Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

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Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

Gerda

Beitragvon Gerda » 29.06.2011, 16:17

So`n Ackermann
ist eben auch bloß Bauer,
wenngleich ein oberschlauer.
Er baut, im Kapital zuhaus,
zu seinen Gunsten, dies weit aus.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 30.06.2011, 22:33

ackerfrau (winzige ode)

du haferfromme.
kleine kernkillerin, mühlenbraut,
ich weiß, du bist nicht gut,
aber das macht mir nichts. ich bin es auch nicht.
ich werde deinen aufstieg aus den sternen heraus verfolgen,
denn das muss ich ja, weil du mich getötet hast.
er wird wunderschön sein und für lange zeit.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

pjesma

Beitragvon pjesma » 02.07.2011, 10:10

ich taste nach dem wunderschönen wort
wie einen geschmeidigen stein in der hand
brauche ich zum drehen
auch etwas im mund
(unser tägliches bonbon
gib uns heute
und führe uns nicht in versuchung
gleich verse daraus zu kleistern)
ja auch im alltag
gib mir
die poesie der leisen aussprache
vereinzelten moment der aufmerksamkeit
ein vom tagewerk gerstohlenes
innehalten
und das blindkosten,
zum beispiel
einer ZINNIE

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 05.07.2011, 00:13

.




o weh, die zeit zerkaut
luft, wasser und stein

o weh, die zeit verdaut,
mensch! dich und dein sein

o weh, das haar ergraut,
zeit spuckt dein Gebein

aus.




.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 10.07.2011, 09:39



wie ein amulett trägt sie
den kleinen blauen fleck
unter ihrer kleidung (aus wolken)
versteckt ein traummal
sagte er du hast dich weit
in den stein gelehnt
und strich
beim auseinandergehen (gedanken
über die anziehungskraft
der erde) so sonnig darüber
als hätten sie
eben erst den anfang
ihrer himmel entdeckt

da steht sie nun summend
mit mondschatten unter den augen
vor dem regal mit den zwanzig sorten marmelade
ein früchtehorizont denkt sie, erweitert den traum
um den duft der waldhimbeeren und drückt
die gitter des einkaufswagens an ihre hüfte
um ihn zu spüren, sich zu wecken
in ihrem kleinen blauen fleck
geht das lächeln auf
(wie verrückt)
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 10.07.2011, 10:50

Kröten sind wir und Falten
umzüngeln Echsenaugen
Jahrhunderte
liegen in uns
Steine poltern im Bauch
doch auch wir
tanzen heimlich
beschwingt
bauen unseren Wigwam
aus Scherben

Mucki
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Beitragvon Mucki » 12.07.2011, 00:08


Bild
© Gabriella Marten Cortes 2011


bau mir ein haus
aus eisen in einem guss
auf schwankendem boden
mit schiefen balken
jedem sturm zum trotz
von aschelicht durchflutet

stürme kommen stürme gehen
erde bebt erde ruht
aschelicht niemals erlischt

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Eule
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Beitragvon Eule » 12.07.2011, 14:44

Aschelicht im Staubsturm
Wirbelnd dröhnend grau
Fliegt es herein

knickt im Gesichtskreis
brennt unter der Haut weiter
nach Innen stapelt

Geschichten und trägt
ein neues Gesicht
Ein Klang zum Sprachspiel.

pjesma

Beitragvon pjesma » 12.07.2011, 21:52

stapelt geschichten
in dem bettkasten
die besten verse
in die zuckerdose
krümel
unter
den teppich
später
liegt sie im grabe
mit ungutem gefühl
die wohnungstüre nicht richtig
geschlossen zu haben
aufräumkomando!
der große blonde
in latzhosen
hält den umzugskarton
hallt über die flure
„kann das auch weg“?

Gerda

Beitragvon Gerda » 18.07.2011, 08:12

umzugskartons -

hände erzählen rissweise
von harter pappe die nicht aushält
was sie verspricht denn bücher sind schwer
verletzte fingerkuppen zerfetze nägel vom hineinlangen
in griffmulden die ausreißen / wieviele kisten noch mögen es sein
ich weigere mich zu zählen will’s nicht wissen möchte nur dass der spuk
ganz real aufhört und ich mich finde unverpackt ...

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 18.07.2011, 15:31

.


Es gibt ein Wort, das ganz genau beschreibt,
Wie sich das frühe Licht in Honig bricht,
Darin der toten Fliege Schatten treibt -
Es gibt dies Wort, und niemand kennt es nicht.



.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.07.2011, 23:37



dieses wort
tausend mal gedacht
tausend mal gesagt
niemals geschrieben
es wird zeit




pjesma

Beitragvon pjesma » 23.07.2011, 00:38

mir träumte eine lange leine

mir träumten unzählige lange leinen
gefangen mit unsichtbarem ende am horizont
vielleicht sogar frei in der unendlichkeit

parallel und überkreuzt
wuchsen sie allesammt
aus meinem mund
durchsichtig biegsam und fest
wie lebendig

mir träumte ein gewaltiger brechreiz
und ein verquerter knoten aus schimmeligen papier im rachen

mir träumte alles altgesagtes runterzuschlucken

und wie weiße hemden
blankneue worte
(wie ungepaarte socken!)
mit bunten wäscheklammern
ganz neue herzen

auf meine leinen zu hängen


durchsichtig
biegsam
und fest

mit dem knoten in der unendlichkeit

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 23.07.2011, 21:35

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Das Kernstück des Gedichts ist Geduld; wie der Herzschlag Geduld hat.




.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)


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