Hopp-la

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Peter

Beitragvon Peter » 23.04.2008, 23:02

Hopp-la



"Hopp", sagte er, und für mich als Kind begannen damit oft die langweiligsten Stunden. Ich konnte meinen Opa ziehen wie ich wollte, hatte er "Hopp" gesagt, gab es kein Weiter. Den Stock so angestellt, dass er stützte, konnten leicht eine oder auch zwei Stunden vergehen, ehe der versprochene Spaziergang fortgesetzt wurde. Derweil lief ich durch die Wiese oder, wenn wir weiter gekommen waren, spielte an einem See. Einmal hatte ich aus Langeweile mehrere Frösche gefangen, und da der Wind den Hut des Großvaters abgezogen hatte, und der Hut über den Feldweg lief, konnte ich es mir nicht verbergen, meine Frösche, die ich ja sonst nicht zusammen halten konnte, in des Großvaters Hut zu setzen. Dieser war so sonnenwarm, dass es den Fröschen anscheinend gefiel, und also sah man sie brav aneinander sitzen. "Was machst du denn da?" hatte ich oft die Frage an den Großvater. "Du stehst so lang!" Da ich aber eine Wichtigkeit verspürte, grade so, als wäre der Großvater in einem ernsten Gespräch, konnte ich dieses Dastehen als Kind begreifen; nur der Mutter gegenüber kam manchmal der Spaß auf, dass der Großvater die Kieselsteine zähle, er hätte es sich eben in den Kopf gesetzt, sie einmal alle zu erfassen. Er führe sogar ein Buch darüber, was er aber nirgends tat. Unser aller Rätsel war dieses Halbwort "Hopp". Meine Mutter dachte es als das Stolpern an einem Kieselstein. Ich selbst hatte bald die Laune, ein "la" hinzuzufügen, und sprang so durch die Wiese, wobei, wenn ich mich erinnere, es zu meiner Erkenntnis wurde, dass sich dieses "la-la", nahm man es für Lieder, für alles verwenden ließ, was mich doch erstaunte. Oft ging so ein ganzer Nachmittag vorüber. Die Sonne stellte sich vom einen Dorfende ans andere. Kam ein leichter Regen auf, veränderte sich am Großvater nichts, als dass der Kragen seines Anzugs aufgestellt war. Ich selbst befand mich derweil an einer Scheune. Mir fiel es nie ein, den Opa allein zu lassen. Der Weg zurück wäre nicht weit gewesen. Da sind so viele Bilder in mir, dass ich glaube, dass ich als Kind den Großvater oft ins Auge fasste. Da ist sein weniges Haar, das gleichsam wie eine feine Hand die Luft betastet. Da ist der Wind, der am Großvater rüttelt. Da ist der Wind in den Buchen und Eichen im Hintergrund. Da ist der Staub auf des Großvaters Schuhen. Da ist seine Hand, an der ich ziehe, und an der der weiße Ärmel seines Hemdes frei wird. Da ist dieser Blick, der mich durchsieht. Da sind einmal die Blumen, die vor ihm liegen (Gänseblümchen vom Wegrand). Da ist dieser eingeborgene Schatten, fein gezeichnet, auf dem Feldweg. Da ist des Großvaters Gestalt, die in der Wärme oder Hitze des Sommers mit der Luft verschmilzt.
 
 
 

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annette
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Beitragvon annette » 29.04.2008, 10:00

Peter hat geschrieben:die angesprochene Toleranz leuchtet mir ein, man könnte sie aber, also so lese ich, auch anders auslegen. Die Duldung wäre dann Modell, ein Sprach-Modell. Ich selbst lese den Text so, dass hier zwei verschiedene Welten oder Zeiten sind, nur scheinbar stehen sie in einer Gleiche, als würde man zwei Schablonen aufeinanderlegen. Nimmt man das ganze so, hätte man eher ein Modell denke ich, für das, was Zeit ist oder Sprache.

Ich verstehe nicht, was Du meinst. Welche angesprochene Toleranz? Zwischen Enkel und Großvater sprach ich von einem wortlosen Verständnis, meinst Du das? (Das wäre für mich weit von Toleranz, weiter noch von Duldung entfernt.)
Die beiden Welten, die Du beschreibst (das "Modell"), sind die der beiden Menschen? Zweier Menschen, die nur meinen, sich zu verstehen, aber eigentlich völlig andere Bezugsrahmen haben?

Und innerhalb dieses Modells ist auch den Anlass, den der Opa (meiner Meinung nach) gibt, ist deshalb kein Anlass, weil es nicht seine Intention war? So verstehe ich Dich jetzt.
Meiner Meinung nach geht es nicht darum, was der Opa wollte (denn es ist wohl klar, dass es nicht seine Absicht war). Wichtig ist mE das Gefühl, das im Ich von diesen Spaziergängen geblieben ist. Und das lese ich immernoch als scheinbar langweilig, aber darunter eine intensive, "freie" Zeit.

Zum Einzelnen: -"konnte ich es mir nicht verbergen", meine Lieblingsstelle! Ich meinte nämlich schon oft bei Kindern gesehen zu haben, dass sie sich ihre Lust, etwas anzustellen, "verbergen" müssen, also die Handlung will ihren Vollzug, obwohl das Kind eine Strafe voraussieht.

