in der stille (voher: nasse asche)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.09.2007, 09:54

 
Theodor Däubler

Einsam


Ich rufe! Echolos sind alle meine Stimmen.
Das ist ein alter, lauteleerer Wald.
Ich atme ja, doch gar nichts regt sich oder hallt.
Ich lebe, denn ich kann noch lauschen und ergrimmen.

Ist das kein Wald? Ist das ein Traumerglimmen?
Ist das der Herbst, der schweigsam weiter wallt?
Das war ein Wald! Ein Wald voll alter Urgewalt.
Dann kam ein Brand, den sah ich immer näher klimmen.

Erinnern kann ich mich, erinnern, bloß erinnern.
Mein Wald war tot. Ich lispelte zu fremden Linden,
Und eine Quelle sprudelte in meinem Innern.

Nun starr ich in den Traum, das starre Waldgespenst.
Mein Schweigen, ach, ist aber gar nicht unbegrenzt.
Ich kann in keinem Wald das Echo-Schweigen finden.




in der stille


mit jedem tag
fällt ein wort
ins grab

in der stille
sehe ich braun

auf dem stein
wird kein name stehen
leer wird er sein
wie das hören
seinen sinn verlor

wer trauert
um das nichtgesagte
das geschriebene
im feuer zerfiel grünes ins grau
gelöscht aus augen
fließt die quelle

mit jedem tag
fehlt mir ein wort
auch die punkte
schweigen schon
wird es kalt

der herbst bringt dieses jahr
nur nasse asche



Titel auf Klaras Anregung hin geändert.

 
Zuletzt geändert von Ylvi am 12.09.2007, 09:35, insgesamt 1-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 07.09.2007, 10:11

hallo smile!
da sind viele tolle stellen drin. am meisten begeistert mich die hier:
wer trauert
um das nichtgesagte
das geschriebene
im feuer zerfiel grünes ins grau

gelöscht aus augen / fließt die quelle" find ich dagegen zu wuchtig. nach meinem empfinden könnte diese stelle eine änderung vertragen. um in der guten bildhaftigkeit zu bleiben, die du hier ansonsten zeigst (auch) in diesm text.

mit jedem tag
fehlt mir ein wort
auch die punkte
schweigen schon
wird es kalt


die stelle finde ich ebenfalls sehr gut. aber ich empfinde sie auch als grammatikalisch bedenklich. vielleicht ist es dir als schreiber garnicht bewusst (geht mir oft auch so). ist es so von dir gemeint:

mit jedem tag
fehlt mir ein wort
(auch die punkte
schweigen schon)
wird es kalt

also eine aufzählung mit einschub? die klammer find ich bei näherer betrachtung garnicht mal so übel. vorausgesetzt, du meinst es so, wie ich es mir zerdrösele.

es gibt ein gedicht von nikolaus lenau, wo er am ende schreibt:

Wieder ist, wie bald wie bald
mir ein Jahr dahin geschwunden
fragend rauscht es aus dem wald:
"hat dein herz sein glück gefunden?"

Waldesrauschen wunderbar
hast du mir das herz getroffen
treulich bringt ein jedes jahr
welkes laub und welkes hoffen.

das passt auch sehr gut zu deinem text.........
habs sehr gerne gelesen!
lieben gruß: Niko

Klara
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Beitragvon Klara » 07.09.2007, 11:00

Wow, Smile, das finde ich einen starken Text! Soll er eine Antwort sein auf das Sonett? Ich finde, er kann auch für sich stehen.

Ich frage mich, ob du mit dem Titel nicht den Schluss "verschenkst". Und vielleicht überlegen kannst, den Titel "Mit jedem Tag" zu nehmen. Oder "In der Stille sehe ich braun".

Das braunsehen finde ich ohnehin faszinierend zutreffend...

Unverständlich bleibt mir, warum das Hören seinen Sinn verlor - vielleicht, weil es still ist?

Hier ist mir die Inversion unklar (wenn es denn eine ist):
das geschriebene
im feuer zerfiel grünes ins grau
gelöscht aus augen
fließt die quelle

Dieser ganze Absatz sträubt sich mir. Das würde ich mir weniger verrätselt wünschen. das geschriebene zerfiel im feuer... grünes zu grau ... GELÖSCHT AUS AUGEN FLIEßT DIE QUELLE verstehe ich nicht, macht aber nix. Nur die Inversion stört mich auch hier, weil es dann so fragend wird, und das passt nicht.
mit jedem tag
fehlt mir ein wort
auch die punkte
schweigen schon
wird es kalt

der herbst bringt dieses jahr
nur nasse asche

Das ist so schön, so schön!

