Das Trallala

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Last

Beitragvon Last » 03.05.2006, 12:07

Es leuchtet im Walde das Dorf unter,
wenn Vögel die Hymne singen, das Trallala
von Bäumen, so vielen und einzeln betrachtet.
Mit leerem Euter die Kuh, sie trägt Fliegen in den Augen,
kein Tröpfchen Milch den Kindern, die sie gebar,
weint sie Tränen wie Nektar.
Die einzige Schänke, ein Bier durch den Kübel,
das Tagesgericht steht nicht auf der Karte, jeden Abend
kommen die gleichen Gäste, wenige Worte zu brechen.
Wandermanns Grab, auf Gipfeln ohne Ton ist Zelten verboten,
der Asphaltgott spricht heisere Routen, nicht Ast,
so hebt das Trallala vom ewigen Lenz auf und an.
Zuletzt geändert von Last am 04.05.2006, 13:48, insgesamt 3-mal geändert.

maria

Beitragvon maria » 03.05.2006, 15:11

Hallo Last,

Die Eindrücke von diesem Dorf (das wie jedes Dorf ist ...) transportierst du in starken, schweren Bildern. Durch den heiteren Titel bekommt das starre Landleben noch mehr Schwere. Ich finde das Nebeneinander von Prosaischem wie "das Tagesgericht steht nicht auf der Karte" und "ist Zelten verboten" und die Oberfläche enthüllenden Momentaufnahmen sehr spannend - besonders:

Mit leerem Euter die Kuh, sie trägt Fliegen in den Augen,
kein Tröpfchen Milch den Kindern, die sie gebar,


Die Tragik der Milchkuh - sehr berührend. Oft ist ja paradoxerweise gerade das Leben auf dem Land (durch die mitleidlose Ausnutzung der "Nutztiere") sehr von der Natur entfernt.

aber auch:

das Tagesgericht steht nicht auf der Karte, jeden Abend
kommen die gleichen Gäste wenige Worte zu brechen
. Wow.

Aber einiges bleibt auch unklar für mich. Na ja, es sollen ja wahrscheinlich auch Dinge offen bleiben - obwohl ich immer gerne alles verstehen möchte. Was bedeutet

der Asphaltgott spricht heisere Routen nicht Ast,?

Route liest sich ja wie Rute = kleiner Zweig, also kleine Straße, im Gegensatz zum Ast = große, wichtige Straße oder hab´ich hier in meinem Drang alles durchdringen zu wollen nur Bahnhof verstanden?

Heißt es nicht Schänke (die Schänke? die Schanke? der (Aus-)Schank?)?
Daß "gebar" und "Nektar" nicht als Reim gedacht sind sehe ich doch richtig, oder? Man ist eventuell versucht die zweite Silbe von Nektar zu betonen. Aber was Formalien angeht, bin ich leider recht unbewandert.

Bin ja mal gespannt auf andere Meinungen. Ich find´s klasse.

LG maria

Last

Beitragvon Last » 03.05.2006, 19:26

Hallo maria,

du Meisterin der Interpretatoren :grin:

Dein Kommentar bereitet mir viel Vergnügen, erstens, weil du sehr gut erkannt hast, was ich meine, ich also nicht wieder mal in einer abstrusen Welt der völligen Unverständlichkeit gelandet bin (obwohl ich das eigentlich bin, diese Welt ist nämlich total verrückt^^).
Zweitens, weil du den Mut hast dich weit aus dem Fenster zu lehnen (Route=Rute), die meisten hören dann auf zu denken, haben Angst vor ihren eigenen Ideen *lol* Was ich an der angesprochenen Stelle meinte, war nicht ganz so tiefsinnig, dein Gedankengang gefällt mir trotzdem sehr, ist nämlich sehr stimmig. "heisere Routen" beziehen sich auf Wandermanns Grab, der asphaltierte Weg ist vorgegeben, kein Entdeckergeist mehr, das geschieht so oft, dass sich der Asphalt Gott schon heiser geredet hat, der Ast wäre eine Alternative, als Überbleibsel der Natur zu verstehen, die nicht gewählt wird.

Es heißt wirklich Schänke, nicht Schanke, da ist in meinem Kopf wohl irgenwas schief gelaufen :???:
Nektar auf gebar, war ist nur zufällig auf der gleichen Endung.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 04.05.2006, 11:18

Hallo Last,

und wieder triffst du diesen dir eigenen Ton, der mir so gefällt. Allerdings war ich weniger mutig als maria, weshalb ich bisher noch nichts schrieb.

Ich weiß, ich sage das wohl allzu oft...aber...wäre es nicht möglich, das Gedicht anders zu setzen? Mehr zu gliedern? In vier Strophen?

Statt Tröpfchen würde ich übrigens Tropfen sagen, da Tröpchen mir zu verkitscht-mitleidig klingt.


Hinter Gäste würde ich ein Komma setzen, da die Stelle um ein um verkürzt wurde.

Insgesamt gefallen wir wieder die Bilder und die Stimmung, die sie bewirken, denn die Stimmung ist nicht eindeutig (das ist sie bei vielen deiner Gedichte nicht). Das gefällt mir.

