Prosalog

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Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 26.10.2007, 00:53

Es wird nichts besser. Man hat mir gesagt, dass eine Änderung erfolgen würde, aber alles stagniert in der alten Bahn. Jeder Einfluss von außen, auch wenn das Außen sein möglichstes tut, wird zwanglos eingefügt in die persönliche und familiäre Fahrstraße. Zwischen Außen und Innen weiß kein Mensch mehr, was eigentlich sein solte und richtig ist. Nur, dass irgendwas nicht stimmt, und auch das ändert sich nicht seit über zwanzig Jahren. Mit jenem Nichtstimmen werden wir alt. Als hätten wir schon in den Achtzigern Baggyhosen gekauft, die weder oben bleiben noch runter rutschen wollen. (Gruß an Gerda.)
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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eva
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Beitragvon eva » 26.10.2007, 16:12

Amoklauf im Hinterland, welch großartige Entwicklungschance für eine bajuwarische Region mit dem großen Bruder jenseits des Teiches gleichzuziehen. Und so drucken wir fette Lettern über diese Frau, die mit den Müttern in ihrem Leben wohl ein für allemal aufräumen wollte. Die eigene mit dem Messer traktiert, die Geschwiegerte überfahren, das klingt nach tiefem Hass und viel Verzweiflung - ein Amoklauf war es nicht. Aber wen interessiert schon eine Familiengeschichte mehr, die Menschen so krank macht, dass sie nicht mehr wissen, was sie tun. Und wen interessiert das neunjährige Kind, das nicht nur beide Großmütter sondern auch die Mutter verloren hat? Es sollte heute zur Schule gehen, die Klasse musste darauf vorbereitet werden, Seelsorger und Krisenhelfer standen bereit. Sie hatten gut zu tun. Nicht mit den Kindern, die voller Mitgefühl ihre Herzen öffnen und ihren Kumpel mit weiten Armen so behutsam zurück in den Alltag einladen. Was ihm nicht möglich ist. Weil er sich schämt, zur Schule zu gehen. Was niemanden wundern muss, nach all diesen Schlag- Zeilen und Mördermeinungen. Nur der Direktor will ihn holen lassen, er weiß es besser: Sowas, meint er, gehört halt zum Leben dazu. Tatsache ist: der Mann stammt nicht aus Bosnien und lebt nicht im Irak. Seine Kinder tragen Fahrradhelme und Sicherheitsgurte und sind auf der sicheren Seite. In welchem Land leben wir denn, verdammt?
Zuletzt geändert von eva am 26.10.2007, 18:08, insgesamt 4-mal geändert.
Jetzter wird's nicht. D. Wittrock

Gast

Beitragvon Gast » 26.10.2007, 16:57

26.10.2007
… in welchem Land leben wir eigentlich?
Ja, das frage ich mich auch immer wieder. Oft auch aus persönlichen Gründen, die keine Zeitungsmeldung wert sind.
Darauf gibt es aber nicht eine Antwort sondern unzählige aber keine richtige.
Ich erlebe gerade etwas, das wohl für den Verwaltungsapparat des Landratsamtes, Abteilung Hilfsmanagement typisch ist, wenn nicht für die gesamte „Blase“ Agentur für Arbeit“, dem das Hilfsmanagement, früher Sozialamt, zugeordnet ist.
Als ich meinem Bearbeiter dort mitteilte, dass ich zwei Arbeitsangebote zur Auswahl habe, meint er: „Wirklich?“, er konnte es nicht fassen.
Da frage ich mich auch gar nicht mehr, ob diese Leute überhaupt daran interessiert sind, dass sich an meiner Situation etwas ändert.
Ich entgegnete zwar mit einer Portion Ironie: „Dann halten sie mir mal schön die Daumen, sie haben ja sonst nichts zu tun“, das war sicher nicht geschickt, aber das war mir in diesem Moment ganz egal.
***

@ Zefi ;-)
Zuletzt geändert von Gast am 27.10.2007, 19:33, insgesamt 1-mal geändert.