Danke für das Gedicht.

Klara

Niko

Beitragvon Niko » 07.09.2007, 11:04

ich greife mal smile vor, klara:


Zitat:
das geschriebene
im feuer zerfiel grünes ins grau
gelöscht aus augen
fließt die quelle

Dieser ganze Absatz sträubt sich mir. Das würde ich mir weniger verrätselt wünschen. das geschriebene zerfiel im feuer... grünes zu grau ... GELÖSCHT AUS AUGEN FLIEßT DIE QUELLE verstehe ich nicht, macht aber nix. Nur die Inversion stört mich auch hier, weil es dann so fragend wird, und das passt nicht.


du musst den passus davor mit einbeziehen Ich haue mal interpunktion rein):

wer trauert
um das nichtgesagte? (oder!)
das geschriebene?(oder!)
im feuer zerfiel grünes ins grau.
gelöscht aus augen
fließt die quelle

wirds klarer? ich hoffe, ich lieg richtig *g verrätselt find ich daran nix.

grüßles: Niko

Klara
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Beitragvon Klara » 07.09.2007, 11:13

Ah, ja, Niko! Jetzt wird's klarer!
Bin offenbar ohne Satzzeichen zu dusslig ,-)

klara

Klara
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Beitragvon Klara » 07.09.2007, 11:15

Niko, dies hier
die stelle finde ich ebenfalls sehr gut. aber ich empfinde sie auch als grammatikalisch bedenklich. vielleicht ist es dir als schreiber garnicht bewusst (geht mir oft auch so). ist es so von dir gemeint:

mit jedem tag
fehlt mir ein wort
(auch die punkte
schweigen schon)
wird es kalt

verstehe ich anders, nämlich so:

MIt jedem Tag fehlt mir ein Wort. Auch die Punkte schweigen schon, sobald es kalt wird.

Klara

Niko

Beitragvon Niko » 07.09.2007, 11:44

ah ja, klara......... diese version ist denkbarer als meine... danke fürs drauftippen

lieben gruß: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 07.09.2007, 11:51

Liebe smile,

das ist wirklich ein bemerkenswerter Text (Da meine Muse zur Zeit so beharrlich schweigt, werde ich fast ein bisschen neidisch) vor Dir, sehr, sehr schön, finde ich.

Auch mir ist die angesprochene "Quellenstelle" rätselhaft, sie fällt ein wenig aus dem Fluss, finde ich.

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.09.2007, 14:59

Hallo smile,

die Idee, ein assoziatives Gedicht zu einem anderen 'Großen' zu schreiben, finde ich klasse.

Deine Zeilen empfinde ich als sehr gelungen und die Worte sehr gut gewählt. Mit jedem Vers erzeugst du bei mir einen ganz bestimmten Nachhall, der sich immer mehr verstärkt. Du hast eine richtige Spannung im Gedicht, die sich mir folgerrichtig aufbaut bis zum Schluss. Tolle Dramaturgie!

Hier

mit jedem tag
fehlt mir ein wort
auch die punkte
schweigen schon
wird es kalt


würde ich statt "wird es kalt"

es wird kalt

schreiben. (Das "schon" kann man als Überhang lesen, ich weiß, aber es wäre der einzige, deshalb würde ich "auch die punkte schweigen schon" für sich stehenlassen) Das wirkt m.E. noch ausdruckstärker.

Evtl. könnten die letzten beiden Zeilen entfallen, so dass dein Gedicht mit "es wird kalt" endet?

Saludos
Mucki

Klara
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Beitragvon Klara » 07.09.2007, 15:12

Evtl. könnten die letzten beiden Zeilen entfallen, so dass dein Gedicht mit "es wird kalt" endet?

Einspruch, Mucki!
Das ist doch gerade die - wunderhübsch bildreiche - Quintessenz des traurigen Ganzen.

der herbst bringt dieses jahr
nur nasse asche


Klara

Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.09.2007, 15:16

Deshalb mein Fragezeichen dahinter, Klara,
ich dachte sozusagen laut darüber nach, ob nicht schon der Satz "Es wird kalt" die traurige Quintessenz bilden könnte.
Saludos
Mucki

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.09.2007, 22:50

Hallo Niko, Klara, Leonie und Mucki,

erst mal danke! Eure schnelle und positive Rückmeldung hat mich sehr gefreut!
Ich versuch mal nichts zu vergessen.

