Entäußerung

Gerda

Beitragvon Gerda » 03.05.2011, 11:12

Entäußerung

(überarbeitete Version)


Vor dem noch hellen Horizont dämmert mir, was die Nacht in wenigen Stunden dunkeln würde. Der Fels liegt da, glatt geschliffen, und glänzt im letzten Taglicht noch einmal auf, schwer und bedrohlich. Ich muss winzig neben ihm erscheinen, so klein, wie ich mich seit Stunden fühle, nackt, entblößt.

Bevor ich begonnen hatte mein Innerstes umzustülpen, glaubte ich noch. An die Worte, denen Taten hätten entspringen können. Es gab Erklärungen, gute, einleuchtende, dafür, dass Taten oft genug nicht folgten.
Das Boot gewann an Fahrt. Und ich wusste, wollte man die Welt umsegeln brauchte es mehr, an Geduld und Ausdauer als für einen Törn.

Aus der Zeit gefallen, hineingeworfen in einen Alptraum, kann ich mich heute nur noch fragen wieso ich den Seegang und den oft genug aufbrausenden Sturm hatte ertragen können. Es endete zwar nie im Schiffbruch, aber oft genug war es haarscharf daran vorbei gegangen. Ich hatte keinen Einfluss auf Route oder Navigation. Wenn ich ehrlich zu mir bin, hatte ich auch keine Ambitionen gehabt. Ich ließ steuern. (Das hatte ich ja vor jener Zeit vermisst. Immer bereit, immer alles im Griff, jede Entscheidung hatte ich allein getroffen).
Rückblickend, so scheint es mir, gab ich irgendwann das eigenständige Denken auf.

Damit ist heute Schluss, hatte ich mir gestern in den frühen Morgenstunden gesagt, um mir Mut zu machen, für diese eine Fahrt noch. Fröstelnd ziehe ich die Decke enger um mich und starre aufs Meer. Er musste mitten im Sturm, der in orkanartigen Böen die Wasser vor sich hertrieb, das Steuerhaus verlassen haben und auf Deck gegangen sein.

Als ich heraufkam war es zu spät, ich ging ans Ruder.

© GJ 20110520
Dank an Flora für gründliches Lektorat.


Der alte Text im Spoiler
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Zuletzt geändert von Gerda am 20.05.2011, 10:55, insgesamt 2-mal geändert.

Gerda

Beitragvon Gerda » 16.05.2011, 23:28

Liebe Flora,

ich glaube, dass ich die Schwierigkeiten nachvollziehen kann, die dir der Text bereitet, und dass es damit zusammenhängt, dass ich den Schluss ziemlich zusammengestrichen habe. (Da ist mir die Zeitebene auch aus dem Ruder gelaufen) ;-)
Etwas schon mal vorweg: Die Protagonistin ist nicht wirklich nackt ... sie fühlt sich so. Das scheint für dich hier nicht eindeutig.
Vorerst noch einmal Danke fürs aufmerksame Lesen.
Heute schreib ich zwar nicht mehr ausführlich dazu - vermutlich kann ich anhand deiner Einwände ohnehin Korrekturen vornehmen, aber in den nächsten Tagen dann.

Liebe Grüße
Gerda

Ada
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Registriert: 31.03.2011

Beitragvon Ada » 17.05.2011, 16:44

Hallo Gerda,

dann schien meine erste Annäherung doch auf der richtigen Fährte zu sein. Der Nachtrag mit dem Glauben, bzw. Gott, kam mir in den Snn, als mir nochmals das "glaubte ich" und die Aufgabe des eigenständigen Denkens, das Steuernlassen auffielen. Ein starker Partner kann dazu verleiten, aber es könnte theoretisch auch eine religiöse Phase sein, in der sich ein Mensch Entscheidungen abnehmen lässt, das Gefühl hat, sein Leben wird gesteuert. Das Ende einer Beziehung und der Verlust eines Glaubens haben in meinen Augen viel gemeinsam. Aber das war nur eine lose Assoziation zu Deinem Text.

