südpfad

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
Sam

Beitragvon Sam » 25.12.2007, 07:56

südpfad


ich gehe den südpfad
auf der suche nach cinderella und bachblüten
um mich zu heilen
vom durst der kindheit
und dem sturz auf die fontanelle
um die dinge zu sammeln
die man vergessen hat
bei der abwicklung erster lebensjahre

da gibt es dieses lied
gepfiffen vom faltenbedruckten mund des großvaters
es liegt dort am weg unter den scherben
der gläsernen stelzen die zerbrechen
jedes mal wenn der pfad sich biegt

oder einige schritte weiter
zwischen dem immergrünen gift der eiben
das lächeln der mutter und
ihre hand die vorsichtig in den korb voll wolle greift
als wäre eine schlange darin

und dort wo man schon den flüssigen horizont erkennt
der sich am ende des weges wie schwarzer wachs aufs land legt
finde ich die stimme eines vaters
und den gedanken
dass ein kuss das bessere ende einer jugend wäre

zur stunde des tanzes taucht der pfad unter
mir weg und ich finde mich wieder
am nächsten tag an dessen beginn
und ich gehe ihn erneut
auf der suche nach
cinderella und
bachblüten

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.12.2007, 22:00

Lieber Sam!

Ich gestehe, daß ich EIN Problem habe mit diesem Text:

Es ist der Neid, daß ich ihn nicht selbst geschrieben habe.

Seit Tagen sehe ich ihn und schleiche darum herum.

Mit bestem Gruß

Moshe

pandora

Beitragvon pandora » 30.12.2007, 18:26

Der Text „südpfad“ kommt ganz leicht daher, wie ein mäandernder Bach, dessen Lauf man folgt. Der Leser begleitet das lyrICH zur Mündung (dorthin “wo man schon den flüssigen horizont erkennt“), springt mit ihm von Erinnerung zu Erinnerung, tritt ab und an daneben, strauchelt, aus dem Textfluss geworfen, und wie das lyrICH, verliert er „zur stunde des tanzes“ die Richtung und wird sich erneut auf Suche begeben müssen.

Es ist eine Suche nach der Kindheit, den Ursprüngen, wie es scheint. Der konkrete Anlass für diese Spurensuche bleibt weitgehend verborgen – man ist allerdings geneigt zu mutmaßen, dass es allererste Erinnerungen sind, die der Südpfadwanderer entdecken (und sichern!) will.
Allererste Erinnerungen, die nur schemenhaft im Gedächtnis existieren, wie beispielsweise ein Lied, intoniert vom Großvater. Nur bis zu den „faltenbedruckten“ Lippen lässt die Erinnerung den Kindheitssucher heran, danach verblasst sie. Wird unvorstellbar und erst recht unhörbar.

Eindrucksvoll wird aus der Erinnerung das Bild einer gütigen Mutter gezeichnet, deren Lächeln einen seltsamen Kontrast zum „immergrünen Gift der Eiben“ und den Schlangen bildet. Ein Vergleich mit der Gottesmutter liegt nahe, die in der Kunst vielfach eine Schlange zertretend dargestellt wird. Es scheint auch lohnend, die zitierte Eibe als Symbol für ewiges Leben in den Kontext einzubinden. Interessant wirkt in diesem Zusammenhang, dass der Baum in der keltischen Mythologie aufgrund seiner halluzinatorischen Wirkung als Vermittler zwischen Realität und Nichtrealität galt/gilt. In dieser Eigenschaft könnte er hier zwischen Realität der Erwachsenenwelt und (nicht mehr existentem )Kindheitsalltag mitteln. Ausgleichen.

Im Gegensatz zum Bild der Mutter ist das des Vaters ein düsteres, schwarzes. Wenn, wie der Text impliziert, „ein kuss das bessere ende einer jugend wäre“(ist!!!!), liegt der Folgegedanke nahe, dass die beschriebene Kindheit/Jugend abrupt oder gewaltsam enden musste. Liegt hierin der Schlüssel für das Motiv der Suche?

