? Anziehen wird sie sie nicht mehr. Sie kann sich ja kaum noch rühren.
Merkwürdig riechen die. Nach Füßen und alter Schuhcreme.

maria

Beitragvon maria » 21.04.2006, 19:21

Hallo leonie,

Da werd ich ja ganz wehmütig, wenn ich deine Kurzgeschichte lese ...
Ich glaub, du schreibst von meiner Oma!!! Die heißt Maria :grin: , trägt am liebsten ihre uralten Reinschlüpfschuhe! Die Pflege der Gräber ihrer Lieben war ihr auch immer sehr wichtig - dazu IMMER die abgewetzte Ledertasche mit Harke, Schäufelchen, Streichhölzern (nie Feuerzeug!) und ein Stofftaschentuch. Ja, leider ist sie jetzt demenzkrank (was für ein furchtbares Wort) und diese Zeiten, die ich ganz eng mit meiner Kindheit verbinde, lange vorbei - aber aus ihrer Jugend kann sie sich immer noch an jedes Detail erinnnern, tja, so ist das.
Oft sind es so olle, schäbige, viel benutzte Dinge die plötzlich die ganze Kindheit in die Gegenwart holen. Das kann man in deiner Geschichte gut nachvollziehen - bei dem Satz "Ach, Oma!" kam mir der Gedanke, daß die Geschichte auch in der 2. Person gut wirken würde.

LG maria

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leonie
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Beitragvon leonie » 22.04.2006, 17:11

Liebe wehmütige Maria,
Dankeschön für Deine Worte.
Der Text entstand mithilfe eines Bildimpulses, auf dem ein Paar ausgelatschte Schuhe zu sehen waren.
Mein Ziel war, im Leser einen Raum für eigene Erinnerungen zu öffnen. Dass sich die Geschichte im Leser selbst abspielt sozusagen. Bei Dir scheint das gelungen zu sein, darüber freue ich mich auch.

Dir liebe Grüße

leonie

ursula.stoehr

Beitragvon ursula.stoehr » 23.04.2006, 13:20

Liebe Leonie

wunderschön geschrieben - ich bin täglich bei meiner Mutter im Seniorenheim. (sie ist 94 und trägt noch immmer ihre schwarzen Pumps Größe 37)
Die breite Palette der Schuhe dort fasziniert mich immer wieder.
Von ausgetretenen Filzpantoffeln über Gesundheitsschuhe bis zu eleganten Pumps ....
Wenn diese Schuhe erzählen könnten

Danke für diese einfühlsame Geschichte.
Ursula

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leonie
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Beitragvon leonie » 23.04.2006, 21:31

Liebe Ursula,

danke für die freundliche Rückmeldung. Ich denke, die Geschichten berühren uns, die eigene Geschichten hervorholen. Deshalb schreibe ich manchmal solche Sachen.
Kannst Du Dir nicht vorstellen, mal so einen Schuh oder auch mehrere erzählen zu lassen. Ich finde das eine schöne Idee...

Liebe Grüße

leonie

ursula.stoehr

Beitragvon ursula.stoehr » 23.04.2006, 22:26

Liebe leonie

Das mache ich gerne ...
ich brauch nur noch ein wenig Zeit.
Ich habe gerade ein dreitägiges Schreibseminar hinter mir
(Leitung Dr. Olaf Kutzmutz / Bundesakademie Wolfenbüttel)
und muss die Eindrücke und das Gelernte verarbeiten.
Ich habe deine Geschichte soeben nochmals gelesen.
War heute Abend noch bei meiner Mutter.
Wenn ich morgen hingehe, werde ich mir bewusst die Schuhe und deren Träger ansehen. Mal sehen..
Liebe Sonntagabendgrüße und eine gute Woche
Ursula

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 24.04.2006, 09:19

Hallo,
leider (aufgrund tausender Gründe) habe ich kein besonders enges Verhältnis zu meiner Oma, hätte es mir aber oft gewünscht. Als kleines Kind war das zumindest bei der einen Oma (beide leben noch) anders, daher habe ich Erinnerungen, die auch für mich solche Qualität haben wie die von dir beschriebenen Schuhe (Zauberzucker war etwas!).

Durch meinen Freund, der teilweise sogar von seiner mit im Haus lebenden Oma erzogen wurde, bekomme ich aber immer wieder solche erwachsenen Momente erzählt und kann nur erahnen wie intensiv sie sind...Ei bestimmtes haarnetz, ein bestimmter Morgenmantel..., die Art Fernseh zu gucken, der Umgang mit Lebensmitteln...z.B. der nachmittagliche Genuss EINES Mon Cheris...das sind echte Erinnerungen.

Daher sehr gelungen!

Lisa


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