Last

Beitragvon Last » 04.05.2006, 11:49

Hallo Lisa,

ich danke dir sehr für deinen Kommentar. Er hilft mir sehr etwas zu verstehen, das mir bisher Kopfzerbrechen bereitet hat. :grin:
Die Stimmung in vielen meiner Gedichte ist nicht eindeutig, ja, das trifft es genau, das muss auf viele befremdlich wirken. Deshalb bekomme ich in anderen Foren auf die Gedichte wo Herzblut drin steckt in anderen Foren häufig keine Rückmeldung. Diesmal bennene ich aber wenigstens schonmal diese ungeklärte Gemütslage mit dem Wörtchen "Trallala", der Hymne des Weltuntergangs *lol*

Den Kritikpunkten stimme ich zu, das sind genau die Dinge, an denen ich selbst überlegt habe.
Tröpfchen statt Tropfen, da hab ich mir gedacht, dass die Verniedlichung sehr passend ist, ich selbst empfinde das Bild von der Milchkuh auch ein wenig ironisch. Mit einer Kuh auf die Tränendrüse drücken...
Die Gliederung bietet sich ja an, vier Sätze, jeweils über drei Verse, ich hab gedacht, es sei stimmungsmäßig wohl besser, es im Ganzen zu lassen, dann wird der Leser mit dem Geballten konfrontiert.
Das Komma werde ich gleich setzen, das ist sehr sinnvoll :smile:

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Beitragvon Lisa » 04.05.2006, 11:58

Hallo Last,
ich habe die Kuh (auch andere Stellen) auch nicht mit vollen Ernst lesen können, wenn das beabsichtigt ist, natürlich unbedingt Tröpfchen lassen. Wobei das auch zwiespältig ist, es ist auch durchaus ernst gemeint für mich...beides halt.

Wie wäre es denn die andere Gliederung und ihre Wirkuhng zumindest einmal anzuschauen:

Es leuchtet im Walde das Dorf unter,
wenn Vögel die Hymne singen, das Trallala
von Bäumen, so vielen und einzeln betrachtet.

Mit leerem Euter die Kuh, sie trägt Fliegen in den Augen,
kein Tröpfchen Milch den Kindern, die sie gebar,
weint sie Tränen wie Nektar.

Die einzige Schänke, ein Bier durch den Kübel,
das Tagesgericht steht nicht auf der Karte, jeden Abend
kommen die gleichen Gäste, wenige Worte zu brechen.

Wandermanns Grab, auf Gipfeln ohne Ton ist Zelten verboten,
der Asphaltgott spricht heisere Routen nicht Ast,
so hebt das Trallala vom ewigen Lenz auf und an.

Ich habe mir das in der Vorschau mal angechaut. Ich kann dein Argument verstehen, da das Zusammengezogene das geballte, dunkle, dörfische gut ausdrückt.

Andererseits gewinnt es ungemein an Lesbarkeit, weil die Bilder sich nicht gegenseitig ferner verweben, es wird zugänglicher. Vielleicht können andere ja auch noch den Vergleich ziehen.

Diese schon von maria angeführte Stelle:


der Asphaltgott spricht heisere Routen nicht Ast,

ist mir in Bezug auf die Grammtik übrigens immer noch nicht klar...: nicht Ast? :-$

Liebe Grüße, spannend :grin:
Lisa

Last

Beitragvon Last » 04.05.2006, 12:14

Der Asphaltgott spricht heisere Routen anstatt einen Ast zu sprechen. Muss ich da etwa auch ein Komma setzen, damit das grammatikalisch so stimmt? "der Asphaltgott spricht heisere Routen, nicht Ast" :???:
Ich bin ja noch ein kleiner Tunichtgut, der diese Regeln noch nicht ganz beherrscht :sad:

In der gegliederten Version hat der Leser natürlich eine Atem- und Denkpause zwischen den einzelnen Strophen und wird nicht direkt vom nächstem Bild überrannt. Muss darüber mal nachdenken.

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Beitragvon Lisa » 04.05.2006, 13:34

Hallo Last,

das Komma ist richtig, ich habe es aber auch ohen es so verstanden..nur, was soll einen Ast sprechen heißen? Ode stehe ich total auf dem Schlauch?

Last

Beitragvon Last » 04.05.2006, 13:55

Naja, ist auch ein sehr stranger Gedanke, der dahinter steckt. Die heiseren Routen sind Landstraßen, die sich durch die Wälder ziehen, ein vorgegebener Weg, ein unnatürlicher Weg. Stattdessen könnte der Asphaltgott aber auch an die Natur erinnern und mahnen, wie sie zu Grunde geht. Der Ast ist ein kleiner Teil eines Baumes, der Baum steht für Leben und Natur, der Ast alleine, ist aber ein totes, dorres Stück. Der Ast ist hier also Zweig zur Natur, die letzte Verbindung zur sterbenden Umwelt, die nicht mehr beachtet wird und an sich schon kümmerlich ist.


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