Abschied

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Nifl
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Beitragvon Nifl » 03.09.2006, 21:05

Ihre gespreizten Schenkel öffnen sich vor ihm, wie Hände eines Buddhisten, die sich im guten Glauben dem Universum öffnen. Eine goldene Locke legt sich um sein rotes Türmchen. Feucht und warm ist die Umarmung. Der Duft süßlich. Es wird das letzte Mal sein. Nie wieder wird er sie mit halb geöffneten Augen sehen, stoßweise atmend. Er könnte bleiben. Sonntags könnten sie sich auf der sonnigen Terrasse anlächeln. Die Ramakinder würden fröhlich den Frühstückstisch decken. Draußen regnet es. Der Lärm der Autos dringt als Rauschen ins Zimmer. Verflucht sei der Regenmacher. Im tiefsten Punkt verharrt er. Ihre blauen Augen schauen fragend und er sagt:
"Ich gehe." Sie nickt.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 04.09.2006, 22:51

Lieber Nifl,

das hast Du schön geschrieben. Aber trotzdem... Irgendwie finde ich das Geschlechterverhältnis in diesem Text sehr... antiquiert. Am Ende, so scheint mir, reitet der einsame Cowboy in den Sonnenuntergang. Oder hast Du hier die "demographische Katastrophe" auf den Punkt bringen wollen? Viele Individualisten = keine Ramakinder?

Fragt

Paul Ost

Nifl
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Beitragvon Nifl » 05.09.2006, 22:15

Hallo Paul!


Irgendwie finde ich das Geschlechterverhältnis in diesem Text sehr... antiquiert.

Echt? Warum? Sie trennen sich doch im beiderseitigen Einverständnis? Weder er noch sie kämpfen für ein Fortbestehen.


Am Ende, so scheint mir, reitet der einsame Cowboy in den Sonnenuntergang.

Also Paul ... das lässt mich in Tränen ausbrechen *g. Genau diesen Hinweis bekam ich nämlich schon vor dem Totalumbau der kleinen Szene...
Aber vielleicht soll es ja so sein... der Asphaltcowboy einer Singlegesellschaft...

Eigentlich wollte ich auf die "Beginnlosigkeit", auf die Zukunftsangst hinaus... auf den Unglauben an das Glück. Er nimmt den Regen als metaphorischen Beweis dafür, dass es "sein" (Werbe-)Glück eben nicht gibt, nicht geben kann.
Die Ramakinder haben zwei Bedeutungen:
1. "Werbefamilie-Happy-Frühstückskitsch aus den 70ern
2. Die Korrelation zu den geöffneten Buddhaschenkeln

Danke fürs Lesen und Kommentieren
LG
Nifl
Zuletzt geändert von Nifl am 05.09.2006, 22:39, insgesamt 2-mal geändert.
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 05.09.2006, 22:36

Lieber Nifl,
das hat mir gefallen, weil es den "normalen" Sprachgebrauch so gegen den Strich bürstet:

Im tiefsten Punkt verharrt er. Ihre blauen Augen schauen fragend und er sagt:
"Ich gehe."


... weil der Leser vermutlich statt des tiefsten den Höhepunkt erwartet und den Kommentar "Ich komme!" statt "Ich gehe."

Mir gefällt der Text als Sprachspiel, aber als psychologisches Schlaglicht greift er mir zu kurz. Ist einfach zu wenig. Vielleicht solltest Du die Distanz, die sich in dem ersten Satz kundtut (versteht man den kurzen Text als ausschließlich aus seiner Perspektive gesehen, sind die geöffneten Buddhaschenkel schon ziemlich ulkig und evozieren eine merkwürdig unpersönliche, artifiizielle Sichtweise auf seine Partnerin) noch ein wenig ausbauen. Wenn man weiß, worum es geht, wird die Fremdheit spürbar.

Grüßchen
die Hasenflüsterin
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 05.09.2006, 23:41

Lieber Nifl,

mit "antiquiert" meinte ich, dass er geht, während sie (passiv, wenn auch einverstanden) bleibt.

Der Gegenentwurf, irgendwo habe ich es schon mal geschrieben, findet sich in Max Frischs großartigem Kurztheaterstück: Biographie. Ein Spiel. Letzte Szene.

Grüße

Paul Ost

Nifl
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Beitragvon Nifl » 06.09.2006, 19:40

Huhu.


... weil der Leser vermutlich statt des tiefsten den Höhepunkt erwartet und den Kommentar "Ich komme!" statt "Ich gehe."

Freut mich sehr, dass du das erlesen hast!*hüpf

Ich hänge irgendwie an dem Text ... und alle Jahr krame ich ihn raus und schreibe ihn um ... *g ... Mit der Distanz hast du sicher Recht ... (hatte den Text vorher als Ich-Erzähler verfasst) ... aber mit dem "Fleisch" für die Figuren habe ich in diesem Text enorme Probleme.


mhmh ja Paul ... weiß nicht, ob das so relevant ist, wer bleibt oder geht. Die Trennung ist entscheidend. Aber das bringt mich auf die Idee, dass ich den Text mal aus der Frauenperspektive schreiben könnte.

Vielen Dank euch für die Beschäftigung!

LG
Nifl
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steyk

Beitragvon steyk » 06.09.2006, 20:38

Ein kurzer und treffsicherer Nifl. Ich muß allerdings zugeben, daß ich deinen Text schon vor ein paar Tagen gelesen habe, aber die Ramakinder einfach nicht unterbringen konnte. Ich bin kein großer Freund von Werbung, merke mir eingentlich nur besonders ausgefallene Sprüche, da man sie hin und wieder nutzen kann. Gerlinde half mir schließlich auf die Sprünge :idee:

Bin gespannt, was du nächstes Jahr daraus machst ;-)

Gruß
Stefan

Ich werd auch mal meine alten Texte durchblättern. Vielleicht findet sich darunter der eine oder andere den ich neu erfinden kann. Normalerweise lese ich die alten Texte nicht mehr, wenn sie erst einmal in den Ordnern liegen. Fehler !

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 06.09.2006, 20:40

Lieber Nifl,

natürlich ist es wichtig, wer geht und wer bleibt. Oder, um es mit Ben Harper zu sagen: Leaving is easier than to be left behind.

Bye

Paul Ost

Nifl
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Beitragvon Nifl » 07.09.2006, 20:22

Hey Steyk!


Bin gespannt, was du nächstes Jahr daraus machst

Ich auch *g

Der Hinweis zu den Ramakindern ist gut...
Die hat sich bei mir so eingebrannt, dass ich gar nicht auf den Gedanken kommen würde, jemand erkenne sie nicht...

Habt Dank!

LG
Nifl

Hi Paul,

das war für mich ehrlich gesagt noch nie ein Unterschied... aber jetzt, wo du so große Namen nennst, werde ich ganz unsicher *g ...
Interessant, sehr interessant !
Danke dir.

LG
Nifl
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