Klara
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Beitragvon Klara » 27.10.2007, 00:31

Ich bin zu weit gegangen für Spielchen, und jetzt bin ich kalt geworden, ein Spielball für fremde Projektionen, frigide wie ein Stück Fisch. Wenn der Andere mich nur ansieht, zerfließe ich, dabei ist dieser Andere gar nicht mal der, mit dem es anfing, dass ich es merkte; ein rasanter Liebesbrief, beziehungsreiche Musik auf CDs gebrannt. Das Wort „schade“ muss genau für uns erfunden worden sein („uns“), doch ich behauptete eindringlich, dass es nicht sein dürfe, und er hat nicht überzeugt genug widersprochen, und nun bin ich nicht sicher, ob ich das bereuen oder über diesen Witz lachen soll: dass ich Sex suchte, für den ich dann doch nicht genug Traute hatte, und Liebe fand, für die ich keine Verwendung habe. Oder ob ich nicht doch lieber heulen sollte, weil ich trotz meiner „Standhaftigkeit“ meinen Liebsten betrüge, ohne es zu wollen, ohne auch nur die Hose auszuziehen (okay, da war ein Kuss, da war eine Umarmung, da waren Blicke, da waren Worte, die ich noch nie gehört habe, oder jedenfalls lange, lange nicht, es ist sehr banal). Ich heule, weil ich ein Tier bin und nichts anderes als ein Tier sein kann und doch nur in Gedanken ein Tier sein darf, gefangen in Menschenbegehren, Haut an Haut in Gedanken, liebevoll in den Träumen, virtuell begehrt. Let me touch you for a while

Wie machst du das, dass ich dich unbedingt berühren will, hat der Andere geflüstert, wie machst du das nur, ich bekomme fast einen Orgasmus, wenn ich dich nur hier so am Nacken küsse, wie machst du das, und ich seufzte und spürte seine Härte an meinem Rücken, und es war gut. Du bist so schön, hat er gesagt, und ich hab den Kopf geschüttelt, damit er es noch mal sagt, und er hat es noch mal gesagt, und ich hab den Kopf geschüttelt, damit er es nicht noch einmal sagte, sondern lieber weiter diese Stelle unterm Ohr küsste. Ich musste seine Hand von meiner Brust schieben, weil wir an einem öffentlichen Ort waren, obwohl meine Brust nichts mehr gebraucht hätte als seine Hand, spielend. Stattdessen machte ich meine Fingerkuppen in seiner Handfläche zu kleinen Eroberern, zarte Stubser auf rauer, gieriger Haut, während ich mit Mühe meine Knie davon abhielt, einzuknicken, nachzugeben, mich aufzugeben, diesen einen Moment, und ich verstehe wieder, jetzt, wenn ich es erzähle, dass es - mögen auch die Personen austauschbar sein - trotzdem etwas Besonderes ist.

Er stand hinter mir, den rechten Unterarm an meinem Hals, und ich durfte mich nicht an ihm reiben, weil wir an einem öffentlichen Ort waren. Der Ort war eine Bar, in der man zwar (so hoffte ich parallel) küssen darf, aber mehr eben nicht, und eigentlich finde ich schon küssen zu viel an einem öffentlichen Ort, jedenfalls so ein Küssen, wie wir es taten. Dann hat er mich bis fast nach Hause gebracht; die kalte Luft ernüchterte uns ein wenig, dafür sprudelten nun die Worte. Schade, dass du nicht zu mir gekommen bist, sagte er (seine Frau verreist), und ich meinte, dass das auf keinen Fall gehe, dass das nicht mein Revier und deshalb unfair sei (als wäre ich nicht ohnehin „unfair“, andererseits: wem nahmen wir etwas weg? fügten wir nicht eher etwas hinzu? und als wären all diese sinnlosen Fragen nicht schon hundertfach sinnlos gestellt worden, ohne je zufrieden stellend beantwortet werden zu können, es sei denn, man stellt sich auf den Prinzipienstandpunkt, auf dem man dann verrotten kann, doch ich bastle mir - stur - lieber meine eigenen Prinzipien zurecht, um zu wissen, wo es lang geht, und eines davon lautet, dass ich nicht in eine Ehe-Wohnung einbreche, weil das Hausfriedensbruch wäre). Okay, dann brauchen wir einen anderen Platz, sagte er, da stellst du mir ja eine schwierige Aufgabe (es klang, als riebe er sich bereits die Hände bei der Vorbereitung), und ich bellte in Panik: Niemals bringst du mich in ein Hotelzimmer, das kann ich nicht, während ich doch danach lechzte wie ein Hund (wäre ich ein Mann, müsste man ohne Zweifel „schwanzgesteuert“ dazu sagen). Er ließ den Kopf hängen. Ich bin so hungrig, sagte ich, und mittlerweile zweifle ich, ob ich je ohne ihn satt werden kann.
Wann hat das angefangen. Wer ist Schuld. Und wie komme ich da jetzt raus. (Mir dämmert, dass mein Mann gar nicht unbedingt moralischer ist oder: „besser“, sondern einfach eine andere Disposition hat als ich.) Wenn man das Denken stoppen könnte, wäre schon einiges an Nichtdenken gewonnen.