Um herausfinden zu können, welche Rolle Cinderella und Bachblüten bei dieser Exkursion in die Kindheit spielen, wird der Leser sich ein zweites Mal mit auf die Reise machen müssen.
Der Text lädt dazu ein, so, wie er auch dazu einlädt, Kurs auf die eigenen Ursprünge/Erinnerungen zu nehmen.

Gast

Beitragvon Gast » 02.01.2008, 00:33

Ohne Cinderella und Bachblütten

Ich habe diesen Text, wieder und wieder gelesen. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, warum mich dieser Text zunächst, in der ersten Strophe, so seltsam unberührt lässt.

Ich versuche es mal zu formulieren:

Es gibt ein Lyrich, das erzählt, aber diese persönliche Ebene wird sofort wieder verlassen, indem der Autor zum unpersönlichen „man“ wechselt.

um die dinge zu sammeln
die man vergessen hat
bei der abwicklung erster lebensjahre


An dieser Stelle frage ich mich, wer eigentlich die Lebensjahre "vergessen und abgewickelt" hat.
Sam legt so eine ziemliche Distanz zwischen Lyrich und Erinnerung, die nicht eindeutig zuzuordnen ist, weil es möglicherweise auch die Eltern sein können, die sich hinter dem „man“ verbergen. Eine Abstraktion, sich Dinge vom Hals zu halten, so erscheint sie mir, diese Art zu formulieren.

Das mag so beabsichtigt sein, schadet aber m. M. n. dem Text, weil es für den Leser so zum Ratespiel wird, ob die Erinnerungen an die Kindheit für das Lyrich diffus schmerzhaft sind und es sich vielleicht insbesondere an eine ungerechte Behandlung (durch den Vater) erinnert, oder ob das Lyrich sich der Dinge erinnert, die es selbst vergessen hat in der Kindheit zu sammeln.

Danach entwickelt sich der Erzählstrom, der Text wird weich und kommt mir entgegen mit seinen ausdrucksstarken Bildern, die ausgehend vom Südpfad (schöne Idee), über den faltenbedruckten Mund des Großvaters, das lächeln der Mutter, die hand im Korb, bis hin zum flüssigen Horizont sehr gut miteinander harmonieren, sodass mir Cinderella und Bachblüten letztendlich wie Fremdkörper vorkommen; für mich also aus der dichten Komposition herausfallen, obgleich ich denke, dass sie für Sam Dreh- und Angelpunkt dieses Prosagedichtes sein werden.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 02.01.2008, 01:20

Ein Pfad für den Leser

Mich beeindruckt an diesem Text die Stimmung ungemein, die mich erfasst. Zeile für Zeile werde ich auf diesen Pfad der Erinnerungen geführt, an die Hand genommen, gehe mit, erlebe mit durch die liebevollen und anschaulichen Details. Auch die Setzung finde ich sehr gelungen sowie den sich schließenden Kreis am Ende zum Anfang, der kein Kreis ist, da das Ich erneut auf die Suche geht.
Sehr gern gelesen.
Saludos
Mucki

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leonie
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Beitragvon leonie » 02.01.2008, 16:31

Das ist ein phantastischer, wehmütiger Text mit ungewöhnlichen Bildern und originellen Wendungen, der in mir die Frage aufwirft, ob die Wiederholung, die immerhin unterbrochen ist von der Stunde des Tanzes, tatsächlich ein Pfad zur Heilung sei.
Der Autor lässt es mich glauben, da hinter dem Schmerz seiner Worte auch ein Zärtlichkeit zu finden ist, die es möglich scheinen lässt, sich mit Vergangenem zu versöhnen.

Den Lesegenuss vermögen auch die zwei winzigen Schwächen nicht zu zerstören, die ich meine, beim Lesen ausgemacht zu haben:

- "faltenbedruckt" ist zwar eine schöne Wortschöpfung, wird aber für mein Empfinden dem Charakter von Falten nicht ganz gerecht.

- es heißt "das Wachs" und die Wendung im Text müsste "wie schwarzes wachs"

Nichtsdestotrotz: Ich bin beeindruckt!

leonie


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