27052005 Teile

Andreas

Beitragvon Andreas » 08.01.2010, 10:29

Mein Vater war ein einfacher Mann. Er konnte Stunden damit zubringen, Puzzleteile zu verbinden und Rätsel zu lösen. Weder verstand ich seine Begeisterung für diese Dinge, noch meine Mutter, die ihm geduldig zur Seite saß, häufig Lösungsansätze soufflierte und Puzzleteile in die Nähe der passenden Stellen mänovrierte. Immer wenn das geschah, sagte er einfach "Ach Lilo" und lächelte. Ihr milder Gesichtsausdruck, den er schon weit über 40 Ehejahre an ihr liebte, formte ebenfalls ein Lächeln und alles, was über ihre Lippen kam, war nur ein "Ach Will".

An einem dieser Tage, wo ich ihn wieder einmal nach dem Antrieb, seiner Faszination an diesen Dingen befragte, sagte er:
"Mein Sohn," - er redete mich nie mit meinem Vornamen an - "es gibt mir Geduld und Ruhe. Vielleicht wirst du auch eines Tages daran Freude finden und mich dann verstehen." Lilo nickte ihm lächelnd zu.

Im Mai des Jahres 2005 starb mein Vater.

Wann immer ich mit meiner Mutter an seinem Grab verweile, würgt sie unter Tränen ein "Ach Will" hervor. Ob ich das Puzzle, das Rätsel, was er mir mit seinem Tod hinterließ, jemals zu lösen vermag, weiß ich nicht.

"Ach Vater."

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Zuletzt geändert von Andreas am 18.01.2010, 12:27, insgesamt 2-mal geändert.

aram
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Beitragvon aram » 08.01.2010, 11:01

hallo andreas,

angenehm kommen bei mir die länge und schlaglichtartigkeit des textes an, die mischung aus am-phänomen-bleiben und knapp erklärender reflexion.

der erste satz scheint mir noch ein schnitzer zu sein - "Mein Vater war ein einfacher Mann, meine Mutter nicht minder." - demnach ist die mutter keine frau, und nicht mehr am leben. (im letzten absatz lebt sie)

"erwiderte sein Lächeln und alles" - komma vor 'und' wäre hier sinnstiftend.

die gliederungen des textes - zeilensprünge, absätze - finde ich noch etwas überarbeitungswürdig, wirkt auf mich unausgewogen, nicht durchgängig.

ebenso die häufung

niemals verstand ich / niemals verstand ich / immer wenn / sagte er nur / war nur / wieder einmal / wann immer,

das empfinde ich als zu schematisch reduziert: "immer wenn > sagte er nur > niemals verstand ich" - klar geht es genau darum im text, es wird aber nicht präziser oder reicher oder klarer in der wiederholung; hier schwächelt m.e. der erzähler.

kann man einen gesichtsausdruck 'austauschen'?

'verweile ' empfinde ich im kontext als überhöht, 'stehe' käme angenehmer rüber.


die distanz zu beiden elternteilen ist groß, das 'kind' hat keinen namen.

gern gelesen,
aram

Andreas

Beitragvon Andreas » 08.01.2010, 11:21

Lieber aram,

vielen Dank für deine Anregungen. Ich werde einige deiner Vorschläge nach meiner Antwort umsetzen.

Der erste Satz bzgl. der Mutter ist in der Tat ordentlich daneben gegangen. Ich werde den Passus mit der Mutter aus dem ersten Satz streichen. Es dürfte obsolet sein und zudem die für mein Empfinden die glatteste Lösung, dieses Anfangsschnitzers.

Die Kommasetzung vor "und alles" werde ich überdenken, vermutlich den Satz aber leicht umstellen, weil hier auch deine Fragestellung bzgl. des Gesichtsausdrucks aufkommt. Eventuell macht sich dort etwas anderes besser, was zu dem Bild passt, was ich dabei im Kopf hatte.

Struktur und Häufung schaue ich mir ebenfalls an und kann mir vorstellen, dass ich hier noch feile.

Ich verstehe, dass die Distanz des Kindes groß wirken muss / kann, allerdings möchte ich hier als (autobiographischer) Erzähler keinen Namen im Text angeben.

Hab Dank einstweilen (überarbeitete Fassung kommt).

Grüße
Andreas

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noel
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Beitragvon noel » 08.01.2010, 13:19

auszer dem erwähnten satz, finde ich nichts zu mäkeln.
der text ist kurz & fasst viel zusammen

erinnert mich an das leid von joe cocker
n' oubliez jamais

http://www.youtube.com/watch?v=MBpyuYgfCWA
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Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

Andreas

Beitragvon Andreas » 08.01.2010, 15:15

Ja Noel, das Lied vom alten Whiskey Joe, der erstaunlich gefühlvolle Texte schrub, könnte gut die Atmosphäre meiner wenigen Zeilen einfangen.