Ich schreibe dem Andern einen Brief, eine altmodische Antwort per Post, wie er es wünscht, denn wahrscheinlich ist es ein Spiel, natürlich ist es das. Ich schreibe: „Du triffst genau eine Lücke, das ist meine Schwäche. Wir beide sind uns in einer bestimmten Hinsicht ähnlich, da hast du Recht: Wir schmecken, was in der Luft liegt und möchten das dann berühren und tasten und greifen und uns wohl damit fühlen, mit dem Augenblick gehen, mit dem Lachen sein, und mit der Sonne um die Wette strahlen, oder der kalten Luft auf den Lippen nachschmecken, auskosten, was das Leben da so hat, das möchten wir, oh ja! Und wenn noch ein paar Gefühle dazu kommen, schwirrend, flirrend, bunt – umso besser, dann ist es nicht so leer, dann ist es nicht so langweilig, denn das Leben ist so kurz (vermuten wir), und der Tod unendlich, also haben wir doch die Pflicht, vorher zu leben: lebendig zu sein, bevor wir sterben! Dieses Geschenk anzunehmen. So denken wir, beide sind wir eingesperrt in Ehen, die mehr oder weniger gut funktionieren, und das ist alles auch gut so, wir sind dankbar dafür, dass uns jemand hält, ein Rahmen, ein Mensch, eine Zuversicht, aber da fehlt so viel, in diesen ordentlichen Leben, dass wir uns sehnen nach dem Anderem, und sei es nur in Gedanken, in den Träumen, wo alles leicht ist, in den Träumen ist alles so leicht, und niemand wird verletzt, und niemand macht etwas kaputt. Ich weiß nicht, wer Recht hat, [hier hätte ich gern aus vollem Herzen ein „Liebster“ eingefügt, war mir aber nicht sicher, ob er verstehen würde, dass der Superlativ bei mir wie in der Werbung relativ ist, und ob er die Widersprüchlichkeit aushalten könnte, weil ich ja zuvor behauptet hatte, nicht zu wissen, was „Liebe“ bedeutet, in einer Art weiser Voraussicht behauptete ich das, einer schriftlichen Absicherung, und im Grunde manipulativ wie alles, was ich schrieb] oder ob das irgendeinen Sinn ergibt. Ich weiß nicht, wer Schuld ist und woran. Ich weiß nur: Ich möchte deinen Arm noch einmal an meiner Kehle spüren, deine raue Haut in den Handflächen tasten. Ich möchte dein Flüstern an meinem Ohr, ich möchte deine Lippen auf meinem Hals. Ich möchte! Dass du mich noch einmal so - hältst. Meinst du, das kriegen wir hin? Oder soll ich’s vergessen?“

Ich bringe den Brief mitten in der Nacht zum Briefkasten, damit ich es mir nicht anders überlegen kann, und lege mich zu meinen wirren Träumen ins Bett, schlaflos schlafend, doch im Grunde: wartend.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 27.10.2007, 16:37

Ich drücke mich. Das kann ich am besten. Darin bin ich ein wahrer Profi. Die wichtigste Regel ist, so in den Spiegel zu sehen, dass der Hinterkopf immer schön verdeckt bleibt. Denn der Hinterkopf ist der Feind eines Drückebergers, sozusagen die Büchse der Pandora.

Eine weitere Regel ist, die Musik laut zu stellen. Am besten den Regler plötzlich aufreißen, dass sich die Stimmen aus dem Hinterkopf erschrecken wie kleine Kinder, die an der Stereoanlage gespielt haben. Bei viel Lärm hat man einen Ruhevorsprung. Meistens flüstern sie ja nur, die Stimmen. "Tue dies, tue jenes","du wolltest doch","du hast doch versprochen"... Spießer!

