TV-Junkies

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Franktireur

Beitragvon Franktireur » 18.04.2006, 22:46

Leben ohne Tiefenschärfe
Eure Sucht läßt sich vielleicht
noch messen
an der Größe der Diagonalen*

Leben im 15-Minuten-Takt
stets griffbereit die Nummer
Eures Notruftelefons
für Lebensfreude bleibt kein Raum

Leben im Rausch der Surrogate
die tägliche Dosis muß schon sein
mit der Fernbedienung
läßt sich nach Belieben schalten

Leben im LCD und Plasmaschirm
Ihr hängt am Kabel/Satellit
gefangen in den Schleifen
Eurer Schaltkreise

Wer seinen Mind
nicht programmieren kann
muß eben den DVD-Recorder
programmieren


* Gerda hat recht, es muß "Diagonalen" heißen.

(c)Franktireur
Zuletzt geändert von Franktireur am 19.04.2006, 21:14, insgesamt 1-mal geändert.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 24.04.2006, 09:20

Hi Frank

Läßt sich sprachlich deutlich flüssiger lesen. Das Streichen des Notruftelefons war auch kein Fehler. Ich würde "zappen" vorschlagen, "steppen" klingt unpassend für das Hin- und Herschalten zwischen Fernsehsendern. Darüber hinaus gibt "zappen" der Stelle einen technischen Anstrich und reiht sich passend zu Fernbedienung, Kabel/Satellit und Schaltkreis ein.

Eindeutig besser

Jürgen

PS: Das Wort "mind" hatte mich nicht gestört, aber damit stand ich wohl allein da.

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 24.04.2006, 09:27

Hi Gurke, danke.

Zappen ist tatsächlich die bessere Variante.

Tja, "mind" - vielleicht kann man ja irgendwann mal eine Abstimmung machen zur letzten Strophe :cool:

Zu ändern ist da eben nix bei "mind" und "programmieren". Entweder ganz so lassen, oder komplett neue Strophe (hab ich jetzt dann einfach mal gemacht)

Gruß
Frank

steyk

Beitragvon steyk » 25.04.2006, 11:05

Hallo Frank,
ein kritischer Text, der wohl - wenn ich an die Zukunft denke - noch hätte viel drastischer ausfallen können. Es ist unsere Gesellschaft, die uns die Sucht nach TV/Film etc. auf die Augen drücken will und viele Menschen lassen es mit Freude (unbewußt?) geschehen. Andere dagegen haben keine Wahl, wenn sie sich informieren und ihre "Freizeit" gestalten wollen. Ich denke da z.B. an Hartz IV-Empfänger, von denen sich manche nicht einmal die tägliche Zeitung leisten können (ca. 15 EU monatlich).
Gruß steyk

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Beitragvon leonie » 07.05.2006, 16:32

Ich habe dieses Gedicht immer wieder gelesen und immer beschlich mich ein Unbehagen. Erst jetzt habe ich herausgefunden, warum. Es geht ein wenig in steyks Richtung.

Mein Unbehagen hängt mit den differierenden Adressatenkreisen zusammen, die ich vermute. Im Gedicht sprichst Du die „TV-Junkies“ direkt an. Ich nehme an, dass diese durch den Text jedoch nicht erreicht werden und ihn vielleicht auch gar nicht verstehen würden. Da müsste man eine andere Sprache sprechen.
Deine Sprache lässt mich vermuten, dass Du eigentlich einen anderen Adressatenkreis hast, den Du ansprechen willst, eine (eher privilegierte, intellektuell geprägte) Gruppe, die nicht zu solchen „TV-Junkies“ gehört und auch wenig mit ihnen zu tun hat. Die werden diesen Text vermutlich auch gut finden, weil sie sich von diesen „Junkies“ distanzieren können.