Lieben Gruß
Sabine

Gerda

Beitragvon Gerda » 20.05.2011, 10:51

Liebe Flora, - endlich -

Flora hat geschrieben:
ich habe auch zeitliche Schwierigkeiten. Von welchem Zeitpunkt aus wird erzählt?
Ist der erste Absatz nach der Ruderübernahme, oder der Abend davor? Bevor sie ablegen, oder hat sie nach der Ruderübernahme Schiffbruch erlitten?
Am Anfang sehe ich sie jedenfalls nackt neben einem Felsen und frage mich, warum sie nackt ist. :-)


Wie ich w. o schon schrieb ist sie im übertragenen Sinn nackt, wie das „Geschehen“ überhaupt allegorisch zu lesen ist.
Sie betrachtet alles rückwirkend von ihrem jetzigen Platz aus. Ich werde die unterschiedlichen Zeiten noch einmal genau unter die Lupe nehmen. Für mich liest sich das schlüssig … aber die Leser sollen nicht darüber rätseln müssen, wann, was nun geschah.
Der Zeitablauf, wie folgt:
Fahrten (Achterbahn des Lebens) werden vom Partner gesteuert.
Irgendwann die Idee des Erzählichs für die nächste „Fahrt“, die Selbstbestimmung zurückzugewinnen. Kommt nun der Zufall zu Hilfe? Oder ist es mehr? Das bleibt offen. Jedenfalls steht sie, das Erzählich nachher am Steuer.
Die Rückschau vom Felsen aus ist Rahmenhandlung.

Flora hat geschrieben:Das "Schwer und bedrohlich" würde ich zum Satz davor dazuziehen (im letzten Taglicht noch einmal schwer und bedrohlich auf.) und dann einen neuen Satz beginnen (Ich musste...). So finde ich es verwirrend. Neben einem großen Felsen sieht man denke ich immer winzig aus, egal, wie man sich fühlt und ob man nun nackt ist, oder nicht. Da passt die Außenperspektive für mich nicht.


Ich verstehe, was du meinst und werde das wie vorgeschlagen ändern. Hier soll der innere Zustand der Bedrohung durch den Fels verstärkt werden

Flora hat geschrieben:Der zweite Absatz ist sehr erklärend und irritiert mich, weil das Boot, die Fahrt hier betont auf die metaphorische Ebene gehoben wird. Ich würde vor "Das Boot gewann..." einen Absatz einfügen, um das abzumildern.


Einen „kleinen“ Absatz habe ich eingefügt.

Flora hat geschrieben:Wie stülpt man sein Innerstes um, meinst du nach außen und warum verändert das den Glauben?


Ich meine das Innerste nach Außen, was ja ein „Umstülpen“ ist.
„Glauben verändern“, insofern, dass das Erzählich glaubte, mit dem Schmerz leben zu können, dass sich Versprechen nicht erfüllten.

Flora hat geschrieben:An Worte, denen Taten entspringen können. ?


In „hätten entspringen können“ geändert.

Flora hat geschrieben:Aus der Zeit gefallen" und "hineingeworfen in einen Alptraum" ist mir zu theatralisch, das klingt wie eine leere Phrase und nimmt auch den Bootsgedanken, die Naturszenerie für mich nicht auf.


Es ist sicher ein bisschen eine Geschmackssache, dennoch werde ich überlegen ob ich nicht besser im Bild bleiben kann.

Flora hat geschrieben:...
kann ich mich heute nur noch fragen, wie ich den Seegang .... ?

wenn ich ehrlich zu mir bin, hatte ich auch keine Ambitionen. ?

Rückblickend, so scheint es mir ?


Richtig, die Zeiten habe ich geändert, das ist Betrachtung in der Gegenwart.