Habe jetzt die Ursprungsversion eine Etage tiefer geschoben und ein paar Dinge verändert, die mir gut und sinnhaftig erschienen. Mir scheint es nachwievor (zum Glück) der Stimmung dieses kurzen Textes keinen Abbruch zu tun.

Vielen Dank
Andreas

aram
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Beitragvon aram » 08.01.2010, 15:34

Andreas hat geschrieben:Ich werde den Passus mit der Mutter aus dem ersten Satz streichen. Es dürfte obsolet sein und zudem die für mein Empfinden die glatteste Lösung

finde ich auch sehr gut als lösung, der beginn wird damit ruhiger/kräftiger - der 'vater' darf sich kurz entwickeln, bevor die 'mutter' angesprochen wird

Die Kommasetzung vor "und alles" werde ich überdenken, vermutlich den Satz aber leicht umstellen, weil hier auch deine Fragestellung bzgl. des Gesichtsausdrucks aufkommt. Eventuell macht sich dort etwas anderes besser, was zu dem Bild passt, was ich dabei im Kopf hatte.

was hältst du von - "ihr gesichtsausdruck, den sie über 40 ehejahre mit ihm abglich" oder "... der sie über 40 Ehejahre mit ihm verband"?

Struktur und Häufung schaue ich mir ebenfalls an und kann mir vorstellen, dass ich hier noch feile.

sind kleinigkeiten, z.b. ein 'nur' rausnehmen - ich finde den text insgesamt auch bein zweiten lesen sehr ansprechend.

Ich verstehe, dass die Distanz des Kindes groß wirken muss / kann, allerdings möchte ich hier als (autobiographischer) Erzähler keinen Namen im Text angeben.
ja, das finde ich auch passend / gut so (kam vielleicht als kritik an, sorry)

noch was - viell. das er mir hinterlies?

zu absatzgliederung und einzelnen wörtern kann ich mir z.b. vorstellen (änderungen markiert):
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edit - sorry, überschnitten

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noel
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Beitragvon noel » 08.01.2010, 15:48

Ihr milder Gesichtsausdruck, den er schon weit über 40 Ehejahre an ihr liebte, formte ebenfalls ein Lächeln und alles, was über ihre Lippen kam, war nur ein "ach Will".


formte ein lächeln

weit über 40 ehejahre an ihr liebte...

irgendwie wird mir an z.B. dieser stelle jetzt der fluss des textes genommen

auch mochte ich die dopplung des "niemals verstand ich.... , niemals verstand ich"

die "weder-noch-änderung hemmt mir auch hier den vorherigen textfluss
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Beitragvon aram » 08.01.2010, 16:00

ich finde auch, dass die liebe sich zwischen den zeilen erschließen und nicht namentlich genannt sein sollte. (selbst wenn es nur den gesichtsausdruck betrifft)

Andreas

Beitragvon Andreas » 08.01.2010, 16:06

You make me feel
im Moment recht volatil
:eek:

Ja, vielleicht ist dieses "liebte" jetzt zu schön für den Text und es wäre besser etwas neutrales wie abgleichen/austauschen, vielleicht habe ich im ersten Absatz den Dopplungsrotsift zu sehr geschwungen und vielleicht, ja, je pense, ist es in absatz 1 jetzt doch nicht mehr nüchtern genug. Mon dieu.

Für den Moment werde ich beobachten und mir jetzt gleich beim Mützenkauf beim Jack Wolfskin meines Vetrauens ein paar warme Gedanken unter der Haube machen.

Bis nachher oder wann immer ich hier reinsehe; ich werde jetzt den Winterbekleidungs - (achtung Unwort) sale stürmen.

Grüßend
Andreas

Lyrillies

Beitragvon Lyrillies » 08.01.2010, 16:43

Hallo Andreas,

ich mag deinen Text. Er ist so schön sanft und unaufdringlich und transportiert so viel Gefühl!
Ich finde auch das "liebte" überhaupt nicht störend.

Zwei kurze Dinge: "er redete mich nie mit meinem Vornamen an" stört mich ein wenig, es ist meiner Meinung nach unnötig.
Und: "würgt sie unter Tränen ein "ach Will" hervor"; bist du sicher, dass sie das hervorwürgen soll, wie etwas, was sie nicht in sich behalten will, etwas was weg soll?
Ich hatte direkt beim ersten Lesen das Gefühl, dort sollte eher etwas stehen wie "zusammenkratzen" oder "sammeln" - ist es nicht so, dass sie in diesen Worten das mit dem Tod verlorengegangene, zerbrochene wieder sucht und kitten will, bzw wenn ich mal ganz bildlich werden darf: Die Scherben wie ein Puzzle noch einmal zusammensetzt?