Man sollte auch immer versuchen, sie mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen, etwa der Zermürbungstechnik. Termine ständig wieder verschieben und dafür unbeweisbare Gründe vorschieben. Was bleibt ihnen da nach kurzem Protest anderes übrig, als die Kröte zu schlucken und den neuen Termin abzuwarten.

Puh, zum Glück sind sie gerade nicht zu vernehmen, denn sie lassen sich auch ganz gut ablenken... ZB. einfach irgend einen Blödsinn schreiben, das reicht manchmal schon...
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.10.2007, 18:23

Weltenreiter

Ich reite durch die Welten, lasse mich treiben von der schillernden Energiewelle, ganz egal wohin sie mich führt. Ich geb dem Mann im Mond einen Kuss, grüße ihn von seiner Schwester, ziehe um den roten Mars einen heißen Bogen zum blauen Neptun, fliege durch funkelnde Sterne, die mir lächelnd zuzwinkern, gleite hinunter zur Erde und hinauf auf den Kilimandscharo, bau mir einen Schneemann aus Eis, wärme mir die Hände beim Durchstreifen der Sahara, bestaune die langen Karawanen, erliege den Glutaugen der Tuareg, trinke heißen Tee, lasse mich wie ein Kind von den Dünen kullern. Auf Affenbrotbäumen klettere ich in den Wipfeln, springe in einem Satz ins Polarmeer, tauche tief hinein, schwimme mit den Robben um die Wette, hechte blitzschnell aus dem Wasser, ahme es den Kaiserpinguinen nach, folge dem Golfstrom zur Quelle der Lachse, sehe das Wunder ihrer Rückkehr, durchquere Korallen, deren Riffe ich streife. Perlmuttfarbene Grotten offenbaren mir, dass Träume kristallin sind.
27.10.2007

Gast

Beitragvon Gast » 30.10.2007, 00:40

Wieso küsste ich heute Nacht einen Mann von dem seit 20 Jahren nichts mehr gehört, geschweige denn gesehen habe?
Halluziniere ich mir schon Küsse? Nicht genug dass ich mich in den Schlaf streichle, jetzt träume ich mir das, was ich vermisse wild zusammen.

Aber ich will doch gar kein Beziehung mehr eingehen, oder?

Ich sollte mal wieder zum Zahnarzt gehen. Er ist schlank, dunkelhaarig und hat feine Hände. Das kaputte Inlay muss dringend in Ordnung gebracht werden.

Schade nur, dass er bei der Arbeit Handschuhe trägt.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 08.11.2007, 18:31

Traum III

Heute nacht hatten alle Menschen den Schluckauf von der Wahrheit, aber es kamen keine Worte aus ihnen, so war nichts damit anzufangen. (Nur ein kleiner Junge, der versprach sich ins Erwachsensein (wo man Sätze tauscht): Ich hab ins Bettchen gemacht / Ich hab mein Bettchen gemacht.

Und wenn man es anders versucht:

Drüben am Supermarkt nicht um die Ecke, da stand der dunkelbärtige Fadenwurm und lockte die Stunden in den Zettelkasten. Ohne eine Seite kippte das Telefon eine Nummer in den Äther und konnte - man staune - läuten wie die Kirchenglocken, gäbe es zu ihnen keinen Gott. Und die Dächer standen in der Blüte, die sich Schnee nennt und rennt einer davon, kommt der schwarze Mann endlich zuhause an (Zuhause: eine Auster, die nicht mit dem Anspruch, eine Perle zu bergen, gehoben wird (Vogelmenschen).

Und mit der Schokolade verspeis ich immer das Klavier.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gast

Beitragvon Gast » 08.11.2007, 22:49

08.11.2007
Warum fällt mir heute Abend nicht ein, welche Schreibidee ich heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit hatte? Ich sehe nur schwarz/weiß und durch das Bild geht ein Balken.

Ich konnte doch beim Fahren nicht schreiben, versuche mich zu erinnern.

Nebelmilch waberte im Weiltal. Die Straße war frei.
Im Autoradio: Queen, „Show must go on“ … und Nachrichten.

Haufenweise Gedenktage jetzt im November. Einhundertzwanzig Jahre Schallplatte heute. Hörer sollen anrufen und erzählen, welches ihre erste selbst gekaufte LP war. Meine erste war „Beatles for Sale“. Ich durfte sie nur hören, wenn mein Vater nicht zu Hause war. Hm, wie das roch, der Plattenteller und auch die schwarze Scheibe, wenn beides noch warm vom Abspielen war.

