Haiku

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
scarlett

Beitragvon scarlett » 18.02.2008, 21:30

Gewaschener Himmel
und das Stundenglas sichtbar
am Horizont

(c) Monika Kafka, 2008

Herby

Beitragvon Herby » 20.02.2008, 00:39

Metaphorische Widersprüche

Mit dem Begriff "gewaschener Himmel" verbinde ich einen nach einem Gewitter wieder klaren, reinen Himmel, mithin also etwas Leichtes, Positives. Das Wort "Stundenglas" erweckt dagegen Assoziationen an Schwere, Endlichkeit, Vergänglichkeit. Gesetzt den Fall, diese Deutung trifft zu, ändert auch die Tatsache, dass das Stundenglas nur am Horizont, also ferne, sichtbar wird, nichts an den Empfindungen, die es in mir auslöst. Im Gegenteil, es fügt ihnen eher noch eine bedrohliche Komponente hinzu, die für mich wiederum antithetisch zu dem gewaschenen Himmel steht.
Zudem stellt sich mir die Frage, ob das Stundenglas nur bzw. erst durch den gewaschenen Himmel erkennbar wird, wie ich einerseits durch das verknüpfende "und" zu verstehen glaube. Andererseits befallen mich Zweifel, ob ich hier nicht einer Konjunktion zu starkes, da kausales Gewicht verleihe.

aram
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Beitragvon aram » 20.02.2008, 01:28

hallo scarlett,
ein stundenglas, am horizont unter einem 'gewaschenen himmel' sichtbar - also wohl sehr groß? - surreale szenerie, gemälde à la dalí? - das bild löst bei mir nichts 'zu fühlendes' aus. auch titel und konjunktion lassen mich eher ratlos.
es scheint, der text, der visuelles betont, zeichnet bilder, die nicht visuell imaginiert sind.

Max

Beitragvon Max » 20.02.2008, 23:39

Das Gedicht hat einen starken Auftakt. "Gewaschener Himmel" ist ein kräftiges und klares Bild. Es erweckt eine Resonanz in mir. Zeile 2 und 3 übermalt dieses Bild mit dem Bild des Stundenglases am Horizont. Dieses Bild ist wesentlich irritierender und in meinen Augen auch fragwürdiger, weil es keine klar Metapher und auch keine klare Konsequenz evoziert. So bleibe ich in einer Schwebe bezüglich Aussage des Gedichts und auch über das Gedicht an sich.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 22.02.2008, 23:02

Ich kann jetzt keine großartige Rezension beitragen, aber ich wollte zur Diskussion der Suggestionskraft der Bilder nur beitragen, dass ich in der Beschreibung ein mir bekanntes Wetterphänomen wiedererkenne. Agnostisch wie ich bin nenne ich diese Himmelserscheinung belustigt "Gott spricht" (es seiht für mich wirklich aus als offenbarte sich Gott). Es taucht besonders nach einem Regen auf. Da bricht die Sonne durch das Wolkenfeld und zwar doppelt (leider habe ich weder ein solches Photo gemacht noch eins bei google gefunden, unter wolkendurchbruch findet sich nur eines, was eine ahnung davon gibt, was ich meine: http://www.musicoach.de/bilder/nlp11.jpg , aber hier ist es nur einmal gebrochen, nach unten. Tatsächlich sieht dieser Wolkendurchbruch so aus wie ein Stundenglas (der Form nach), sgar der gelblichen farbe nach(!); oft ist es auch am nachmittag oder frühen abend, so dass die assoziation zu (vormaliger @regen) und folgender (@ nacht) dunkelheit gegeben ist. ich habe keine Ahnung, ob diese Assoziation stimmt oder ob das Bild dadurch beim nicht so stark vorgeprägtem Durchschnitsleser scheitern muss, selbst wenn das so stimmt, aber ich hab es sofort wiedererkannt. Auch der gewaschene Himmel (nach dem Regen) deutet für mich darauf hin. Sollte das stimmen, so ist für mich das Bild voll ausgereift und funktioniert hervorragend. Auch im übertragenem Sinn.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

aram
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Beitragvon aram » 22.02.2008, 23:35

hallo lisa, in eine ähnliche richtung hatte ich gedanklich auch gesucht, kenne das phänomen allerdings nicht. in diesem fall trügte natürlich der abschließende 'schein' meines erstkommentars, und der titel würde wieder verständlicher.
"und", "sichtbar" verstehe ich allerdings auch dann nicht, scheint mir nach wie vor widerspruch zu "haiku" -
in diese richtung erwartete ich eher

Gewaschener Himmel
Stundenglas
am Horizont

oder 'reiner':

Gewaschener Himmel
Stundenglas
Horizont


Zuletzt geändert von aram am 22.02.2008, 23:50, insgesamt 2-mal geändert.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 22.02.2008, 23:41

Hallo Scarlett!

Ich hadere auch ein wenig mit der Überschrift - oder vielmehr der Gattungsbezeichnung?! Denn ein Haiku funktioniert für mich anders, bilderärmer, direkter. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass mir deine drei Zeilen nicht gefallen. Im Gegenteil! Nur, dass sie ohne das Schild "Haiku" besser dranwären - das glaube ich schon...

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.02.2008, 16:07

Hallo,
ja, ich würde da euch beiden (ferdi, aram), so weit mich mein Wissen und meine Ahnung trägt, zustimmen, dass der Text wohl den Rahmen eines Haiku sprengt. (aber mein Urteil kommt mir da immer ein bisschen albern vor). Ohne diese Zuordnung über den Titel finde ich aber scarletts Fassung am rundesten. Deine Vorschläge aram empfinde ich rhythmisch/klanglich im Vergleich als zu stumpf.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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