Ich denke, ich weiß, was Du meinst. Nur sehe ich nicht, dass die Kinder die Lust vor sich selbst verbergen müssen, sondern immer nur vor den anderen. Und oft nicht mal das, weil die Lust, etwas zu tun, eben so groß ist, dass selbst die drohende Strafe dagegen nichts ausrichten kann, wie Du ja selbst sagst. Kann man bei Kindern wirklich davon sprechen, dass sie etwas "vor sich selbst verbergen"?

Alles andere, was Du erklärst, kann ich gut nachvollziehen.

Gruß - annette

Peter

Beitragvon Peter » 29.04.2008, 14:36

Hallo Annette,

ich legte das hier als Toleranz aus:

Ein Begreifen jenseits des Wissens darum, was sich eigentlich abspielt, das aber zum Respektieren des Verhaltens und zur Verbundenheit führt.


Auch das wortlose Verständnis, von dem du sprichst, könnte man doch als Duldung begreifen. Denn, wie du sagst oben (im Zitat), wissen die beiden sich nicht, sie können sich nicht nachvollziehen, dulden sich aber in ihrer verschiedenen Weise. Nur weil sie den anderen nicht ganz verstehen, heißt das für sie nicht, dass sie einander das Dasein absprechen. Und das heißt für mich dann Toleranz.

Ehrlich gesagt, habe ich mir aber über diese menschliche Beziehung im Text nicht bewusst Gedanken gemacht. Ich schrieb ja an anderer Stelle, dass es keine Erinnerung ist. Ich wollte viel eher etwas über das Sagen schreiben. Vielleicht kann ich das etwas deutlicher machen.

Die eigentlich Frage scheint mir ja doch, warum der Großvater stehen bleibt. Was ist das eigentlich, sein Stehen-bleiben? Warum sagt er dieses seltsame Wort "Hopp"? Dass das ganze ein Sprachmodell sei, will sich ja eigentlich schon im Titel verbergen. Ich denke, im Sprechen gibt es etwas, das "Hopp" heißt und etwas, das "la" heißt. Ich will mir fast denken, dass daraus das gesamte Sagen besteht. Im Französischen heißt "là": da / an dieser Stelle / an diesem Ort. Ich weiß nicht, ob du das kennst: Da ist etwas. Da ist etwas da, aber indem es da ist, ist es doch nicht da, weil seinem Dasein das Beispiel fehlt. Erst durch das Beispiel wird es da. Ich denke, das ist die Wortsituation im allgemeinen. Man kann etwas nicht aussagen, wenn das Beispiel fehlt. Man kann es nicht sagen, wenn man nicht "là" sagen kann.

Im letzten Kommentar sprach ich dann von verschiedenen Zeiten, und dass der Text auch dafür ein Modell sei. Wir haben hier einerseits das Kind, andrerseits den alten Mann, also Kindheit und Alter. Mein Gedanke ist, dass Kindheit heißt, überall Beispiel zu haben, dass aber Alter heißt, dass das Beispiel für dieses Phänomen Etwas-ist-da fehlt. Deshalb stockt der Großvater. Und er kann dieses Stocken nicht auflösen. Er hat etwas, aber nicht das Weitere dazu, und wird deshalb unbeweglich. Was aber das Kind gar nicht verstehen kann - weil es sich kein "Hopp" vorstellen kann, das ohne Beispiel wäre.

Ich denke eben, dass das Alter immer mehr ans Sprachlose führt. Was ist das, das Dasein? Gibt es ein Wort dafür? Kann man es abgleichen? Wie kann man es übersetzen? Im Text steht dem Großvater einer Parallele gegenüber, der Wald (die Buchen, Eichen), das Rauschen. Das scheint mir eben das, auf das wir in der Zeit zugehen. Insofern also Modell.

- Zum Anderen: Das ist natürlich eine philosophische Frage, ob ein Kind etwas vor sich selbst verbergen kann. Ich glaube, es liegt in der Natürlichkeit des Kindes, dass sich Dinge durchsetzen wollen, und dass das Kind diese Dinge viel weniger verhalten kann. Es muss erst dieses Verdrängen oder Verhalten lernen. Es muss also das Verbergen lernen. Ich glaube in diesem Gedanken steht der im Text gesagte Satz.

Liebe Grüße,
Peter

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annette
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Beitragvon annette » 29.04.2008, 15:52

Peter,

dank Dir für Deine ausführliche Antwort!

Toleranz verstehe ich anders, aber das spielt hier im Kontext wohl keine Rolle.

Ansonsten hast Du jetzt wirklich sehr viel von Deinem Text erklärt, deutlich gemacht. In dem Fall finde ich das toll, weil diese sehr abstrakte Ebene von einem Text mir leicht entgeht. Mir leuchten Deine Gedanken und Erklärungen ein, der Text gewinnt für mich noch einmal sehr damit! Und über einiges muss ich noch nachdenken.

Nochmal vielen Dank!
Gruß - annette


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