Du schreibst, die „TV-Junkies“ können ihren mind nicht programmieren, bzw. ihr Bewusstsein nicht erweitern. Für mich kommt es so rüber, als seinen sie zu dumm dazu, da ihr Leben ja keine Tiefenschärfe hat. Ich finde, das reicht als Ursachenforschung nicht. Für mich enthält dieses Thema gesellschaftspolitische Aspekte (etwa die (Jugend)arbeitslosigkeit oder die Vereinsamung vieler Menschen), die mit ausgeleuchtet werden müssten.
Wenn Du dann noch die gesellschaftliche Arroganz aufdeckst, die darin liegt, die einen Süchte abzuwerten (Junkietum aller Art) und andere zu akzeptieren oder gar zu fördern (z.B. workoholics, Magersucht oder auch Alkoholismus), dann würde es für mich richtig gut.

Dieses Thema birgt dann die Möglichkeit, Menschen ins Nachdenken über die politische Dimension, über eine gewisse Verlogenheit unserer Gesellschaft und über sich selbst zu bringen.


Viele Grüße

leonie

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 07.05.2006, 18:53

Hi Leonie,

was du anmerkst ist natürlich richtig - doch was soll/muß ein Gedicht/Text leisten?

Du nimmst an, ich meine, die TV-Junkies seien dumm...

Nun, das meine ich nicht. Aber sie sind oberflächlich und zu faul zum Selberdenken. Ich lehne Drogen und Alkohol, Medikamente ebenso ab wie alles andere, was zu Suchtverhalten führt. In unserer modernen Zeit gehört allerdings gerade das Medium Fernsehen für mich dazu.
Zusätzlich beraubt es den Menschen um die Kräfte der Imagination, Phantasie und nimmt ihm das Denken ab (Info-Flut, Konditionierung als Stichworte).

Das ist keine Frage der Bildung, des Geldes, des Intellekts.
Das ist eine Entscheidung, die jeder selbst fällen muß, ob er weiter sich "verdummen" lassen will oder beginnt, selbst zu denken.

Ich weiß, wovon ich rede: ich komme aus einer Arbeiterfamilie, ich bin nicht vermögend, auch "formalqualifikativ" nicht bevorzugt, war selbst häufiger erwerbslos. Das "soziologische Erklärungsmodell", auch das politische, sind mir entschieden zu kurzsichtig.

Ich kenne viele Leute aus allen möglichen Schichten, in allen möglichen Alterstufen, die da nicht mehr gewillt sind, mitzumachen.
Und ich kenne/kannte viele, die das alles nie in Frage stellen, darunter auch sehr priviligierte,"intelligente" Leute.

Was die Adressaten betrifft: Nun, den Vorwurf könnte man so ziemlich jedem Text machen, der Gesellschaftskritik übt. Die eigentlichen Adressaten kümmert es in der Regel nicht.

Da es speziell in diesem Gedicht für mich darum geht, klarzumachen, daß das TV-Suchtverhalten deshalb so ausgeprägt ist, weil es bequemer ist, als zu lesen, zu denken, den eigenen Kopf mal anzustrengen, bin ich mit meinem Gedicht darum recht zufrieden, weil ich ausgesagt bekomme, was ich aussagen will.

Gruß
Frank

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Beitragvon leonie » 09.05.2006, 12:45

Hallo Frank,

das ist ein interessantes Thema. Grundsätzlich meine ich schon, dass das Anliegen von Kritik sein müsste, die zu erreichen, die sie betrifft. Sonst driftet es leicht in ein „Über-etwas-Herziehen“ ab, das schweißt zwar die zusammen, die sich einig sind, verhärtet aber eher die Fronten.
Das will ich aber Deinem Text nicht vorwerfen, vielleicht bringt er wirklich dazu, dieses Thema für sich selbst zu überdenken.

Dass letztlich jeder selbst entscheiden muss, ob er sich „verdummen lassen will“, mag sein. Nur sind die Eingangsvoraussetzungen, dies entscheiden zu können und kritisches Denken überhaupt zu erlernen, meiner Meinung nach doch erschütternd ungleich verteilt.
Das beginnt im Kindergarten, vielleicht schon vorher. Insofern kann man sich glücklich schätzen, wenn einem da manches mit auf den Weg gegeben wurde, von wem auch immer. Ich kann jedenfalls für mich sagen, dass ich das nicht allein mir verdanke...

Viele Grüße

leonie


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