Die Lärchen leuchten gelb, sie nadeln ab.

Oh Gott … in einer finnischen Schule ein Massaker.

Überall Haufen von Birkenlaub, goldene Taler, bei flüchtigem hinsehen, Blendwerk der Natur. Kaum zu glauben, dass bald alles kahl sein wird.

Morgen Todestag Robert Blums (1848), übermorgen jährt sich sein Geburtstag zum hundertsten Mal, 1989 Fall der Mauer, Reichskristallnacht 1938 …
Außerdem gefällt mir überhaupt nicht, was in Pakistan los ist … und dass der Bushkrieger schon wieder Kampfgeheul ausstößt …

... was ist schon eine verloren gegangene Schreibidee gegen all den Irrsinn der Realität ...
Zuletzt geändert von Gast am 09.11.2007, 22:33, insgesamt 3-mal geändert.

scarlett

Beitragvon scarlett » 09.11.2007, 21:29

Wo lege ich dich ab? In welche Geheimschublade?
Aber auch das wäre keine Lösung, wüßte ich doch die Zahlenkombination.

Gestern, Jerusalem im Kino und dazu unsere Geschichte. Etwas verfremdet, natürlich (man darf es sich ja nicht zu leicht machen!), aber bunt, zumindest an der Oberfläche. Er etwas zu alt, sie etwas zu jung, aber in der Quersumme durchaus übertragbar. Auf uns. Auf unsere nicht gelebte Story. Allein schon aus diesem Grund liebe ich Filme, sie haben zumindest eine. Ob gut oder schlecht. Einerlei. Und manchmal liefern sie uns eine Realität, die unser eigenes Leben nicht mehr aufweist. Nur blind darf man nicht sein und das Schweigen muss man verstehen. Und wenn alles versagt, laufen können ...
Die Frau gestern, im Film, sie ist viel gelaufen.

Vielleicht erübrigen sich damit auch Geheimschubladen ...

(c) Monika Kafka, 2007

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 15.11.2007, 00:01

"Philipp Perlmann war es gewohnt, dass die Dinge keine Gegenwart für ihn hatten" beginnt Merciers Roman "Perlmanns Schweigen". Das Thema des Buches, oder vielmehr eines der zentralen Themen, ist die Erinnerung. Wie zuverlässig ist sie, wie kommt sie überhaupt zustande; was erinnern wir (um es in gepflegtem Denglisch auszudrücken), was verdrängen wir, und was von dem, was wir erinnern, haben wir wirklich erlebt. Und auf die letztere Frage bezieht sich wohl auch der Eingangssatz, denn Perlmanns verstorbene Frau, Fotografin von Beruf, hat ihm mehrmals vorgeworfen, dass er die schönsten, eindrucksvollsten Augenblicke auf ihren gemeinsamen Reisen nicht erlebt, sondern nur abspeichert - um sie im nachhinein, vom gesicherten Korbsessel aus, als wunderschöne Erinnerung wieder hervorzuziehen. Ähnlich wie jemand, der eine Landschaft nicht anschaut, sondern fotografiert. Anschauen kann er sie ja immer noch. Zu Hause, wenn das Foto entwickelt ist. Wir sind es ja gewohnt, dass alles, was wir sehen, viereckig zu sein hat.

Die Vorstellung ist grässlich. Und es ist so viel Wahres daran, und das ist das Grässlichste daran. Urlaubsreisen: Wie viele Situationen empfinde ich als unmittelbar gegenwärtig erlebt? Als ich mich auf Korsika, bei der Besteigung eines Gipfels der Nordinsel, unter dem Gipfelkreuz auf den Boden legen musste, weil der Wind so heftig an mir riss. Auf drei Seiten war Meer, ungeheuer tief. Ich hatte Todesangst und war glücklich. In Barcelona, als ich vom Montjuic aus auf die Dachlandschaft hinuntersah. Es war nicht mein erster Besuch in Barcelona, aber es war der Beginn einer Liebe. Ich muss nachdenken, um mehr solcher Momente zu finden. Demgegenüber stehen die Momente des Abspeicherns, unzählige. Als ich im Augenblick des Erlebens den Gedanken hatte: Das muss ich mir merken. Das darf ich nie vergessen. In dem Augenblick, in dem er geboren wurde, war der Augenblick bereits Konserve. Und sich dessen bewusst zu sein, gibt dem unverstellten Blick den Todesstoß. So erlebte ich es in den bezaubernden Wäldern in Portugal: DAS schaue ich mir HIER UND JETZT an. Mit einem langen, langen Blick. Einem sehr bewussten. Wenn ich mich daran erinnere, erinnere ich mich an den Vorsatz, die Anstrengung. Den Blick. Und erst als zweites an das, was ich sah.