Abgesehen davon wie bereits gesagt: ganz wunderbar, ganz zart und kurz und aufdringlich und voll von Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen des Sohnes. Wirklich sehr schön!

Liebe Grüße,
Ellie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.01.2010, 17:43

Hallo Andreas,

mich spricht dein so liebevoller Text sehr an. Gelungen auch, wie du durch das "Ach ..." am Schluss den Kreis zum Beginn schließt. Das "liebte" finde ich völlig in Ordnung. Einzig das mehrfache "lächeln" könnte man evtl. reduzieren.
Sehr gern gelesen.

Saludos
Mucki

DonKju

Beitragvon DonKju » 09.01.2010, 15:38

Hallo Andreas,

auch von mir ein klares : Gerne gelesen ! Der Leser vermag den Text gut nachzuvollziehen und rutscht glatt durch. Einzig eine kleine Formalie: Sollte nicht an allen entsprechenden Stellen statt ""ach" besser ein "Ach" stehen, wie ja am Schluß auch ?

Mit lieben Grüßen dazu von Hannes

P.S. Raffiniert fand ich ich auch die 27-05-2005 Teile ...

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 10.01.2010, 21:13

Lieber Andreas,


das hat auch mir gut gefallen - ja, auch ich würde die Haltung des Textes eine liebevolle nennen, ohne dass dadurch irgendwas zu seicht gefiltert wird. Durch die "ach Lilo"s etc. erhält der Text eine künstlichere/verfremdetere Stimme, die sich andererseits mit diesen real wirkenden Puzzleszenen mischen, so dass der Text einen gelungenen Fiktionsgrad erhält, was sein zweites Geheimnis ist. Ich hätte gar nicht erwartet, dass du so Prosa schreibst, gerne mehr davon!

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Andreas

Beitragvon Andreas » 18.01.2010, 12:23

Hallo euch,

entschuldigt, dass ich wieder so spät dran bin, um hier noch einmal auf eure Kommentare zu reagieren.

@Ellie:
Bei der Passage mit dem "würgen" gab es für mich derzeit 2 Optionen. Hervorwürgen oder -pressen. Es ist so, dass sie ihr Lebtag lang eine sehr beherrschte Frau ist. Nur am Grab stehend, da ist ihre sonst so gegenwärtige Contenance doch ein Opfer der Trauer, ein Opfer des Lebens, was durchweg auf meinen Vater fokussiert war. Man muss es unmittelbar erlebt haben, um es tatsächlich in einer passenden Formulierung nieder zu schreiben. Vielleicht trifft es die Beschreibung ganz gut, dass es ein bisschen wie ein "glucksen" klingt, was sich mit ihren Tränen vermischt.
Was den Teil betrifft, dass er mich nie per Vornamen ansprach, kann ich schon zu einem gewissen Grad nachvollziehen, dass es für den Leser ein wenig obsolet wirkt, für mich aber, der das authentisch erlebt und diese oder ähnliche Situationen öfter vor Augen hat, war es unentbehrlich - entschuldige.

@Mucki:
Ich empfinde die Häufung des Lächelns nicht weiter störend. Stell dir 2 alte Menschen vor, die versunken über einer Sache gemeinsam sitzen und nur mal ganz sporadisch den Kopf zu Seite wenden, um dem anderen einen Blick zuzuwerfen, der voll guten Gefühls und Liebe ist. Genau das ist das, was sich so abspielte und ich empfand lediglich "lächeln" als einzige adäquate Aktion und Reaktion, die dazu passte.

@Hannes:
Stimmt, deine formale Anmerkung kann ich nachvollziehen. Werde es in meiner finalen Version berücksichtigen. Hab Dank für den Hinweis und dein Lob.

@Lisa:
Eigentlich schreibe ich seltenst prosaisches, aber dieses Thema traf schon deutlich meinen Zahn der Zeit, so dass ich hierzu etwas beitragen mochte. Ob ich überdies noch weitere Texte abseits von Lyrik hier veröffentlichen mag, ist eine Frage meiner Selbstkritik, die letztlich entscheidet, ob ich es der Leserschaft anbieten werde.

Nochmal danke allen Kommentatoren und Kommentatorinnen.

Grüße aus Düsseldorf
Andreas


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