Flora hat geschrieben:Ist das Jetzt? Oder bevor sie ans Ruder geht, oder danach, oder nun in der Felsszene von Absatz 1? Hat er am Tag seinen Abgang gemacht, obwohl ihre Ahnung war, dass er erst nachts gehen würde? Aber wann "dämmert" es ihr dann und was? Wann hat sie geschlafen und nicht mitbekommen, dass er geht? Ist schon wieder Abend, oder noch Morgen oder der nächste Tag?
Du siehst ich schwimme völlig herum und finde keinen roten Zeitfaden und kann der Geschichte somit auch nicht folgen und mich auf sie einlassen.


Das „Schwimmen“ (passt ins Bild) ;-) nein, nein, das will ich natürlich nicht, aber nachdem ich den Rettungsring in Gestalt „Korrektur der Zeiten“, geworfen habe und das Wort „gestern“ vor „in den frühen Morgenstunden“ ergänzt habe, dürftest du nicht mehr Schwimmen müssen.

Flora hat geschrieben:"Entäußerung" scheint mir ein zu großer Begriff zu sein, der sehr lastend über dem Text liegt und den er für mich nicht füllen kann.


Auch zum Teil Geschmackssache, findest du „Entblößung“, besser, treffender?
Allerdings möchte ich meinem Titel ein wenig verteidigen, Ich bitte zu bedenken, dass dieser Text offen lässt, ob beim Verschwinden des Partners unterlassene Hilfeleistung oder eine bewusste Handlung im Spiel gewesen sein kann.
Man könnte fragen, um welchen Preis, hat das Erzählich das Ruder übernommen, sich all seiner Mitmenschlichkeit entäußert?

Flora hat geschrieben:Hier mal eine mögliche Ordnung, die mir die Geschichte näher bringen würde, die vielleicht aber auch gänzlich an deiner Vorstellung vorbeisegelt, ;-) dann siehst du aber vielleicht, an welchen Stellen das passiert.


Danke auch hier noch mal für dein Befassen, deine Hilfe. Ich poste gleich die überarbeitete Version.

Einen schönen Freitag :-)
und liebe Grüße
Gerda

Gerda

Beitragvon Gerda » 24.05.2011, 10:32

Liebe Flora,

Gerda hat geschrieben:Aus der Zeit gefallen, hineingeworfen in einen Alptraum, ...


Nachtrag, @ Bildkonsitenz: Meine Überlegungen gehen in folgende Richtung:

Der Kurs fremdbestimmt, der Lotse rücksichtslos ...

Was meinst du/ihr?

Liebe Grüße und einen angenehmen Tag
Gerda

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Beitragvon Ylvi » 24.05.2011, 19:06

Hallo Gerda,

insgesamt ist es für mich jetzt viel stimmiger. Und ich finde es eigentlich ganz fein, dass das "nackt" auch unmetaphorisch gelesen werden kann. .-)

Zu deinem Nachtrag. Ich kann deine Erklärung (Der Kurs fremdbestimmt, der Lotse rücksichtslos ...) schlecht mit dem Zitat (Aus der Zeit gefallen, hineingeworfen in einen Alptraum, ...) zusammenbringen. Für mich ist das immer noch zu dick aufgetragen, und dass der Kurs fremdbestimmt ist, wird doch auch so deutlich.
Wenn es dir wichtig ist, das an der Stelle noch etwas stärker zu betonen, würde ich trotzdem versuchen im Bild zu bleiben, zum Beispiel etwas wie: "(Mal wieder) unter Deck beordert ...". Dann aber ohne "heute" und in der Vergangenheit. (Mal wieder unter Deck beordert, fragte ich mich nur noch ...)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Gerda

Beitragvon Gerda » 25.05.2011, 12:15

Wahrscheinlich hast du Recht, liebe Flora,
aber ich finde im Moment nicht die treffende Metapher für die Allegorie um Boot, Wellengang und Steuer.
Erfahrungsgemäß arbeitet so etwas aber in mir weiter und ich warte abl, ob sich etwas regt.

Vielen Dank für das nochmalige Feedback.

Liebe Grüße
Gerda


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