Als hätte ich eine Schutzschicht, wie ein persönliches Virenschutzprogramm, das nichts ungeprüft und unmittelbar hereinlässt, sondern erst auf Viren prüft, Verträglichkeit absichert, Kompatibilität, Erinnerungstauglichkeit. Das abwiegt, portioniert, eintütet und zuklebt. Der Moment hat keine Gegenwart. Er existiert nur als Erinnerung im Schaukasten.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, durchlässiger zu werden. Dass diese harte Schale porös wird, von mir aus zu einer dünnen Haut, von mir aus zu nichts. Was müsste ich dafür bezahlen?
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

aram
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Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 15.11.2007, 02:58

"no camera?" der junge nahal, der sich mir als führer anbot, wollte es lange nicht glauben. "where's your camera? all you westerners have camaras!" ich würde die kamera hier haben, sagte ich, als er nicht aufhörte zu fragen, und legte meine rechte handfläche auf mein brustbein. er sah mich ruhig an. "then, you know. come. there is another temple. it's hidden." wir folgten schweigend einem pfad, der sich zwischen mannsgroßen, glatt gerundeten, nass glänzenden steinen schlängelte. ich dachte an den tag, an dem ich meine f1 zu orator in die westbahnstraße trug und meine contaflex einmottete. mir war bei morgendlichen dämmerungsaufnahmen klar geworden, dass ich schlechte laune hatte, weil ein tolles motiv aus bestimmten gründen nicht brauchbar war - wie dumm, dachte ich, ich kann es doch sehen.

Klara
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Beitragvon Klara » 15.11.2007, 19:37

Das Jahr stürzt auf sein Ende zu (Kalender haben immer Recht) und klebt doch noch wie Teig an meinen Händen. Ich, an notorischer Überpünktlichkeit leidend, eile voraus und komme wie immer zu spät: Morgen ist schon gewesen – ein altes Jahr bleibt.
Der November kitzelt mir in den Ohren, sein vorhersehbares Grau. Man kann bald tot sein. Blind. Oder schlimmer: taub. Täglich passiert alles (Kalender haben immer Recht), und früher war es auch nicht besser. It’s a hard life wherever you go, versöhnlich können wir doch später noch werden, oder beim dritten Glas Sekt an Silvester, wenn es gilt, I did it my way zu singen, in Erwartung des ersten und des letzten Atemzuges, möchte ich das? Will ich?
Lass uns einmal noch frieren, bevor wir einander in die Arme schließen, lass uns einmal noch „einmal noch“ sagen. Immer wieder. Einmal noch. Nur einmal! Ich bitte dich.

Gast

Beitragvon Gast » 17.11.2007, 10:51

... inspiriert durch Zefira :smile:

Jetzt weiß ich auch weshalb mir Fotografieren lästig ist. Ich will sehend durch die Landschaft laufen und nicht auf der Suche nach Motiven. Ich muss nichts auf „die Platte bannen“, was mein Kopf und mein Herz einfangen ist mir genug. Reicht für mich, für mein Leben. Ich will alles, was mein Leben ausmacht, wahrnehmen und reflektieren. Die Dinge sollen eins werden mit mir und mir nicht zu nachträglichen Anschauung dienen.

Anders könnte es wohl sein würde ich das Fotografieren als Kunst betreiben, oder auch wenn ich malte. Das könnte ich mir vorstellen wenn ich nicht schreiben würde.

Aber Schreiben ist mit relativ geringem Aufwand zu betreiben. Es verhält sich mit dem Schreiben im Vergleich zum Fotografieren oder Malen in etwa so, wie mit dem Joggen zum Radfahren. Man benötigt entsprechendes Equipment. Es ist aufwändiger. Mir wäre es wohl lästig.


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