gelöscht aus augen
fließt die quelle


Niko schrieb: find ich dagegen zu wuchtig

Klara schrieb: verstehe ich nicht

leonie schrieb: rätselhaft, sie fällt ein wenig aus dem Fluss


Ich dachte mir das so, dass man es auf verschiedene Weisen lesen kann. Vielleicht zu verschieden? Da ist das Löschen des Feuers mit Tränen (damit die Asche auch nass wird), aber auch das gelöscht werden aus den Augen eines Gegenüber, was die Quelle fließen läßt und das Zeilenübergreifende "aus augen fließt die quelle". Zu viel auf einmal? :blink2: Mir scheint, darüber muss ich nachdenken.

auch die punkte
schweigen schon
wird es kalt

Das Zeilenübergreifende "schon" möchte ich belassen, da es verschiedene Leseweisen zulässt.

Niko:

danke auch für das Gedicht von Lenau, ich kannte es nicht.
(Obwohl ich Klammern gerade sehr mag, müssen sie hier draußen bleiben. Vielleicht weil das Gedicht sowieso schon sehr leise ist.)


Klara:
Unverständlich bleibt mir, warum das Hören seinen Sinn verlor - vielleicht, weil es still ist?

Ja...vielleicht auch, weil es keinen Sinn macht zu hören, wenn man niemandem mitteilen kann, was man hört.

Ich denke auch, dass das Gedicht alleine stehen kann, es ist nicht als Antwort geschrieben. (Danke für das "wow"!)

Mit dem Titel könntest du recht haben. "in der stille sehe ich braun" würde mir auch gut gefallen. Ich lass es mal eine Nacht ruhen, mal sehen, was der Morgen sagt.

Leonie:
ich freu mich schon, wenn deine Muse wieder spricht, dann kann ich auch wieder neidisch sein. :hut0039: (Ich fürchte bei mir reitet sie gerade davon, vielleicht ist sie ja auf dem Weg zu dir.)

Mucki:

das ist schön mal wieder von dir zu lesen. Ich vermisse deine selten gewordenen Kommentare und Beiträge in der Lyrik!
An den letzten beiden Zeilen hänge ich, ohne sie würde mir etwas fehlen. Ich denke das Gedicht braucht diese traurige Quintessenz.
die Idee, ein assoziatives Gedicht zu einem anderen 'Großen' zu schreiben, finde ich klasse.

Danke, war das nicht Gerdas Idee für das Thema des Monats? Ich bin gespannt, was noch zum Thema kommt. Ich finde es sehr interessant.



liebe Grüße euch allen

smile

Sam

Beitragvon Sam » 08.09.2007, 08:05

Hallo smile,

dein Gedicht ist wirklich sehr gut. Man ist als Leser ja immer auf der Suche. Wer nicht fragt, der liest nicht. Einer dieser Frage könnte sein, warum einem die Wörter mehr und mehr abhanden kommen. Es scheint, als würde, je mehr man erlebt, das Erlebte immer unbeschreibbarer werden. Gerade in der Liebe. Und darum geht es wohl, in Däublers Gedicht, und dem deinen. Um jene Sprachlosigkeit oder jenen "Wortmangel" der sich im Laufe der Zeit einstellen kann. Worte fallen ins Grab, sind tot und wirkungslos. Aber auch das Hören hat schon seinen Sinn verloren. So erstirbt die Kommunikation, wird beerdigt, ohne dass sie jemand zu Grabe trägt und der Grabstein bleibt unbeschriftet. Danach Trauer über Nichtgesagtes und Tränen. Und das Bewusstsein, dass uns Worte mehr wärmen, als wir es vielleicht vermuten.

Auch in einem Forum geht es mir immer darum, als Leser begeistert zu werden. Das ist dier hier gelungen.

Vielen Dank!

Liebe Grüße

Sam

Gast

Beitragvon Gast » 08.09.2007, 19:37

Liebe smile,

allein schon wegen der letzten zwei Zeilen schreibe ich dir: Wunderbar, die atmosphärische Dichte deines Textes nimmt mich gefangen. Du hältst sie auch fast ganz durch ... wenn da nicht die "Quelle" wäre, die diesen stillen Text dann doch minimal plätschern lässt. Ich sage beswusst "plätschern" weil ich ein "Murmeln" passender fände, was aber einer Quelle nun mal nicht innewohnt.

Das ist aber wirklich nur eine kleine Sache. Ich würde über die Stelle noch einmal nachdenken.

Nicht desto Trotz gefällt mir dein Gedicht sehr.

Liebe Grüße
Gerda


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